Читать книгу Konzert der Mörder: 11 Strand Krimis - Cedric Balmore - Страница 15

3. Kapitel

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Wir brauchten länger als geplant in der Wohnung der Luiginis. Anschließend kehrten wir zur Federal Plaza zurück. Es lag in Zusammenarbeit mit unseren Innendienstlern noch einiges an Recherchen am Bildschirm vor uns. Ausgangspunkt waren die verwendeten Wanzen.

Es hatte sich in Luiginis Büro tatsächlich ein Zahlungsbeleg jener Firma gefunden, die die Reparatur an den Telefonleitungen durchgeführt hatte. Allerdings stellte sich heraus, dass Name und Adresse dieser Firma falsch waren.

Das konnte nur heißen, dass wir auf der richtigen Spur waren.

Rosa Luigini hatte uns eine Beschreibung der beiden Männer gegeben, die diese Reparaturen durchgeführt hatten. Mit Hilfe seines Laptop und einer leistungsstarken Software war es unserem Zeichner Agent Prewitt möglich gewesen, daraus einigermaßen aussagekräftige Phantombilder zu machen.

Um mit diesen Bildern jedoch Vergleichsabfragen in den über NYSIS erreichbaren Bilddateien durchzuführen, waren die Phantombilder nicht spezifisch genug. Die Zahl der Treffer war jeweils so hoch, dass man nicht wirklich von einem brauchbaren Suchergebnis sprechen konnte.

Wir mussten die Merkmale so weit es ging einschränken, dass wir zu verwertbaren Ergebnissen kamen.

Wir fragten zunächst die Daten aller Kriminellen ab, von denen bekannt war, dass sie sich mit Abhörtechnik auskannten. Dann sortierten wir alle Suchergebnisse aus, die gegenwärtig Haftstrafen verbüßten.

Anschließend legten wir einen weiteren Filter an den vor uns liegenden Datenberg an.

Das Merkmal, nach dem wir suchten, waren Verbindungen zur Miami-Connection oder der Organisation von Harry Marini. Schließlich sahen wir uns die Schnittmenge an.

Nur ein einziger Name blieb übrig.

Sonny Alvarez, 37 Jahre alt, mehrfach vorbestraft wegen Körperverletzung und ehemaliger Türsteher in einem Club, der unter direkter Kontrolle von Ellroy Garcia, dem Statthalter der Miami-Connection stand, den viele als einen der Hintermänner bei der Mordserie unter den Bossen des Marini-Syndikats ansahen. In seinem Strafregister fand sich auch eine Verurteilung wegen gemeinschaftlicher Erpressung. Er hatte für einen Zuhälter aus Spanish Harlem dafür gesorgt, dass die Gespräche zwischen den Prostituierten und ihren Freiern aufgenommen wurde. Daneben waren auch Videoaufzeichnungen angefertigt worden. Beides hatten Alvarez und sein Partner daraufhin durchforstet, ob irgendetwas dabei war, was sich für eine Erpressung nutzen ließ.

„Bingo!“, meinte unser Innendienstler Agent Max Carter.

Er hatte das bei der letzten Verurteilung aufgenommene Foto von Alvarez auf den Schirm geholt.

Es glich einem der Phantombilder ziemlich.

Als letzte Adresse war das Haus Nr. 334 in der 123. Straße West angegeben.

„Nichts wie hin“, meinte Milo.

––––––––




„DAS PASST DOCH ALLES zusammen!“, meinte Milo während wir uns mit Rotlicht auf dem Dach in die 123. Straße aufmachten. „Michael Chambers, dieser Profi-Killer, dessen Handschrift die bisherigen Morde an den Marini-Unterbossen zu tragen scheinen, arbeitete auch in einem Laden, der unter der Kontrolle der Miami-Connection steht – und zwar in den selben Jahren. Die beiden kennen sich wahrscheinlich von daher und arbeiten jetzt zusammen.“

„Möglich.“

„Es scheint so, als ob tatsächlich jemand aus der Miami-Connection die Morde in Auftrag gegeben hat“, war Milo überzeugt. „Entweder Ellroy Garcia oder Leute, die noch ein paar Etagen über ihm stehen.“

„Aber das wird schwer sein, zu beweisen, Milo!“

„Abwarten. Wenn wir Alvarez erst einmal haben, könnte das der erste Dominostein sein...“

„Bist du optimistisch, Milo!“

Ich trat in die Bremsen und stoppte den Chevrolet aus dem bestand unserer Fahrbereitschaft, mit dem wir im Augenblick unterwegs waren. Vor einer Kreuzung bildete sich ein kleiner Stau. Die Ampel konnte den Verkehr während eines Rot-Grün-Intervalls nicht fassen. Da half weder Rotlicht noch Sirene. Manchmal gab es in den völlig überlasteten Straßen des Big Apple einfach kein Durchkommen.

Die Agenten Leslie Morell, Fred LaRocca und Jay Kronburg folgten uns in einem zweiten Wagen.

„Es fehlt uns noch der zweite Mann, der bei den Luiginis mitgeholfen hat, die Wanzen einzubauen“, meinte ich. „Chambers kann das nicht sein, denn dessen Beschreibung passt absolut nicht auf das, was Rosa Luigini uns über ihn erzählt hat!“

„Na, ich schätze, das ist Chambers gewesen.“

„Glaube ich nicht. Alles, was wir über Chambers wissen, stammt aus der Aufnahme seiner Personalien bei seiner letzten Verhaftung“, gab Milo zu bedenken. „Und die liegt doch Jahre zurück. Der Mann ist in der Zwischenzeit nicht nur älter geworden, sondern hat vermutlich auch bewusst sein Äußeres verändert.“

Die Ampel wurde grün, wir fuhren weiter und konnten uns schließlich mit Hilfe von Sirene und Rotlicht erfolgreich durch die Menge der Fahrzeuge drängeln. Von da an ging es recht reibungslos voran. Ich fuhr einen kleinen Umweg, sodass wir wenig später den Elevated Highway erreichten, der sich am East River Richtung Norden entlang zog.

Sobald wir uns der 123. Straße näherten, nahmen wir das Rotlicht vom Dach und schalteten die Sirene aus. Schließlich sollte Sonny Alvarez nicht frühzeitig gewarnt werden.

Die Hausnummer 334 war ein einfaches, zehnstöckiges Brownstonehaus mit Apartments - für New Yorker Verhältnisse war es recht flach.

Sonny Alvarez’ Wohnung lag im vierten Stock.

Wir nahmen den Aufzug. Nennenswerte Sicherheitsvorkehrungen gab es im Haus Nummer 334 nicht. Weder Video-Kameras noch Security Service. Aber das machte die Wohnungen hier wohl um einiges preisgünstiger, als es ansonsten dem Mietniveau von Manhattan entsprach – und viele kleine Angestellte in den Banken und Geschäften von Downtown waren darauf angewiesen, in solchen Apartmenthäusern zu wohnen, wenn sie nicht gleich nach Yonkers oder in die Außenbezirke von Queens und Brooklyn ausweichen wollten.

Wir erreichten Sonny Alvarez’ Wohnungstür. Sein Name stand dort immer noch, sodass wir davon ausgingen, dass er nicht inzwischen umgezogen war.

Wir griffen nach unseren Dienstwaffen.

Vorsorglich hatten wir Kevlar-Westen angelegt. Schließlich konnte niemand vorhersagen, wie Alvarez’ reagierte. Wenn er tatsächlich der Partner eines skrupellosen Lohnkillers wie Michael Chambers war, dann mussten wir damit rechnen, dass er sofort um sich schießen würde.

Leslie Morell betätigte die Klingel.

Keine Reaktion.

„Mister Sonny Alvarez? Hier spricht das FBI! Machen Sie die Tür auf, Sir!“, rief unser Kollege Jay Kronburg, wobei er seinen .457er Magnum Revolver mit beiden Händen nahm. Der ehemalige Cop im Dienst des New York Police Department war der einzige von uns, der nicht als Standardwaffe übliche P226 benutzte, sondern nach wie vor auf der Benutzung seines Revolvers bestand.

„Alvarez! Machen Sie die Tür auf!“, rief Jay noch einmal. Er nickte mir zu.

Ich nahm Schwung und trat die Tür auf.

Sie sprang zur Seite. Ich stürzte mit der Pistole in der Hand hinein, schwenkte den Lauf herum, in der Erwartung, dass sich irgendetwas bewegte.

In dem Apartment sah es aus, wie auf einem Schlachtfeld. Möbel waren umgestürzt und in der Mitte des Raumes saß ein Mann mit starren, toten Augen auf einem Stuhl. Er war gefesselt. Blut lief ihm aus dem Mund heraus. Ein Auge fehlte. Stattdessen klaffte dort ein Einschussloch.

Seine Kleider waren Blut durchtränkt. Einschusswunden waren an Armen, Beinen und den Schultern zu sehen.

Ich senkte die Waffe und musste unwillkürlich schlucken.

Hier war jemand mit ungeheurer, fast unfassbarer Brutalität vorgegangen.

Auch die anderen, die mir in das Apartment folgten, waren schockiert.

„Das war eine Hinrichtung“, meinte Jay und deutete auf den Boden vor dem Stuhl. Der Mörder hatte die Patronenhülsen der verwendeten Projektile zu einem Kreuz gruppiert.

„Das kennen wir doch schon“, murmelte ich düster.

„Aber unser Freund hat diesmal eine andere Waffe benutzt“, stellte Milo angesichts der Tatsache fest, dass diese Patronen ein sichtlich kleineres Kaliber hatten als die, die wir in dem Rohbau am Jamaica Bay Fun Park gefunden hatten.

Ich zuckte die Schultern. „Ein Spezialgewehr wie die MK-32 ist auch sicher nicht die geeignete Waffe für den Einsatz in einer Wohnung, wo es zu einer nahkampfähnlichen Situation kommen kann.“

Leslie Morell hatte bereits sein Handy am Ohr und forderte Verstärkung sowie erkennungsdienstliche Unterstützung an.

„Warum tötet dieser Killer einen Mann, der offensichtlich sein Komplize war?“, fragte Milo.

„Um sich abzusichern – warum denn sonst!“, mischte sich Jay ein.

„Und wenn wir nicht ganz schnell den zweiten Mann finden, der bei den Luiginis die Wanzen installiert hat, wird von dem auch nicht mehr übrig bleiben, als von dem Kerl hier!“, war Milo überzeugt. „Seht euch das an, er wurde regelrecht gefoltert – wahrscheinlich mit einer relativ kleinkalibrigen Waffe mit Schalldämpfer, sodass man in der Nachbarschaft nichts von den Schussgeräuschen mitbekam. Erst in die Extremitäten und als er hatte, was er wollte...“

„...ins Auge und in den Mund“, vollendete Jay. „Auge um Auge, Zahn um Zahn – Sorry, aber das fällt mir spontan dabei ein. Dieser Perverse muss das wörtlich genommen haben, wenn ich mir das so ansehe.“

„Dazu das Kreuz“, murmelte ich.

Mir ging einiges an Gedanken durch den Kopf. Schon im Fall von Jimmy DiCarlo hatte ich das Gefühl gehabt, dass da etwas nicht zusammenpasste. Mir war nur noch nicht so recht klar geworden, was es eigentlich war.

„Das Kreuz bei DiCarlo, jetzt wieder ein Kreuz, dazu ein fehlendes Auge und...“ Ich beugte mich nieder und leuchtete dem Toten mit dem zigarettengroßen Microlenser, den ich am Schlüsselbund trage, in den Mund. „...ein fehlender Zahn. Das ist ein Erkennungszeichen mit so aufdringliche Symbolik!“ Ich schüttelte den Kopf und wandte mich ab. Der Anblick dieses entstellten Toten war kaum zu ertragen. „Meiner Meinung nach passt das nicht zu der kalten, professionellen Vorgehensweise eines Hit-man.“

„Du meinst, wir können diesen Michael Chambers von unserer Verdächtigenliste streichen? Jesse, das ist nicht dein Ernst!“, ereiferte sich Milo. „Es passt doch alles wunderbar zusammen! Chambers und dieser Typ hier haben beide eine Verbindung zu den Miami-Leuten und die wiederum haben das beste Motiv der Welt, gegen Marinis Leute vorzugehen!“

„Ich sag ja nicht, dass es nicht Chambers gewesen sein kann! Und ich will noch nicht einmal in Abrede stellen, dass es sehr plausibel klingt, dass die Auftraggeber zur Miami-Connection gehören, aber...“

„Aber was?“, hakte Milo nach.

„Wir wissen ja definitiv, dass die Marini-Captains alle vom selben Killer getötet wurden. Zumindest wurde dieselbe Waffe benutzt. Aber es scheint bei diesem Kerl eine Entwicklung gegeben zu haben, von der ich noch nicht weiß, was sie bedeutet oder wodurch sie ausgelöst wurde. Die ersten Morde waren eiskalte Profi-Taten. Dann das Kreuz, jetzt diese Perversion hier...“

„Dazwischen aber wieder ein relativ kühl durchgezogener Hit-man Job bei Jack Luigini“, gab Milo zu bedenken. „Aber worauf willst du dabei hinaus? Dass es irgendeine persönliche Komponente bei diesen Verbrechen gibt“

„Rache“, vermutete Jay Kronburg. „Vielleicht ist dieser Chambers mit Marinis Leuten mal böse aneinander geraten, wer weiß.“

„Killer mögen es zum Beispiel nicht, wenn man sie nicht bezahlt“, meinte Jay.

„Dafür haben wir nicht den geringsten Anhaltspunkt“, gab ich zu bedenken.

Jay Kronburg machte eine wegwerfende Handbewegung. „Genau genommen haben wir, zumindest was das letzte Jahrzehnt angeht, über Michael Chambers – oder wie immer er sich im Moment auch nennen mag – fast überhaupt keinen Anhaltspunkt. Wir wissen nicht, für wen er gearbeitet hat und so weiter.“

Milo musste ihm zustimmen. „Da gibt es nur diese Mordserie in San Francisco und die Morde an den Marini-Captains, die mit einer seiner bevorzugten Waffe, der MK-32 durchgeführt wurden.“

Ich hörte der Diskussion einige Augenblicke lang zu und versank dabei in meinen eigenen Gedanken. Dieser Täter legte es darauf an, dass man ihn wieder erkannte. Warum nur? An der Kälte und Präzision der Durchführung hatte sich ja nichts geändert.

„Dieser Kerl – vorausgesetztes es ist überhaupt ein Mann – scheint eine Entwicklung durchzumachen“, wiederholte ich meine Ansicht und redete in das Gespräch der Anderen hinein.

Meine Kollegen sahen mich etwas irritiert an.

„Was meinst du damit genau, Jesse?“, fragte Jay Kronburg stirnrunzelnd.

„Es scheint ihm plötzlich wichtig zu sein, dass er mit diesen Verbrechen identifiziert wird. Das mit den Patronen und auch die Sache mit Auge und Zahn – das ist wie eine schaurige Inszenierung, mit der jemand sagen will: Seht her, was ich getan habe!“

„Eigentlich eine Todsünde für einen Hit-man!“, kommentierte Leslie Morell meine Worte. Er schüttelte anschließend den Kopf und fügte noch hinzu: „Tut mir leid, Jesse, aber ich kann dir nicht ganz folgen. Der Grund für das brutale Vorgehen dürfte sein, dass der Mörder Informationen wollte.“

„Da stimme ich dir zu“, nickte ich.

„Und wie du selbst schon vermutet hast, wollte er wahrscheinlich, Name, Adresse und Aufenthaltsort des zweiten Mannes, der bei den Luiginis für die Verwanzung gesorgt hat.“

„Aber das erklärt nicht das Patronenkreuz“, wandte ich ein.

––––––––




WENIG SPÄTER TRAFEN unsere FBI-eigenen Erkennungsdienstler Mell Horster und Sam Folder ein.

Außerdem ein Gerichtsmediziner namens Dr. Ruben Tamowitz. Für uns gab es hier jetzt nicht mehr viel zu tun. Jay und Leslie fuhren zurück zur Federal Plaza. Milo und ich blieben noch etwas dort. Auch wenn wir den Spezialisten bei ihrer Arbeit etwas auf die Nerven gingen, so wollte ich doch gerne wissen, ob sich in der Wohnung nicht noch irgendwelche Hinweise auf Alvarez’ Komplizen befanden. Eine Telefonnummer, eine Notiz, irgendetwas. Angesichts der entsetzlichen Behandlung, die der Killer Alvarez unterzogen hatte, war davon auszugehen, dass der Mörder den Namen von Alvarez’ Komplizen kannte. Es lag ein Rennen gegen die Zeit vor uns, bei dem wir von Anfang an vollkommen unfair im Nachteil waren. Der Killer hatte sämtliche Trümpfe in der Hand.

Im Lauf der erkennungsdienstlichen Untersuchungen stellte sich schnell heraus, dass wir es wirklich mit einem absolut professionell und mit kühler Überlegung agierenden Täter zu tun hatten, von dem wir seit dem Mord an Luigini wussten, dass er noch einen Komplizen hatte.

So fanden wie ein Handy mit Prepaid-Karte, dessen Innenleben durch einen Schuss vollkommen zerstört war. Offenbar wollte der Killer nicht, dass wir eventuell seine Telefonnummer im Menue stießen.

Ähnlich rabiat war der Täter auch mit dem internetfähigen Computer des Opfers verfahren. selbst wenn es unseren Spezialisten gelang, doch noch einen Teil der Daten auf dieser zerschossenen Festplatte wieder lesbar zu machen, würde eine Wiedererstellung vermutlich Monate in Anspruch nehmen.

Die Frage, ob Sonny Alvarez irgendwelche Emails erhalten hatte, die für unsere Ermittlungen von Interesse gewesen wären, musste also vorerst offen bleiben. Ein Telefonregister fanden wir nicht. Es war anzunehmen, dass der Täter es mitgenommen hatte.

„Der Kerl hat wirklich an alles gedacht“, meinte Sam Folder. „Und vermutlich hat er sogar Latex-Handschuhe getragen, denn Fingerabdrücke konnten wir nirgends entdecken.“

Milo und ich fragten bei den Bewohnern der Nachbarwohnungen nach, ob ihnen irgendetwas aufgefallen wäre. Allerdings war der Großteil der Hausbewohner um diese Uhrzeit nicht zu Hause, weil sie ihren Beschäftigungen in Downtown Manhattan nachgingen. Immerhin hatte jemand gehört, dass zwischenzeitlich die Stereoanlage bei Alvarez unverhältnismäßig laut gewesen sei. Wahrscheinlich hatte der Täter damit die Schmerzensschreie seines Opfers übertönt.

Die Stunden zogen sich hin.

Eine Spur des Komplizen wollte sich in Alvarez’ Wohnung einfach nicht finden.

„Wahrscheinlich ist es das Beste, wir lassen eine Hundertschaft Cops in die Clubs von Ellroy Garcia ausschwärmen und das Phantombild herumzeigen!“, meinte Milo ironisch – denn natürlich wahr auch ihm klar, dass es dazu gar nicht die personellen Ressourcen gab.

Als wir zu Alvarez’ Wohnung zurückkehrten, gab es immerhin einen kleinen Lichtblick.

„Wir haben eine Spur“, verkündete Sam Folder. „Es ist zwar kein Fingerprint, aber etwas, das den Täter auf ähnliche Weise identifizieren kann.“

„Na, da bin ich ja mal gespannt, Sam!“, sagte ich und Milo meinte: „Dann spann uns nicht so auf die Folter, Sam!“

„An der Tür war ein Ohrabdruck. Der Täter hat also erstmal gehorcht, was drinnen so los ist, bevor er sich Zugang verschafft hat, wobei sehr viel dafür spricht, dass das Opfer ihn hereinließ.“

Ein Ohrabdruck!

Das war immerhin etwas.

Abdrücke von Ohren oder Lippen sind genauso individuell wie Fingerprints. Der Unterschied in der fahndungstechnischen Verwertbarkeit liegt einfach daran, dass es zwar mit AIDS, dem so genannten Automated Identification System eine Datenbank für uns gibt, die Millionen von Fingerabdrücken verwaltet und nach verschiedenen Kategorien geordnet für eine Abfrage bereithält, aber der Aufbau einer Datei von Ohrabdrücken erst im Aufbau begriffen ist. Schließlich ist man erst vor wenigen Jahren bei Ermittlungen, die die deutsche Polizei gegen eine Bande von Serieneinbrechern im Ruhrgebiet darauf gekommen, dass die Täter gerade bei Einbruchsdelikten häufig dazu neigten, das Ohr an die Tür zu legen, um sich darüber zu vergewissern, ob noch jemand in der Wohnung war. Erstmalig war damals einem Täter später vor Gericht anhand eines Ohrabdrucks nachgewiesen worden, dass er für eine ganze Serie von Einbrüchen verantwortlich gewesen war.

„Das Problem ist nur, dass wir den Täter wohl erst einmal haben müssten, damit uns dieses Indiz weiter bringt!“, meinte ich angesichts des im Moment noch geradezu erbärmlichen Bestandes an gespeicherten Ohrabdrücken.

„Ich dachte, du freust dich, Jesse! Das ist doch mehr als nichts!“

„Du sieht wohl immer nur das Positive, Sam!“

„Was bleibt einem anders übrig, Jesse!“

––––––––




EIN MANN, DESSEN NAME ich nicht kannte und von dem nichts weiter als das von Agent Prewitt erstellte Phantombild bekannt war, befand sich im Fadenkreuz eines Killers – und es gab nichts, was wir im Augenblick tun konnten, um dieses Verbrechen zu verhindern.

Diese Situation wurmte mich.

Aber so sehr ich mir auch das Hirn zermarterte, im Augenblick gab es einfach keinen weiteren Hinweis auf den Komplizen von Sonny Alvarez.

Ich erkundigte mich telefonisch nach dem Club, in dem Sonny Alvarez als Türsteher tätig gewesen war. Unser Innendienstler Max Carter konnte mir da genauere Auskünfte geben. Der Laden existierte nicht mehr. Vor einem halben Jahr hatte es in dem Gebäude einen Brand gegeben und die Betreiber hatten eine dicke Versicherungssumme kassiert.

„Ich denke, die Leute, die damals für Ellroy Garcia die Strohmänner gespielt haben, werden doch vermutlich wieder eine ähnliche Beschäftigung im Syndikat der Miami-Leute gefunden haben“, war ich überzeugt. „Vielleicht könnt ihr da was herauskriegen, damit wir mit dem Phantombild etwas hausieren gehen können.“

„Wir versuchen unser Bestes, Jesse.“

„Oder wir gehen den direkten Weg und tauchen bei Ellroy Garcia persönlich auf.“

„Er wird kaum jeden seiner ehemaligen Türsteher persönlich kennen“, meinte Max.

„Nein, aber er weiß mit Sicherheit, was die Leute im Moment so tun, die in diesem verbrannten Club für ihn die Geschäfte geleitet haben.“

„So etwas solltest du auf keinen Fall auf eigene Faust starten, Jesse.“

„Wieso nicht?“

„Weil das erst zwischen Mister McKee und dem zuständigen Staatsanwalt abgesprochen werden muss.“

„Erklär mir das, Max!“

Ich hörte Max Carters Seufzen durch das Telefon.

„An Ellroy Garcia und seinen Hintermännern in Miami sind die DEA und die Steuerfahndung seit langer Zeit dran – und wir natürlich auch. Wenn wir jetzt für unnötigen Wind sorgen, wird die Staatsanwaltschaft davon nicht begeistert sein!“

„Unnötigen Wind?“, echote ich. „Wir haben es hier mit einer Mordserie zu tun, die ihresgleichen sucht und die New Yorker Unterwelt durcheinander schüttelt wie seit langem nichts mehr – da ist doch alles, was wir anrichten können nicht einmal ein laues Lüftchen!“

„Ich schlage vor, du besprichst das mit Mister McKee, Jesse.“

„Ja, das wird wohl das beste sein“, gestand ich zu.

Mister McKee war allerdings nicht zu erreichen. Ich bekam nur seine Sekretärin Mandy an die Leitung, die mir sagte, dass der Chef gerade eine Unterredung mit dem zuständigen Bezirksstaatsanwalt Roger F. Dimastenes hatte, der erst vor Kurzem ins Amt gekommen war und sich erst einmal hatte einarbeiten müssen.

„Aber ich soll Ihnen ausrichten, dass er Sie beide sprechen möchte, sobald Sie vom Tatort zurück sind.“

„In Ordnung“, murmelte ich.

„Tut mir leid, Jesse, aber im Moment kann ich nicht mehr für Sie tun!“

„Sie können dafür sorgen, dass ich einen Becher von Ihrem hervorragenden Kaffee bekomme, wenn ich bei Mister McKee zum Bericht erscheine.“

„Sagen Sie bloß, Sie sind irgendwann schon einmal durstig gegangen, Jesse!“

––––––––




AUF DEM RÜCKWEG ZUR Federal Plaza nutzten wir die Zeit, um Francine Benson bei ihrer Schwester zu besuchen. Das hatte ich eigentlich längst machen wollen, denn ich fand, dass ihre Rolle bei der Ermordung von Jimmy DiCarlo noch längst nicht hinreichend aufgeklärt war und man ihr eigentlich noch etwas genauer hätte auf den Zahn fühlen müssen.

Aber die jüngsten Ereignisse hatten uns im Field Office New York kaum eine Verschnaufpause gegönnt.

Die Adresse ihrer Schwester Tyra, die Francine uns angegeben hatte, lag nur ein paar Blocks entfernt in der 116.Straße. So lag der Besuch gewissermaßen auf dem Weg, den wir ohnehin zurückzulegen hatten.

Die Wohnung lag im dritten Stock eines Hauses, dessen beste Tage mit Sicherheit schon einige Jahrzehnte zurücklagen. Die Fassade war in einem erbärmlichen Zustand und Graffiti verunstalteten die Front zur Straße hin bis auf eine Höhe, die für jeden Sprayer wohl beim besten Willen nicht zu überwinden war.

Ein paar spanisch sprechende Jugendliche hingen im Eingangsbereich herum und bedachten uns mit misstrauischen Blicken.

Milo parkte den Chevy am Straßenrand.

„Ich sehe dir richtig an, wie froh du bist, dass dein geliebter Sportwagen in der Werkstatt steht – und nicht an dieser Straße“, raunte Milo mir zu.

Ich grinste.

Offenbar verfügte mein Kollege über telepathische Kräfte.

„Dann kann ihn sich wenigstens niemand unter den Nagel reißen“, gab ich zurück.

„Etwas feiner hatte ich mir die Gegend schon vorgestellt“, meinte Milo.

Wir stiegen aus und gingen auf den Eingang zu.

Die Stimmen der jugendlichen Latinos, die zuvor durch die heruntergekurbelte Scheibe des Chevys zu uns herüber gedrungen waren, verstummten jetzt.

Wir gingen an ihnen vorbei und betraten das Haus.

Der Aufzug war defekt. Es blieb uns nichts anderes übrig, als die Treppe zu nehmen. Tyra Bensons Wohnung lag im dritten Stock.

Wir klingelten.

Eine mir wohl bekannte junge Frau öffnete uns einen Spalt breit, ließ aber zunächst die Kette in der Halterung. Wie hätte ich sie auch vergessen können!

Sie trug Jeans und T-Shirt und war barfuß. Das lange blonde Haar trug sie offen.

Francine Benson war eine außergewöhnlich attraktive Frau. Zumindest in diesem Punkt hatte Jimmy DiCarlo Geschmack bewiesen, wie ich zugestehen musste.

„Jesse Trevellian, FBI. Sie werden sich an meinen Kollegen Milo Tucker und mich sicher erinnern.“

„Tut mir Leid, Sir...“

„Aber...“

„Ich bin nicht Francine Benson, sondern...“

„...Tyra?“, hakte ich nach.

„Ja. Haben Sie mich nicht angerufen?“

„Stimmt. Ihre Schwester ist eine wichtige Zeugin in einem Mordfall und hat angegeben, dass Sie unter Ihrer Adresse zu erreichen wäre.“

„Das ist auch der Fall.“

„Können wir einen Moment hereinkommen.“

„Francine ist im Moment nicht da.“

„Wann kommt sie zurück?“

„Das hat sie nicht gesagt. Mein Gott, ich bin ihre Schwester, aber nicht ihr Kindermädchen.“

„Vielleicht hätten wir auch ein paar Fragen an Sie, Miss Benson“, mischte sich jetzt Milo ein.

Die junge Frau schluckte und schwieg zunächst. Ich hatte den Eindruck, dass sie darüber nachdachte, wie sie uns am schnellsten abwimmeln konnte, aber ich hatte mich getäuscht. „Kann ich Ihren Ausweis mal sehen?“, erkundigte sie sich.

Ich reichte ihr meine ID-Card.

Die Tür schloss sich.

Fünf, sechs Sekunden lang geschah gar nichts.

Dann hörte ich, wie die Tür entriegelt wurde. Offenbar hatte die junge Frau einiges in den Bereich investiert, den man auch „passive Sicherheitstechnik“ nennt.

Schließlich war die Tür offen.

Jetzt sah ich sie in ihrer ganzen Schönheit.

Mein Gott, sieht sie ihrer Schwester ähnlich!, durchzuckte es mich. Die beiden glichen sich wie ein Ei dem anderen.

Ich blickte auf ihre nackten Füße. Ein Detail fiel mir auf. Die Nägel waren rot lackiert. Ich versuchte mich daran zu erinnern, ob das bei Francine auch der Fall gewesen war. Als sie uns zum ersten Mal begegnet war, hatte sie offene Schuhe angehabt. Eigentlich hätten mir derart auffällig lackierte Fußnägel auffallen müssen!, dachte ich.

Immerhin gab es also ein Detail, das an den beiden Frauen nicht gleich war.

Sie bat uns herein.

„Sie sehen Ihrer Schwester wirklich sehr ähnlich“, gestand ich.

Ein verhaltenes Lächeln flog über ihr Gesicht. Mit einer grazil wirkenden Geste strich sie sich das Haar zurück und holte anschließend eine verirrte Strähne von der Stirn.

Selbst, was ihre Körpersprache anging, die Art sich zu bewegen und die Art, wie sie sich das Haar aus den Augen strich, glich sie ihrer Schwester bis auf jede Kleinigkeit.

„Sie sind nicht der Erste, der uns verwechselt, Mister...“

„Trevellian. Jesse Trevellian“, wiederholte ich. „Aber Sie können mich ruhig Jesse nennen.“

Sie lächelte.

„Jesse...“

„Sie sind Zwillingsschwestern.“

„Ja. Eineiig, wie Sie sich denken können. Früher auf der McKee School haben wir damit viel Blödsinn gemacht!“

„Und jetzt?“

Sie lächelte etwas breiter. In ihren Augen blitzte es herausfordernd. „So was legt sich mit den Jahren, Jesse! Meinen Sie nicht?“

„Kommt darauf an.“

Wir folgten ihr in die Wohnung. Im Wohnzimmer bot sie uns Platz an.

Sie selbst blieb stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Jetzt sagen Sie mir schon, was Sie über meine Schwester wissen wollen.“

„Hat Sie Ihnen etwas über ihre Beziehung zu Jimmy DiCarlo erzählt?“, fragte ich.

„Nicht viel, um ehrlich zu sein, war es ziemlich überraschend für mich, dass sie bei ihm eingezogen ist und ihre Wohnung aufgegeben hat. Bis dahin hatte sie einen Job als Gogo-Tänzerin und sich mehr schlecht als recht durchgeschlagen – so wie wir alle.“

„Wo war sie Gogo-Tänzerin?“, hakte ich nach.

„In irgend so einem Glitzerschuppen. Dort hat sie auch Jimmy kennen gelernt, wie sie mir mal gesagt hat, aber mehr weiß ich nicht. Keine Ahnung, weswegen sie um die Geschichte immer so ein Geheimnis gemacht hat.“

„An den Namen dieser Discothek erinnern Sie sich nicht zufällig?

„STAR glaube ich.“

„Vielleicht auch STARFIRE?“

Sie nickte eifrig.

„Ja, genau so hieß der Laden: STARFIRE!“

„Fragt sich nur, was Jimmy DiCarlo in einem Glitzerladen zu suchen hatte, der unter Kontrolle von Ellroy Garcia steht!“, meinte Milo.

„Ein Grund mehr, Mister Garcia mal selbst dazu zu befragen.“

„Falls uns nicht irgendjemand einen Strich durch die Rechnung macht, in der Hoffnung, ein paar größere Fische an den Haken zu bekommen, Jesse!“

Ich nickte knapp und konzentrierte mich wieder auf Tyra Benson.

„Sind Sie auch mal mit Ihrer Schwester ins STARFIRE gegangen?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein, das ist nicht meine Welt. Ich verdiene mein Geld in einem Coffee Shop ein paar Blocks weiter – aber ich hätte einfach keine Lust dazu, halbnackt vor einer Horde angetrunkener Großkotze herumzutanzen, deren Nasen entweder vom übermäßigen Trinken oder vom Kokainschnupfen rot sind.“ Ihr Blick wurde sehr ernst. Die Augenbrauen zogen sich zusammen. In der Mitte ihrer Stirn erschien eine Falte. „Ist meine Schwester in irgendetwas verwickelt?“, fragte sie. „Seien Sie ehrlich zu mir, die ganze Geschichte stinkt mir nämlich langsam und ich glaube auch nicht, dass mir Francine die volle Wahrheit gesagt hat!“

„Jimmy DiCarlo, der Mann in den sich Ihre Schwester so schnell verliebte, hatte unseren Erkenntnissen nach einen relativ hohen Rang in der Mafia. Eine Reihe von Männern, die auf der gleichen Rangstufe stehen wurde in jüngster Zeit ermordet und wir versuchen herauszufinden, wer dafür verantwortlich sein könnte. Da ist alles.“

Sie sah erst mich und dann Milo an und ich hatte den Eindruck, dass sie mit sich rang, ob sie uns noch mehr erzählen sollte.

„Glauben Sie, dass für Francine eine Gefahr besteht?“, fragte sie schließlich vorsichtig.

Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste. Jetzt hieß es, sich wie auf sehr dünnem Eis weiter vorwärts zu bewegen. Ich spürte, dass wir kurz dem Ziel waren und die junge Frau fast soweit hatten, dass sie uns etwas mehr erzählte, als ihrer Schwester vielleicht lieb war.

Aber mein Instinkt sagte mir, dass Francines Rolle in dieser Sache wichtiger war, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Mein anfänglicher Verdacht war von Anfang an richtig gewesen und vielleicht konnte mir ihre Schwester dabei helfen, mich zu bestätigen.

Wenn ich sensibel genug vorging, sodass sie sich nicht wieder in ihr Schneckenhaus zurückzog.

Milo nickte mir zu. Damit signalisierte er: Mach du das.

Okay, dachte ich.

„Um das einzuschätzen müssten wir mehr wissen“, wich ich Francines Frage zunächst einmal aus. „Aber Tatsache ist, dass sie sich im Zentrum eines Gangsterkrieges befindet und wo gehobelt wird, da fallen auch Späne. Vielleicht können sie mir sagen, auf welches Spiel sich Francine da eingelassen hat. Sie war am Tatort, als der Mann, den sie angeblich liebte aus einem nahe gelegenen Gebäude von einem Scharfschützen abgeknallt wurde. Was würden Sie machen? Wahrscheinlich warten, bis die Polizei eintrifft.“

„Hat Sie das nicht getan?“

„Hat Sie Ihnen das erzählt?“

„Nein, sie hat nur wenige Details darüber von sich gegeben, das meiste weiß ich aus den Lokalnachrichten und die waren natürlich auch nicht sehr detailfreudig – aus fahndungstaktischen Gründen, wie es hieß. Deswegen habe ich mich, was Francines Schweigsamkeit anging auch besonders gewundert.“ Sie zuckte ihre schmalen Schultern. „Ich dachte zunächst, dass sie vielleicht vom FBI die Order hat, nicht allzu redselig zu sein. Aber dann geschah etwas sehr Merkwürdiges.“

„Was?“

„Sie bekam Besuch von einem Mann, den ich nie zuvor gesehen hatte.“

„Können Sie ihn beschreiben?“

„Grauhaarig, gut gekleidet. Mitte siebzig.“

Das konnte jedenfalls nicht Michael Chambers sein, überlegte ich. Andererseits traute ich einem gewieften Vollprofi wie ihm zu, dass er sein Äußeres sehr stark veränderte, wenn es die Situation erforderte.

„Wann war das?“

„Gestern Abend. Dieser Mann hat Francine Geld gegeben. Mehrere Bündel mit Geldscheinen. Wenn Sie mich fragen, dann schätze ich, dass es mindestens zehntausend Dollar waren.“

„Wissen Sie, wofür Sie das Geld bekam?“

„Nein, keine Ahnung und sie ist meinen Fragen auch ausgewichen. Ich...“ Sie schluckte und atmete dann schwer. Es schien da etwas zu geben, was ihr noch schwer auf der Seele lastete.

„Sprechen Sie ruhig“, versuchte ich sie zu ermuntern. Aber offenbar hatte ich damit das Gegenteil erreicht.

Sie biss sich auf die Lippe. „Es ist nichts“, behauptete sie. „Ich habe Ihnen schon mehr gesagt, als gut ist. Schließlich hat Francine mir eingeschärft mit niemandem zu reden, der sich nach ihr erkundigt.“

„Das FBI eingeschlossen?“

Die Antwort auf diese Frage blieb uns Tyra Benson schuldig. Sie sah auf die Uhr. „Ich muss jetzt gleich noch mal in den Coffee Shop. Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden. Mein Chef hasst es, wenn ich unpünktlich bin – und ein kleines Kind, das Husten hat oder so etwas kann ich als Entschuldigung nicht vorweisen.“

Ich gab ihr meine Karte. „Wenn Ihnen noch etwas einfällt, können Sie uns jederzeit erreichen.“

„Danke.“

„Und sobald Ihre Schwester nach Hause kommt, sagen Sie mir bitte Bescheid.“

„Ja, natürlich.“

Sie würde es nicht tun. Das hatte ich im Gefühl.

Wir verabschiedeten uns und gingen zurück zum Wagen. Die Jugendlichen, die dort gewartet hatten, standen noch immer da herum.

Einer der Älteren unter ihnen, trat uns in den Weg. Er trug ein Baseball-Cap mit der Aufschrift EL NINO VIENE und weite Cargo-Hosen, die ihm fast bis in die Kniekehlen herunterhingen.

Wenigstens konnte er keine Karate-Tritte ausführen, solange er die Hose so tief trug.

Der Kerl rempelte mich mit voller Absicht an.

Ich schnellte zurück und konnte gerade noch das Gleichgewicht halten. Milos rechte Hand glitt zum Griff seiner SIG.

Aber er noch ließ er die Waffe stecken.

Schließlich wollte er die Situation nicht unnötig eskalieren lassen.

Der junge Mann – ich schätzte ihn auf etwa zwanzig Jahre – hob die Hände.

„Hey, immer cool bleiben Mann! War ein Versehen!“

Die anderen Jugendlichen kamen jetzt dazu und bildeten einen Halbkreis.

„Ich würde sagen, es ist das Beste jeder von uns geht einfach seinen Weg“, sagte ich.

Der Kerl, der mich angerempelt hatte, deutete auf Milo. „’ne coole Knarre hast du da, Amigo! Zeig mal her!“

Ich zog meine ID-Card.

„FBI! Der Spaß ist jetzt zu Ende, Jungs!“

„Ich habe doch gleich gewusst, dass ihr hier nicht hergehört!“

„Was du nicht sagst.“

„Bueno, wir passen eben ein bisschen auf, wer hier so herumlungert. Ihr Cops sagt doch immer, dass man in der Nachbarschaft die Augen aufhalten soll!“

„Na, wenigstens das scheint ihr mitgekriegt zu haben.“

Eine Gasse bildete sich. Milo und ich gingen hindurch und erreichten wenig später den Wagen.

„Was glaubst du, was die mit uns gemacht hätten, wenn du Ihnen nicht die FBI-Marke unter die Nase gehalten hättest?“, fragte Milo.

Ich zuckte die Schultern. „Wahrscheinlich gar nichts. Da wollte doch jemand nur ein bisschen angeben.“

„Ich hoffe, du hast Recht.“

„Bestimmt.“

Wir stiegen ein.

Milo setzte sich ans Steuer und startete. Unser nächstes Ziel war das Bundesgebäude an der Federal Plaza.

Im Rückspiegel sah ich noch, wie der Kerl mit der EL NINO VIENE-Mütze in seine Hosentasche griff und ein Handy ans Ohr nahm.

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„PACO AQUÍ!“, SAGTE der junge Mann und schob sich die Baseballkappe in den Nacken, während der Wagen mit den beiden G-men hinter der nächsten Ecke verschwand. „Senor Scirea? Sie hatten doch gesagt, dass ich Sie anrufen soll, wenn hier jemand auftaucht, der hier nicht hergehört. Dos Agentos del FBI estaban aquí! Zwei G-men waren bei Senorita Benson...”

„Bist du sicher?”

„Sí, Senor!”

„Hör mit deinem Kauderwelsch auf und sprich Englisch!”

„Ein echter Italiener sollte eigentlich trotz allem keine allzu großen Schwierigkeiten haben, mich zu verstehen, Senor Scirea. Bueno, unsere Sprachen sind sich doch ziemlich ähnlich – oder haben Sie Ihre alte Heimat schon vollkommen vergessen?”

„Ich möchte weiter auf dem Laufenden gehalten werden.”

„Sí, Senor. Aber da ist noch eine Kleinigkeit, die Sie vielleicht vergessen haben.”

„Wovon sprichst du, Paco?”

„Wann bekomme ich mein Geld, Senor Scirea?”

„Keine Sorge. Ich halte mein Wort.”

„Muy bien.”

“Ehrenwort!”

“No soy idiota”, murmelte Paco. “Wenn Sie glauben, irgendwelche Spielchen treiben zu können...”

“Keine Sorge, Paco. Es kommt alles in Ordnung.”

“Jesús y María! Das will ich hoffen!”

“Aber ein bisschen müsst ihr dafür noch für mich arbeiten!”

“Überspannen Sie den Bogen nicht, Hombre!” Paco steckte das Handy ein.

Scirea blickte auf die Rolex an einem Handgelenk. Die Lage ist schon lange nicht mehr derart brenzlig gewesen!, ging es ihm durch den Kopf.

Auf jeden Fall würde er es auf keinen Fall dulden, dass jemand wie Francine Benson sie noch komplizierter machte, als sie ohnehin schon war.



Konzert der Mörder: 11 Strand Krimis

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