Читать книгу Konzert der Mörder: 11 Strand Krimis - Cedric Balmore - Страница 19
5. Kapitel
Оглавление„Wie heißen Sie?“
„John Smith.“
„Und wie lange bleiben Sie?“
„Mal sehen. Ein paar Tage.“
„Spielen Sie Golf?“
„Wieso?“
„Wegen der Tasche. Sie scheinen ja eine richtige Profi-Ausrüstung zu haben.“
„Wissen Sie was? Ich mag keine Hotelportiers, die viel quatschen.“
„Ist ja schon gut.“ Der Mann hinter dem Tresen im Foyer legte die Geldscheine, die John Smith ihm gegeben hatte, einzeln unter die Speziallampe, um zu überprüfen, ob es sich um Falschgeld handelte. Immerhin, hier im STRAND HOTEL an der Bowery nahm man wenigstens noch Bargeld und bestand nicht auf eine Kreditkarte. Früher war das STRAND mal eines jener Häuser an der Bowery gewesen, in denen man Zimmer stundenweise mieten konnte. Ein Bordell, so die langjährige Einschätzung unserer Kollegen von der Vice Abteilung der City Police. Inzwischen war die Prostitution von der Bowery verdrängt worden und für das STRAND hatte das einen noch tieferen Fall bedeutet. Ein Teil der Zimmer wurde jetzt von Leuten bewohnt, die gerade einen Schritt von der Obdachlosigkeit entfernt waren. Ältere Leute, die eigentlich in ein Pflegeheim gehört hätten, sich das aber nicht leisten konnten. Rentner, die durch den Bankrott ihrer Pensionskassen durch die Wirtschaftskrise dazu gezwungen waren, wieder im teuren Manhattan zu leben, weil sie arbeiten mussten.
Der Putz blätterte von den Wänden und es war kein Geld dafür da und der Aufzug war defekt. Aber für John Smith war das genau die richtige Unterkunft. Aus mehreren Gründen. Und eine davon war der, dass Bargeld angenommen wurde.
Smith bekam den Schlüssel ausgehändigt. Etwa ein Drittel der Zimmer waren inzwischen dauerhaft vermietet, ein weiteres stand leer und in dem letzten Drittel wurde das getrieben, wozu das STRAND schon immer gedient hatte.
Nur, dass diese Zimmer nicht mehr Stundenweise gemietet werden konnten, sondern die Prostituierten jetzt auch hier wohnten.
„Sie finden den Weg zu Ihrem Zimmer allein?“, fragte der Portier. Er musterte Smith auf eine intensive Weise, die diesem nicht gefiel. Sein Blick konzentrierte sich aus irgendeinem Grund an Smith‘ Hals.
Smith trug ein relativ großes Kruzifix aus Gold um den Hals. Und da im Moment die ersten beide Knöpfe seines Hemdes offen waren, hatte der Portier einen freien Blick auf das kleine Kunstwerk aus Rotgold. Wenn man genau hinschaute, konnte man sehen, dass das Kreuz nicht aus zwei Balken gebildet wurde, sondern aus zwei Schwertern.
„Übertreiben Sie es nur nicht mit dem Service!“, sagte Smith zwischen den Zähnen hin durch.
„Erster Stock, Sir!“
„Danke.“
Smith ging die Freitreppe hinauf. In den dreißiger Jahren hatte dieses Foyer sicher mal richtig nobel ausgesehen!, ging es ihm durch den Kopf. Aber das war lange her.
Das Zimmer hatte er schnell gefunden. Er schloss auf, warf seine Sachen auf das Bett und streckte die Arme aus. Dann öffnete er das Fenster, um die muffige Luft loszuwerden, die den Raum erfüllte. Er ging zum Fenster, das zur Straßenseite ausgerichtet war.
Gut so, dachte Smith.
Dann hatte er alles im Blick.
Mit der Hand berührte er kurz das Kreuz an seiner Brust, ehe er das Hemd schloss. Der Tag des Gerichts kommt für jeden einmal, dachte er. Und wenn es soweit ist, dann wirst du vorbereitet sein, und nicht mit leeren Händen erscheinen.
Er zog die Jacke aus, knöpfte die Hemdsärmel auf und krempelte sie hoch, sodass man das Sonnenblumen-Tattoo sehen konnte. Er vermied es, sich das Tattoo anzusehen. Er vermied jeden unnötigen Blick dorthin. Das Tattoo brannte wie Feuer. Er wusste, dass es Einbildung war. Eine Art von Schmerz, gegen die es nicht einmal Medikamente gab. Dann ging er zum Waschbecken, drehte den Hahn auf und hielt den Arm darunter, sodass das Tattoo überspült wurde. Wasser half. Auch das war Einbildung. Aber so tötet eben eine Wahnvorstellung die andere!, ging es ihm durch den Kopf. Er atmete tief durch und verharrte minutenlang so.
Das Wasser lief seine Arme entlang und er dachte an die Schmerzen, die er gehabt hatte, als die Sonnenblume gestochen worden war.
Es war, als ob er jeden einzelnen Stich noch einmal durchleben würde. Nein, schlimmer, dachte er. Viel schlimmer...
Es ist dein Zeichen!, ging es ihm durch den Kopf. Ein Zeichen, vor dem du nicht in Angst erstarren solltest, sondern dass du stolz vor dir herzeigen solltest.
Eine Stimme drang in sein Bewusstsein – und wenig später auch die Erkenntnis, dass diese Stimme wohl schon etwas länger auf ihn einredete. Jemand klopfte zusätzlich an der Tür.
„Heh, lassen Sie doch nicht das Wasser die ganze Zeit über laufen!“, beschwerte sich eine brüchige Männerstimme.
Der Mann, der sich John Smith nannte, straffte seinen Körper.
Von einer Sekunde zur anderen war er wieder im Hier und Jetzt. Er drehte das Wasser ab. Der Mann auf der anderen Seite der Tür klopfte so heftig, dass er davon wahrscheinlich gar nichts mitbekam.
„Ist ja gut!“, rief Smith.
Aufsehen konnte er jetzt wirklich am wenigsten gebrauchen. Er ging zur Tür, öffnete. Ein weißhaariger Mann, kaum ein Meter sechzig groß, stand vor ihm. Er stützte sich auf einen Krückstock. Die Gläser seiner Brille, die ihm ziemlich weit nach vorn auf die Nase gerutscht war, waren flaschendick.
„Das ist nicht zum Aushalten, wenn Sie die ganze Zeit das Wasser laufen lassen!“, meinte er. „Ich wohne nebenan. Die Leitung führt an meiner Wand entlang.“
„Ich habe es ja abgestellt“, versuchte Smith ihn zu beruhigen.
„Bleiben Sie länger hier, Mister...“
„Ich glaube nicht“, sagte Smith.
„Ein halbes Jahr hat hier niemand gewohnt, da war himmlische Ruhe. Wissen Sie, ich lege mich um diese Zeit immer etwas hin, und wenn dann das Wasser durch die Leitung rasselt.“
„Sir, ich werde versuchen, auf Sie Rücksicht zu nehmen“, versprach der Mann mit dem Sonnenblumen-Tattoo.
Der Blick des alten Mannes war jetzt auf genau dieses Tattoo gefallen. „Sind Sie zur See gefahren – oder waren Sie im Knast?“, fragte er.
„Das war zu Ihrer Zeit so. Heute tragen alle möglichen Leute Tattoos – und manche davon wählen sogar die Republikaner oder gehen zur Kirche!“ Smith‘ Handy klingelte. Er hatte es in der linken Hosentasche und holte es hervor. Ein Blick auf das Display sagte ihm, dass es wichtig war. „Sie entschuldigen mich jetzt bitte“, wandte er sich noch einmal kurz an den Alten und ließ ihn dann ziemlich verdutzt stehen. Smith schloss die Tür und nahm das Gespräch entgegen.
„Francine?“
„Heute Abend ist es so weit. Scirea wird pünktlich am vereinbarten Ort sein.“
„Dann hat er sich darauf eingelassen,“ murmelte Smith und ein eisiges Lächeln umspielte seine Lippen.
„Dem steht das Wasser bis zum Hals, denke ich“, meinte Francine. „Der weiß genau, was geschieht, wenn er nicht erscheint.“
„Es hat eben seine Vorteile, wenn man gut informiert ist“, sagte Smith. „Bis heute Abend.“
„Tun Sie mir einen Gefallen.“
„Das haben Sie sich verdient, Francine!“
„Schießen Sie nicht daneben.“
„Soll das ein Witz sein?“
Er beendete das Gespräch. Dann schloss er sorgfältig die Tür hinter sich ab und ging zu seiner Golftasche. Viel Zeit blieb ihm nicht, um alles zu überprüfen – aber auf jeden Fall hatte er noch genügend Patronen, um aus deren Hülsen am Ende ein Kreuz legen zu können.
––––––––
MILO UND ICH WAREN auf dem Weg in die Mott Street. Die Handynummer, mit der Mantone kurz vor dem Mord an Ellroy Garcia telefoniert hatte, gehörte wie erwartet zu einem Wegwerf-Gerät ohne Vertragsbindung. Unmöglich herauszubekommen, wem es gehörte. Die Nummer ließ sich keiner Person mit Adresse, Name und Gesicht zuordnen.
Aber die Stimme, die ich am Ohr gehabt hatte, war mir gleich bekannt vorgekommen.
Sie hatte etwas sehr Charakteristisches. Einen rauen Ton, der sich immer ein wenig so anhörte, als wäre er heiser und leicht erkältet.
Ray Scirea.
Er war der Mann gewesen, der Mantone angerufen und vermutlich instruiert hatte. Ob wir ihm das beweisen konnten, stand natürlich auf einem anderen Blatt.
Aber auch wenn der kurze akustische Eindruck, den ich bekommen hatte, nachdem ich die Nummer gewählt hatte, vor Gericht wohl kaum als ausreichender Beweis gegolten hätte, so war ich jetzt ziemlich sicher, dass wir Scirea trotzdem in der Falle sitzen hatten.
Er hatte nämlich einen Fehler gemacht.
Die Nummern von Wegwerf-Handys kann man zwar nicht zurückverfolgen, aber es ist durchaus möglich, den ungefähren Standort des Sprechers zu orten. Bis auf dreißig Meter genau ließ sich das auch bei Anrufen in der Vergangenheit feststellen, sofern man mit der Überprüfung nicht so lange wartete, bis die Daten gelöscht waren, die festhielten, bei welchem Funkmast sich der Betreffende eingewählt hatte.
In diesem Fall war die Sache klar.
Der Teilnehmer hatte von einem Standort aus telefoniert, der innerhalb eines Gebäudes lag, in dem Ray Scirea sein Penthouse hatte.
Einen solchen Zufall würde ihm wohl vor Gericht kein Geschworener glauben.
Wir erreichten Scireas Adresse in der Mott Street. Es handelte sich um ein Haus im Brownstone Stil, gut gepflegt mit aufwändig restaurierter Fassade.
Ein Security Service sorgte dafür, dass man dort so sicher wie in Abrahams Schoß war.
Scirea bewohnte die gesamte oberste Etage. Ich fuhr den unscheinbaren Chevy aus den Beständen unserer Fahrbereitschaft in die Tiefgarage, die zu diesem insgesamt fünfzehnstöckigen Gebäude gehörte. Für New Yorker Verhältnisse war das ein eher kleineres Gebäude. Ich schätzte, dass es irgendwann in den Dreißigern oder Vierzigern gebaut worden war. Nur die Tiefgarage, die hatte man wohl erst viel später darunter gebaut.
Unsere Kollegen Clive und Orry trafen kurze Zeit nach uns ein. Jay und Leslie ließen ebenfalls nicht lange auf sich warten.
Unsere FBI-Dienstausweise überzeugten die Angehörigen des Security Service davon, uns keine Schwierigkeiten zu machen.
Der Aufzug trug uns hinauf. Gleichzeitig wurde uns über Funk gemeldet, dass einige weitere Agenten unseres Field Office eingetroffen waren.
„Ich habe den Haftbefehl und die Erlaubnis einer Wohnungsdurchsuchung dabei – und ich bezweifle, dass selbst die besten Anwälte ihn so schnell wieder auf freien Fuß bekommen!“, knurrte Clive Caravaggio etwas unwirscher, als es sonst seine Art war, in das Mikro hinein, das er am Kragen trug. „Ich möchte, dass alle Aus- und Eingänge besetzt werden. Scirea darf uns nicht durch die Lappen gehen.“
In diesem Punkt hätte niemand von uns Clive widersprechen mögen. Was die Frage anging, wie lange wir Scirea in Haft halten konnten, hing das im Wesentlichen davon ab, ob die Durchsuchung der Wohnung etwas zu Tage bringen würde, was den Anfangsverdacht erhärtete. Scirea hatte als hohes Mitglied des Marini-Syndikats ein Motiv, um Ellroy Garcia umbringen zu lassen. Und er hatte mit einem der Killer kurz vor der Tat telefoniert. Das zusammen musste eigentlich reichen, um ihn zumindest bis zur Anhörung vor der Grand Jury ohne Kaution aus dem Verkehr zu ziehen. Was danach geschah und ob dann ein Hauptverfahren eröffnet wurde, stand auf einem ganz anderen Blatt. Da hatten wir leider schon die bösesten Überraschungen erlebt.
Aber letztlich war gute Polizeiarbeit im Vorfeld immer die Voraussetzung, damit die Justiz nachher ihren Job machen konnte. Ich jedenfalls lehne es ab, mich über eine zu lasche Justiz zu beklagen, sondern frage mich immer erst einmal, ob wir selbst alles richtig gemacht haben.
Wir fuhren mit dem Fahrstuhl hinauf. Als wir vor der Tür zu Ray Scireas Wohnung standen, bekamen wir über Headset die Nachricht, dass auch gerade unsere Erkennungsdienstler Sam Folder und Mell Horster eingetroffen waren. Der Durchsuchungsbeschluss erlaubte es uns nämlich auch, die übliche erkennungsdienstlichen Untersuchungen durchzuführen und zum Beispiel in den von Scirea genutzten Räumen nach Fingerabdrücken zu suchen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich einige dieser Profile in unseren über NYSIS zugänglichen Datenbeständen befanden war sehr groß. Und möglicherweise ergaben sich schon allein dadurch, dass wir beweisen konnten, wer sich in letzter Zeit so alles in Scireas Wohnung aufgehalten hatte, neue Zusammenhänge.
Orry betätigte die Klingel.
Es reagierte zunächst niemand.
Also klingelte Orry noch einmal. Wir hatten unsere Dienstwaffen im Anschlag. Schließlich konnte niemand sagen, wie Ray Scirea auf unseren massiven Auftritt reagieren würde und ob er nicht vielleicht von ein paar schießwütigen Kampfhunden in Menschengestalt begleitet wurde. Gerade wenn er etwas mit der Erschießung von Ellroy Garcia zu tun hatte, dann musste er ja schließlich damit rechnen, dass eine Antwort der Miami-Connection nicht lange auf sich warten lassen konnte. Der Krieg unter den Drogenbossen war so oder so in eine neue Phase getreten.
Als Orry zum zweite Mal klingelte, meldete sich jemand an der Sprechanlage. Eine Kamera erfasste uns.
„Ja bitte?“ Es war eine Frauenstimme.
„FBI. Machen Sie bitte die Tür auf, oder wir werden uns gewaltsam Zutritt verschaffen müssen“, erklärte Orry.
Einen Augenblick lang geschah nichts, außer dass es in der Leitung der Sprechanlage einmal knackte.
Eine zierliche Frau in den mittleren Jahren öffnete uns. Ihr schwarzes Haar war zu einem Knoten zusammengefasst und mit Spuren von Grau durchwirkt. Sie trug ein Kleid, das vermutlich maßgeschneidert war. Der Schmuck war dezent und verriet Stil – aber er hatte vermutlich mehr gekostet, als ein G-man in einem halben Jahr verdiente.
Wir zeigten unsere Dienstausweise.
„Wir suchen Mister Ray Scirea“, sagte Clive.
„Ich bin seine Frau! Mein Mann ist nicht zu Hause.“
„Davon müssen wir uns leider erst selbst überzeugen.“
Milo drängte sich an ihr vorbei und drang in die Wohnung vor.
„Dazu haben Sie nicht das Recht!“, zeterte Mrs Scirea und verstummte sogleich, als Clive ihr den Durchsuchungsbeschluss und den Haftbefehl zeigte.
„Doch, das haben wir. Und ich schlage vor, dass Sie sich kooperativ verhalten.“
„Den Teufel werde ich tun!“, fauchte sie auf eine Art und Weise, die zu ihrem ansonsten so damenhaften Auftreten einen seltsamen Kontrast bildete. „Ich kenne meine Rechte. Ich werde einen Anwalt anrufen.“
Sie ging zu einem Telefon, das auf einer Kommode stand. Ein uraltes Modell mit Wählscheibe, das die Scireas wohl aus nostalgischen Gründen in ihrer Wohnung hatten. Möglicherweise war aber auch nur das Äußere des Gerätes auf alt getrimmt, während sich im Inneren die neueste Technik befand. Clive kam ihr zuvor und legte den Finger auf die Gabel.
„Sie sind nicht verhaftet, deshalb haben Sie auch kein Recht einen Anwalt anzurufen...“
„Ich protestiere!“
„...der dann anschließend wohl nur Ihren Mann warnen würde!“
„Wie können Sie es nur wagen! Ich werde eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Sie anstrengen und das FBI auf so viel Schadensersatz verklagen, dass man Sie nie wieder von Ihrem Schreibtisch fortlässt, Mister...“
„Agent Caravaggio. Dies sind meine Kollegen Medina, Tucker und Trevellian. Und gleich werden hier noch ein paar weitere Agenten eintreffen. Gibt es in dieser Wohnung Räumlichkeiten, die ausschließlich von Ihnen benutzt werden? Dann sollten Sie uns das jetzt sagen, damit wir das berücksichtigen können.“
„Sie können mich mal.“
„Gut, dann werden wir das nach Augenschein beurteilen. Wie Sie wollen.“
––––––––
MILO UND ORRY HATTEN im Nu die Wohnung durchsucht. Es befand sich tatsächlich niemand dort.
Clive und ich begleiteten Mrs Scirea in das außerordentlich großzügig angelegte Wohnzimmer. Es war mit Antiquitäten vollgestopft und wirkte vollkommen überladen. Die Scireas hatten hier wohl alles gesammelt, was gut und teuer war und ihnen außerdem gefiel. Aber in einem Raum von mehr als hundertfünfzig Quadratmetern verloren sich auch die größten Schränke noch.
„Was werfen Sie meinem Mann vor?“, fragte Mrs Scirea.
„Wie wäre es mit Verabredung zum Mord“, meinte ich.
„Das beweisen Sie mal!“
„Jedenfalls wurde mit einem Handy aus dieser Wohnung telefoniert, kurz bevor die Killer zugeschlagen haben und einen Mann namens Ellroy Garcia umgebracht haben, dessen Tod sich Ihr Mann schon lange wünschen dürfte.“
„Das ist doch an den Haaren herbeigezogen, Agent...“
„Trevellian. Sagen Sie das nicht. Wir haben zwei der Täter in Gewahrsam und es könnte durchaus sein, dass es sich die beiden nochmal überlegen, ob sie wirklich die ganze Schuld auf sich nehmen wollen oder doch besser mit der Justiz zusammenarbeiten wollen.“
„Sie bluffen doch.“
„Falls Ihr Mann auf der Flucht sein sollte, hat er keine Chance, zu entkommen. Die Fahndung läuft. Ob am Flughafen oder auf irgendeinem Interstate Highway – man wird ihn bei der erstbesten Kontrolle ergreifen.“
Mrs Scirea verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Körperhaltung verriet Stolz. „Ich werde in meinen Rechten verletzt! Das ist Polizeiwillkür!“, beharrte sie in Unkenntnis ihrer tatsächlichen Situation.
Wenig später erreichten auch unsere Kollegen Sam Folder und Mell Horster die Wohnung der Scireas.
Inzwischen kam Milo aus einem der anderen Räume. Er hatte inzwischen Latexhandschuhe übergestreift, schon um keinen Anpfiff von unseren Kollegen vom Erkennungsdienst zu bekommen. In der Hand hielt er mehrere bunte Heftchen. Er breitete sie auf dem Tisch auf. Das erste, was mir auffiel, waren die Menschen mit weit aufgerissenen Augen, die auf den Titelblättern dieser Hefte abgebildet waren. Männer, Frauen und Kinder, die geradezu aus ihrem Inneren heraus zu leuchten schienen. Im Hintergrund leuchteten zudem irgendwelche Lichtstrahlen, die im übrigen auch die Köpfe der Abgebildeten wie Heiligenscheine umflorten. CHURCH OF JUDGEMENT stand in flammenden Lettern oben rechts. KIRCHE DES GERICHTS – hörte sich für mich nach einer mehr oder minder jenseits-orientierten Sekte an.
Milo wandte sich an Mrs Scirea.
„Dies haben wir auf dem Schreibtisch Ihres Mannes gefunden – und im Papierkorb sind noch mehr davon.“
Mrs Scireas Gesichtsausdruck veränderte sich nur für einen sehr kurzen Moment, dann hatte sie die Kontrolle darüber wiedergewonnen. Ihre Züge wurden zu einer undurchdringlichen Maske. „Was soll damit sein?“
„Ihr Mann scheint sich sehr für diese Kirche zu interessieren“, stellte Milo fest. „Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass Harry Marini es einfach so hingenommen hätte, wenn einer seiner engsten Vertrauten etwas anderes als katholisch gewesen wäre.“
Clive bestätigte dies. „Marini gilt in diesen Dingen als sehr konservativ und betrachtet Religion auch keineswegs als Privatsache.“
„Wir waren nie etwas anderes als Katholiken“, sagte Mrs Scirea. „Und so wahr ich hier stehe, wir werden auch nie etwas anderes sein! Diese Hefte da haben wir in letzter Zeit massenhaft zugesandt bekommen. Warum kann ich Ihnen nicht sagen. Nur so viel ist gewiss: Weder mein Mann noch ich haben diesen Sektenmist bestellt!“
Milo nahm eins der Heft und blätterte darin herum. „Ich habe etwas in diesen Heften herumgelesen. Es scheint immer wieder um ein Thema zu gehen: Dass jeder, der nicht umkehrt und Buße tut, einem göttlichen Gericht überantwortet werden wird.“
„Ja, und wahrscheinlich werden alle diejenigen, die ohne Sünde sind von irgendwelchen Ufos errettet! Schmeißen Sie den Mist weg! Ich habe keine Ahnung, weshalb mein Mann dieses Zeug nicht längst entsorgt hat!“
Mrs Scirea bekreuzigte sich und für einen Moment blitzte der Widerwille auf, den sie offenbar gegenüber der CHURCH OF JUGDEMENT empfand.
Milo blickte in meine Richtung. Ich verstand schon, weshalb er die Heft angeschleppt hatte. Sie passten einfach nicht in das Bild, das wir uns von Ray Scirea gemacht hatten. Und allein deswegen waren sie für uns schon interessant. Aber im Moment konnte ich noch keinen Anhaltspunkt erkennen, wie uns die dunklen Drohungen der CHURCH OF JUGDEMENT weiterbringen konnten.
Ich nahm mir auch eins der Hefte.
Von der Möglichkeit war da die Rede, dass ein zum Sünder gewordener Mensch die Schuld seiner Taten tilgen konnte, indem er sich zum irdischen Arm des Gerichts machte. „Für niemanden ist es zu spät!“, stand dort.
Für eine Midlife Crisis war Ray Scirea eigentlich mindestens zehn Jahre zu alt, fand ich.
Ich hörte nur halb hin, während Clive Mrs Scirea noch ein paar Fragen stellte.
Dann klingelte plötzlich mein Handy.
Am Apparat war unser Kollege Max Carter. Unser Kollege aus dem Innendienst rief von der Zentrale an der Federal Plaza aus an.
„Was gibt‘s, Max?“, fragte ich, denn ich hatte bereits an der Anzeige im Display gesehen, wer am anderen Ende der Verbindung war.
„Das Handy, dessen Aufenthaltsort wir peilen sollten, ist soeben für ein paar Augenblicke benutzt worden.“
„Ich hoffe, lange genug, um Ray Scirea orten zu können!“, meinte ich.
„Du wirst dich wundern, Jesse!“