Читать книгу Konzert der Mörder: 11 Strand Krimis - Cedric Balmore - Страница 27

9. Kapitel

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„Wie lange werden Sie bleiben?“, fragte der Portier der billigen Absteige am Broadway. Es war allerdings der Broadway in Brooklyn, nicht sein berühmter Namensvetter in Manhattan, der als Theatermeile bekannt war.

„Eine Nacht“, sagte der Mann mit der Golfschlägertasche.

„Name?“

„Smith.“

„Zum Golfspielen werden Sie hier in der Gegend kaum Gelegenheit haben.“

„Das lassen Sie mal getrost meine Sorge sein!“

Smith wurde unruhig. Er kratzte sich an seinem Sonnenblumen-Tattoo. Es juckte wieder. Und es würde bald schlimmer werden und schmerzen. Die Reihenfolge war immer dieselbe und es gab nichts, wodurch das aufgehalten werden konnte.

Am schlimmsten aber waren dann die Erinnerungen. Jeden Stich glaubte er dann noch einmal zu spüren. Acht Jahre war er gewesen und die Männer, die ihn vom Schulhof gekidnappt hatten, hatten ihn an Armen und Beinen festgehalten.

Seitdem trug er die Sonnenblume.

„Zeig sie deinem Vater!“, hatte eine der Männer gesagt und dabei gegrinst. „Und dann wird er schon wissen, was zu tun ist.“

Diese Sonnenblume war ein Zeichen gewesen. Ein Zeichen dafür, dass diese Männer jederzeit, alles tun konnten und es nichts und niemanden gab, der sie daran hindern konnte. Das Gesetz oder die Cops schon gar nicht.

Smith erinnerte sich noch genau daran, wie er vor dem Laden abgesetzt wurde, den sein Vater betrieben hatte. Er erinnerte sich daran, wie blass sein Vater wurde, als er die Sonnenblume sah. Und er erinnerte sich daran, dass von da an einmal im Monat einer der Kidnapper im Laden erschien, um sich einen Anteil an den Einnahmen des Ladens in bar abzuholen.

„Man kann nichts tun“, hatte er die resignierend klingenden Worte seines Vaters noch im Ohr. „Sie sind die Stärkeren und wenn einer sein Schutzgeld nicht bezahlt, dann schlagen sie zu – und davor können einen auch die Cops nicht schützen! Davon abgesehen stecken manche von denen mit dieser Brut doch unter einer Decke!“

Doch! Man musste etwas tun!, hatte Smith schon damals gedacht. Es musste doch eine Macht geben, die stärker war als das Böse in Gestalt dieser Leute, die glaubten, sich alles nehmen zu können und denen nie jemand Einhalt gebot.

Als Smith vor dem Zimmer stand, dass der Portier ihm zugewiesen hatte, lauschte er. Er legte das Ohr an die Tür. Eine Angewohnheit, die ihn schon vor so mancher böser Überraschung bewahrt hatte.

Dann erst öffnete er die Tür und trat ein.

Er hatte dabei die Hand am Griff seiner Pistole, die er unter der Jacke trug.

Man konnte nie wissen.

Schließlich hatte er sich mit sehr mächtigen Leuten angelegt. Leute, die ihn früher oder später noch viel gnadenloser zu jagen versuchten, als es den Cops auf Grund der geltenden Gesetze überhaupt möglich war.

Smith warf seine Sachen auf das Bett. Dann nahm er sein Handy und schaltete es ein. Im Display wurden keine neuen Nachrichten angezeigt.

„Verdammt, warum meldest du dich nicht, Bud?“, murmelte er vor sich hin.

Irgendetwas war da faul. Und vielleicht blieb ihm nicht mehr viel Zeit...

Er schaltete das Handy wieder ab. Die Gefahr, dass ihn irgendjemand zu orten versuchte, war einfach zu groß. Zumal, wenn man die Möglichkeit in Betracht zog, dass Bud Nolan vielleicht inzwischen der anderen Seite in die Hände gefallen war. Und zur anderen Seite zählte der Mann, der sich zurzeit Smith nannte, durchaus auch Polizei und Justiz.

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„ES DEUTETE ALLES DRAUF hin, dass das Attentat auf Harry Marini ebenfalls von unserem Täter verübt wurde“, berichtete Clive Caravaggio. Es war acht Uhr abends. Eigentlich hätten wir längst Feierabend gehabt, aber es gibt Tage, da können wir das eben nicht so genau nehmen. Wir saßen bei Mister McKee im Besprechungszimmer, um die Lage zu beraten. „Ein Patronenkreuz wurde auf dem Dach eines benachbarten Gebäudes gefunden“, fuhr er fort. „Das Kaliber stimmt überein, es handelt sich um Munition für die MK-23. Marini wurde durch insgesamt zehn Schüsse getroffen. Der Täter hat noch auf die Leiche gefeuert, als er eigentlich längst sicher sein konnte, dass es mindestens einen tödlichen Treffer gegeben hatte.“

„Wieder diese Wut“, stellte ich fest.

„Die Auswertung sämtlicher Überwachungskameras, die es in und um das Gebäude gibt, von dem aus der Täter geschossen hat, wird ein bis zwei Tage in Anspruch nehmen“, berichtete Clive. „Außerdem hat unser Innendienst inzwischen Kontakt mit sämtlichen Hausverwaltungen hoher Gebäude sowie den Sicherheitsdiensten aufgenommen, die dort tätig sind, um sie vor diesem Täter zu warnen. Wir wissen ja nicht, wo und wann er als nächstes zuschlägt!“

„Auf jeden Fall war er jedesmal exzellent informiert“, stellte Mister McKee fest. „Er scheint über gute Informanten zu verfügen.“

„Ich nehme an, dass dies vornehmlich die Aufgabe von Bud Nolan war“, schränkte unser Verhörspezialist Dirk Baker ein. „Allerdings sind das bis jetzt nur Vermutungen. Mister Nolan sagt keinen Ton und hat inzwischen einen Anwalt, der ihn auch nicht gerade kooperationsbereiter gemacht hat.“

„Und was ist mit unserer CHURCH OF JUDGEMENT?“, fragte Mister McKee an mich gewandt. „Wollte sich der Tempelvorsteher von New York nicht bei Ihnen gemeldet haben?“

Ich nickte. „Bis zum Abend. Scheint, als würde es Mister Kendall vorziehen, wenn wir...“

In diesem Augenblick klingelte mein Handy.

Ich ging dran und hatte niemand anderen als Kendall am Apparat. „Wir dachten schon, dass wir nichts mehr von Ihnen hören, Mister Kendall“, sagte ich.

„Wenn man vom Teufel spricht...“, murmelte Milo.

„Wir hatten ein Mitglied, zu dem das von Ihnen zur Verfügung gestellte Foto passt“, erklärte Kendall. „Sein Name ist Kirby Purcell. Ich gebe Ihnen die Daten als Email-Anhang durch. Allerdings lege ich Wert auf die Feststellung, dass Mister Purcell nicht mehr Mitglied unserer Kirche ist.“

„Wie kommt das denn?“, hakte ich nach.

„Er wurde vor einem halben Jahr ausgeschlossen.“

„Aus welchem Grund?“

„Nichtzahlung der Mitgliedsbeiträge. Mister Purcell hatte bis dahin eine feste Adresse in San Francisco und es ist seitdem nicht mehr möglich, mit ihm in Kontakt zu treten!“

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DIE DATEN, DIE KENDALL uns geschickt hatte, waren sehr aufschlussreich. Über Kirby Purcell gab es laut unseres Datenverbundsystems NYSIS sogar eine Akte. Allerdings wurde er nicht als Täter geführt, sondern als Opfer, wie Max Sonne herausfand. „Kirby Purcell war acht Jahre, seine Eltern lebten hier in New York und sein Vater betrieb offenbar einen kleinen Laden. An die Westküste ist er erst gezogen, als er auf College ging“, berichtete Max. „Er fiel einem Lehrer auf, weil er eine Tätowierung hatte.“

„Eine Sonnenblume?“, vergewisserte ich mich.

„Ja. Die Eltern wurden wegen Kindeswohlgefährdung und Misshandlung angezeigt. Das Verfahren wurde eingestellt. Die Behauptung, dass Unbekannte den Sohn entführt und ihm die Sonnenblume tätowiert hatten, konnte nicht widerlegt werden.“

„Diese Unbekannten konnten vermutlich nie ermittelt werden“, meinte Milo.

„Man vermutet, dass es sich um Schutzgelderpresser handelte, die ihrer Forderung Nachdruck verleihen wollten.“

„Das könnte diesen Hass erklären, den Purcell offenbar auf alle diejenigen empfindet, die er als Hintermänner des organisierten Verbrechens betrachtet“, stellte ich fest. „Für einen Achtjährigen muss das eine traumatisierende Erfahrung sein. Und dann trifft er auf diese CHURCH OF JUDGEMENT, nach deren Lehre jeder zum Werkzeug der göttlichen Gerechtigkeit werden kann.“

„Für jemanden, der sich von jeder irdischen Gerechtigkeit verlassen fühlt, ist das sicherlich ein verlockender Gedanke“, glaubte Milo.

––––––––




AM NÄCHSTEN MORGEN schickte Mister McKee uns in die Bronx.

In der Leichenhalle der Scientific Research Division lag ein Toter, der bereits vor zwei Tagen in einem Bungalow in der Bronx gefunden worden war und mit unserem Fall in einem engen Zusammenhang stand.

Dr. Brent Claus führte uns zu dem Toten.

„Der Tote trug Papiere bei sich, die ihn als Cole McNamara ausweisen“, erklärte uns Dr. Claus. „Aber diese Papiere waren falsch. Es dürfte sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um Michael Chambers handeln! Die Fingerabdrücke stimmen überein, und auch wenn er inzwischen etwas älter geworden ist, lässt er sich anhand der alten Fotos, die es von ihm gibt, einwandfrei identifizieren.“

„Wer hat ihn gefunden?“, fragte ich.

„Der Vermieter. Das Haus war an einen gewissen John Smith vermietet, der allerdings wohl sehr plötzlich ausgezogen ist. Die Miete war noch für drei Monate im voraus bezahlt und die Leiche hätte wohl auch so lange noch unentdeckt in dem Haus gelegen, wenn es in der Straße nicht Probleme mit der Gasleitung gegeben hätte.“

„Ich glaube, mit diesem Vermieter unterhalten wir uns schleunigst mal“, meinte Milo dazu.

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WIR SPRACHEN NOCH MIT dem Leiter der Homicide Squad des zuständigen Polizeireviers, das den Fall zuerst bearbeitet hatte, um in etwa ein Bild vom Stand der Ermittlungen zu bekommen. Michael Chambers war danach auf sehr ähnliche Weise gestorben wie Sonny Alvarez. Etwa eine Stunde später trafen wir Theodore Goodman in seinem Haus in Riverdale. Er war der Vermieter des Bungalows. Als wir ihm ein Bild von John Smith alias Kirby Purcell zeigten, identifizierte er ihn sofort.

„Das ist der Mann, dem ich das Haus vermietet habe“, meinte er. „Komischer Kerl. Lief immer mit einer Tasche für Golfschläger herum, obwohl ich eigentlich den Eindruck hatte, dass er dafür gar nicht der Typ ist.“

„Sind Sie diesem Man vielleicht auch irgendwann mal begegnet?“, fragte ich und zeigte ihm auch ein Foto von Bud Nolan.

„Ja, sicher! Das Haus liegt ja schräg gegenüber von meiner Wohnung. Von der Küche aus konnte ich immer beobachten, wer da so zu Besuch kommt.“

„Und?“

„Dieser Kerl da...“ - Er deutete auf das Bild von Bud Nolan - „...war mehr oder weniger der einzige Besucher! Ich erinnere mich genau an ihn, weil er eines Tages mit einem ziemlich großkotzigen Van vorfuhr. Mit getönten Scheiben und so. Da habe ich natürlich besonders drauf geachtet, wer da so ausgestiegen ist. Wissen Sie, ich war in der Stadtverwaltung und meine Pension ist nicht so besonders üppig. Aber mit den Einnahmen durch das Haus komme ich über die Runden. Ursprünglich gehörte das nämlich meinem Onkel und der hatte aber keine Kinder und hat es mir deswegen nach seinem Tod vermacht.“

„Mister Goodman, wir danke Ihnen sehr für Ihre Hilfe“, sagte ich.

„Gibt es irgendwie eine Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen?“, fragte er dann noch.

„Nein, Sir. Bis jetzt ist leider nichts dergleichen ausgesetzt.“

„Schade. Aber so ist das heutzutage, Bürgerengagement wird nicht mehr anerkannt. Wenn ich Falschparker aufschreibe, beschweren sich sogar noch die Nachbarn, weil angeblich niemand mehr zu ihnen zu Besuch kommen wolle! Dabei tue ich doch nur, was eigentlich jeder tun sollte!“

„Sicher“, sagte ich.

„Da, wo Sie Ihren Wagen abgestellt haben, dürfte er übrigens auch eigentlich nicht stehen. Aber da will ich heute mal drüber hinwegsehen.“

„Das ist sehr großzügig“, meinte ich, bevor wir dann schließlich gingen. Wir waren schon an der Tür, da blieb ich noch einmal stehen. „Ach, was für einen Wagen fuhr Mister Smith denn eigentlich?“

„Einen blauen Toyota. Das Kennzeichen habe ich natürlich auch.“

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DAS KENNZEICHEN DES blauen Toyota war falsch, wie wir wenig später nach einer Abfrage über den Bordrechner unseres Chevy feststellten.

Aber das hatte ich im Grunde erwartet.

Die Information, dass Kirby Purcell einen blauen Toyota fuhr, konnte aber vielleicht die Fahndung nach ihm etwas erleichtern. Und die Kenntnis der falschen Nummer ebenfalls. Vorausgesetzt, er hatte den Wagen nicht inzwischen abgestoßen.

Aber dazu bestand eigentlich kein Anlass.

Unser nächster Weg führte uns zum Bethesda Hospital in Manhattan. Ellroy Garcia ging es inzwischen besser. Er hatte die Intensivstation verlassen und lag in einem Einzelzimmer, das außerdem unter Polizeibewachung stand.

Immerhin war er vernehmungsfähig.

„Agent Trevellian! Ich kann nicht sagen, dass es mich besonders freut, Sie zu sehen“, meinte er.

„Wir haben uns zuletzt unter anderem über einen Mann namens Michael Chambers unterhalten“, stellte ich fest.

„Wenn Sie mir irgendetwas unterstellen wollen, dann sollten Sie warten, bis mein Anwalt dabei ist, Agent Trevellian“, wehrte Ellroy Garcia sofort ab.

„Keine Sorge. Wir haben Michael Chambers und er wird seinen Job als Hit-man wohl nie wieder ausführen können, worüber auf unserer Seite niemand traurig ist.“

Ich zeigte ihm eines der Tatortbilder, die den toten Chambers zeigen und die wir von den Kollegen der zuständigen Homicide Squad erhalten hatten.

Ellroy Garcia sah sie sich an und atmete tief durch.

„Wir wissen, dass Chambers für diese Mordserie nicht verantwortlich ist“, sagte ich. „Aber wir fragen uns natürlich, was Chambers in einem Haus zu suchen hatte, von dem wir wissen, dass es der Täter gemietet hatte.“

Ellroy Garcia hob die Augenbrauen.

„Ach, ja?“

„Sie hatten immer noch gute Beziehungen zu Chambers, nicht wahr?“

„Belaste ich mich damit selbst?“

„Sagen wir so: Vielleicht kennen Sie jemanden, der jemanden kennt, der wusste, wo Chambers zu finden war.“

„Ja, das könnte schon sein.“

„Und könnte es auch sein, dass Sie jemandem gesagt haben, dass es doch eigentlich eine Schande sei, dass jemand die Methode von Michael Chambers kopiert und damit die ganze Unterwelt in New York durcheinander bringt und die verschiedenen Syndikate gegeneinander aufhetzt.“

„So etwas habe ich nicht zu sagen brauchen“, meinte Ellroy Garcia. „Das haben doch alle gedacht – und für einen Hit-man wie Michael Chambers ist so ein Irrer, der wahllos Morde verübt und dabei die eigene Methode kopiert, sodass nicht wenige denken, dass dies seine Arbeit sei, geradezu geschäftsschädigend, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Verstehe ich.“

„Tut mir leid um Chambers. War ein guter Mann.“ Er atmete tief durch. „Wer ist der Kerl, der dahinter steckt?`Er muss gut sein. Sehr gut. Denn sonst hätte er Chambers nicht töten können.“

In diesem Moment tanzte ein roter Punkt auf der Stirn von Ellroy Garcia.

Der Strahl einer laserunterstützten Zielerfassung traf ihn genau zwischen die Augen.

––––––––




ICH STEMMTE MICH GEGEN das Krankenbett und trat dabei auf das Pedal, das die Bremse für die Gummiräder fixierte. Zwei Schüsse gingen dicht an Ellroy Garcias Kopf vorbei in die Wand, während die Fensterscheibe zersprang. Ich hob das Bett an und kippte es um. Ellroy Garcia kegelte schreiend zu Boden. Milo sprang hinzu und half mir. Dann warfen wir uns zur Seite.

Ein weiterer Schuss pfiff noch durch das Fenster, traf auf ein Metallteil an dem Krankenbett. Funken sprühten und die Kugel wurde als tückischer Querschläger weitergeschickt.

Dann verebbte der Geschosshagel.

Eine Krankenschwester kam herein. Offenbar war Alarm ausgelöst worden.

„Zurückbleiben!“, rief ich. Ich kroch zum Fenster. Garcia befand sich offenbar im Moment außer Reichweite des Schützen.

Vorsichtig tauchte ich empor und ließ den Blick schweifen.

„Da kommen mindestens ein Dutzend Gebäude in Frage, von denen aus Purcell geschossen haben könnte!“, meinte Milo – denn niemand von uns zweifelte daran, dass Kirby Purcell der Schütze war. Milo war inzwischen ebenfalls zum Fenster gelangt, nachdem er sich vorsichtig erhoben hatte.

„Ich wette, es ist das dort!“, meinte ich und streckte die Hand aus.

„Du meinst den Rohbau?“

„Ja!“

––––––––




FÜNFZEHN GESCHOSSE eines Bürogebäudes waren in den letzten Monaten emporgewachsen – und zehn weitere Stockwerke sollten noch folgen. Die Lage war für den Schützen ideal – und obwohl auf der Baustelle gearbeitet wurde, hatte sicherlich niemand den Überblick, wer dort eigentlich alles auf das Gelände gehörte und wer dort vielleicht gar nichts zu suchen hatte. Dutzende von Firmen waren an dem Bau beteiligt.

Wir riefen das Field Office an, damit das Gebäude weiträumig umstellt werden konnte. Unsere eigenen Kräfte reichten dazu natürlich weder aus, noch wären sie schnell genug am Ort des Geschehens gewesen. Die City Police half uns aus. Sirenen heulten durch die Straßenschluchten. Dutzende von Einsatzfahrzeugen waren unterwegs.

Wir begaben uns natürlich so schnell wie möglich auch dorthin.

Wir saßen im Chevy. Milo stellte den Bordrechner an. Wenig später hatten wir ein aktuelles Satellitenbild mit einem überblendeten Stadtplan auf dem Schirm. Die Bauarbeiten an dem Bürogebäude hatten für eine veränderte Verkehrsführung gesorgt. Viele Flächen, die sonst als Parkplätze verwendet wurden, waren jetzt mit Kränen und Baumaschinen zugestellt.

„Wir kommen wahrscheinlich zu spät“, sagte Milo. „Der Kerl ist doch längst über alle Berge! Vorausgesetzt, wir haben überhaupt das richtige Gebäude im Auge!“

„Vertrau meinem Instinkt, Milo!“

„Ja, aber Daves Laserpeilung wäre mir jetzt ehrlich gesagt etwas lieber!“

„Milo, wo würdest du anstelle von Purcell hingehen.“

„Was?“

„Du hast mich doch verstanden! Stell dir vor, du hast gerade in Ellroy Garcias Krankenzimmer hineingeballert und jetzt weißt du, dass gleich die Polizei auftaucht und du möglichst schnell verschwinden musst.“

„Zur nächsten U-Bahn-Station.“

„Wo ist die?“

„Ist wegen der Bauarbeiten geschlossen. Man muss eine Station weiter.“

„Zu weit!“

„Dann ist er mit dem Wagen da! Das heißt, er muss zum Parkplatz!“ Milo ließ die Finger über die Tastatur unseres Bordrechners gleiten. „Es gibt zur Zeit auf Grund der Baumaßnahmen nur einen einzigen Ort, wo er den Wagen abstellen kann – mal vorausgesetzt, er will nicht lange zu Fuß gehen! Dieses Parkhaus hier!“ Milo tickte mit dem Zeigefinger auf einen bestimmten Punkt auf dem TFT-Schirm.

„Dann nichts wie hin“, meinte ich.

Milo setzte unterdessen das Rotlicht auf unser Dach und ich schaltete die Sirene ein.

Ich rechnete fieberhaft. Wie viele Minuten brauchte Purcell, um vom obersten Stock des Rohbaus zum Parkhaus zu gelangen? Es gab dort keinen Aufzug. Das war der Punkt, der mir Hoffnung gab.

Ich fuhr direkt zur Ausfahrt des Parkhauses und setzte den Chevy vollkommen verkehrswidrig auf den Grünstreifen, der Ein- und Ausfahrt voneinander trennte.

„Er muss hier her kommen“, sagte Milo. „Zwar gibt es eigentlich noch zwei weitere Ausfahrten, aber die sind gesperrt, weil die Straßen, in die sie münden zurzeit wegen der Bauarbeiten nicht passiert werden können.“

„Dann sollten wir jetzt auf einen blauen Toyota achten“, meinte ich.

Das Handy klingelte.

Wir nahmen das Gespräch über die Freisprechanlage entgegen. Es war Mister McKee.

„Jesse, wo sind Sie jetzt?“

Normalerweise bin ich ein höflicher Mensch und gerade gegenüber einem Mann wie Mister McKee, der sich sein Leben lang im Kampf gegen das Verbrechen engagiert hat, empfinde ich höchsten Respekt. Aber in diesem Moment konnte ich ihm einfach nicht antworten. Ein blauer Toyota erreichte die Schranke an der Ausfahrt. Die Nummer stimmte mit der überein, die uns Mister Goodman genannt hatte. Der Insasse reckte die Hand aus dem Fenster, um seine Karte einzuführen. Die Schranke hob sich. Für einen Moment war das Gesicht des Fahrers zu erkennen, als es aus dem Schatten hervortauchte,

Es war Kirby Purcell alias John Smith alias vielleicht noch ein paar anderer, uns bisher nicht bekannte Namen.

Purcell und ich traten annähernd gleichzeitig auf das Gas. Der Chevy machte einen Satz nach vorn. Der Toyota krachte gegen unsere Motorhaube. Wir sprangen aus dem Wagen und zogen unsere Waffen.

Als Milo an der Fahrertür war und sie aufriss, war Purcells Hand unter der Jacke.

„FBI! Die Hände so ans Lenkrad, dass ich sie sehen kann!“, rief Milo.

Purcell zögerte.

Aber der Blick in die blanken Läufe unserer Waffen zeigte ihm wohl, dass er keine Chance mehr hatte. Er legte die Hände ans Lenkrad. Sein Ärmel rutschte dabei hoch. Das Sonnenblumen-Tattoo war dadurch zur Hälfte sichtbar.

Milo nahm ihm die Waffe ab, die Purcell unter der Jacke trug. Auf dem Rücksitz lag seine berüchtigte Golftasche, in der sich wohl die MK-23 befand.

„Kirby Purcell, Sie sind wegen mehrfachen Mordes verhaftet!“, sagte ich, nachdem Milo ihn aus dem Wagen gezerrt und Handschellen angelegt hatte. „Sie haben das Recht zu schweigen.“

Und von diesem Recht machte Kirby Purcell ausgiebig Gebrauch – denn er sagte kein einziges Wort.

Auch später nicht, bei den Vernehmungen. Aber die Beweislage war so eindeutig, dass die Justiz auf seine Kooperation wohl auch nicht angewiesen sein würde.

––––––––




ALS ICH EIN PAAR TAGE später Milo an der bekannten Ecke abholte, fuhr ich wieder den gewohnten Sportwagen. Es war ein regnerischer Tag. Waschküchenwetter. Ganz Manhattan war von einer feuchten Nebelwolke umhüllt, die vom Long Island Sound her über die Stadt gezogen war.

Aber trotzdem hatte ich gute Laune.

„Na, ich sehe, es geschehen Zeichen und Wunder!“, meinte Milo. „Ehrlich gesagt habe ich nicht geglaubt, dass die Werkstatt den Sportwagen nochmal in einen akzeptablen Zustand versetzen könnte!“

„Du machst Witze!“, meinte ich.

„Nein ehrlich!“

„Davon hast du mir aber nichts gesagt!“

„Ich wollte deine Nerven schonen, Jesse. Schließlich hatte unsere Konzentration ja voll und ganz einem sehr schwierigen Fall zu gelten!“

Wir fuhren weiter. Im Radio wurde über den bevorstehenden Prozess gegen Purcell und Nolan berichtet. Ein Vertreter der CHURCH OF JUDGEMENT bestritt, dass es irgendeinen Zusammenhang zwischen der jüngsten Serie von Mordanschlägen und seiner Glaubensgemeinschaft gab.

„Das ist typisch“, meinte Milo.

„Die Gedanken sind frei, Milo.“

„Aber Purcell und Nolan zum Glück nicht mehr, Jesse.“

ENDE

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34 Bestseller-Krimis, die zuvor in Anthologien und Zeitschriften ein großes Publikum erreichten.Eiskalte Stories - immer auf die bitterböse Pointe hin gezielt.Unter dem Pseudonym Neal Chadwick begann der Elben- und Drachenerde-Autor Alfred Bekker einst seine Karriere.

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