Читать книгу Rattenjagd - Charleen Pächter - Страница 8

Jamie

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Ist es ein Segen für die Kinder, dass wir sie gerettet haben und sie leben oder ein Fluch, weil sie den Tod ihrer Eltern mit ansehen mussten?

Carrie und Collin schauen uns mit ihren großen Kulleraugen an und halten sich an den Händen fest. Es scheint, als wären sie durch die Ereignisse um ein paar Jahre jünger geworden, aber ich kann es ihnen auch nicht verdenken, immerhin mussten die beiden 9-jährigen zusehen, wie ihre Eltern erschossen wurden. Ich schätze, das wird sie auf ewig verfolgen. Die beiden Zwillinge sitzen auf der Bank, in der einen Hand das Fruchtsaftpäckchen, das sie gierig austrinken, in der anderen die Hand des jeweils anderen. Es ist ein herzzerreißender Anblick. Ich packe Ace an seinem gesunden Arm und schiebe ihn ein Stück weit weg, außer Hörweite der beiden.

„Was sollen wir jetzt mit ihnen machen?“, frage ich ihn eindringlich und lehne mich mit der Schulter gegen den blauen Ford Focus, der schon sehr mitgenommen aussieht. Ace fährt sich durch die Haare und betrachtet die beiden eine Weile, bevor er auf seine Schuhe sieht. „Wir nehmen sie mit, ist doch klar, oder?“ Ich nicke, etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet. Wir können ja schlecht zwei kleine Kinder einfach hier sitzen lassen. Trotzdem wirft das meinen Plan komplett durcheinander und das kann er in meinem Gesicht lesen. Ace packt mich an den Schultern und starrt mich an.

„Jamie, wir sind doch innerhalb eines guten Tages sowieso fast da und dann müssen wir nur noch Basis Alpha finden und sind sicher. Dann kümmert sich bestimmt auch jemand um die beiden.“ „Ja, ich weiß. Aber wer sagt denn, dass wir Basis Alpha wirklich finden? Und ob es die überhaupt gibt?“, verzweifelt werfe ich die Arme in die Luft. „Ist ja auch egal, lass uns ein anderes Auto besorgen und dann weg hier.“, füge ich noch hinzu und wende mich Carrie und Collin zu, die immer noch friedlich dasitzen und ihr Fruchtsaftpäckchen aussaugen.

„Na kommt ihr beiden, wir müssen weiter.“, sage ich freundlich. Carrie rutscht von der Bank und Collin macht es ihr nach.

„Und wo fahren wir hin?“, fragt Carrie und wirft ihre leere Verpackung in einen Mülleimer. Ace stößt zu uns und nimmt Collin huckepack, er grinst mit seinem Zahnlückenlächeln vor sich hin.

„An einen sicheren Ort.“ Bis jetzt haben wir es noch nicht geschafft Collin zum Reden zu bewegen, doch offensichtlich hat er so etwas wie ein Trauma erlitten und sein Abwehrmechanismus geht damit mit Schweigen um. Komischerweise scheint Carrie ihn trotzdem zu verstehen und weiß immer was er möchte, wahrscheinlich so ein Zwillingstelepathie- Ding. Wir schnappen uns unsere Rucksäcke mit den Vorräten und trotten auf ein Ortseingangschild zu.

Ace trägt Collin und müht sich nebenbei noch mit einem Rucksack ab, Carrie greift nach meiner Hand und gemeinsam laufen wir auf die nächste kleine Stadt zu. Youngstown, steht auf dem Ortseingangsschild und ich erinnere mich an die ungefähre Lage auf der Karte in meinem Rucksack. Wir sind nicht mehr weit von Pittsburgh entfernt, unser Zielort. Von dort ist es nicht mehr weit bis zur Ostküste.

Überall liegt Müll unter den Schneehaufen und ab und zu erkennt man gelbe Urinspuren darin. Viele der Häuser sind demoliert, die Türen wurden raus gerissen und die Fenster eingeschlagen. Die Spuren der Demonstrationen und Aufstände sind dieser Stadt nicht erspart worden. „Suchen wir uns ein Auto und verschwinden dann, okay?“, fragt Ace und sieht sich zu allen Seiten um. Er setzt Collin ab und nimmt ihn an der Hand.

Ich sehe, wie angespannt er ist und sich seine Finger um das Gewehr klammert. Schnellen Schrittes durchqueren wir die verlassenen Straßen und versuchen die Kinder zu beruhigen, die bei der unheimlichen Atmosphäre beginnen zu wimmern. Nirgends entdecken wir ein Auto oder anderes Fahrzeug, das wir benutzen könnten.

Es ist, als wäre jeder aus der Stadt geflüchtet. Das rote Backsteingebäude einer Schule taucht neben uns auf und in mir steigen Erinnerungen an meine eigene Schulzeit hoch, wehmütig betrachte ich die Klassenräume, die man durch die zerbrochenen Fenster erkennen kann. Mir kommt es ewig her vor, dass ich das letzte Mal einen normalen Tag in der Schule verbracht habe. Carrie zupft an meinem Jackenärmel. Stumm zeigt sie auf einen Haufen von Klamotten, die sich plötzlich bewegen. Ich richte mein M16 darauf, um gleich darauf einen Obdachlosen zu entdecken, dessen dreckige Zähne uns anlächeln.

Auch Ace entdeckt den armen Mann und wirft ihm im Vorbeigehen ein trockenes Brötchen zu, das wir noch übrig haben. Mit einem Nicken bedankt er sich bei uns.

Eilig ziehe ich Carrie weiter die Straße hinunter.

Irgendwann kommen wir an ein altes Autogeschäft und bleiben vor dem bunten Torbogen stehen, der den Eingang des kleinen Grundstückes kennzeichnet. Joe´s mobile Untersätze steht darauf und daneben ist ein gelbes Auto gemalt. Ich folge Ace und Collin, die sich zwischen den verschieden Gebrauchtwagen hindurchschlängeln. Der Schnee knirscht unter meinen Schuhen, doch ich bin mir sicher, dass er bald tauen wird, weil die Temperaturen in den letzten Tagen gestiegen sind. Außerdem haben wir es, glaube ich, auch schon Mitte Februar. „Den hier?“, fragt Ace leise und deutet auf einen robusten Jeep in einem Mintgrün.

„Du schließt ihn kurz und ich gebe dir Rückendeckung.“, erwidere ich bloß und stelle mich vor die beiden Kinder, die sich an meinen Jackensaum hängen.

Mit einem wachsamen Blick beobachte ich die Umgebung, während sich Ace in das Fahrzeug beugt. Plötzlich höre ich etwas rascheln und kurz darauf schlägt eine Kugel neben meinem Kopf in den Jeep ein.

„Achtung!“, schreie ich und werfe mich mit den Kindern hinter den Jeep. Ace zieht die Autotür hinter sich zu und kauert sich in den Bodenraum. Ich reiße die Tür zur Rückbank auf und schiebe Carrie und Collin hinein. Weitere Kugeln wirbeln den Schnee neben mir auf. Ein Rabattschild aus Holz zersplittert neben mir und die Späne fliegen durch die Luft. Ich presse mich an den Jeep, als der Kugelhagel innehält, beuge ich mich herum und erwidere das Feuer. Hinter einem roten Wagen sehe ich einen Mann vorbeihuschen, der eine Schrotflinte in den Armen hält. Seine Augen glänzen wütend. Ich klopfe gegen das Fenster, um Ace zu signalisieren, dass er sich beeilen soll.

Plötzlich wirft sich eine Gestalt auf mich und drückt mich zu Boden. Ich nehme einen penetranten Geruch nach billigem Alkohol und Zigarrenrauch wahr.

„Ihr kleinen Ratten werdet mir nicht auch noch meine Autos wegnehmen!“, brüllt die Gestalt über mir und schlägt mir ins Gesicht. Meine Lippe platzt auf und ich trete um mich. Es ist ein wildes Durcheinander aus Armen und Beinen. Eine Hand klatscht in mein Gesicht und ich treffe den Bauch meines Gegners mit dem Fuß. Stöhnend rollt er sich von mir herunter und tastet nach seiner Schrotflinte, die ein paar Meter entfernt im Schnee liegt. Seine Finger berühren schon fast den Lauf, als ich aus meiner Starre erwache und abdrücke. Blut spritzt gegen die sauberen Autoscheiben und färbt den Schnee rot.

Ich wische mir über das Gesicht und schüttle eine eklige glibberige Masse von meinen Fingern. Ein glatter Kopfschuss.

Zitternd rutsche ich panisch nach hinten, um den Bildern in meinem Kopf zu entkommen. Mein Rücken stößt schließlich gegen das Autorad. Tränen strömen mir über die Wangen, meine Knie schlottern und meine Lippe brennt, als die salzige Flüssigkeit über mein Gesicht läuft. Immer und immer wieder sehe ich den Kopf des Mannes vor mir explodieren. Ace springt aus dem Wagen und kauert sich vor mich. Mit einem einzigen Blick hat er die Situation um mich herum erfasst. Ich presse meine Hände auf die Augen und schüttle den Kopf. „Nein, nein, nein…“, wiederhole ich leise und schaukle mich vor und zurück. Es ist zu viel, einfach zu viel. Was ist nur aus mir geworden? Warum bin ich so geworden? Ace nimmt meine Hände und umklammert meine Handgelenke. Sein Finger wischt meine Tränen weg.

„Du hattest keine Wahl. Jamie, sieh mich an.“ Ich sehe ihn an. Und ich sehe wie ein Kopf zerplatzt, einfach so. Wieder werde ich von heftigen Schluchzern geschüttelt und meine Finger wollen einfach nicht aufhören zu zittern.

„Du hattest keine Wahl, Jamie. Verstehst du das? Er hätte dich getötet.“ Ace Stimme wickelt mich ein und streicht sanft über meine geschundene Seele.

„Aber… man hat immer eine Wahl… Ich… ich habe…“, stottere ich und kralle meine Hände in seine Jacke. Eindringlich starre ich in seine dunklen Augen.

„Ace, was ist, wenn die Regierung Recht hat und wir wirklich so aggressiv sind. Ich meine… ich habe jetzt schon so viele Menschen…“

Wieder breche ich in Tränen aus, bevor Ace mich umarmt und meinen Kopf gegen seine Brust drückt. Mit sanften Geräuschen versucht er, mich zu beruhigen. Mir kommt es wie eine Ewigkeit vor, dass wir so dasitzen und ich die Augen aufeinanderpresse, um die Bilder aus meinem Kopf zu verdrängen, doch es klappt nicht. Immer und immer wieder rieche ich den Geruch des Mannes, höre seine ölige Stimme und sehe mit an, wie ich kaltblütig sein Leben beende.

Nach einer Weile hebt mich Ace auf den Beifahrersitz und deckt mich mit seiner Jacke zu. Mein Gewehr lässt er im kalten Schnee zurück. Ich hindere ihn nicht daran, ich will es sowieso nie wieder in meiner Nähe haben. Das erinnert mich nur daran was ich Unverzeihliches getan habe.

Ich befinde mich in einer Art Dämmerzustand, während der Motor unter mir erwacht und wir uns in Bewegung setzen. Das leise Brummen des Jeeps und das Atmen der anderen lässt mich irgendwann meine Umgebung vergessen.

Eine hohe Kinderstimme dringt sehr leise zu mir durch und ich wälze mich ein paar Mal hin und her, um das Geräusch zu verdrängen, doch es wird immer lauter, bis ich schließlich flatternd die Augenlider öffne. Ich sitze in einem leeren Auto und sabbere auf meine Schulter. Schnell wische ich es weg und sehe mich um, doch es ist niemand in Sichtweite, der das hätte mit ansehen können.

Meine Lippe fühlt sich ungewöhnlich dick an und als ich sie abtaste, steigen die grässlichen Erinnerungen wieder in mir hoch. Ich ziehe meine Jacke fester um mich und steige mit schmerzenden Gliedern aus dem Wagen.

„Jamie! Jamie!“, quietscht Carrie fröhlich und kommt auf mich zu gerannt. Stürmisch umarmt sie mich und zieht mich an der Hand hinter sich her. Ace und Collin tauchen hinter einer Hausecke auf. Ace kommt mit sorgendem Gesichtsausdruck auf mich zu und lässt die beiden alleine miteinander spielen. Ich sehe mich um und betrachte das leere Industriegebiet, das sich vor uns erstreckt. Hinter uns befinden sich der Parkplatz und eine Straße, die durch ein Feld verläuft. Der milde Wind weht eine Brise eines leckeren Geruchs hinüber und ich nehme einen tiefen Atemzug. Grummelnd meldet sich mein Magen zu Wort. „Geht’s wieder?“, fragt Ace und mustert mich besorgt.

„Ja, ich … es war einfach ein Anfall von mir. Tut mir leid.“ Ace sieht mich skeptisch an und kann mir bestimmt ansehen, dass ich es herunterspiele.

„Du musst dich doch nicht entschuldigen. Wenn du darüber reden willst, dann…“

„Mir geht’s gut, Ace“, unterbreche ich ihn grob und habe gleich darauf ein schlechtes Gewissen. „Was riecht denn hier so gut?“, frage ich, um vom Thema abzulenken.

Ein wenig fassungslos schlendert Ace an mir vorbei und sammelt die lachenden Kinder ein. „Das wollten wir gerade herausfinden.“, murmelt er eingeschnappt und ich folge ihm seufzend.

Unser Weg führt uns ein paar hundert Meter weit zu einem Diner. Der leckere Geruch weht uns wieder entgegen und wir müssen die Kinder festhalten, damit sie nicht losstürmen. „Hast du eine Waffe hier?“, flüstere ich Ace zu, während wir uns hinter einer Mauer verstecken. Mit einem überlegenden Blick zieht er seine Glock hervor und hält sie mir unter die Nase. Meine Handfeuerwaffe müsste irgendwo in den Tiefen meines Rucksacks vergraben sein, der sicher im Kofferraum liegt. Ich muss mir echt angewöhnen sie immer bei mir zu tragen. Ich lege einen Finger an die Lippen und gebe Carrie und Collin zu verstehen, dass sie leise sein sollen, weil sie immer noch vor sich hin kichern. Mit einer leichten Bewegung wedle ich mit der Waffe herum, woraufhin sie verstummen und mich mit großen Augen ansehen. Ace gibt uns Deckung und läuft geduckt auf den Laden zu. Von außen wirkt alles ganz friedlich und verlassen, aber irgendwoher muss der Duft nach Pfannkuchen und Rührei ja kommen. Vermutlich ist es eine bescheuerte Idee, einfach drauflos zu laufen, und womöglich noch in eine Falle zu tappen, doch mittlerweile treibt uns nur noch unser unbändiger Hunger, denn unsere gesamten Vorräte haben wir schon aufgebraucht.

Bedächtig öffnet Ace die Tür zum Diner und schreckt nervös zusammen, als die Glocke im Eingang bimmelt, um Gäste anzukündigen. Er wirft mir einen Blick zu und ich ziehe die Zwillinge hinter eine Schar Mülltonnen und halte sie dicht an mich gepresst.

Ihre Augen sind weit aufgerissen vor Angst, als wollten sie jede folgende Sekunde mit eigenen Augen sehen. Plötzlich höre ich Stimmen, die aus der angelehnten Tür hervordringen. Langsam atme ich ein und aus und versuche mein galoppierendes Herz zu beruhigen. Nach einer ganzen Weile packt mich auf einmal eine Hand an der Schulter, ich zucke so heftig zusammen, dass ich mir auf die Zunge beiße.

Ace steht über mich gebeugt und lächelt mich an.

„Alles gut, das sind nette Leute da drinnen, die uns eine Mahlzeit anbieten.“

„Oh ja! Ich habe schon einen Bärenhunger!“, schreit Carrie fröhlich und zieht Collin auf die Beine. Ich greife mir ihren Arm und halte sie davon ab, loszustürmen.

„Bist du sicher, dass das keine Falle ist?“, frage ich misstrauisch und kneife die Augen zusammen. Ace nickt ernst und nimmt Carries Hand, um mit ihr und Collin zum Diner zu marschieren. Ich blicke auf und dabei fällt mir das rote Schild mit den LED- Lämpchen ins Auge, das über der Tür hängt. Philadelphias Diner-King.

Wenn wir es schon bis ins Industriegebiet von Philadelphia geschafft haben, muss ich ja ganz schön lange geschlafen haben. Ich folge ihnen mit geducktem Kopf und sehe mich noch einmal gründlich um, bevor ich die Glastür hinter mir schließe.

Das Glöckchen bimmelt noch einige Zeit vor sich hin, während ich mitten im Diner stehen bleibe und mich umsehe. Mit wachsamem Blick scanne ich meine Umgebung. In der Zeit auf der Flucht habe ich gelernt, nichts und niemandem zu vertrauen und mich nur auf mich selbst zu verlassen. Das hat sich bereits geändert, als ich Ace vor ein paar Tagen kennen lernte, doch das gilt noch lange nicht für jeden dahergelaufenen Menschen, der mir etwas anbietet. So naiv bin ich nicht. Schon lange nicht mehr. Die roten Plastikstühle sind bereits eingestaubt, aber das hindert mich nicht daran mich auf einem von ihnen niederzulassen. Endlich entspannen sich meine verkrampften Schultern und ich dehne meinen Nacken. Carrie und Collin kommen aus den Waschräumen und lächeln selig vor sich hin. Ihre verschmutzten Gesichter sehen blitzblank aus.

Kurz darauf stößt auch Ace mit gewaschenem Gesicht und nassen Haaren zu uns. Wassertropfen glitzern in seinen störrischen Haaren und ich hatte schon längst vergessen, wie dunkel seine Augen glänzen, wenn er zufrieden ist. Alle drei setzen sich zu mir an den Tisch. Eine junge Frau schwingt mit der Hüfte die Küchentür auf und balanciert vollbeladene Teller auf ihren dünnen Armen zu uns herüber. Ihr Gesicht ist ein purer Inbegriff von Glück und Mitgefühl.

„So meine Lieben, hier habe ich eine große Portion Pfannkuchen mit Ahornsirup, frisches Rührei, vier Gläser Orangensaft und knusprigen Speck.“ Unsere Augen strahlen förmlich, als sie das Essen vor uns abstellt und uns zufrieden die Köpfe tätschelt.

„Haut rein, ihr habt es euch verdient.“, flötet sie mit honigsüßer Stimme und flüchtet mit dem Tablett wieder in die Küche.

„Wer ist sie?“, frage ich mit den köstlichen Pfannkuchen im Mund. Ace grinst mir über den Tisch hinweg zu und stopft sich ein ganzes Bündel Speckstreifen und Rührei in den Mund. Ich habe das Gefühl, dass er sich nicht mal die Mühe macht zu kauen, aber so geht es uns allen. „Ein Engel.“, nuschelt er und zuckt mit den Schultern.

Ich verdrehe die Augen und stöhne laut, als ich mich über den Speck hermache und sich der rauchig herbe Geschmack in meinem Mund ausbreitet. Carrie und Collin schmatzen nur vor sich hin.

Nachdem wir uns vollgestopft haben, hängen wir alle mit einem Lächeln auf den Lippen in unseren Stühlen und reiben uns die runden Bäuche. Die nette Frau erscheint wieder und räumt unser Geschirr ab. Danach kehrt sie zurück und wischt sich die Hände an ihrer Schürze ab. Ein älterer Mann folgt ihr in seinem Rollstuhl und gesellt sich zu uns.

„Warum haben sie das getan?“, frage ich nach einer Weile des stillen Anstarrens.

Der Mann fährt sich über sein zerfurchtes Gesicht und streicht über seinen grauen Bart. Er sieht äußerst müde aus.

„Weißt du mein Kind, wenn man wie ihr alles verloren hat, dann braucht man manchmal Menschen, die einem eine kleine Gabe zugestehen. Und wir haben entschieden, diese Menschen zu sein.“ Die Zwillinge blicken sich verwirrt an. Die Frau räuspert sich. „Donald möchte damit sagen, dass wir auch schwere Verluste erlitten haben und wir wollen etwas zurückgeben, um euch Kindern zu helfen. Es ist nicht richtig, wie die Army euch jagt.“ Traurig schüttelt sie den Kopf.

Ich bin ihr sehr dankbar dafür, dass sie nicht das Wort Ratten gebraucht, denn dadurch fühle ich mich persönlich angegriffen.

„Es ist wirklich schön, zu wissen, dass es immer noch Leute, wie sie gibt. Ich danke ihnen von Herzen.“, murmelt Ace gerührt und erhebt sich, um beide zu umarmen. Ich stehe ebenfalls auf und genieße das Gefühl, satt zu sein.

„Wir sind ihnen sehr dankbar, ich hoffe, das wissen sie. Das Essen war wirklich sehr lecker.“ „Die besten Pfannkuchen meines Lebens!“, plärrt Carrie dazwischen und hüpft auf und ab. Ihr Bruder macht es nach.

„Ich denke wir werden jetzt gehen, wir wollen ihre Gastfreundschaft nicht überstrapazieren.“, ergänze ich und falte die Hände vor mir. Donald bricht in ein leichtes Kichern aus, das in einem ungesunden Husten endet.

„Marcy… Marcy…“, keucht er vor sich hin. Marcy klopft ihm daraufhin auf den Rücken und bringt ihm ein Glas Wasser.

„Wisst ihr, ihr müsst jetzt noch nicht gehen. Wir haben eine Dusche und Betten. Ihr könnt ruhig über Nacht bleiben und euch ausruhen.“, bietet sie an und streichelt Donald beruhigend über den Arm. Ace sieht mich fragend an und ich weiß, dass er das Misstrauen und die Zweifel in meinen Augen lesen kann.

„Wir würden das Angebot gerne annehmen.“, erklärt Ace schließlich und würdigt mich keines weiteren Blickes. Was ist bloß los mit ihm?

Carrie und Collin stoßen Freudenschreie aus und hüpfen, sich an den Händen haltend, vor sich hin. Tränen fließen über ihre kleinen Wangen und in mir breitet sich ein warmes Gefühl aus, als ich die beiden betrachte. Marcy tätschelt meine Schulter und schiebt mich dann in den hinteren Bereich des Diners. Ace geht in der Zeit unsere Sachen holen und will den Wagen umparken. Donald nimmt mir die Zwillinge ab und verschwindet mit ihnen in einem anderen Raum, um ihnen eine Geschichte vorzulesen.

Ich lasse mich in dem Zimmer auf das weiche Bett fallen und blicke an die Decke. Meine Augen werden augenblicklich schwer und ich drehe den Kopf. Dort entdecke ich die Badezimmertür und bin im nächsten Moment auch schon unter die Dusche gesprungen. Ich kann es gar nicht erwarten all den Schmutz von mir abzuwaschen. Das Wasser brennt auf den Verletzungen in meinem Gesicht und als ich über die bereits bläulichen Stellen an meinen Rippen streiche, prasseln die Erinnerungen an den zerschossenen Kopf des Mannes wieder auf mich ein. Immer wieder reibe ich mir über die Augen, in der Hoffnung die grauenhaften Bilder vertreiben zu können. Immer und immer wieder sehe ich den Mann vor mir sterben, spüre das Gefühl des Rückpralls bei dem Schuss und fühle, wie das warme Blut in mein kaltes Gesicht spritzt. Ich reibe an meiner Haut so lange herum und wimmere vor mich hin, bis ich das Gefühl habe sämtliche Schuldgefühle abgewaschen zu haben. Als ich aus der Dusche steige, sieht meine Haut aus, als hätte ich sie mit einer Käsereibe bearbeitet. Überall ziehen sich Kratzer und rote Flecken über meinen Körper. Ohne darüber nachzudenken wickle ich mich in ein Handtuch. Ich höre ein Geräusch hinter der Tür und lege mein Ohr daran.

„Ace?“ Seine tiefe Stimme antwortet mir brummelnd, er hat sich bestimmt hingelegt. „Kannst du mir mal bitte meinen Rucksack geben?“, frage ich durch die Tür.

Ein wenig später wird die Tür aufgedrückt und ein Arm, an dem mein Rucksack baumelt, streckt sich durch den Türspalt.

Frisch geduscht und mit neuen Klamotten aus dem Einkaufszentrum trete ich aus dem Bad und lege mich neben Ace auf das Bett, das wir uns heute teilen müssen.

„Willst du jetzt duschen gehen?“, flüstere ich in die Ruhe hinein und erhalte nur ein zustimmendes Knurren. Ich schließe die Augen und höre, wie er ins Bad schlurft und kurz darauf die Dusche angestellt wird. Marcy steckt ihren Kopf in das Zimmer und mustert mich. „Die Kinder schlafen jetzt, ich glaube, sie waren ganz schön erschöpft. Ihr solltet euch auch bald hinlegen.“, empfiehlt sie fast mütterlich und ist schon wieder verschwunden, bevor ich antworten kann. Irgendwann schläfert mich das Brummen der Dusche ein und ich gleite in eine dunklere Welt.

„Jamie, ich muss dich leider noch mal wecken.“, flüstert Ace an meinem Ohr und streicht mir sanft über die nassen Haare. Ich schlage die Augen auf und als ich bemerke, wie nah er sich über mich gebeugt hat, setze ich mich auf. Er rutscht ebenfalls ein Stück zurück und lehnt sich an die Wand.

„Was denn?“ Ich entdecke Verbandszeug in seiner Hand und sehe ihn fragend an.

„Dein Gesicht.“ Er deutet mit einer Hand auf mich und ich nicke schläfrig. Er rutscht wieder heran und breitet seine Utensilien neben sich aus.

Zuerst tupft er mit einem Wattestäbchen und Desinfektionsmittel meine Kratzer und aufgeplatzten Hautstellen ab. Es brennt und sticht ein bisschen, aber er gibt sich Mühe vorsichtig zu sein. Sein ernstes Gesicht schwebt direkt vor meinem, seine Lippen sind konzentriert zusammengepresst.

„Du solltest so was nicht mehr machen.“, wispert er und streicht mit dem Daumen über das Pflaster, das er mir auf die Stirn geklebt hat. Seine Augen bohren sich in meine und zusammen verschmelzen sie zu einer Masse aus Schwarz und Blau.

„Was?“, flüstere ich fast lautlos. Ein leichtes Lächeln biegt seine Mundwinkel nach oben, doch in seinen Augen erkenne ich nur Traurigkeit, nur unendliche Traurigkeit.

„Dich mit Männern prügeln. Das solltest du ab sofort mir überlassen.“

Entschlossen legt er eine Hand an meine Wange. Seine Berührung hat etwas Vertrautes, Intimes. Ich wende den Blick ab und hebe somit den Körperkontakt zwischen uns auf. Seine Hand sinkt enttäuscht nach unten.

„Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen, das habe ich schon vor dir und werde ich weiterhin tun.“, murmle ich und schaffe es nicht, ihn anzusehen. Ich will nicht sehen, was nun in seinen Augen zu lesen ist.

„Jamie ich…“ Ich nehme seine Hand und lächle ihn an. „Ace, lass uns schlafen, okay?“ Widerwillig streckt er sich neben mir aus und dreht sich mit dem Rücken zu mir.

Langsam schwebe ich aus dem tiefen Schlaf in eine Art Dämmerzustand und nehme ein Rascheln, ein Stolpern und dann ein unterdrücktes Fluchen wahr. Flatternd öffnen sich meine Augenlider und die schemenhaften Konturen der Möbel im Zimmer werden sichtbar. Schritte nähern sich und ein Schatten verdunkelt meine Sicht. Dann werden die Vorhänge ein Stück zugezogen und das seichte Mondlicht erstirbt schlagartig, sodass ich in tiefe Dunkelheit gehüllt bin. Jemand berührt mich an der Schulter und streicht mir nach einem Zögern über den Kopf. „Ace?“, murmle ich mit halb geschlossenen Augen.

„Ja?“, flüstert er zurück, hockt sich neben das Bett und lässt seine warme Hand an meiner Schulter liegen. „Tut mir leid.“

Eine Weile sagt er nichts und sieht mir nur zu, wie ich zwischen Schlaf und Wachsein hin und her gleite. „Ich weiß. Mach dir darüber keine Gedanken, ich komm schon klar.“, erwidert er schließlich leise. Dann erhebt er sich und tritt zur Tür.

„Schlaf weiter. Wir sehen uns nachher.“ Damit wird die Tür zugezogen und ich falle wieder in ein Reich aus Träumen und Dunkelheit.

Ich weiß nicht wie viele Stunden vergangen sind, als ich ein weiteres Mal aufwache und mich aufsetze. Im ersten Moment frage ich mich wo Ace hin ist, doch dann erinnere ich mich bruchstückhaft an unser kleines Gespräch. Trotzdem bin ich mir nicht sicher, ob ich es vielleicht doch nur geträumt habe. Mit einem leisen Ratschen ziehe ich die Vorhänge auf und lasse meinen Blick über die vielen länglichen Gebäude wandern. Mehrere Schornsteine und Röhren erheben sich in der Ferne, aus denen früher einmal Rauchwolken aufgestiegen sein müssen. Der Mond steht immer noch hoch am Himmel und wirft sein weißliches Licht auf die Erde. Die geisterhafte Stimmung, die draußen herrscht, wird vom Heulen des Windes unterstrichen, der die Fensterläden klappern lässt.

Bewaffnet mit mehreren Klamottenschichten und meiner Handfeuerwaffe im Hosenbund schleiche ich mich in den vorderen Bereich des Diners und sehe mich um.

„Ace? Wo bist du?“, flüstere ich und wage mich sogar in die Männertoilette, um nach ihm zu suchen, doch es fehlt jede Spur von meinem Freund. Langsam panisch werdend sehe ich mich draußen um, kann aber außer der Stille und dem Huschen von Mäusen nichts Verdächtiges erkennen. Bevor ich mich wieder hinlege, schaue ich noch in das Zimmer von Carrie und Collin, die sich eng aneinander gekuschelt haben und nicht mal die Hälfte des Doppelbettes einnehmen. Ihr leises Atmen erfüllt den Raum und plötzlich bewegt sich jemand am Rand des Bettes. Ace legt einen Finger an die Lippen und schiebt mich auf den Flur. „Komm mit.“, befiehlt er und zieht mich an der Hand nach draußen.

Wir setzen uns auf einen Dachvorsprung, der über einige Holzkisten gut erreichbar ist. Meine Beine baumeln hinunter und ich stütze mich mit meinen Händen ab, während ich die Sterne am Himmel betrachte.

„Sie erinnern mich so sehr an Harper, dass es manchmal unerträglich ist sie anzusehen.“, unterbricht er irgendwann die nächtliche Stille. Hier und da häuft sich der Schnee, doch an manchen Stellen beginnt er bereits zu tauen.

„Es ist beruhigend ihnen beim Schlafen zuzusehen. Das habe ich manchmal bei Harper gemacht, wenn sie nicht einschlafen konnte. Es hat ihr geholfen, wenn sie wusste, dass ich da bin und sie beschütze.“ Er legt den Kopf in den Nacken und atmet laut aus.

„Ich helfe gerne, weißt du.“, ergänzt er und sieht mich kurz an.

„Ich beschütze die Menschen, die mir etwas bedeuten und ich möchte, dass es ihnen gut geht. So war das schon immer bei mir. Aber Jamie…“ Er wartet, bis ich ihn ansehe und sich meine Augen in seinen verhaken. Ich weiß, was jetzt kommt und ich möchte es nicht hören, ich würde es am Liebsten einfach ignorieren.

„Wenn du dir von mir nicht helfen lassen möchtest, dann ist das dein Problem, aber ich werde immer weiter nachfragen, bis du dich mir irgendwann anvertraust, denn du musst darüber reden, okay? Du darfst es nicht die ganze Zeit in dich hinein fressen. Du musst das loslassen und dir helfen lassen, sonst zerbrichst du irgendwann daran. Ich will nur ...“ Er zögert und seufzt leise. „Ich will nur, dass du das weißt.“

Wütend presse ich die Zähne aufeinander. Er hat doch keine Ahnung, wovon er da spricht. Mir kann niemand helfen, nur ich selbst kann mir helfen und das wird sich schon gar nicht klären, wenn ich einfach nur darüber rede.

„Ace, du verstehst das nicht, okay? Du hast nicht das durchgemacht, was ich durchgemacht habe und du würdest nicht verstehen, warum ich es gemacht habe. Du kannst mir nicht helfen und es bringt auch nichts, wenn du mich immer wieder drängst darüber zu reden! Ich will darüber nicht reden, ich will es vergessen, okay?!“

Tränen steigen mir in die Augen und ich wische sie weg, doch alle Erinnerungen der letzten Monate brechen über mir zusammen und begraben mich unter sich. Die Tränen fließen und ich kann nichts dagegen machen. Meine Mom, ihr bleiches totes Gesicht, das mich anstarrt. Neo, der mir entrissen wird, weil ich einen Fehler begangen habe und meinetwegen seinen schlimmsten Albtraum durchleben muss.

Die ganzen Menschen, die ich getötet habe und über die ich hinweg gegangen bin, als wäre es in Ordnung ein Leben auszulöschen. Ich erinnere mich an jedes ihrer Gesichter, die mich in meinen Träumen heimsuchen und in stillen Sekunden vor mir auftauchen.

Ace macht Anstalten mich in den Arm zu nehmen, doch ich will jetzt nicht getröstet werden, ich will auf etwas einschlagen, etwas kaputt machen. Ich schlage seine Arme beiseite und springe von dem Dachvorsprung. Erschrocken sieht er auf mich hinab.

„Ich brauche deine Hilfe nicht. Du musst mich nicht beschützen, ich kann auf mich selbst aufpassen, kapierst du das?“, schreie ich und renne davon, ohne seine Antwort abzuwarten.

Meine Lunge brennt bereits wie Feuer und die kühle Luft lässt meine Augen tränen, die ich mittlerweile trocken geweint habe. Meine Beine laufen immer weiter und weiter, bis ich das Gefühl habe, zu schweben und ich nichts mehr fühle, außer meinen Herzschlag, der in meinem Kopf pocht. Ich kann einfach nicht aufhören zu rennen, weil dann all die aufgestauten Gefühle auf mich niederstürzen würden. Ich laufe zwischen den Industriegebäuden und den riesigen Schornsteinen hindurch und gelange an einen Wald, in den ich mich flüchte. Ich zähle jeden Baum im Geiste, an dem ich vorbei komme, um meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken, als meine unbändige Wut. Irgendwann werden meine Beine lahm, als ich endlich stehen bleibe und tief Luft hole. Ich lehne mich gegen einen Baumstamm, weil ich sonst zusammenbrechen würde. Meine Augen schmerzen und jeder meiner Muskeln brennt, als wäre in mir ein gleißendes Feuer entzündet worden. Ich schließe die Augen und versuche die Dunkelheit und die Geräusche der Tiere um mich herum auszublenden. Ich will einfach in Ruhe nachdenken und allein sein. Eine Auszeit von der Flucht und den Sorgen nehmen. Von der Angst und der Panik, die sich fest in meinen Nacken gekrallt haben und mich nicht mehr loslassen, selbst wenn ich schlafe. Sie verfolgen mich und erinnern mich daran, dass es für ein Mädchen wie mich nirgends mehr sicher ist. Wütend schlage ich gegen den Baum und bereue es sofort, als sich die Splitter in meine Haut bohren. Vor Schmerz jaulend halte ich mir mein Handgelenk und stapfe durch den Wald zurück, in der Hoffnung den Weg zu finden, den ich gekommen bin.

Die Sonne hat den Mond schon ein wenig vertrieben und es sich am Horizont gemütlich gemacht, als ich endlich das Diner erreiche. Als ich vollkommen durchgeschwitzt ins Zimmer trete, finde ich Ace schlafend vor und verdrehe die Augen. Er liegt auf dem Rücken und hat seine Arme und Beine von sich gestreckt, sodass er das gesamte Bett einnimmt. Ich gönne mir erst mal eine warme Dusche und ziehe robustere Klamotten an. Schließlich werden wir bald weiterfahren und wir wissen nie in welch schwierige Situation wir als nächstes kommen.

Ich krame äußerst unvorsichtig in meinem Rucksack herum und packe alles noch mal ordentlicher hinein, sodass wir noch ein wenig Verpflegung mitnehmen können.

„Wo warst du?“, fragt Ace plötzlich und ich drehe mich um. Er reibt sich die Augen und blinzelt mich an. Seine Miene ist ziemlich verschlossen und genervt. Ich zucke nur die Schultern und verlasse das Zimmer. Carrie und Collin kriechen verschlafen aus ihrem Gewirr aus Decken und tapsen gemeinsam ins Bad, um sich fertig zu machen. Die beiden können echt nicht voneinander ablassen. Es ist, als wäre er das Herz und sie das Gehirn, ohne einen von beiden können sie einfach nicht leben. Ace steht mit verschränkten Armen im Türrahmen und mustert mich kritisch.

„Was ist hier los? Warum weckst du sie?“ Er wirft einen Blick auf die Uhr an der Wand. „Es ist gerade einmal 5.30 Uhr! Warum machst du solche Panik, wenn wir endlich mal wieder in richtigen Betten schlafen können?“ Ich habe ihn bis jetzt noch nie so aufgebracht erlebt, doch das kann ich im Augenblick echt nicht gebrauchen, ich möchte einfach so schnell wie möglich mein Ziel erreichen und meinen Bruder finden. Das ist es jetzt, was ich brauche. Ein Erfolgserlebnis und meinen Bruder. Als ich an sein Lächeln denke, schmerzt es in meiner Brust und ich verdränge das Bild von ihm, so schnell es geht. Nichts sagend remple ich Ace an, als ich an ihm vorbei schreite und die Rucksäcke aus unserem Zimmer hole.

„Wir fahren weiter.“, sage ich nur und sehe Ace nicht an. Schnaubend begibt er sich kopfschüttelnd ins Bad und schließt sich ein. Marcy erscheint auf einmal auf dem Flur, eine Schlafmaske in die verwuschelten Haare geschoben.

„Was ist denn hier los? Müsst ihr wirklich schon los?“, fragt sie irritiert. Ich nicke und umarme sie flüchtig. „Danke für alles, aber wir müssen jetzt wirklich weiter. Haben sie vielleicht noch etwas Verpflegung für uns?“ Eine Weile rattert es in ihrem Kopf, dann wuselt sie an mir vorbei.

„Natürlich, natürlich. Ich habe gestern noch eine Menge Lebensmittel für euch zurechtgelegt, ich gehe sie rasch holen.“ Die Zwillinge folgen mir nach draußen und packen die Rucksäcke ins Auto, ich überwache die Umgebung mit einem wachsamen Blick und meiner Glock im Hosenbund. Marcy tritt aus dem Diner und zieht ihren rosa Bademantel enger um sich. Sie drückt den Kids einen Knutscher auf die Wange und lädt eine große Fuhre an Lebensmitteln und Wasserflaschen in unseren Kofferraum. Sortieren kann ich das ja später. Mich umarmt sie auch noch mal und als ich mich hinter das Steuer setze, schafft es Ace, endlich aus dem Diner zu kommen und sich ebenfalls zu verabschieden. „Richten sie Donald herzliche Grüße aus und vielen Dank für ihre Großherzigkeit!“, brüllt Ace aus dem Fenster, als ich auf die Landstraße abbiege.

Die Kinder beugen sich aus den offenen Fenstern und winken Marcy zu, die wie eine einsame Gestalt vor dem Diner steht und lächelt.

Es ist das Lächeln einer Frau, die weiß, dass sie etwas Gutes getan hat.

Rattenjagd

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