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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Welches das Wesentliche einer anmutigen Unterhaltung zwischen Herrn Bumble und einer Dame enthält und zugleich offenbart, daß auch ein Gemeindediener für manche Sachen empfänglich sein kann

Es war ein bitterkalter Abend, und der Schnee lag fußhoch. Es war ein Abend, an dem jeder, der ein Heim hat, sich dicht an das flackernde Kaminfeuer drängt und Gott dankt, daß er zu Hause ist – eine Nacht, wo die Unglücklichen ohne Heim und Obdach nichts Besseres tun können, als sich hinzulegen und zu sterben.

So sah es draußen aus, als Frau Corney, die Hausmutter der Armenanstalt, wo Oliver Twist das Licht der Welt erblickte, sich in ihrem kleinen Zimmer an den Kamin setzte, in dem ein lustiges Feuer prasselte, und wohlgefällig den kleinen runden Tisch überschaute. Sie war nämlich im Begriff, sich an einer Tasse Tee zu letzen; und als sie ihren Blick wieder dem Feuer zuwandte, wo der kleinste aller nur erdenklichen Teekessel sein lustiges Lied sang, wuchs ihre innere Zufriedenheit in einem solchen Maße, daß sie vergnügt lächelte.

„Nun“, sprach die würdige Dame vor sich hin, indem sie ihren Ellbogen auf den Tisch stützte und sinnend ins Feuer sah, „gewiß haben wir alle große Ursache, Gott dankbar zu sein, wollten wir es nur einsehen.“

Frau Corney schüttelte traurig den Kopf, als ob sie die Geistesblindheit der Armen beklage, die es nicht erkannten, fuhr dann mit einem silbernen Löffel (Privateigentum!) in eine zinnerne Teebüchse und begann den Tee zu bereiten.

Was für geringfügige Anlässe nicht die Ruhe schwacher Gemüter stören können! Der schwarze kleine Teetopf lief über, während Frau Corney in diesen moralischen Betrachtungen versunken war, und das Wasser verbrühte ein wenig ihre Hand.

„Verwünschter Topf“, sagte sie und setzte ihn hastig nieder, „das dumme Ding hält nur ein paar Tassen. Ach, du lieber Himmel!“

Der kleine Teetopf und die einzelne Tasse hatten in ihrer Seele traurige Erinnerungen an Herrn Corney geweckt, der noch nicht länger als fünfundzwanzig Jahre tot war. Eine tiefe Rührung bemächtigte sich ihrer.

„Ich bekomme nie wieder einen solchen Mann“, sagte sie mißmutig. „Nie wieder einen wie er.“

Sie kostete gerade die erste Tasse Tee, als leise an die Tür geklopft wurde.

„Nur herein!“ rief Frau Corey ärgerlich. Wahrscheinlich will wieder eines von den alten Weibern sterben, denn die sterben immer, wenn ich beim Essen bin. Bleibt nicht in der Tür stehen, es kommt kalt herein. Was ist denn los?“

„Nichts, gar nichts“, antwortete eine männliche Stimme.

„Ach, du meine Güte“, rief die Matrone schon freundlicher, „sind Sie’s, Herr Bumble?“

„Zu Diensten“, erwiderte dieser und trat, seinen Dreispitz in der einen und ein Bündel in der andern Hand, ins Zimmer. „Soll ich die Tür schließen?“

Die Dame zögerte verschämt mit der Antwort. Es hätte als unschicklich angesehen werden können, wenn sie mit Herrn Bumble bei geschlossener Tür geplaudert hätte. Dieser benutzte das Zaudern und machte die Türe zu, ohne weitere Erlaubnis abzuwarten.

„Schlechtes Wetter, Herr Bumble“, sagte die Matrone.

„In der Tat, sehr schlecht“, erwiderte dieser, „besonders für die Gemeinde! Wir haben heute nachmittag zwanzig Brote und anderthalb Käse verteilt, Frau Corney, und doch sind die Armen nicht zufrieden.“

„Wann wären sie es je“, entgegnete die Dame, behaglich ihren Tee schlürfend.

„Wann? Sie haben recht. Da ist ein Mann, der in Anbetracht seiner großen Familie ein Brot und ein ganzes Pfund Käse erhielt. Glauben Sie wohl, daß er sich dafür bedankt hat? Jawohl, um Kohlen hat er noch gebeten, wenn es auch nur ein Taschentuch voll wäre, sagte er. Kohlen! Was will er mit Kohlen? Wahrscheinlich seinen Käse damit rösten und dann wiederkommen und mehr erbetteln! So machen’s diese Leute, Frau Corney.“

Die hielt mit ihrem Unwillen nicht zurück.

„Vorgestern kam ein Mann“, fuhr Bumble fort, „sie waren ja verheiratet, also kann ich’s sagen – der kaum ein Hemd auf dem Leibe hatte, (Frau Corney schlug verschämt die Augen nieder) an die Tür unseres Direktors, als dieser gerade eine Mittagsgesellschaft hatte. Er bat um Unterstützung. Der Direktor ließ ihm ein Pfund Kartoffeln und ein halbes Pfund Hafermehl geben. ‚Mein Gott‘ sagte der Undankbare, ‚was soll ich damit. Sie hätten mir ebenso gut ein Brille geben können!‘ ‚Schön‘ versetzte unser Direktor und nahm die Gabe wieder an sich, ‚dann werdet Ihr gar nichts kriegen‘ – ‚So werde ich auf offener Straße sterben‘, erwiderte der Landstreicher – ‚Das werdet Ihr Euch noch überlegen‘, meinte der Direktor.“

„Ha! Ha! Das war gut. Das sieht Herrn Grannett ähnlich! Und was geschah weiter?“

„Was geschah?“ wiederholte Bumble. „Er ging weg und starb tatsächlich auf der Straße. Was sagen Sie zu solchem Eigensinn?“

„Unglaublich! Aber halten Sie eine Unterstützung außer dem Hause nicht für direkt zwecklos? Sie sind ein Mann von Erfahrung und müssen das wissen.“

„Nein, Frau Corney“, sagte der Gemeindediener überlegen, „Unterstützung außer dem Hause richtig angewandt – wohlgemerkt, richtig angewandt – , ist für die Gemeinde das Beste. Man befolgt dabei den Grundsatz, den Armen gerade das zu geben, was sie nicht brauchen. Es wird ihnen dann über, wiederzukommen. – Doch das sind Amtsgeheimnisse, so etwas dürfen wir nur unter uns Gemeindebeamten laut werden lassen!“

Er fing jetzt an sein Bündel auszupacken und sagte:

„Hier ist Portwein, den der Vorstand für die Kranken bewilligt hat, echter Portwein, glockenklar, ohne den geringsten Bodensatz.“

Er stellte die beiden mitgebrachten Flaschen auf die Kommode und wollte sich verabschieden. Frau Corney fragte nun verschämt, ob sie ihm nicht ein Täßchen Tee anbieten dürfe. Herr Bumble legte Hut und Stock auf einen Stuhl und rückte einen andern an den Tisch.

Während er sich langsam niederließ, blickte er die Matrone an. Sie hatte ihre Augen auf den kleinen Teetopf geheftet. Herr Bumble hustete und verzog sein Gesicht zu einem Lächeln.

Frau Corney holte eine zweite Tasse aus dem Schrank, und als sie sich wieder setzte, begegneten ihre Augen denen des galanten Gemeindedieners. Sie errötete und machte sich an dem Teetopf zu schaffen. Herr Bumble hustete abermals.

„Süß?“ fragte die Matrone und nahm die Zuckerdose in die Hand.

„Sehr süß, bitte.“ Er sah dabei Frau Comey zärtlich an, soweit ein Gemeindediener zärtlich blicken kann.

„Sie haben eine Katze, wie ich sehe, und auch ein Kätzchen“, plauderte Herr Bumble.

„Sie können gar nicht glauben, Herr Bumble, wie gern ich diese Tierchen habe“, entgegnete die Matrone.

„Niedliche Dingerchen“, sagte Herr Bumble beistimmend, „und so ans Haus gewöhnt.“

„O ja“ sagte die Dame, „sie sind zu gerne bei mir, und ich habe sie so lieb.“

„Frau Corney“, sagte Bumble feierlich, „ich muß sagen, eine Katze, die bei Ihnen lebt und Sie nicht liebhat, muß ein rechter Esel sein.“

„Ach, Herr Bumble“, sagte sie mit verweisendem Ton.

„Warum soll man nicht reden dürfen, wie es einem ums Herz ist. – Eine solche Katze würde ich mit Vergnügen ersäufen.“

„Dann sind Sie ein hartherziger Mensch.“

„Hartherzig?“ wiederholte Bumble und rückte seinen Stuhl näher. „Sind Sie hartherzig, Frau Corney?“

„Mein Gott, was ist das für eine komische Frage von einem ledigen Manne! Warum wollen Sie das wissen?“

Herr Bumble trank seinen Tee bis zum letzten Tropfen aus, wischte sich die Lippen ab und brachte der Matrone bedächtig einen Kuß bei.

„Herr Bumble!“ rief die zartfühlende Dame – aber nur ganz leise, denn sie hatte vor Schreck fast die Stimme verloren, „Herr Bumble, ich werde schreien.“

Dieser gab keine Antwort, sondern schlang langsam und würdevoll seinen Arm um den Leib der Matrone. Da Frau Corney erklärt hatte, sie werde schreien, so hätte sie es auch sicher getan, wenn nicht ein Klopfen an die Tür eine solche Anstrengung überflüssig gemacht hätte. Herr Bumble sprang hastig auf und fing mit großem Eifer an, die Portweinflaschen abzustauben, während die Matrone mit scharfer Stimme „Herein!“ rief. Eine abschreckend häßliche, alte Armenhäuslerin steckte den Kopf durch die Tür und sagte: „Ich bitte um Verzeihung, Frau Corney, die alte Sally liegt im Sterben.“

„Was geht mich das an?“ sagte die Matrone ärgerlich, „kann ich es ändern, wie?“

„Nein“, sagte die alte Frau, „niemand kann das. Menschliche Hilfe kann ihr nichts mehr nützen. Aber sie hat noch etwas auf dem Herzen, so sagt sie, sie habe Ihnen noch etwas anzuvertrauen und könne nicht ruhig sterben, bis sie es Ihnen gesagt habe.“

Nun fing die würdige Frau Corney an, mächtig auf die alten Weiber zu schimpfen, die nicht mal sterben könnten, ohne ihre Vorgesetzten absichtlich zu belästigen. Sie wickelte sich in einen dicken Schal und bat Herrn Bumble zu bleiben, bis sie wiederkäme. Dann ging sie mit der alten Frau keifend aus dem Zimmer.

Als Herr Bumble allein war, benahm er sich auf eine ziemlich eigentümliche Weise. Er öffnete den Schrank und zählte die Teelöffel, wog die Zuckerzange in der Hand, dann prüfte er eine silberne Milchkanne auf ihre Echtheit. Nachdem er so seine Neugierde befriedigt hatte, setzte er seinen Dreispitz schief auf den Kopf und tanzte etlichemal mit vielem Anstand um den Tisch herum. Nach dieser Tanzaufführung nahm er seinen Hut wieder ab und lehnte sich gegen den Kamin. Er schien im Geiste eine Bestandaufnahme von dem im Zimmer befindlichen Mobiliar zu machen.

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