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Kapitel 5

»Was machst du hier?«, erkundigte sich Patt, als Ray ganz unerwartet im Büro auftauchte und eifrig mit seinem Stuhl an den Schreibtisch heranrollte.

»Arbeiten, was sonst! Wir haben einen Job zu erledigen, schon vergessen?« Ray sah ziemlich fertig aus. Dunkle Augenringe kennzeichneten sein ausgemergeltes Gesicht und die blasse Haut spannte sich straff über seine kantigen Wangenknochen.

»Bist du sicher, dass du das schon schaffst? Geht’s dir auch wirklich gut?«, hinterfragte Patt zaghaft.

»Klar, alles bestens. Mir fehlt nur etwas Schlaf.«

Sie kannte ihn viel zu gut und spürte gleich, dass er ganz und gar nicht in Ordnung war. Aber gerade weil sie ihn so gut kannte, wusste sie, dass man mit Druck bei ihm nicht weiterkam.

Als Ray damals in ihr Leben stolperte, war er ein verunsicherter Junge gewesen, der nicht wusste, wer er war und was das Leben für ihn bereithalten mochte. Der nicht klarkam mit dem, was das Schicksal ihm an großartigen Geschenken darbot.

Nach außen gab er sich selbstbewusst und tapfer, aber im Inneren war er leer und zerfressen und sehnte sich nach Zuneigung. Patt gab Ray nie das Gefühl, schwach oder verrückt zu sein. Sie gab ihm jenes Zuhause, welches er sich erträumte. Hauchte seinem traurigen Dasein wieder Leben ein und unterstützte ihn mit solch einer Hingabe, dass es ihn tief bewegte.

Er hatte ihr nie gesagt, wie wichtig sie ihm war und das wäre auch nicht nötig gewesen. Denn sie fühlte es in jedem Augenblick, den sie zusammen verbrachten. Sie verlangte keinen Dank dafür. Sie wollte einfach nur, dass er glücklich war.

»Na gut, mein Lieber, dann legen wir mal los«, instruierte sie Ray und legte ihm einen Umschlag auf den Tisch. »Das kam heute früh per Kurier. Dreimal darfst du raten von wem.« Das braune Kuvert trug Dooleys Firmenanschrift als Absender.

»Das nenne ich mal geschäftstüchtig«, bemerkte Ray sichtlich beeindruckt. Er öffnete den Umschlag und zog zunächst ein schwarzes Prepaid-Handy hervor. Als nächstes kam eine prall gefüllte Akte zum Vorschein. Ganz oben drauf klemmte ein Brief, der an Ray gerichtet war:

Mr. Fox,

hier erhalten Sie wie vereinbart den ersten Auftrag. Ich erwarte, dass Sie die Person auf dem Foto für mich ausfindig machen. Nähere Informationen entnehmen Sie dem Dossier. Rufen Sie mich an, wenn Sie meine Post erhalten haben. Benutzen Sie ausschließlich das beiliegende Telefon, um mich zu kontaktieren. Meine Nummer ist in der Wahlwiederholung gespeichert.

J. Dooley

PS: Einen Scheck für die Anzahlung finden Sie ebenfalls im Umschlag.

Ray und Patt wechselten einen überraschten Blick.

»Ich soll eine Person finden? Hat er vergessen, dass ich Immobilien suche und keine Menschen?«

Patt zuckte nur verständnislos mit den Schultern und wühlte weiter im Umschlag. »Schau doch erst mal in die Akte.«

Ray schlug die erste Seite auf und erspähte das Foto eines Mannes, welches mit einer silbernen Büroklammer befestigt war. Er hatte ein sehr eklatantes Gesicht und musste um die Dreißig sein. Die goldblonden Haare fielen ihm zottelig bis zum Kinn und trotz des ungepflegten Äußeren, war er keineswegs unansehnlich. Im Gegenteil, er sah sogar außerordentlich gut aus für einen Mann seines Kalibers.

Das Bild zeigte ihn nachts auf einem Parkplatz und es erweckte nicht den Eindruck, als hätte er sich freiwillig zum Fotoshooting gemeldet. Gestrüpp ragte weit in die Aufnahme hinein, als hätte sich der Fotograf in einem Busch versteckt, was vermutlich die beste Entscheidung seines Lebens gewesen war. Denn dem massiven Körperbau nach zu urteilen, war dieser Typ im Zuhälter- oder Drogenmilieu zu Hause. Ganz wahrscheinlich sogar schloss das eine das andere nicht aus.

Der Riese reichte weit über das Dach des schwarz-glänzenden SUVs hinaus und hinterließ den Eindruck eines ranghohen Mitglieds der russischen Mafia. Groß, blond und mit derart skrupellosem Look, erfüllte er alle Klischees beispiellos.

Ray blätterte eine Seite weiter und las verschiedene Firmennamen, die nach Prioritäten aufgelistet waren. Ganz oben und fett unterstrichen stand das Unternehmen G.R.E.Genoir Real Estate.

»Das ist die erfolgreichste Immobilienfirma neben Dooleys Imperium«, raunte Ray perplex. Auf den folgenden Seiten fanden sich Stadtpläne mit unterschiedlichen Markierungen, die zusätzlich mit Daten und Uhrzeiten versehen waren. Alles in allem sah es aus wie ein Bewegungsprotokoll und es handelte sich offenkundig um einen Observationsbericht über den Mann, den er aufspüren sollte.

Bei genauerem Hinsehen begriff Ray, dass die Daten schon Jahre zurücklagen und 2008 abrupt endeten.

»Was soll ich denn damit anfangen? Ich ruf Dooley jetzt an und sag ihm, er kann sich seinen Auftrag sonst wohin schieben!«, donnerte Ray und knallte die Akte harsch auf den Tisch.

»Warte …«, bat Patt und hielt ihm den Scheck unter die Nase, den sie soeben aus dem Umschlag gefischt hatte.

Ray stieß einen Pfiff von sich, als er auf die Beschriftung des Wertpapiers stierte.

»Patt, wie viele Nullen sind das?« Ray sah aus, als hätte er eins mit der Bratpfanne übergezogen bekommen.

»Fünf … es ist eine Fünf mit fünf Nullen. Im Grunde genommen sind es Sieben, wenn man die Nachkommastellen mitzählt.«

Patt kreischte. »500.000 Dollar!!!« Sie zog ihn vom Stuhl hoch und wirbelte mit ihm durch den Raum.

Ray blieb unvermittelt stehen und stoppte Patts Ausdruckstanz.

»Wir können das Geld nicht annehmen!«

»Das ist nicht dein Ernst? Weißt du, was wir damit alles machen könnten? Ich könnte endlich meine Wohnung abbezahlen. Wir kämen raus aus diesem Viertel, könnten das Geschäft neu aufziehen und du könntest endlich nach ihr suchen!«

Auf dieses Spielchen würde er sich nicht einlassen. »Oh nein, komm mir jetzt bloß nicht damit!«

Sie schlich arglistig um ihn herum, schlang die Arme von hinten um seine Brust und streckte sich, um ihr Kinn auf seiner Schulter abzulegen.

Patt war mit ihren 1,78 m eine recht große Frau, dennoch hatte sie Mühe, an ihn heranzureichen.

Auf Zehenspitzen balancierend und mit samtener Stimme flüsterte sie in sein Ohr: »Ray, seit deiner Jugend denkst du an sie. Du träumst von ihr – jede Nacht. Und jetzt hast du endlich die Chance, sie zu suchen. Du könntest sie wiedersehen und ihr all die unbeantworteten Fragen stellen, die dich schon so lange beschäftigen.«

»Nein!« Rays Herz machte einen Satz beim bloßen Gedanken daran.

Wie einen Brummkreisel drehte Patt ihn zu sich, packte Ray am Kragen und legte ihren herzerweichenden Katzenbabyblick auf. Diese Geheimwaffe rettete sie schon vor so manchem Strafzettel.

»O Gott, sieh mich nicht so an. Hör auf – sofort! Du weißt genau, dass ich das nicht ertragen kann.« Sie klimperte mit ihren falschen Wimpern und Ray fühlte seine Beharrlichkeit unter ihrem Blick schmelzen wie Schokolade in der Sonne.

»Ich habe dir doch erzählt, was er getan hat. Er braucht etwas ganz anderes als einen Geschäftspartner.«

Patt nickte. »Da stimme ich dir zu, aber denkst du nicht, wir sollten das Geld mitnehmen? Du kannst dich später um Dooley kümmern. Und damit meine ich, ihn der Polizei auszuliefern! Haben wir uns da verstanden, junger Mann?«

Ray konnte wieder lachen.

»Jaaaa Mom!«

»Pass auf, ich habe einen Plan«, informierte sie ihn resolut. Patt setzte sich siegessicher auf ihren Stuhl und schlug die langen Beine elegant übereinander. »Ich habe einen guten Freund bei der Polizei, der mir noch einen Gefallen schuldet.«

Ray verzog seinen Mund zu einem schiefen Schmunzeln. »Einen guten Freund, aha!«

Sie blickte mit gespitzten Lippen auf ihre Fingernägel, als wollte sie frisch aufgetragenen Nagellack trocken pusten.

»Was genau schuldet er dir denn, dein Freund?«

»Sagen wir, ich war ihm mal sehr gefällig und es wird Zeit, dass er sich revanchiert.« Patts Augenbrauen sprangen hoch und runter.

»Alles klar, ich will’s also nicht wissen …«

Wurde Ray etwa rot im Gesicht? »Ich werde ihn bitten, sich um Dooley zu kümmern. Er kann ihn Tag und Nacht überwachen lassen und wir können getrost den Auftrag erledigen.«

Ray steckte in einem Dilemma. Aber Patt hatte recht. Es wäre verdammt dumm, das Geld auszuschlagen. »Also gut, wir machen es«, gab er sich geschlagen und hielt sich rechtzeitig die Ohren zu, als sie vor Freude loskreischte wie eine Furie. »Los, jetzt ruf ihn an!«

Ray schnappte sich das Handy, platzierte es jedoch unmittelbar wieder auf dem Tisch und legte sich die gefalteten Hände an den Mund.

»Was ist?«, fragte Patt mit einem besorgten Ausdruck im Gesicht.

»Es ist nicht die eklige Schmalzlocke vom Polizeiball, oder? Bitte lass es nicht die Schmalzlocke sein …«

Blitzschnell warf sie einen Kuli nach ihm, den er zielsicher auffing, ohne seinen Blick von ihr abzuwenden. »Ruf an!«, befahl sie erneut.

Ray drückte die Wahlwiederholung und atmete noch einmal tief durch. Er hasste diese schleimige Kröte, durfte sich das aber keinesfalls anmerken lassen.

»Anscheinend haben Sie meine Post erhalten«, hallte es autoritär aus dem Hörer.

»Was soll der Scheiß, Dooley. Ich …« Diesmal kam ein Locher geflogen, womit Patt zu verstehen gab, dass er einen anderen Ton anschlagen sollte.

»Mr. Dooley, ich bin kein Privatdetektiv. Wieso glauben Sie, bin ich der Richtige für diese Art von Arbeit?«

»Ich weiß es einfach und vertraue in Ihre besonderen Fähigkeiten. Belassen wir es dabei.« Was wusste Dooley schon von seinen Fähigkeiten.

»Aber nun mal zum Wesentlichen. Wie Sie den Unterlagen entnehmen konnten, möchte ich, dass Sie die Person auf dem Foto finden. Vor Jahren habe ich seine Spur verloren, doch meine Spatzen pfeifen, dass er wieder in der Stadt ist. Meine Leute haben rausgefunden, dass er immer noch in Verbindung zu den Firmen steht, die ich Ihnen aufgelistet habe. Finden Sie den Mann und sagen Sie mir, wo er sich aufhält.«

Ray war misstrauisch.

»Und dann? Was passiert, wenn ich ihn gefunden habe?«

»Dann rufen Sie mich an und Sie können den Auftrag als erledigt betrachten.«

»Und dafür zahlen Sie mir 500.000 Dollar?« Ray fiel es schwer, unbeeindruckt zu klingen.

»Das ist die Anzahlung. Wenn Sie ihn gefunden haben, gibt es noch mal so viel«, versicherte Dooley und Ray verschlug es beinahe die Sprache.

»Was hat der Typ denn ausgefressen, die Präsidententochter entführt?«

»Das lassen Sie mal meine Sorge sein. Machen Sie einfach Ihre Arbeit und gehen Sie absolut vorsichtig an die Sache ran. Der Mann ist äußerst gefährlich. Bleiben Sie im Hintergrund und unsichtbar! Ach ja, und ich verlasse mich selbstverständlich auf Ihre Diskretion.«

Dooley legte auf und Ray sah aus wie ein begossener Pudel. Schön, dass wenigstens Patt darüber lachen konnte. »Komm schon, du bist ein Profi«, redete sie ihm ins Gewissen und mobilisierte seinen Geschäftssinn.

»Du hast es so gewollt, Patt … dann zack zack. Du rufst deine Schmalz… ähm … deinen Freund an und ich mach mich auf die Suche. Bleib bitte in Bereitschaft, falls ich dich brauche«, wies er sie an und bummelte zur Tür.

»Warte, willst du denn nicht die Unterlagen mitnehmen?« Ray tippte mit dem Finger gegen seine Schläfe und Patt wusste sofort, was er sagen wollte. »Aber natürlich, alles schon auf deiner Festplatte gespeichert. Verstehe, Superhirn.«

Ray verließ das Büro und hatte keinen Plan, wo er anfangen sollte. Sein Magen rumorte mal wieder nach Aufmerksamkeit, also fuhr er zum Burgergrill in Glendale und bestellte das Größte, was sie auf der Karte hatten. So viel Zeit musste sein. Ein leerer Bauch observiert nicht gern oder wie war noch gleich das Sprichwort?

Wo hatte er sich da nur wieder reingeritten? Die letzten zwei Tage waren total verrückt gewesen und er befürchtete, dass sich sein Leben von „beschissen“ zu „extrem beschissen ohne Aussicht auf Besserung“ entwickelte. Als sein murrender Magen endlich Ruhe gab, machte er sich umgehend auf den Weg zu der ersten Firma auf Dooleys Liste.

Vergessenes Blut

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