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1 Auf den Spuren der Evolution
Das antike und das mittelalterliche Weltbild
Die moderne Evolutionsbiologie ist in mancher Hinsicht der krönende Abschluss der wissenschaftlichen Revolution, die im 15. und 16. Jahrhundert mit Forschern wie Kopernikus und Galilei ihren Anfang nahm. Sie fand zuerst in der Astronomie, der Physik und der Mechanik statt, Disziplinen, die sich mit der Erforschung der Himmelskörper und den Eigenschaften unbelebter Materie befassen. Man entdeckte, dass die Bewegungen der Himmelskörper und anderer physikalischer Objekte natürlichen und quantitativ beschreibbaren Gesetzmäßigkeiten gehorchen. Im 19. Jahrhundert zeigte Darwin, dass auch die Entstehung und Entwicklung des Lebens das Resultat eines natürlichen, sich gesetzmäßig vollziehenden Prozesses ist. Um diese Leistung einordnen zu können, ist ein kurzer Abriss der abendländischen Wissenschaft sinnvoll.
Im 3. und 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung waren die beiden größten Denker des klassischen Altertums, Platon und Aristoteles, der Ansicht, dass die Erde unbeweglich im Mittelpunkt des Universums ruht und die Himmelskörper sie umkreisen (geozentrisches Weltbild). Das Universum war in zwei hierarchisch gegliederte, völlig verschiedene Sphären unterteilt, das Irdische und das Himmlische. Die Erde gehörte dem Bereich unterhalb der Sphäre des Mondes an und war durch Unvollkommenheit und Vergänglichkeit kennzeichnet. Plato zufolge sind alle irdischen Dinge nur schwache Abbilder ewiger Ideen oder Formen. In der sublunaren Sphäre besteht alles aus den vier Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer. Jedem dieser Elemente ist ein natürlicher Ort zugewiesen, zu dem sie hinstreben. Die Erde befindet sich im Weltzentrum an ihrem natürlichen Ort. Deshalb fällt ein Stein zu Boden, seinem Ruhepunkt entgegen. Nach Aristoteles strebt alles zu seiner letztendlichen Bestimmung. Der natürliche Ort des Elements Wasser ist die Erdoberfläche, Luft und Feuer haben das Bestreben, sich zu ihren natürlichen Orten im oberen Teil der Atmosphäre hinzubewegen. Das ist der Grund dafür, dass Flammen emporsteigen.
Jenseits der Bahn des Mondes beginnen die Himmelssphären der Sterne und Planeten (Wandelsterne), in denen völlig andere Gesetze herrschen. Dort ist alles vollkommen und unveränderlich. Die Himmelskörper bewegen sich in gleichförmigen, ewigen Kreisbahnen um die Erde. Sie bestehen aus dem Element Äther, auch die fünfte Substanz oder Quintessenz genannt. Die äußerste Sphäre der Fixsterne wird nach Aristoteles von einem „ersten“ oder „unbewegten Beweger“ in Gang gesetzt. Diese göttliche Instanz ist zugleich ihre eigene Ursache. Platon spricht in diesem Zusammenhang von einem Demiurgen oder göttlichen Baumeister, der die Erde und den gesamten Kosmos gestaltete. Nicht nur im Universum, sondern auch auf der Erde selbst lässt sich den griechischen Philosophen zufolge eine hierarchische Ordnung, eine Rangordnung von unten nach oben erkennen. Auf der untersten Stufe befindet sich die unbelebte Materie, die nächsthöhere Stufe nehmen die Pflanzen ein, dann folgen die Tiere und schließlich der Mensch. In dieser sogenannten Scala naturae, der großen Stufenleiter oder Kette des Seins, wird der Wirklichkeit eine natürliche und unveränderliche Ordnung zugewiesen. Im Hellenismus wurde die geozentrische Kosmologie des Aristoteles von dem Astronomen Ptolemaios aus Alexandria (2. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung) weiter verfeinert. Er führte unter anderem sogenannte „Epizykel“ oder Hilfskreise ein, um die Bewegungen der Planeten zu erklären.
Das antike, aristotelische Weltbild war an Teleologie (griechisch telos = Ziel) oder Zweckbestimmung ausgerichtet. Alles strebt der Verwirklichung des ihm eigenen Zweckes oder Zieles zu. Zwar unterschied Aristoteles mehrere Arten von Ursachen (darunter die Wirkursache, ein noch heute gültiges Konzept), aber die Final- oder Zweckursache war seines Erachtens die wichtigste. Teleologie erklärt nicht nur, warum Steine fallen und Feuer emporsteigt, sondern auch, wie sich etwas aus einem Keim entwickelt. Teleologie erklärt, warum ein Kind erwachsen wird, eine Raupe sich in einen Schmetterling verwandelt und eine Buchecker zu einer Buche heranwächst und so weiter. Diese Beispiele zeigen, dass die Zweckursache sich besonders dafür eignet, die Veränderungen in der lebenden Natur zu erklären.
Unser heutiges Konzept der biologischen „Funktion“ spiegelt noch immer diese zweckgerichtete Interpretation der Natur wider. So sagen wir zum Beispiel, das Herz habe die Funktion (den Zweck), das Blut durch den Körper zu pumpen, oder die Tarnfarbe der Tiere habe die Funktion (den Zweck), Raub- und Beutetiere zu täuschen. Funktionale Eigenschaften dienen einem Zweck, sie sollen einen gewünschten Zustand herbeiführen oder erhalten. Doch heute würde ein Biologe sagen, dass nicht eine immanente Form das bewegende Prinzip ist, sondern ein genetisches Programm, das sich im Lauf der Evolution herausgebildet hat. Aristoteles war nicht nur ein großer Philosoph, sondern auch ein bedeutender Biologe, der zahlreiche wichtige Entdeckungen gemacht hat. Seine Überzeugung, dass auch die unbelebte Natur auf ein Ziel oder eine Bestimmung zustrebt, wird jedoch heute nicht mehr unterschrieben.
In der Spätantike christianisierte der Kirchenvater Augustinus (4. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung) Platons Demiurgen und Aristoteles’ unbewegten Beweger. Das Weltbild der Antike und die Scala naturae wurden so der Theologie einverleibt. Die Erde und alle ihre Geschöpfe sind demnach von Gott erschaffen. Die lebende Natur verkörpert die Vollkommenheit der Schöpfung, denn alle Pflanzen- und Tierarten besitzen eine bestimmte Essenz. Die biologischen Arten wurden daher für ewig und unverändlich gehalten, da Gott keine halbe Arbeit verrichte. Die einzelnen Organismen kommen und gehen, doch die Gattung ändert sich nie. Während des Mittelalters blieb das klassische, hierarchisch geordnete Weltbild größtenteils intakt. Gott hat den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen und ihm die Erde anvertraut. Im Mittelalter findet auch das Design-Argument erstmals ausdrücklich Erwähnung. Die Ordnung im Universum und namentlich die funktionale Zweckmäßigkeit und Komplexität der lebenden Natur lassen auf einen intelligenten Planer oder Baumeister schließen, wie man beispielsweise an Bau und Funktion eines Sinnesorgans wie dem Auge sehen kann.
Im 13. Jahrhundert reiht der Theologe und Philosoph Thomas von Aquin das Design-Argument unter die Gottesbeweise ein. Alles in der Welt ist zielgerichtet und auf Zweckmäßigkeit angelegt, das lässt nur den Schluss zu, dass Gott existiert und die Welt so eingerichtet hat. Charakteristisch für das sogenannte scholastische Denken des Mittelalters ist die Rolle, die Dogma und Autorität spielen. Die Aussagen der Bibel oder des Aristoteles bedürfen keiner experimentellen Überprüfung. In den Fällen, wo Philosophie und Bibel einander widersprechen, hat Letztere immer Recht. Im Mittelalter galt Aristoteles als grundlegende Autorität in naturkundlichen Fragen. Bedauerlich war nur, dass er ein „Heide“ war.