Читать книгу Evolutionär denken - Chris Buskes - Страница 15
Naturtheologie
ОглавлениеDie wissenschaftliche Revolution vollzog sich hauptsächlich in den Wissenschaftszweigen, die die unbelebte Natur erforschten, wie Astronomie und Mechanik. Man konnte nunmehr die Natur und Bewegung der Gestirne verstehen, ohne göttliche Kräfte anzunehmen. Anders verhielt es sich mit der organischen Welt. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein gingen Philosophen und Wissenschaftler davon aus, die Komplexität und Funktionalität der Lebewesen verrate die Hand eines göttlichen Schöpfers. So behielt das Design-Argument unverändert seine Gültigkeit. Einer seiner populärsten Verfechter war der anglikanische Geistliche und Gelehrte William Paley. In seinem 1802 erschienenen Buch Natural theology: or evidence of the existence and attributes of the deity collected from the appearences of nature legte er dar, dass wir die Existenz Gottes von der Beobachtung der Natur ableiten können. Man nennt diese Strömung daher auch Naturtheologie. Angenommen, argumentiert Paley, man stößt auf einem Feld mit dem Fuß gegen einen Stein. Man wird sich dann nicht die Frage stellen, wie der Stein dorthin kam und wie er entstanden ist. Anders verhält es sich, wenn man auf dem Feld eine Taschenuhr findet. Denn eine Uhr setzt jemanden voraus, der sie hergestellt hat. Jeder Entwurf setzt einen Entwerfer voraus. Wie viel mehr gelte dies, meint Paley, für die Lebewesen, denen wir auf dem Feld begegnen. Noch der einfachste Organismus sei um ein Vielfaches komplexer als eine noch so kunstvoll gestaltete Uhr. Nur ein intelligenter Schöpfer könne die vielfältigen Lebewesen entworfen haben, sie könnten nicht durch Zufall entstanden sein.
Paley und andere Vertreter der Naturtheologie führen gern als Beispiel das Auge an, dessen wunderbare Konstruktion nur den Schluss zulasse, dass ihr ein Plan zugrunde liegt. Wie alle Wirbeltiere besitzt der Mensch kameraähnliche Augen mit allem, was dazugehört: Linse (Hornhaut), Blende (Pupille), Auslöser (Augenlid) und lichtempfindliches Material (Netzhaut). Aber es gibt auch andere Entwürfe. Insekten beispielsweise haben Facettenaugen, die in ihrer Komplexität dem Linsenauge in nichts nachstehen. Paley war der Ansicht, solche hochkomplexen Organe wie das Auge könnten nicht mir nichts, dir nichts entstanden sein. Noch heute wird das Beispiel des Auges von Gegnern der Evolutionstheorie gern ins Feld geführt, um die Unhaltbarkeit der Darwin’schen Theorie zu demonstrieren. Sie betonen immer wieder den Zufallscharakter der Evolution, der die Entstehung komplexer Gebilde ausschließe. (Als „komplex“ bezeichnet man ein organisiertes, funktionstüchtiges „System“, das aus mehreren, genau aufeinander abgestimmten Komponenten besteht.) Das Gestaltungsargument taucht in verschiedenen Abwandlungen auf. Angenommen, ein Tornado fegt über eine Deponie mit Flugzeugteilen. Wie groß ist die Chance, dass er einen flugfähigen Jumbojet zusammensetzt? Oder: Ein Affe sitzt an einer Schreibmaschine und hämmert auf die Tasten. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass er ein Theaterstück von Shakespeare zustande bringt? Und so weiter.
Als Darwin 1827 sein Medizinstudium in Edinburgh abbrach, um von 1828 bis 1831 in Cambridge Theologie und alte Sprachen zu studieren, befasste er sich intensiv mit William Paleys Naturtheologie. Er kannte seine Bücher fast auswendig. Er konnte nicht ahnen, dass er einmal derjenige sein würde, der das Design-Argument umstoßen sollte. Denn ein komplexer Entwurf ist nicht notwendigerweise von einem intelligenten Planer abhängig. Wir werden sehen, dass Komplexität auch durch einen blinden, nicht zielgerichteten natürlichen Prozess entstehen kann.