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Der Kampf um das Dasein

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Die Veränderlichkeit der Arten stand für Darwin nun außer Zweifel, was aber war die treibende Kraft der Evolution? Eine Zeitlang teilte er Lamarcks Ansicht, Arten entwickelten sich durch ein „inneres Streben“ nach Vollkommenheit, doch diese Erklärung befriedigte ihn nicht. Aus seinen Notizbüchern aus dem Jahr 1837 geht hervor, dass er sich für die Variation unter domestizierten Tieren und kultivierten Pflanzen zu interessieren begann. Tierzüchtern war es gelungen, durch Zuchtwahl eine unerhörte Vielfalt an Hunde-und Taubenrassen zu erreichen. Das Gleiche galt für agrarische Gewächse, wie die verschiedenen Arten der Getreide- und Kohlfamilie bewiesen. Diese Rassen waren durch künstliche Selektion aus einer Art „Urtypus“ hervorgegangen. Über Jahrhunderte, ja Jahrtausende hatten Züchter die jeweils erwünschten Eigenschaften bestimmter Tiere und Pflanzen selektiert. Das Ergebnis war ein verblüffender Reichtum an Pflanzen- und Tierrassen. Darwin grübelte über die Frage nach, wie dieses Selektionsprinzip auf Organismen in ihrem natürlichen Lebensraum angewandt werden könnte. Wer oder was bewirkte die Selektion in nicht vom Menschen kontrollierten Populationen? Und vor allem: Wie entstanden neue Arten?

Auf die Lösung des Rätsels stieß Darwin mehr oder weniger zufällig, als er im September 1838, ein Jahr nachdem er mit seinen geheimen Forschungen angefangen hatte, zur Entspannung den Essay on the principle of Population (Essay über das Bevölkerungsgesetz) des britischen Ökonomen Thomas Malthus las. In diesem 1798 erschienenen Werk zeigt Malthus, dass die Bevölkerung nie im gleichen Tempo zunimmt wie der zur Verfügung stehende Lebensraum und das Nahrungsangebot. Populationen haben die Neigung, viel schneller zu wachsen, als sie ernährt werden können. Das Resultat ist nach Malthus’ Ansicht ein unvermeidlicher Kampf ums Dasein (struggle for existence), wobei Kriege, Epidemien und Hungersnöte das Ihre dazu beitragen, die Bevölkerung wieder auf einen angemessenen Umfang zu reduzieren. Nun fügten sich die einzelnen Teile des Puzzles zu einem Gesamtbild zusammen. Natürliche Selektion war die treibende Kraft des Evolutionsprozesses. Darwin hatte beobachtet, dass die Individuen einer Population in der Regel kleine Unterschiede aufweisen, beispielsweise in der Farbe, Größe, Fruchtbarkeit, Resistenz gegen Krankheiten und so weiter. In dieser Variabilität nun sah Darwin die Triebkraft der Evolution. Eine vorteilhafte Variation wird durch natürliche Selektion in dem Sinne belohnt, dass ihr Besitzer bessere Überlebens- und Reproduktionschancen hat und sie an seine Nachkommen weitergibt. Ungünstige Variationen werden durch natürliche Selektion „bestraft“, da ihre Träger früher sterben oder im Schnitt weniger Nachkommen hervorbringen. Das bedeutet, dass eine Population sich allmählich ändern kann. Da die Träger vorteilhafter Eigenschaften oder Merkmale durchschnittlich mehr Nachkommen produzieren, werden sich diese nach und nach in der Population ausbreiten. Erbliche Variation und natürliche Selektion machen Populationen auf diese Weise zu flexiblen Einheiten, die sich verändernden Umweltbedingungen anpassen können.

Es sei hier noch einmal daran erinnert, dass diese Sichtweise Darwins einen radikalen Bruch mit dem Essentialismus bedeutete, demzufolge die Natur aus unveränderlichen Essenzen oder platonischen Formen besteht. Von der Antike bis ins 19. Jahrhundert war diese Vorstellung unter Naturforschern weitverbreitet. Darwin bereitete dieser Tradition ein Ende. Nicht Gleichförmigkeit ist ihm zufolge die Regel, sondern Variabilität: Individuen, die zur selben Art gehören, sind niemals gleich. Und was noch wichtiger ist: Arten sind nicht statisch, sondern veränderlich.

Man sollte erwarten, dass sich Darwin seiner Sache nun sicher war. Mit dem von ihm zusammengetragenen Material, das aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln den Artenwandel belegte, und mit dem Prinzip der natürlichen Selektion als evolutionärem Mechanismus müsste er die Öffentlichkeit und die wissenschaftliche Gemeinschaft überzeugen können. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Darwin war sich seiner Sache keinesfalls sicher und zögerte die Veröffentlichung seiner kontroversen Ideen immer wieder hinaus. Hinzu kam, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechterte und ihn immer öfter zwang, Pausen einzulegen. Am 29. Januar 1839 heiratete er seine Kusine Emma Wedgwood. Im gleichen Jahr wurde er in die Royal Society, die britische Wissenschaftsakademie, aufgenommen und veröffentlichte er sein erstes Buch, Journal of researches, das Tagebuch seiner Beobachtungen während seiner Weltumseglung. 1842 zog die Familie aus dem lauten London in ein ruhiges Landhaus in der Ortschaft Down unweit von Sevenoaks in der Grafschaft Kent. Inzwischen waren zwei Kinder zur Welt gekommen. In Down sollten noch acht weitere hinzukommen, von denen eines bei der Geburt starb. Sein ganzes weiteres Leben verließ der kränkelnde Darwin das Haus kaum noch. Doch obwohl er das Leben eines halben Invaliden führte, setzte er seine Arbeit unverdrossen fort.

Die Jahre vergingen, und Darwins Manuskript nahm beständig an Umfang zu. Das Werk, das den Titel Natural Selection tragen sollte, bestand inzwischen aus mehreren handgeschriebenen Teilen. Darwin feilte unermüdlich an seinen Argumenten und ergänzte das Beweismaterial um neue Details, Betrachtungen und Überlegungen. Doch ein tragisches Ereignis überschattete das Jahr 1851: Am 23. April starb Darwins Lieblingstochter Anne Elizabeth (Annie) mit zehn Jahren an einer Infektionskrankheit. Darwin sollte sich nie ganz von diesem Schlag erholen, der Tod seiner Tochter ließ ihn endgültig den Glauben an Gott verlieren. Im selben Jahr, in dem Annie starb, lernte Darwin den Arzt und Philosophen Thomas Henry Huxley kennen, der einer seiner treusten Freunde werden sollte. Darwins Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. Er litt unter Ekzemen, Darmkrämpfen, Schwächeanfällen, Kopfschmerzen, Herzklopfen und Übelkeit. Wie seine kränkelnden Zeitgenossen Charles Dickens und Alfred Tennyson suchte er Linderung bei der damals sehr beliebten Hydropathie, einer Kur, die hauptsächlich aus Kaltwasserbädern bestand. Es wurde im Lauf der Zeit viel über Darwins mysteriöses Krankheitsbild spekuliert. Hatte er sich etwa in Argentinien eine Infektionskrankheit zugezogen? Allerdings hatten sich die Symptome auch schon kurz vor der Reise manifestiert. Die Beschwerden waren wohl eher psychosomatischer Natur, ausgelöst durch den ständigen Druck, der mit seiner Arbeit zusammenhing.

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