Читать книгу Königsfalke - Chris Svartbeck - Страница 7
ОглавлениеSpielereien
Tolioro hielt sein Pony an und sah aus verkniffenen Augen über das Spielfeld. Es sah so aus, als würde seine Seite schon wieder verlieren. Er war sich sicher, dass er die bessere Mannschaft hatte. Schließlich war er der Kronprinz. Seine Ausbilder hätten nie gewagt, ihm die besten Spieler zu verweigern. Trotzdem schien Ioro schon wieder zu siegen. Er war einfach der bessere Taktiker. Ganz der zukünftige Feldherr. Und er war der bessere Spieler – ganz zu schweigen davon, dass Ioro ein ganzes Jahr älter war. Tolioro schob die Unterlippe vor und schnob wütend. Trotzdem! Er würde schließlich einmal König sein. Wie konnte Ioro es wagen, seinen zukünftigen König verlieren zu lassen! Harsch bellte er einen Befehl, und seine Mannschaft galoppierte los.
Am Abend bat Miomio ihren königlichen Sohn um einen Besuch. Ioro fegte pünktlich zur Eulenstunde lachend herein und fiel ihr um den Hals. „Wir haben haushoch gewonnen, Mutter! Alle sagen, dass ich ein prima Feldherr werde! Du hättest mal sehen sollen, wie Falan den Sack durch das dritte Tor geworfen hat, der war nicht mehr zu halten! Und Cheroko hat ein tolles Pony. Ich habe Vater gebeten, meiner Mannschaft als Siegesprämie Ponys aus dieser Zuchtlinie zu schenken. Sie sind schnell, wirklich schnell! Damit könnte ich eine ganz neue Angriffsstrategie versuchen!”
Miomio unterdrückte einen Seufzer, führte ihren Sohn sanft, aber bestimmt zum Sofa und drückte ihn in die Polster. Sie klatschte in die Hände. Eine Dienerin brachte den gesüßten Limonentee und zog sich schweigend unter Verbeugungen wieder zurück. Miomio trank einen Schluck. Dann setzte sie das Teeglas wieder auf den ziselierten Silberteller und wartete, bis auch Ioro getrunken hatte.
„Ioro, mein königlicher Sohn, ich bin sicher, dass du der beste Feldherr aller Zeiten wirst. Aber ein Feldherr muss seinen König unter allen Umständen zufrieden stellen!“
„Vater war sehr zufrieden!“, unterbrach Ioro sie eifrig.
„Dein Vater wird nicht der König sein, für den du als Feldherr kämpfst. Dein König wird Tolioromehme sein. Gib acht mit dem, was du tust. Im Feld kannst du gewinnen, soviel du willst. Das kann Tolioromehmes Ruhm nur steigern. Aber im Spiel muss der zukünftige König gewinnen. Nicht immer, aber zumindest häufig genug. Er verliert sonst sein Gesicht. Es ist schlecht, wenn ein König sein Gesicht verliert. Es ist noch schlechter, wenn er seinem Feldherren deswegen grollt.“
Ioro wurde ganz still. Nach kurzem Überlegen fragte er: „Wäre es sinnvoll, die neuen Ponys Tolioro für seine Mannschaft zu schenken?“
Miomio umarmte ihn kurz. „Du denkst jetzt schon wie ein großer Feldherr. Ja, ich denke, das wäre eine gute Idee.“
Tolioro ballte die Fäuste. Wie erniedrigend, dass Ioro ihm schnellere Ponys schenkte. Deutlicher hätte sein älterer Bruder ihm nicht unter die Nase reiben können, wie schlecht er spielte. Er spuckte aus. In diesem Moment hasste er Ioro mit aller Kraft seiner elf Regenzeiten. Steif vor Ärger stolzierte er aus dem Stall.
Im Hinausgehen bellte er den Stallmeister an: „Die neuen Ponys taugen nichts. Schlachte sie und verfüttere sie an meine Jagdhunde. Ich will die Tiere hier morgen nicht wieder sehen!“
Der Stallmeister verbeugte sich. Seine Miene blieb unbewegt, aber seine Hände zitterten.
*
Jokon saß über seinen Büchern und versuchte, die verblasste Handschrift mit der Beschreibung eines Bannzaubers für Schlangen zu entziffern. Seine Gedanken schweiften ab. Es wäre sicher interessant, mal einen Blick in den Turm zu tun... Erschrocken riss er sich zusammen und rief sich zur Ordnung. Niemand durfte sich ungebeten dem Turm nähern. Er versuchte, sich wieder auf seinen Text zu konzentrieren. Es war wie verhext, das Bild des Turmes schob sich immer wieder dazwischen. Zornig schlug Jokon das Buch zu, setzte sich aufrecht hin und schloss die Augen, um eine Konzentrationsübung durchzuführen. Als er die Augen ein paar Atemzüge später wieder öffnete, fand er sich auf dem Flur in Richtung Turm wieder. Wie war er hierhergekommen? Jokon geriet in Panik. Er wollte zurücklaufen. Aber seine Beine bewegten sich weiter in Richtung Turm. Jokon steuerte seinen widerspenstigen Körper zum nächsten Fenster und versuchte, sich an der Fensterbank festzuhalten. Es ging nicht. Seine Hände wollten nicht greifen. Sie waren weich wie warmes Wachs. Und seine Beine liefen einfach weiter. Der Turm hatte ihn eisern in seinem Griff. Da war auch schon der Durchgang. Seine Beine begannen, die Wendeltreppe hinaufzusteigen. Jokon keuchte, sein Herzschlag dröhnte in seinen Ohren. Er wollte schreien, um Hilfe rufen, aber nicht einmal das ging.
Auf halbem Weg nach oben schien aus einer geöffneten Türe in der Treppenwand ein Licht. Er konnte sich nicht erinnern, diese Türe bei seinem ersten Besuch im Turm gesehen zu haben. Dort hinein trugen ihn seine Beine. Verständnislos sah Jokon in den Raum. Er glich dem oberen Turmzimmer, war aber niedriger, und hatte kleinere Fenster. Am Kamin lehnte Nao, der älteste der drei Roten. Kai stand vor dem Tisch, in der Hand einen kleinen Spiegel mit gestieltem Griff, und musterte ihn mit zufriedener Miene, während Tur gerade einen großen Spiegel an der rechten Wand mit einem Wandbehang zudeckte, bevor auch er sich zu Jokon umdrehte. Endlich begriff Jokon. Er war einem Rufzauber gefolgt. Empörung und Schrecken stritten sich in ihm, während sein Körper an Ort und Stelle verharrte, immer noch unfähig zu einer bewussten Bewegung.
„Na sieh einer an, was für ein nettes Vögelchen ist uns da ins Nest geflattert!“, flötete Kai und kam näher. „Wollen wir doch mal sehen, ob er auch ein Kunststückchen kann.“ Mit diesen Worten legte sie ihre freie Hand auf die Spiegelfläche. Jokon war, als ob sich eine warme, feuchte Decke auf sein Gesicht legte. Er konnte nichts mehr sehen und glaubte zu ersticken. Eine Woge der Panik überkam ihn. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Dann war die dunkle Decke wieder weg und er nahm den Raum wieder wahr. „...nicht besonders“, hörte er Kai hinter sich sagen. Ihre Robe raschelte, sie machte irgend etwas. Dann stelle Jokon erleichtert fest, dass er sich wieder bewegen konnte. Sofort wollte er losbrüllen. Allein, seine Stimme war immer noch gefesselt.
Langsam schlug seine Angst in Wut um. Er drehte sich. Kai stand direkt hinter ihm. Mit einem verächtlichen Gesichtsausdruck sah sie auf ihn herab. „So“, bemerkte sie spöttisch, „das Vögelchen möchte mich am liebsten zerreißen! Na, da musst du schon etwas größere Krallen bekommen, Kleiner.“
„Gib acht“, hörte Jokon Naos dunkle Stimme im Hintergrund. „Seine Signatur ist stark. Sag nichts, was du irgendwann bereuen könntest!“
Kais Kopf flog hoch. „Wer hat ihn gebannt, ich oder du?“
„Du hast ihn gebannt, meine Liebe, elegant und effektiv wie immer“, mischte Tur sich ein und kam langsam näher, während Jokon unwillkürlich einige Schritte zur Seite machte. „Aber ich habe ihn gerufen. Ich denke, das gibt mir genauso viel Recht, mit ihm zu spielen, wie dir!“
Einen Moment funkelten die beiden Adepten sich, an. Dann machte Kai eine elegante kleine Verbeugung und sagte, sehr sanft: „Aber sicher doch, Tur, nicht im Traum würde ich daran denken, dir deinen Anteil zu verweigern!“
Ein scharfer Blick zur Seite: „Komm an den Tisch, kleines Vögelchen!“
Jokon wagte keinen Widerstand.
Auf dem Tisch lagen mehrere kleine Spiegel. „Mal sehen, welcher am besten mit dir harmoniert.“ Kai hantierte mit verschiedenen Spiegeln, hielt sie abwechselnd in seine Richtung und malte seltsame Zeichen mit dem Zeigefinger in die Luft. Der eine oder andere Spiegel leuchtete dabei leicht auf. Schließlich kam sie an einen kleinen Rundspiegel. Kaum, dass sie ihn berührte, flammte ein heller Lichtstrahl auf.
„Gute Resonanz!“, kam Naos Kommentar vom Kamin.
Tur beugte sich jetzt ebenfalls über den Tisch. „Diesen Spiegel habe ich gebunden!“
Einen Moment lang sah es aus, als ob Kai auf ihn losgehen würde, dann neigte sie wieder den Kopf und trat zurück. „Also gut. Heute gehört er dir.“
Tur nahm den Spiegel in beide Hände und richtete den Lichtstrahl genau auf Jokon aus. Jokon hatte das Gefühl, vor einem heißen Ofen zu stehen. Das Licht blendete ihn. Sein Gesicht und seine Hände schienen zu glühen. Dann wurde ihm kalt. Sehr kalt. Der Spiegel schien alle Wärme aus ihm herauszuziehen. Jokon verlor das Bewusstsein.
Als er wieder aufwachte, war es Nacht, und er lag im Flur. Seine Arme und Beine fühlten sich wie Brei an. In seinem Kopf tobte ein Gewitter. Er versuchte, aufzustehen, aber ihm wurde gleich wieder schwarz vor Augen. Schließlich kroch er auf allen Vieren zu seinem Zimmer.
In den nächsten Tagen war Jokon zu keinem noch so kleinen Zauber fähig. Tevi machte sich Sorgen um ihn und fragte ihm Löcher in den Bauch, was denn genau passiert sei. Jokon schwieg und starrte erbittert die Wand an. Schließlich holte Tevi Marade zur Hilfe. Die Haushälterin warf einen Blick auf Jokon und wusste Bescheid.
„Ausgesogen“ lautete ihre Diagnose.
Jokon schreckte hoch. Das hatte er doch irgendwann schon einmal gehört? Aber der Gedanke entglitt ihm wieder wie ein schlüpfriger Fisch.
„Das kriegen wir schnell wieder hin. Dein Freund ist robust, mit etwas mehr Essen, viel Ruhe und einem kleinen Stärkungstrunk ist er bald wieder der Alte.“
In den Folgetagen fand Jokon sich genötigt, vor jeder Mahlzeit einen herb und kratzig schmeckenden Kräutertrank zu sich zu nehmen. Was immer darin war, Marades Mittel half. Kaum einen halben Mond später war er wieder vollständig genesen. Nur die Albträume von seinem Erlebnis wurde er so schnell nicht wieder los.
In den folgenden Monden wurden die Grünen reihum in den Turm gerufen. Was ihm einmal so erstrebenswert vorgekommen war, begann Jokon, wie die Pest zu fürchten. Nao oder Meister Go waren gar nicht mal so schlimm. Sie holten diejenigen, die sie für ihre Zauber brauchten, selbst in den Turm, oder ließen sie durch die Diener benachrichtigen. Selten passierte mehr, als dass die Zeit irgendwie unbemerkt verstrich und man hinterher sehr müde war. Tur und Kai waren es, die sehr bald jeder der Grünen fürchten lernte. Tur benutzte immer den Spiegel, um seine Versuchskaninchen zu rufen. Kai dagegen schickte meist den Blauen Krudion als Boten, einen schleimigen Typen, der seine Aufträge zu genießen schien.
Jokon versuchte immer wieder, sich Turs Rufzauber oder Kais Bindezauber zu widersetzen, aber ohne Erfolg. Eines Abends, als er besonders ausgepumpt auf den Treppenstufen saß, hockte Tevi sich neben ihn.
„Es macht ihnen Spaß“, sagte er. „Wenn du dich wehrst, macht es ihnen Spaß. Ich habe sie reden hören. Tur und Kai haben eine Wette abgeschlossen, wer von ihnen es schaffen wird, dich zu brechen. Jokon, du kannst so nicht weitermachen!“
Jokon sah mit rotgeränderten Augen hoch. „Ich kann nicht anders. Ich muss mich wehren. Es ist so eklig, wenn Tur ruft und mein Körper ihm einfach gehorcht. Und Kai ... Kai lacht, wenn sie merkt, wie sehr ich mich fürchte.“
Tevi schluckte. „Mit geht es nicht anders“, vertraute er Jokon an, „aber ich versuche, ganz abzuschalten. Ich stecke alle meine Gefühle einfach ganz tief in mich hinein. Immer, wenn ich das schaffe, wenn sie mich nicht mehr dazu bringen können, auf ihre Quälereien zu reagieren, schicken sie mich relativ schnell wieder fort.“
Nach kurzem Nachdenken fuhr er fort: „Wir sind nicht die einzigen, die sie besonders drangsalieren. Thealina und Isito behalten sie auch immer besonders lange da. Und Gavila von den Blauen.“
Jokon horchte auf. „Gavila?“ Seine Gedanken schlugen Purzelbäume. „Was ist es, was wir alle gemeinsam haben? Irgendetwas muss es geben!“
„Wenn überhaupt, dann wird Gavila Bescheid wissen. Wir sollten mit ihr reden.“
„Sie ist eine Blaue... ob sie mit Grünen darüber spricht?“
„Was bleibt uns sonst? Ich rede mit Thealina und Isito. Du kennst Gavila besser als wir, du fragst sie.“
Gavila zu sprechen erwies sich als schwierig. Sie tat so, als ob sie Jokons Versuche überhaupt nicht bemerkte. Aber eines abends kam Karados in Jokons Zimmer und steckte ihm mit einem breiten Grinsen einen Brief zu. Eine Nachricht von Gavila!
„In drei Abenden, nach der Eulenstunde, wenn die Tore für die Nacht geschlossen werden. Ich treffe dich im leer stehenden Zimmer am vorderen Ende des blauen Ganges.“