Читать книгу Mut zum Leben - Christa Spannbauer - Страница 12
Оглавление1936 sind wir nach Ulm umgezogen, weil mein Vater dort eine neue Stelle als Kantor angenommen hat. Zu dieser Zeit sind sehr viele jüdische Bürger ausgewandert. Wir konnten das leider nicht, weil wir nicht die finanziellen Möglichkeiten dazu hatten. Mein Vater hat sich zwar um Arbeitsstellen im Ausland bemüht, doch vergeblich, und so mussten wir notgedrungen in Deutschland bleiben.
In Ulm hatte ich das große Glück, dass ich in eine fortschrittliche jüdische Schule außerhalb der Stadt gehen konnte. Ich habe bei meinen Eltern gewohnt und bin jeden Morgen zum Unterricht gefahren. Wir lernten dort viele Fremdsprachen, denn alles war darauf ausgerichtet, uns auf die Emigration in andere Länder vorzubereiten. 1937 gelang es meinen Eltern, meine beiden älteren Geschwister ins Ausland zu schicken, um sie vor dem Terror der Nazis in Sicherheit zu bringen. Meiner Schwester Tosca gelang die Ausreise nach Palästina, und mein Bruder Gerdi fuhr zu einer Tante in den USA. Meine Mutter konnte den Verlust ihrer Kinder und die ganze Unsicherheit nicht verkraften und wurde schwer depressiv. Währenddessen spitzte sich die Lage um uns herum zu. Nach den entsetzlichen Ausschreitungen in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurde meinem Vater klar, dass er alles versuchen musste, um seine gesamte Familie ins Ausland zu bringen. Auch er war zusammen mit anderen jüdischen Männern in dieser Nacht verhaftet und ins Gefängnis geworfen worden. Nach drei Tagen kam er wieder nach Hause. Wahrscheinlich, weil er ›Halbjude‹ war. Die anderen Männer wurden nach Dachau verschleppt.
Mich schickte mein Vater anschließend in ein Vorbereitungslager zwecks Auswanderung nach Palästina. Das lag in der Nähe von Berlin. Diese Vorbereitungslager waren damals noch erlaubt. Den Nazis war es recht, wenn wir das Land verließen. Hauptsache, wir waren weg. Doch als der Krieg ausbrach, wurden Arbeitskräfte gebraucht, und so wurden diese Lager geschlossen und wir sind alle in Zwangsarbeitslager verschleppt worden. Ich hatte Glück, ich wurde in ein Lager nach Neuendorf gebracht, wo ich tagsüber in einem Blumengeschäft arbeiten musste. Die Inhaber waren keine Nazis und haben mich sehr gut behandelt. Aber 1943 wurden auch die Arbeitslager geschlossen, und wir sind im April auf Lastautos nach Berlin verfrachtet worden. Dort war in einem vormals jüdischen Altenheim ein riesiges Sammellager eingerichtet worden für alle Juden, die noch in Berlin und Umgebung lebten. Und von dort aus sind wir mit Viehwaggons Richtung Osten deportiert worden. Tagelang saßen wir eingepfercht in diesem überfüllten Viehwaggon, in dem es kaum genug Luft zum Atmen gab. Es war eine unvorstellbare Tortur. Alte und kranke Menschen starben auf dieser Fahrt. Nach Tagen schließlich hielt der Zug, und die Waggontüren wurden geöffnet. Als wir ankamen, wussten wir noch gar nicht, wo wir überhaupt waren. Es standen da diese Lastautos am Gleis und es wurde gesagt, dass all diejenigen, die nicht mehr gut laufen könnten, Mütter mit Kindern und Schwangere, auf die Lastautos steigen sollten, weil sie ins Lager gefahren würden. Da dachten wir noch, so schlimm kann das ja nicht werden, wenn die auf Schwangere und Gebrechliche Rücksicht nehmen. Erst später, als die Menschen ihre Verwandten suchten und nicht mehr fanden, haben wir erfahren, dass diese auf den Lastwagen direkt in die Gaskammern gebracht wurden. Anfangs hatten wir ja noch keine Ahnung gehabt, was uns erwartet. Wir hatten zwar schon gehört, dass es ein schreckliches Lager in Auschwitz gibt, aber wir wussten nicht, dass es ein Vernichtungslager ist.