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Hamburg, Juli 2012

Sage Nein! Auf der Bühne mit Konstantin Wecker

Ein ganz besonderer Event kündigte sich für den Sommer 2012 in der Heimatstadt von Esther Bejarano an. Der Liedermacher Konstantin Wecker hatte sie als »Special Guest« zu seinem Open-Air-Konzert auf der Hamburger Waldbühne eingeladen. Berühmt wurde der gesellschaftspolitisch engagierte Musiker in den 70er-Jahren durch seine Ballade »Willy«, die an einen Freund erinnert, der bei einer Auseinandersetzung mit Rechtsradikalen erschlagen wurde. In vielen seiner Lieder tritt Konstantin Wecker bis heute gegen Rechtsradikalismus an. Durch die gemeinsame politische Arbeit ist er Esther seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden. In dem Buch »Meine rebellischen Freunde« widmete er ihr ein Kapitel und schrieb: »Mit Esther Bejarano habe ich zwei Mal auf der Bühne gestanden und gemeinsam mit ihr Lieder aus dem Widerstand gesungen. Es ist eine wahre Freude, sie zu erleben. Sie ist eine unglaublich lebendige Frau, ein sprudelnder Quell der Vitalität. Umgehend vergisst man, dass sie 87 Jahre alt ist. Mit ihrer Musik und ihrer Menschlichkeit erreicht sie die Jungen. Und die Jungen verehren sie, weil sie diese zeitlose Coolness hat, die nur wenigen Menschen zu eigen ist.«3

Es ist ein freudiges und herzliches Wiedersehen. Neuigkeiten werden ausgetauscht, gemeinsame Erinnerungen geteilt. Zusammen mit den Musikern der Band besprechen sie den Ablauf des Auftritts. Die beiden Lieder, die sie an diesem Abend gemeinsam vor großem Publikum vortragen werden, haben Konstantin Wecker und Esther Bejarano bislang noch nie zusammen aufgeführt. Esther hat sich für diesen Abend ihr Lieblingslied aus dem jüdischen Widerstand »Wir leben trotzdem« gewünscht, bei dem sie alleine singen wird, um danach zusammen mit Konstantin Wecker seinen Klassiker »Sage Nein!« zu singen, ein rockiger und mitreißender Aufruf zum Widerstand gegen Neonazismus. »Aber macht bloß nicht so schnell, damit ich auch mitkomme!«, ermahnt Esther die jüngeren Musiker lachend.

Erstaunlich schnell werden die passenden Akkorde, Tonlagen und Textpassagen zusammengetragen. Hier sind Vollblutmusiker unter sich, die sich in Windeseile aufeinander einstimmen können. Es herrscht eine entspannte und zugleich angeregte Atmosphäre. Esther genießt das Zusammensein mit den jüngeren Musikern, die von ihrem Charme sichtlich hingerissen sind.

Nach einem Soundcheck und der Generalprobe auf der Bühne ergibt sich vor dem Konzert noch ein gemeinsames Gespräch der beiden Künstler über die Bedeutung von Mut und Widerstand.

Konstantin Wecker: »Es ist wunderschön, dass du da bist und dass wir heute zum dritten Mal zusammen auf der Bühne stehen werden. In meinem Buch ›Meine rebellischen Freunde‹ habe ich über die Menschen geschrieben, die mich seit vielen Jahren begleiten und die mir immer wieder Mut machen, wenn ich spüre, dass ich müde werde und aufgeben möchte. Und da gehörst du natürlich dazu mit deiner faszinierenden Ausstrahlungskraft, die du hast, trotz all dem, was du erleben musstest. Mit 88 Jahren machst du immer noch Musik und stehst mit jungen Leuten auf der Bühne. Und zeigst, dass sich Musik und Widerstand vereinen lassen.«

Esther Bejarano: »Wie du weißt, bin ich zwischenzeitlich ja auch unter die Rapper gegangen. Das hat auch einen besonderen Grund. Die Rapper von ›Microphone Mafia‹ hatten vor, eine CD mit antifaschistischen Liedern von damals zu machen. Und dafür haben sie sich mit mir in Verbindung gesetzt. Sie wollten wissen, ob ich mir vorstellen könnte, mit ihnen gemeinsam zu singen und aufzutreten. Die dachten natürlich, ich würde sofort ablehnen. Als ich dann aber hörte, dass sie diese CD machen wollen, um sie an die Schulen zu bringen und damit diesen schrecklichen CDs der Neonazis etwas entgegenzustellen, habe ich sofort zugesagt.«

Konstantin Wecker: »Das ist auch wirklich wichtig. Denn die Nazis haben mit ihren CDs unglückseligerweise großen Erfolg. Was mich so berührt an deiner Geschichte, ist ja nicht nur die Zeit bis 1945, sondern dass du auch anschließend immer von einem Widerstandsgeist beseelt geblieben bist. Diesen Widerstand brauchen wir. Auch in der jetzigen Zeit gibt es immer wieder Momente, wo wir uns fragen müssen, ob wir eigentlich noch gut auf die Demokratie aufpassen. Oder ob sie schon verkauft worden ist an Banken und Spekulanten. Und in so manchen Vertuschungsfällen sogar schon wieder an die Neonazis.«

Esther: »Das ist ja das Schlimme! Meiner Meinung nach dürfte es gerade hier in Deutschland überhaupt keine Nazis mehr geben. Die Regierung müsste viel mehr dagegen tun. Da sie das aber nicht tut, machen wir das eben. Und deshalb gehe ich an die Schulen und halte Vorträge, deshalb stehe ich auf der Bühne und singe Widerstandslieder. Wenn ich in den Schulen auf junge Leute treffe, die nicht an der Vergangenheit interessiert sind, dann sage ich ihnen: ›Ihr habt keine Schuld an dem, was geschehen ist. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Geschichte wissen wollt.‹ Denn es ist wichtig, dass sie erfahren, was damals geschah. Ich sage den Jugendlichen in meinen Vorträgen auch immer, dass es einen deutschen Widerstand gegeben hat. Denn das wissen sie oft nicht. ›Die haben doch alle mitgemacht‹, sagen sie mir. Dabei wurden doch so viele Menschen umgebracht. Kommunisten, Sozialdemokraten und viele andere, weil sie gegen die Nazis gekämpft haben. Darüber müssen die Menschen viel mehr erfahren.«

Konstantin Wecker: »Bezeichnenderweise ist ja auch der Fallada-Roman ›Jeder stirbt für sich allein‹ erst vor ein paar Jahren ganz groß rausgekommen. Weil man sich anscheinend in Deutschland jetzt erst gestattet zuzugeben, dass es mehr Widerstand gegeben hat, als man gedacht hat. Das sollte und wollte doch lange keiner wissen. All diejenigen, die mitgemacht hatten, wollten uns ja immer weismachen, dass alle mitmachen mussten. Aber nein, es haben eben nicht alle mitgemacht!«


Konstantin Wecker im Gespräch mit Esther Bejarano: »Ebenso wie du bin ich davon überzeugt, dass es nach Auschwitz wichtiger denn je ist, Lieder zu singen und Gedichte zu schreiben. Es ist die Aufgabe des Künstlers zu zeigen, wie wertvoll, wie einzigartig das Leben ist.«


Esther und Konstantin auf der Waldbühne in Hamburg. »Wenn sie jetzt ganz unverhohlen wieder Nazilieder johlen, über Juden Witze machen, über Menschenrechte lachen … Sage Nein!«

Esther: »Dass viele Menschen mitgemacht haben, das wissen wir ja. Aber es gab auch Menschen, die uns geholfen haben. Selbst in der SS gab es vereinzelt solche Männer und Frauen. Das muss man erwähnen und respektieren. Und ich sage dir ganz ehrlich: Ich könnte hier in Deutschland nicht leben, wenn ich nicht Freunde hätte, die ehemalige Verfolgte des Naziregimes sind. Und dazu gehören die deutschen Widerstandskämpfer. Diesen Menschen kann ich vertrauen.«

Konstantin Wecker: »Ich habe mir viele Gedanken gemacht über die ›Weiße Rose‹ und habe dazu ja auch ein Lied geschrieben, das mit der Zeile endet: ›Es geht ums Tun und nicht ums Siegen.‹ Denn man darf nicht glauben, dass deren Widerstand nichts bewirkt hätte. Sie konnten zwar nicht das Regime beseitigen, doch ohne Sophie und Hans Scholl und all die anderen wäre unsere Geschichte noch weit unerträglicher, als sie es bereits ist. Ihr Widerstand ist wie ein Leitbild, das weitergetragen wird. Vielleicht kann der einzelne und persönliche Widerstand nicht die Welt verändern, doch er ist wichtig, weil er da ist und weil er ein unübersehbares Zeichen setzt in der Geschichte der Menschheit.

Und ich will dir einfach noch mal sagen, liebe Esther, wie wunderbar ich es finde, dass es dich gibt und dass du bis heute so aktiv bist. Du bist ein ganz großes Vorbild für mich und viele andere Menschen.«

Esther Bejarano: »Das bist du auch. Und alle, die etwas tun!«

Das Konzert beginnt. Konstantin Wecker und seine Band sind auf der Bühne. Wir warten mit Esther auf ihren Auftritt im Backstagebereich, der als Höhepunkt vor der Pause geplant ist. Begeistert hört sie zu, wippt mit und scheint alles andere als aufgeregt zu sein. Als Konstantin Wecker sie dem Publikum ankündigt, tritt sie gelassen auf die Bühne. Und da steht sie, diese kleine Frau auf dieser großen Bühne, die sie umgehend mit ihrer Präsenz füllt. »Wir leben trotzdem! Wir sind da!«, singt sie vor dem begeisterten Publikum. Dann gemeinsam mit Konstantin Wecker: »Tobe, zürne, misch dich ein: Sage Nein!« Ein unvergesslicher Auftritt für alle, die an diesem Abend in der Waldbühne von Hamburg dabei waren.

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