Читать книгу Ein unerwartetes Geständnis - Christa Wagner - Страница 11

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Eines Abends, es muss Ende Oktober 1966 gewesen sein, grinste Fritz mich, kurz bevor wir das Lokal aufsperrten, wieder einmal schmierig an.

»Heut’ haben Amis einen deiner Tische reserviert. Zehn Personen. Glück für dich. Wenn so ein blondes, fesches Fräulein ihnen schöne Augen macht, sprudelt das Trinkgeld. Davon kann unsereins nur träumen.«

»Ich mache niemandem schöne Augen, damit du es weißt! Und jetzt lass mich in Ruhe!«

»Mir kannst du nichts weismachen. Ich kenn mich mit Frauen aus.« Sein schepperndes Lachen folgte mir wie eine Schleppe durch den Raum.

Ich war froh, als die ersten Gäste hereindrängten und ich gut zu tun hatte. Für mich war es das Natürlichste der Welt, nett und freundlich zu sein. Das hatte nichts mit Anbiederung zu tun. Ich konnte gar nicht anders. Klar machte sich das auch beim Trinkgeld bemerkbar. Jeder konnte nach der Abrechnung seinen Teil selbst behalten. Wir verglichen nie direkt, aber ich war mir sicher, dass meines als angelernte Kraft den Vergleich zu manch ausgebildetem Kellner, wie zum Beispiel Fritz, nicht zu scheuen brauchte. Das gab mir eine gewisse Genugtuung.

Laut plaudernd kamen jetzt die Amerikaner herein und nahmen Platz.

Aufgeregt brachte ich ihnen die Karten. »Hello! Sorry, I … no English!«

Zu meinem Bedauern hatten wir es in der Volksschule nicht gelernt. Ich kam mir vor wie ein Dorftrampel.

Gott sei Dank waren es freundliche junge Männer, auch zwei Farbige waren dabei. Als ob er etwas von meiner Unsicherheit ahnen würde, lächelte mich einer der Dunkelhäutigen an und sagte: »Guten Abend, Fräulein. Mein Name ist Simon. Ich kann etwas Deutsch sprechen.«

Sein Akzent war unverkennbar amerikanisch, die Stimme klang wunderbar weich.

Erleichtert lächelte ich zurück. Die Bestellungen waren also kein Problem mehr. Besonders bei den verschiedenen Schoppen oder wenn einer bei den Speisen eine andere Zutat wollte, war es eine Riesenhilfe, einen Dolmetscher zu haben. Und einen so sympathischen dazu.

In der von gedimmten Lampen und einigen Tischkerzen mäßig beschienenen Weinstube strahlte das Weiße seiner Augen, und wenn er redete und lächelte, hellten seine blendend weißen Zähne das dunkle Gesicht auf, als würde eine Kerze von innen seinen Kopf erleuchten.

Jedes Mal, wenn ich etwas brachte, bedankte er sich in seinem lustigen Akzent, und ich konnte vor lauter Faszination kaum die Augen abwenden. Damals hatten wir noch nicht viele dunkelhäutige Leute gesehen.

An der Theke raunte Fritz mir zu: »Pass auf, der Schwarze hat ein Auge auf dich geworfen!«

»Du spinnst wohl!« Ich spuckte die Worte nur so aus, würdigte ihn keines Blickes und eilte mit meinem Tablett davon.

Der Abend verging wie im Flug. Als die Amerikaner zahlen wollten, verlangten sie nur eine einzige Rechnung. Wie bequem für mich. Jeder legte seinen Teil auf den Tisch. Simon kontrollierte und zahlte. Er ließ ein hohes Trinkgeld liegen. »Für die sehr nette und aufmerksame Bedienung. Danke, Fräulein!«

Mir wurde warm. »Danke auch!«, hauchte ich.

Er stand auf, schlank und hochgewachsen, mehr als einen halben Kopf größer als ich, und streckte mir seine Hand entgegen. Mir ist noch heute vor Augen, wie seine große dunkle meine kleine bleiche Hand fast völlig umschloss. Der Händedruck war fest und warm.

Ganz sicher konnten diese Finger zärtlich sein. Ein Gedankenblitz, ungewollt, unangemessen. Sofort zog ich meine Hand zurück, drehte Simon den Rücken zu und stellte die leeren Gläser aufs Tablett.

Die Amerikaner gingen zur Garderobe, zogen ihre Jacken an und verließen die Weinstube.

Simon machte kurz vor der Tür abrupt kehrt und kam noch einmal zu dem Tisch, an dem ich gerade mit den Gläsern hantierte. Er zeigte mir sein blendendes Lächeln und fragte mit weicher Stimme: »Würden Sie mir verraten, wie Sie heißen, mein Fräulein?«

Mir schlug vor Freude das Herz schneller, ich musste es ihm einfach sagen.

»Bärbel«, wiederholte er, und es hörte sich an wie »Barbel«. Ich verbesserte ihn. Wir lachten. Was für ein Mann!

»Bis bald, Fräulein Bärbel!«

Ich konnte gar nicht anders, als vor mich hin zu lächeln, als ich zur Theke zurückeilte.

Fritz polierte gerade Gläser. »Oh, oh, oh. Das war ja ein heißer Flirt, Kleine! Und das mit einem Neger!« Er neigte sich zu mir herüber und senkte seine Stimme: »Dabei hast du doch Besseres verdient!« Dann lachte er heiser.

Aber selbst Fritz’ Anzüglichkeiten konnten mir meine Freude an diesem Abend nicht trüben.

Auf dem Nachhauseweg flüsterte ich seinen Namen vor mich hin. »Saimen!« Wie melodisch und verheißungsvoll das klang!

»Saimen.«

Damals war mein Englisch so dürftig, dass ich keine Verbindung zum deutschen Vornamen »Simon« erkannte.

Beim Einschlafen sah ich noch einmal Simons Augen blitzen und sein Lächeln aufleuchten, lauschte seiner weichen Stimme nach und spürte wieder mit heißem Prickeln, wie seine Hand die meine umschloss. Schwarz und weiß. Was für ein erregendes Duo! Meine Fantasie ging mit mir durch. Simon kam voller Sehnsucht auf mich zu und schloss mich zärtlich in die Arme wie ein Märchenprinz seine Prinzessin.


Bärbels Stimme war beim Erzählen immer leiser geworden. Jetzt schloss sie die Augen und lächelte selig vor sich hin.

Simone musste grinsen. »Jetzt fehlt nur noch das weiße Pferd, auf dem dein schwarzer Märchenprinz dahergeritten kommt, seine Prinzessin Bärbel zu sich auf den Sattel zieht und mit ihr heim in sein Königreich galoppiert.«

»Du machst dich über die Schwärmereien einer alten Frau lustig.« Sie lächelte Simone nachsichtig an. »Kann ich verstehen. Jetzt bin ich müde, werde etwas schlafen. Am Nachmittag kann ich dir dann weitererzählen.«

Nach dem langen Sitzen am Bett ihrer Mutter kribbelte es in Simones Beinen. Ihr Bewegungsdrang verlangte nach einem flotten Spaziergang. Glücklicherweise hatte sie Anorak und Gummistiefel dabei. Der Regen hatte inzwischen aufgehört, sogar die Sonne blitzte ab und zu zwischen den Wolken hervor und ließ für Minuten die nasse Welt glitzern. Wie schön! Simone atmete begierig die frische, klare Luft ein.

Schnell ließ sie das Dorf hinter sich. Sie dachte noch einmal über das nach, was ihr Bärbel mitgeteilt hatte. Seltsam. Ihre Mutter hatte bisher kaum über ihre Zeit in Würzburg gesprochen. Sie hatte bei seltenen Nachfragen immer so getan, als wären die paar Monate dort nicht so wichtig, nicht wert gewesen, groß darüber zu reden.

Und jetzt, kurz vor ihrem Tod, schilderte sie ihre Jungmädchenerlebnisse in Würzburg in einer epischen Breite, die ihnen ein ungewöhnliches Gewicht gaben. Nach Jahrzehnten in der Eintönigkeit des Dorflebens mussten ihr die aufregenden Monate in der Stadt, die Kino- und Theaterbesuche, die harmlosen Nachstellungen von Fritz, der Umgang mit den Gästen und sogar mal ein kleiner Flirt mit einem Farbigen wie tolle Ereignisse vorgekommen sein, die es einfach wert waren, ihrer Tochter noch einmal zu schildern.

Ist in Ordnung, Mama, dachte Simone. Ich kann mir alles gut vorstellen und langweile mich nicht. Gott weiß, ob ich noch einmal die Gelegenheit erhalte, so viel von dir zu hören.

Da war sie wieder, die bittere Realität. Simone musste schlucken. Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Dann riss sie sich von der bleiernen Lähmung des trüben Gedankens los und trat absichtlich in die Pfützen, wie sie es als Kind mit großem Vergnügen getan hatte.

Das Wasser spritzte hoch.

Noch einmal wild gestampft. Was für eine Befreiung!

Etwas verschwitzt, aber mit leichterem Kopf kehrte sie in ihr Elternhaus zurück.

Nach ihrem Mittagsschlaf sah Bärbel erholter aus, sogar ihre Wangen hatten etwas Farbe angenommen.

Sie war begierig danach weiterzuerzählen.

Ein unerwartetes Geständnis

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