Читать книгу Ein unerwartetes Geständnis - Christa Wagner - Страница 13

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Als ich am nächsten Tag die Weinstube betrat, war nur Fritz anwesend.

»Na, Bärbelchen, heute Nacht geschlafen? Kaum zu glauben, wie schnell sich ein ach so unschuldiges Kind vom Land verführen lässt. Die Schwarzen sollen sagenhafte Liebhaber sein, sagt man. Stimmt’s? Du brauchst nicht rot zu w…«

»Halt deinen Mund! Das geht dich gar nichts an. Außerdem ist alles ganz anders, als du es dir mit deiner schmutzigen Fantasie ausmalst.«

Fritz wollte zu einer Erwiderung ansetzen, aber Frau Hartmann betrat den Raum. Sie schaute uns an, grüßte, spürte wohl die angespannte Atmosphäre, sagte aber nichts dazu.

Der Abend verlief routiniert, ich blieb auf das letzte Glas Bier bei den anderen sitzen und war froh, dass Fritz vor mir ging. Das entspannte Plaudern mit den Kollegen tat mir gut.

Auf dem Heimweg sagte ich mir, dass ich Fritz’ doofe Bemerkungen einfach ignorieren wollte. Sollte er mir doch den Buckel runterrutschen! Ich war verliebt, ich war glücklich, alles andere konnte mir egal sein.

Im Verlauf der nächsten Woche schaute ich immer wieder nervös zur Tür. Warum rührte sich Simon nicht? War ich für ihn nur einer von vielen belanglosen Flirts? Das glaubte ich aber tief in meinem Innersten nicht. Bisher war ich immer stolz auf meine gute Menschenkenntnis gewesen. Aber ich hatte schließlich keinerlei Erfahrung mit Männern. Wie konnte ich mich da auf ein Gefühl verlassen?

Fritz, der tagelang keine dummen Bemerkungen mehr gemacht hatte, konnte sich nach einiger Zeit, wenn er meinen Blick zur Tür beobachtete, nicht verkneifen, fragend die Arme zu heben und frech zu grinsen.

Eines Abends jedoch, vielleicht eine Stunde bevor wir schlossen, betrat eine Gruppe Amerikaner die Weinstube. Sie hatte anscheinend den Tisch bei meiner Kollegin reserviert. Simon war unter ihnen. Er saß mit dem Rücken zu meinen Tischen, würdigte mich keines Blickes.

Mechanisch bediente ich meine Kundschaft, merkte, wie feucht meine Hände vor Aufregung wurden. Ich musste mich konzentrieren, um keine Fehler zu machen und nicht zu oft zu den Amerikanern hinzusehen.

Gott sei Dank war das Fritz’ freier Abend, so blieb mir wenigstens seine Häme erspart.

Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie Simon und seine Kameraden aufstanden und ihre Jacken anzogen. Die anderen gingen hinaus, Simon war der Letzte.

Plötzlich drehte er sich um, kam auf mich zu und sagte laut: »Ach, da ist ja das Fräulein Bärbel! Guten Abend«, und reichte mir die Hand.

Ich spürte, wie er mir einen Papierschnipsel übergab. »Guten Abend!«, erwiderte ich und fügte ein lautes »Gute Nacht!« hinzu.

Sofort eilte ich zur Toilette und las, was Simon auf den Papierfetzen gekritzelt hatte: »In 20 Minuten vor dem Woolworth-Eingang«.

Ich schnaufte aus, strahlte mein Spiegelbild über dem Waschbecken an und bediente die letzte Viertelstunde beschwingt und besonders freundlich.

Frau Hartmann nickte mir anerkennend zu.

Ich beeilte mich, gleich nach Dienstschluss loszukommen, und hastete die Straße entlang.

Er wartet auf mich, jauchzte ich innerlich, auf mich!

Als ich um die Ecke bog, sah ich ihn unter dem Leuchtreklameschild des Warenhauses stehen. Ein gutaussehender, großer, kräftiger Mann! Ich flog auf seine ausgebreiteten Arme zu, er hob mich hoch und wirbelte mich herum.

»Verzeih, dass ich dich im Lokal so distanziert behandelt habe«, sagte er, nachdem er mich wieder abgesetzt hatte, »aber ich wollte nicht, dass du dort meinetwegen Unannehmlichkeiten bekommst.«

»Das wäre mir doch völlig egal!«, entfuhr es mir. Doch schließlich musste ich doch zugeben, dass sein Verhalten klug und rücksichtsvoll war. Frau Hartmann, so wohlwollend sie auch war, überwachte mich doch streng wie eine Mutter, und von den Kollegen hätte ich kaum Verständnis zu erwarten.

Simon hatte leider nicht viel Zeit, seine Kameraden warteten im Olim auf ihn.

»Wann kann ich dich einmal längere Zeit sehen? Hast du frei am kommenden Wochenende?«

Meine Gedanken überschlugen sich. Eigentlich hatte ich meinen Eltern versprochen, mein kommendes freies Wochenende ganz bei ihnen zu verbringen, aber augenblicklich schaufelte ich einen Tag für Simon frei, unmöglich konnte ich ihm eine Abfuhr erteilen.

»Ich müsste samstags oder sonntags zu meinen Eltern, hätte aber den jeweils anderen Tag zur Verfügung. Wie schaut’s bei dir aus?«

»Samstag wäre perfekt. Den ganzen Tag, einschließlich Abend, ja?« Er lachte mich an.

»Passt, ich freue mich darauf.« Ich sang diesen Satz nahezu vor Freude.

Wir umarmten und küssten uns. Zum Abschied zog er einen postkartengroßen Umschlag aus seinem Mantel und steckte ihn in meine Jackentasche. »Eine Überraschung für zu Hause, Bärbel.« Dann musste er gehen.

Ich schwebte vor Seligkeit ins Haus.

Kaum hatte ich mein Zimmer betreten, öffnete ich den Umschlag. Mein Herz schlug schneller. Simons Porträt strahlte mir entgegen. In Schwarz-weiß. Was für eine positive Ausstrahlung er doch hatte!

Ich drehte die Fotografie um. »Für Bärbel, das Mädchen, in das ich mich verliebt habe. Simon.«

Überwältigt fuhr ich mit dem Finger seine geschwungene Schrift nach, dann drehte ich das Foto wieder um und küsste seinen Mund auf dem Papier.

Als ich wenig später, schon im Nachthemd, das Bad verließ, kam mir eine dunkle Gestalt in dem nur von Straßenlampen kaum beleuchteten Flur entgegen. Fast hätte ich vor Schreck aufgeschrien.

»Keine Angst, Bärbelchen, ich bin’s bloß.«

Fritz! Ich drückte mich im engen Gang an die Wand, um ihn vorbei ins Bad zu lassen, aber er blieb direkt bei mir stehen und stützte seine Hände rechts und links von meinen Schultern an der Wand ab, sodass ich nicht ausweichen konnte, berührte mich aber nicht. Sein Geruch nach Alkohol und Zigaretten nahm mir den Atem.

»Warst wohl mit deinem schwarzen Lover unterwegs? Na, Bärbelchen, gib’s doch zu!«, lallte er und lachte kurz auf. »Meine Alice und ich sind moderne Menschen, wir haben doch da keine Vorurteile. Soll doch jeder sich vergnügen, mit wem er will.« Er gluckste in sich hinein, gab jedoch den Weg immer noch nicht frei.

»Es gibt aber andere Leute, die da haben weniger Verständnis …«

Ich boxte ihn gegen die Brust, drückte ihn zur Seite und rannte in mein Zimmer, knallte die Tür zu und verriegelte sie.

Schnaufend lehnte ich mich gegen die geschlossene Tür und versuchte mich, durch bewusstes tiefes Atmen zu beruhigen. Dann zählte ich bis hundert. Das hatte mir schon oft in aufregenden Situationen geholfen.

Langsam gewann wieder die unbändige Vorfreude auf Samstag Oberhand, und mir gelang es, schnell einzuschlafen.

Am nächsten Morgen saß zu meinem Erstaunen Tante Alice noch am Frühstückstisch. Allein. Fritz musste wohl schon am frühen Morgen aufgebrochen sein. Sie hatte einen Arzttermin und musste deshalb erst gegen Mittag zur Arbeit gehen.

Ich schenkte mir Kaffee ein, und wir plauderten entspannt miteinander.

Plötzlich wurde meine Tante ernst: »Fritz hat mir erzählt, du hättest was mit einem Schwarzen von der Army.« Sie schaute mich an.

Ich erzählte ihr von Simon, verschwieg ihr auch nicht, dass wir den kommenden Samstag miteinander verbringen wollten und ich deshalb den Aufenthalt bei den Eltern auf Sonntag beschränken müsse.

»Und was sagst du deinem Vater?« Sie machte eine Pause. »Wahrscheinlich, dass du am Samstag jetzt doch arbeiten musst.«

Ich fühlte mich ertappt. Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.

»Mach, was du für richtig hältst!«, fuhr sie fort, »aber bitte erwarte nicht, dass ich deine Eltern anlüge. Und noch etwas: Von einem Mann aus der Army, egal ob schwarz oder weiß, darfst du nicht erwarten, dass er eine ernsthafte Beziehung zu dir eingeht. Die suchen doch nur ihr Vergnügen mit einem deutschen Fräulein. Dann ziehen sie weiter. Keiner bleibt hier ewig. Glaub mir, ich spreche aus Erfahrung.« Sie seufzte tief und schaute traurig aus.

Zum ersten Mal nahm ich auf ihrem ungeschminkten Gesicht Spuren erster Fältchen wahr.

Dann schaute sie mich wieder an und brachte mühsam ein Lächeln zustande. »Ich habe nichts dagegen, wenn du dich amüsierst, Bärbel, ganz und gar nicht, aber pass um Himmels Willen auf! Du weißt, was ich meine!«

Ich nickte. Mir wurde heiß. »Mit Simon ist es anders, als du denkst.«

»Ja, ja, das glaubt jede. Lass dir die Pille verschreiben, das ist heute kein großes Problem mehr, und mit Abstand das Sicherste. Schließlich habe ich eine gewisse Verantwortung für dich übernommen.«

Was für Vorstellungen Tante Alice hatte! Wahrscheinlich war sie von Fritz beeinflusst. Meinte sie, alle Männer seien so schmierig wie er? Ich wagte nicht mehr, ihr ins Gesicht zu schauen, und war froh, dass sie aufbrechen musste.

Aber mit einer entspannten Frühstücksatmosphäre war es vorbei. Was meine Tante gesagt hatte, wirbelte durch meine Gedanken und raubte mir die innere Ruhe.

Da Alice meine Ausrede durchschaut hatte, traute ich mich jetzt nicht mehr, sie bei meinen Eltern zu benutzen. Es war schon fest ausgemacht, um welche Uhrzeit mich Vater am Samstag vom Bahnhof abholen würde. Ich musste bei unseren Nachbarn, die schon Telefon besaßen, anrufen und Mutter an den Apparat holen lassen, um umdisponieren zu können. Eine kurzfristig anberaumte Freizeitveranstaltung unter Kollegen gab ich vor, bei der ich nicht fehlen wolle, weil ich mich mit den anderen so gut verstand. Meine Mutter bestärkte mich sogar, daran teilzunehmen. Für den Sonntagmorgen vereinbarten wir dann eine Zeit, in der Vater mich am Bahnhof der Nachbarortschaft abholen sollte.

Mit etwas schlechtem Gewissen wegen dieser Lüge, aber dennoch erleichtert, dass sich alles so problemlos hatte arrangieren lassen, legte ich auf.

In nächster Zeit gingen mir die besorgten Sätze meiner Tante immer wieder einmal durch den Kopf; ich hielt sie jedoch für übertrieben. Simon hatte bisher nichts getan, was ich nicht ausdrücklich gebilligt hatte. Und ich wusste sehr wohl, wie weit ich gehen konnte und wollte. Jedenfalls nicht so weit, wie meine Tante vermutete.

Ich schob ihre Bedenken erst einmal beiseite, und sie verblassten Tag für Tag mehr und machten einer unbändigen Vorfreude auf Simon Platz. Ich sehnte unser Treffen herbei, wie kaum etwas anderes in meinem bisherigen Leben.

Was sollte ich anziehen, Rock oder Hose, wie mein Haar tragen, offen oder zusammengebunden, wie Simon es von der Weinstube kannte? Sollte ich mich etwas schminken? Vor Aufregung konnte ich kaum einschlafen.

Ein unerwartetes Geständnis

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