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In meiner ersten Nacht in Würzburg schlief ich trotz des harmonischen Tagesverlaufs und der ermutigenden Begegnungen nicht gut. Das Zimmer war nicht völlig dunkel, wie ich es von zu Hause gewöhnt war, Licht und Schatten huschten trotz geschlossener Vorhänge über die Wand. Der Verkehrslärm, den ich tagsüber kaum wahrgenommen hatte, dröhnte in ständig wechselnder Lautstärke zu mir ins Zimmer hinauf. Daheim hörte ich höchstens mal ein Käuzchen rufen oder frühmorgens im Sommer bei geöffneten Fenstern die Vögel zwitschern.

Irgendwann war ich wohl doch eingeschlafen, denn ich erwachte vom Lärm, den Tante Alice am Morgen in der Küche beim Zubereiten des Frühstücks machte.

Ihre Schicht begann früh, und wir hatten ausgemacht, dass ich erst aufstehen sollte, wenn sie das Haus verlassen hatte, denn ich brauchte erst um 12 Uhr bei der Arbeit zu erscheinen.

Heute Mittag sollte ich, noch während die Weinstube geschlossen hatte, von meiner Chefin eine Einweisung erhalten und erst am frühen Abend, wenn das Lokal geöffnet hatte, zum ersten Mal selbstständig Gäste bedienen.

Meine alten Ängste kehrten nun zurück: Was, wenn ich die Weinsorten verwechsle oder gar stolpere und das vollgeladene Tablett fallen lasse? Was, wenn die Chefin mir gleich nach dem ersten Abend mitteilt, dass sie mich leider für ungeeignet hält und nicht weiter brauchen kann? Dann muss ich gleich morgen wieder nach Hause fahren. Schon bei der Vorstellung dieser Schande wurde mir ganz heiß.

Frau Hartmann begrüßte mich mit ihrem breiten Lächeln in der Weinstube. Sie musste mir wohl meine Hemmungen angesehen haben, denn sie nahm wieder meine Hand und tätschelte sie.

»Ja, ja, ja, meine Liebe. Aller Anfang ist schwer, und es ist ganz normal, wenn du ein kleines bisschen Angst hast. Es ist dir doch recht, wenn ich du zu dir sage, Bärbel?«

Ich nickte heftig.

»Als ich dich gestern so mit deinen Eltern habe ins Lokal reinkommen sehen, da habe ich gleich gespürt, dass du zu uns passt. Das habe ich im Gefühl, und ich täusche mich selten.«

Die Chefin zeigte mir, in welche Gläser welcher Wein eingefüllt und serviert wurde: Die grünen Römer waren für den Silvaner, die gelben für den Müller-Thurgau, Riesling wurde in weißen Stielgläsern an den Tisch gebracht. Die Kollegen an der Theke richteten sich beim Befüllen nach einem bestimmten Schema, und ich musste mit ihm vertraut sein.

Eifrig machte ich mir Notizen, fertigte sogar zur Klarheit einige Skizzen an. Bis zu meinem ersten Einsatz am Abend lernte ich alles auswendig.

Meine Aufgabe war es, Bestellungen für Essen und Getränke aufzunehmen, zusammen mit der Tischnummer in der Küche beziehungsweise an der Theke abzugeben und anschließend zu servieren. Erst einmal brauchte ich nicht zu kassieren, das würde erst später hinzukommen.

»Nun das Wichtigste, Bärbel: lächeln, lächeln, lächeln. Immer freundlich bleiben, auch wenn manchmal die Leute dumm daherreden. Der Gast hat immer recht. Auch bei größtem Betrieb nie hektisch werden oder zu schnell hin- und herflitzen, das stört die Gemütlichkeit. Ruhe bewahren ist die oberste Oberpflicht.«

Frau Hartmann ließ kurz ihr kehliges Lachen erklingen, dann legte sie mir ihre Hand auf den Arm. »Und wenn es mal ein Problem geben sollte, kommst du einfach zu mir.«

In der Ecke der Gaststube schaute ich meine Notizen immer wieder an, drehte die Seiten um, versuchte, alles auswendig herzusagen. Danach stand ich auf, um mir die Tischnummern einzuprägen, das war leichter als gedacht, weil sie im Uhrzeigersinn angeordnet waren. Probehalber nahm ich dann ein Serviertablett in die Hand, stellte es voll leerer Gläser und trug es zu einem weit entfernten Tisch. Die Gläser schepperten. Ich versuchte, das Tablett ruhiger zu halten, langsamer zu gehen. Schon besser!

Auf der Toilette zog ich mir dezent meine Lippen nach und puderte mir die Nase. Ich überprüfte, ob der schwarze Rock und die weiße Bluse richtig saßen. Dann versuchte ich, freundlich in den Spiegel zu lächeln. Nicht schlecht.

Als ich zurückkehrte, stand ein Kellner hinter der Theke und musterte mich augenfällig. Er hatte ein teigiges Gesicht und dunkles, dünnes Haar, das mit einer Frisiercreme eng an die Kopfhaut hin gekämmt war. Über dem weißen Hemd trug er eine schwarze Weste, die um den Bauchansatz etwas offenstand.

»Guten Abend«, murmelte ich leicht irritiert.

Der Mann verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »O la la, du bist bestimmt Bärbel vom Lande, die Vielgepriesene.« Er streckte mir seine Hand entgegen und drückte die meine so stark zusammen, dass ich aufschrie. Was für ein Rüpel!

»Mein Alice-Mäuschen hat mir ganz verschwiegen, was für ein hübsches Vögelchen sie sich da eingefangen hat.« Er lachte blechern.

Ich erschrak.

Das sollte Fritz sein? So ein unsympathischer Kerl? Hatte denn die sonst so stilsichere Tante gar keinen Geschmack, was Männer betraf?

Fritz musste meinen Gesichtsausdruck bemerkt haben. »Na, Bärbelchen, du brauchst gar nicht so finster zu gucken. Du hast nämlich Glück: Der liebe Fritz nimmt dich unter seine Fittiche, darauf kannst du dich verlassen!« Sein heiseres Lachen und sein lüsterner Gesichtsausdruck jagten mir einen Schauer über den Rücken.

Wie gut, dass jetzt zwei weitere Kellner den Raum betraten. Es waren die netten von gestern, die mich auch gleich herzlich begrüßten. Dann kam noch eine blondierte Frau mittleren Alters dazu, die mir, ohne die Miene zu verziehen, die Hand reichte und murmelte: »Ich bin Evi. Halsund Beinbruch!«

Ich lächelte sie an und bedankte mich.

Sie nickte mir zu.

Frau Hartmann teilte uns bestimmte Tische zum Bedienen zu. Nur um diese hätten wir uns zu kümmern und sollten lediglich bei anderen aushelfen, wenn wir ausdrücklich darum gebeten würden.

Bevor die Chefin die Weinstube aufschloss, kam sie auf mich zu und hob mit ihrem Mittelfinger mein Kinn an. »Kopf hoch und lächeln, lächeln, lächeln!«

Ich versuchte es, obwohl mir nicht unbedingt danach war.

Als dann die ersten Gäste hereindrängten, und gleich eine Gruppe an einem meiner Tische Platz nahm, begann ich zu funktionieren: Ich begrüßte sie freundlich, händigte Speise- und Weinkarten aus. Da die Leute selbst entspannt und nett waren, fiel es auch mir nicht schwer. Ich nahm die Bestellungen auf und servierte korrekt. Mir unterlief kein einziger grober Schnitzer. Jawohl, ich konnte es!

Vor Freude straffte ich die Schultern, trug ruhig und besonnen die Tabletts zu den Tischen, wünschte »Zum Wohl!« oder »Guten Appetit«, das Lächeln kam von allein.

Als die letzten Gäste das Lokal verlassen hatten, setzten sich die Kellner und einige Mitarbeiter aus der Küche, die ich noch nicht kennengelernt hatte und auf Anhieb sympathisch fand, am Stammtisch zusammen und tranken ein Bier. Auch ich ließ mir eines geben, denn Frau Hartmann meinte, damit würde man am besten herunterkommen.

»Heute war Bärbels erster Arbeitstag, und ich finde, sie hat ihre Sache gleich ganz hervorragend gemacht. Bravo, Bärbel!« Meine Chefin erhob das Glas, die anderen taten es ihr nach.

Auch von den Kollegen kamen anerkennende Worte, die mir sehr guttaten. Ich fühlte mich wie nach einer schwierigen Prüfung, die ich eben bestanden hatte: glücklich und stolz.

Lachend wehrte ich ab und schaute zufrieden in die Runde. Eine wirklich nette Mannschaft. Mich störte in diesem Augenblick nicht einmal Fritz’ öliges Grinsen.

Als wir unsere Mäntel anzogen und das Lokal verließen, wartete er auf mich. »Na, Bärbelchen, du willst doch bestimmt nicht allein heimgehen, in der großen, fremden Stadt. Der liebe Fritz wird dich begleiten.« Dabei stellte er sich so dicht neben mich, dass der Geruch seiner Haarcreme mir in die Nase stieg.

Unsere Kollegin Evi, die hinter ihm stand und alles mitanhörte, runzelte die Stirn.

Ich wich ein paar Schritte zurück. Dann sprach ich extra laut, dass Evi es mühelos mithören konnte: »Danke, Fritz, aber ich bin schon dem Kindergarten entwachsen und kann allein laufen. Gute Nacht!«

Fritz verzog das Gesicht. »Ganz wie du willst, mein Vögelchen, war ja nur ein gut gemeintes Angebot.«

Evi nickte mir hinter seinem Rücken zu und grinste.

Tante Alice saß im Nachthemd in der Küche, als ich nach Hause kam. Ich setzte mich zu ihr und erzählte ihr, mit Ausnahme meiner Eindrücke von Fritz, alles von meinem ersten Tag.

Sie war erleichtert, dass es mir so gut gefiel, und nahm mich in den Arm, bevor sie mir eine gute Nacht wünschte.

Ich würde sie wochentags kaum sehen, denn wenn sie heimkam, war ich bereits zur Arbeit weg. Samstags hatte sie frei und wollte sich mit Fritz treffen.

Aber am Sonntag hatten wir beide Zeit und wollten etwas gemeinsam unternehmen. Ich freute mich darauf, auch weil ich wusste, dass Fritz dann Dienst hatte und ich mit Alice allein sein würde.

Die Woche verging wie im Fluge. Tagsüber schaute ich mir nicht nur die Geschäfte an, sondern auch einige Sehenswürdigkeiten, die ich bisher nur im Vorbeifahren erblickt hatte. Mit dem Stadtführer von Tante Alice in der Hand nahm ich die Gelegenheit wahr, die Stadt gründlicher kennenzulernen und auch weniger Bekanntes wahrzunehmen.

Meine Arbeit in der Weinstube war zwar körperlich anstrengend, aber es machte mir Freude, dort zu bedienen. Ich wurde gelassener und selbstbewusster. Schon nach einer Woche durfte ich sogar kassieren.

Zu den Kollegen fand ich guten Kontakt, wir lachten viel, und Fritz, der ach so Wichtige, konnte mir mit seinen anzüglichen Reden die Freude nicht trüben.

Ein unerwartetes Geständnis

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