Читать книгу Clé de l'amour - Christel Siemen - Страница 9

6. Kapitel

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Eve und die Comtesse Marie verstanden sich sehr gut. Schnell entstand ein vertrauensvolles Verhältnis. Die Gräfin war eine aufgeschlossene, dem Leben zugewandte Person. Von den vielen Höhen und Tiefen in ihrem Leben hatte sie sich nie unterkriegen lassen. Im Gegenteil, sie nahm die Herausforderungen stets an und versprühte mit ihrem Charme viel gute Laune im Haus. Ihr tat es gut, in Eve eine Gesprächspartnerin gefunden zu haben. Die Polin Olga, die sie vorher betreut hatte, war eine sehr in sich gekehrte Person gewesen und hatte außerdem die französische Sprache nicht gut beherrscht. Ihren Job hatte sie zwar gut gemacht, doch den persönlichen Austausch hatte die Comtesse sehr vermisst. Sie fand das enorm wichtig, gerade, wenn man so eng miteinander auskommen musste. Seit vor zehn Jahren ihr Mann verstorben war, die Töchter ausgezogen, ihr Sohn geheiratet und ins nahe Cottage gezogen war, war es ruhig im Schloss geworden. Ihrer Meinung nach, zu ruhig. Früher hatte sie sich um die hauseigene kleine Pferdezucht gekümmert, doch seit dem Reitunfall ging das körperlich nicht mehr. Die Ausbildung der Pferde hatte ein eigens dafür eingestellter Pferdewirt übernommen. Sie stand ihm zwar noch häufig mit Rat und Tat zur Seite, doch der Beritt und die Arbeit an der Longe waren leider nicht mehr möglich.

Die beiden Frauen befanden sich im Schlafzimmer der Comtesse vor dem geöffneten Kleiderschrank. Eve probierte einige Kleidungsstücke an. Sie hatte der Gräfin gestanden, dass sie nicht viel Garderobe dabeihatte. Mühsam quälte sie sich aus einer Hose wieder heraus, die sie gerade anprobiert hatte. Dabei fiel sie hinten rüber auf das große Bett. Dort lag sie zu zappeln wie ein Frosch, der auf dem Rücken gefallen war. Die beiden Frauen mussten kichern, es sah aber auch zu komisch aus. Eve zuckte mit den Schultern. „Es hat keinen Sinn, ich habe mindestens zwei Kleidergrößen mehr. Vielen Dank für ihr Angebot. Ich werde mir wohl etwas im Internet bestellen müssen.“ „Haben Sie niemanden in Paris, der Ihnen ihre Kleidung zuschicken kann?“ „Nein, das geht leider nicht. Zu meiner Wohnung hat nur mein Ex einen Schlüssel. Ich habe mich gerade von ihm getrennt und ihn gebeten, sich eine neue Bleibe zu suchen.“ „Aha, ich verstehe, es war wohl keine schöne Trennung?“, horchte Marie nach. „So kann man es sagen“, bestätigte Eve und fing bereitwillig an zu erzählen. „François und ich waren zehn Jahre zusammen. Wir haben uns an der Uni kennengelernt und nach dem Studium gemeinsam eine eigene Agentur für Garten- und Landschaftsplanung in Paris gegründet. Ich besitze dort ein Haus. Wir waren jung und hatten die Vision von einem erfolgreichen Business. Dafür haben wir viel Geld aufgenommen. Doch wir konnten unsere Pläne verwirklichen und haben Tag und Nacht dafür geschuftet. Wir haben uns einen richtig guten Namen geschaffen. Das Geschäft läuft gut. Unsere anfänglichen Schulden haben wir mittlerweile zurückgezahlt. Schon lange haben wir davon geträumt, beruflich kürzerzutreten und von der Großstadt aufs Land hinauszuziehen. Aber vorher wollten wir schuldenfrei sein.“ Eves Augen glänzten, während sie davon erzählte. Sie war ganz in ihrem Element, als sie von ihrer Gartenbaufirma berichtete. „Die ganze Mühe hat sich wirklich gelohnt. Mittlerweile können wir uns vor Anfragen kaum retten. Anfang des Jahres haben wir einen zusätzlichen Mann eingestellt und ich konnte endlich daran denken, etwas kürzerzutreten. Jetzt wäre endlich Zeit für eine eigene Familie. Ich bin in einer Familie mit vier Geschwistern auf dem Dorf groß geworden. François und ich sind in den letzten Jahren beruflich so viel in der Weltgeschichte herumgereist, dass ein wenig mehr Ruhe angebracht wäre. Unser Deal war es, wenn die Firma läuft, dann lassen wir es ruhiger angehen. Doch François hat nur die Arbeit im Kopf.“ Ihr Blick wurde wehmütig, während sie sprach. „Immer sagt er: Ja, ja, in ein paar Jahren, lass uns erst noch diesen oder jenen Auftrag annehmen. Er bringt uns ganz groß raus.“ „Was sind das für Aufträge?“, wollte Marie wissen. „Ich bin Garten- und Landschaftsarchitektin und François ist der Kaufmann und Vertriebler. Wir entwerfen und erstellen Garten- und Parkanlagen. François zieht die Kontakte an Land und führt die Geschäfte und ich plane und setzte unsere Konzepte mit unserem Team in die Praxis um. Doch das ständige Einhalten von Fristen und die Baustellen im In- und Ausland, das ist ein Fulltimejob. Wir sehen uns kaum noch. Da frage ich mich seit längerem, wo ist da noch Zeit für Zweisamkeit, für eine gute Beziehung, geschweige denn Platz für Kinder? Als ich letztens nach Hause kam, wollte ich noch einmal mit François darüber sprechen.“ Eve senkte ihre Augenlider. Ihre Mundwinkel zuckten und ihr Ausdruck, gerade eben noch fröhlich, bekam einen traurigen Zug. Ihre Stimme fing an zu zittern, als sie fortfuhr. „Der Klassiker. Bisher dachte ich immer, so etwas gibt es nur im Film. Dass ausgerechnet mir das passieren musste!“ Sie stockte und kämpfte mit den Tränen, als die Erinnerungen sie einholten. „Da treffe ihn mit einer anderen in unserem Bett an!“ Rasch wischte Eve die aufkommenden Tränen mit dem Hemdsärmel aus den Augen. Marie konnte Eve ansehen, wie traurig und wütend sie darüber immer noch war. „War das der Grund dafür, alleine mit dem Rad durch die Aquitaine zu radeln?“ „Genau, ich habe nur noch rotgesehen und ihn aus meiner Wohnung geworfen. Ich brauche erst einmal Abstand. Ich will erst wieder klar denken können, bis ich entscheiden kann, wie es weitergeht. Uns verbindet so viel.“ Eve erzählte weiter aus ihrem Leben. „Er wird sich noch umsehen, wenn ich ihm nicht für das neue Projekt zur Verfügung stehe. „Was ist das für ein Projekt?“, interessierte sich die Comtesse. „Es läuft derzeit europaweit eine Ausschreibung für einen Wettbewerb.“ Marie horchte interessiert auf. Eve machte es spannend. „Alle fünf Jahre schreibt die Europäische Union in Brüssel einen Landschaftswettbewerb unter einem bestimmten Motto aus. Der Sieger erhält ein Preisgeld von 150.000,00 Euro. Wer den Wettbewerb gewinnt, der ist für alle Zeiten in Insiderkreisen wohlbekannt. Ein besseres Renommee kann es nicht geben. Die Publicity ist enorm. Dieses Jahr geht es um eine Gestaltung eines Parks. François und ich haben von einem Schlossbesitzer an der Loire den Auftrag für eine komplette Umgestaltung eines Schlossgartens erhalten. Wir hätten für die Gestaltung freie Hand. Das Budget war extrem großzügig. Und die Zeitspanne hätte mit den Ausschreibungskriterien übereingestimmt.“ „Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie den Plan jetzt nicht umsetzen können, weil sie mit ihrem Ex nicht mehr zusammenarbeiten möchten?“ „Genau“, antwortete Eve. „Dabei hat er mir hoch und heilig versprochen, dass wir wieder enger zusammenarbeiten, wenn der neue Mitarbeiter eingearbeitet ist. Und danach wäre endlich Zeit gewesen, kürzerzutreten. Gemeinsame Lebenszeit. Ich habe mich so darauf gefreut. Aber wenn ich daran denke, François zu sehen … Sofort taucht das Bild in meinem Kopf auf, wie er mich mit dieser Frau in meinem Bett …“ Eve ließ es dieses Mal nicht zu, dass ihr wieder die Tränen kamen, obwohl das Gefühlschaos in ihrem Kopf tobte. Marie war eine gute Zuhörerin. Man konnte ihr ansehen, wie ihr die junge Frau leidtat. Mütterlich tätschelte sie Eve über ihre Hand, die auf der Sessellehne lag. „Es wird sie jetzt nicht trösten, Eve. Aber Sie sind jung. Es ist hart, wenn ein Lebenstraum zerplatzt. Vielleicht war es nicht der richtige Mann fürs Leben. Manchmal sieht man erst nach Jahren in der Rückschau, wieso solche Schicksalsschläge geschehen und welchen Sinn sie machen. Mit mir dürfen Sie jederzeit über ihren Kummer reden.“ Es tat Eve tatsächlich gut, ihrem Herzen Luft gemacht zu haben. Die Comtesse war eine gütige Frau.

Mitten in ihren Gedanken hinein, ertönte eine sonore Stimme von unten herauf: „Marie? Bist du oben?“ „Ja, Frederic, ich bin im Schlafzimmer, komm doch herauf“, rief die Comtesse hinunter. Kurz darauf betrat der Mann, den Eve heute Morgen bei der Trauerzeremonie wahrgenommen hatte, das Zimmer. „Hallo Marie, ich sehe, du bist nicht alleine. Störe ich? Oder soll ich später wiederkommen?“ „Nein, nein, mein Lieber. Wir sind hier fertig. Du kommst mir gerade recht. Darf ich dir meine neue Pflegerin vorstellen: Eve. Frederic, unser Gutsverwalter.“ Eve und Frederic nickten sich grüßend zu. „Sehr angenehm.“ „Wo ist Olga?“, fragte er nach. Marie erklärte ihm die Situation. „Das ist ja erfreulich, dass du so schnell Ersatz gefunden hast. Und dabei noch so einen Hübschen“ zwinkerte er mit den Augen. „Na, na, mein Lieber!“, drohte Marie schelmisch mit dem Finger. Eve ist für mich reserviert. Für dich ist sie viel zu jung.“ Es war schnell zu erkennen, dass die beiden einen lockeren Umgangston miteinander pflegten. „Was wolltest du sagen, wieso komme ich gerade recht?“, fragte Frederic nach. „Ach, ja. Wir haben ein kleines Problem. Eve benötigt etwas Kleidung für die nächsten Tage. Leider kann ich ihr nicht aushelfen. Unsere Kleidergrößen stimmen nicht überein. Ich habe da an Maxime gedacht. Sie müsste in etwa die gleiche Größe haben.“ Sie wandte sich an Eve. „Sie müssen wissen, Maxime ist Frederics Tochter. Sie wohnt auch bei uns auf dem Gut.“ An Frederic gewandt fragte sie: „Ob Eve sie fragen darf, ihr etwas auszuleihen? Du weißt schon, wegen Corona kann ich sie derzeit nicht in die Stadt zum Einkaufen schicken. Die Boutiquen sind alle geschlossen.“ „Da wird euch Maxime sicherlich helfen können. Kommen Sie doch heute Abend zum Cottage herüber. Ich frage sie vorab schon einmal.“ „Das wäre sehr nett. Vielen Dank.“ Eve betrachtete Frederic während des Gesprächs. Sein Haar war ergraut. Ein grober Bart bedeckte sein Gesicht. Seine Augen waren leicht gerötet und dunkle Augenringe fielen unter der Brille besonders auf. Er wirkte abgekämpft und müde. Sie machte sich so ihre Gedanken, ob er krank war.


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