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KAP 2 Erwachsen werden

Zu der Zeit, in der ich vom Jugendlichen langsam zum Erwachsenen werde, ist es noch eher ungewöhnlich, dass ein CF-ler überhaupt das Erwachsenenalter erreicht. Deshalb wird das Thema kaum thematisiert und stellt dementsprechend für mich eine Herausforderung dar. Denn plötzlich bin ich ein fast schon „ausgewachsener Teenager“ und siehe da, ich lebe noch. Und es geht mir den Umständen entsprechend gar nicht mal so schlecht.

So komme ich in die letzte Schulklasse. Auf Grund meiner guten Schulnoten sähen mich viele in meinem Umfeld gerne am Gymnasium und später studieren. Meine Eltern überlassen solche Entscheidungen jedoch glücklicherweise mir allein und versuchen nicht, mich zu beeinflussen.

Da ich weder die Schule noch das Lernen wirklich mag und es auf Grund meiner Lebenserwartung in meinen Augen keinen Sinn macht, weiter zur Schule zu gehen und somit vielleicht gar nie mein eigenes Geld verdienen zu können, erübrigt sich diese Frage für mich ziemlich schnell.

So mache ich einen Besuch beim Berufsberater und entscheide mich für die vierjährige Berufslehre zum Hochbauzeichner. Ich war immer gut in der Geometrie und habe Sprachen nie gemocht, so passt das ganz gut. Die Lehrstelle ist im eigenen Dorf schnell gefunden und die erste Hürde, nämlich den künftigen Lehrmeister vorgängig über die Krankheit und deren möglichen Folgen ins Bild zu setzen, ist auch geschafft. Da ich jetzt weiß, dass ich nach dem Schulabschluss versorgt bin, stelle ich jegliches Bemühen und Engagement in der Schule ein. Ich genieße meine Zeit, bevor der „Ernst des Lebens“ beginnt.

Die emotionalen und psychischen Herausforderungen nehmen indes zu. Ein starker Husten macht sich mehr und mehr bemerkbar und die körperliche Unterentwicklung ist inzwischen auch nicht mehr zu übersehen, respektive zu überhören. Denn mittlerweile bin ich wohl der einzig übrig gebliebene Junge meines Jahrgangs, der den Stimmbruch noch nicht hatte. Die entsprechenden Hänseleien bleiben selbstverständlich nicht aus. Ich bin ein absoluter Meister im Überspielen geworden und vermute daher, dass mir niemand anmerkt, wie ich darunter leide.

Damit nicht genug. Ich habe nun meine Tätigkeit als Hochbauzeichner-Lehrling begonnen und werde beim Beantworten der Telefonanrufe mit Frau Dobler begrüßt und verabschiedet. Naja, es gibt wohl Schlimmeres. Und die Zeiten werden sich ändern, und zwar gewaltig. Das kann mein verunsichertes damaliges Selbst aber natürlich nicht ahnen.

Vielleicht fragst du dich, welche Ziele hat ein Jugendlicher mit einer solchen Diagnose? Was will ein junger Erwachsener, der davon ausgeht, dass er grade mal noch einige Jahre zu leben hat, vom Leben? Ganz einfach:

Ich will die Autoprüfung noch bestehen und einmal legal Alkohol trinken dürfen. Und das wichtigste; ich will wissen, was Sex ist und wie es sich anfühlt. Leider scheint genau dieser Wunsch zu diesem Zeitpunkt für mich fast unerfüllbar. Wie soll ein Junge in meiner Verfassung jemals eine Freundin finden? Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb nehme ich jede Gelegenheit wahr, mich mit der anderen Spezies zu unterhalten.

Aber wie bereits erwähnt, die Zeiten ändern sich. Mittlerweile im 3. Lehrjahr angekommen, habe auch ich den Stimmbruch noch bekommen. Ich bestehe mit Bravur die Autoprüfung und bin zudem einer der ersten, der eine Freundin hat und zu diesem Zeitpunkt mit siebzehn Jahren seine Unschuld verliert.

Die Ziele sind also nun allesamt erreicht, was natürlich eine gewisse Bremskraft auf meine Motivation ausübt. Wofür lebe ich jetzt, was will ich, wie soll es weiter gehen? Denn, entgegen aller Erwartung und medizinischer Prognose, lebe ich ja immer noch.

Na gut, der nächste Schritt ist dann wohl, jeden einzelnen Tag, der noch bleibt, zu genießen und zu leben, als gäbe es kein Morgen mehr, denn wer weiß schon, wie lange mir noch bleibt? Und wie lebt man am besten so, als ob es kein Morgen gäbe? Natürlich, die Antwort kennt jeder, ob „krank“ oder nicht: Feiern, feiern, feiern. Und das nehme ich leider etwas zu wörtlich.

Das Ende meiner Berufslehre naht. Die Abschlussprüfung schließe ich mit einem Minimum an Lernaufwand ab. Und irgendwie habe ich es sogar geschafft, mich zwischen meinen ersten Alkoholexzessen und nächtlichen Streichen auf der Straße noch um meine kurzfristigen Zukunftspläne zu kümmern.

Und wie meine Laune so spielt, kommt mir die glorreiche Idee, eine zweijährige Zusatzlehre zum Maurer in Angriff zu nehmen. Unschwer vorzustellen, wie mein Umfeld nach dieser Verkündung reagiert. Verständlicherweise schütteln so ziemlich alle ihren Kopf und fragen mich, was denn in mich gefahren sei. Wie wolle ich das mit meiner Krankheit in Einklang bringen? Man ist sich einig, eine Talfahrt meiner Gesundheit sei auf diesem Weg vorprogrammiert. Ich mache es trotzdem.

Und meine Eltern unterstützen mich auch darin. Sie kennen mich genau und wissen, wie wichtig es für mich ist, meinen eigenen Kopf zu haben. Bei einem Gespräch teilen sie mir mit, ich solle meinen Weg gehen, wenn ich der Ansicht sei, dass es das Richtige ist. Und glücklicher- und auch ein bisschen überraschenderweise unterstützt mich sogar mein Arzt, jedoch unter der Bedingung und in gegenseitigem Einverständnis, dass ich, sollte sich mein Gesundheitszustand drastisch verschlechtern, die Zusatzlehre umgehend abbreche. Damit ist der geschmiedete Plan besiegelt. Im besten Fall werde ich diese Berufsausbildung sogar abschließen, um anschließend wieder einen Bürojob anzunehmen und eigenes Geld zu verdienen.

Aber wie sagt man so schön, erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Ich bin definitiv gefordert und durchlebe weniger gute Zeiten während diesen zwei Jahren. Zwar sind die Bewegung und die frische Luft ein positiver Aspekt in Bezug auf meine Gesundheit, zugleich stellt jedoch die körperliche Anstrengung in Verbindung mit den Witterungsverhältnissen die bisher wohl größte Herausforderung dar.

Natürlich will ich nicht wahrhaben, dass es mir gesundheitlich nicht sonderlich gut geht. In vielen Diskussionen, auf die ich mich nur widerwillig einlasse, wird mir nahegelegt, dass es vielleicht doch besser sei, dem nun ein Ende zu setzen. Ich denke nicht daran. Selbst wenn ich manchmal nächtelang durchhuste und oft mehr tot als lebendig zur Arbeit erscheine, gebe ich nicht so schnell auf. Ich bin es bereits gewöhnt zu kämpfen und habe auch nichts anderes erwartet, da ich seit Geburt an krank bin und der Verlauf in etwa der Norm entspricht.

Mehr noch, gegen Ende meiner zweijährigen Zusatz-Berufsausbildung übernehme ich die verantwortungsvolle Aufgabe, das neue Eigenheim meines Onkels zu erbauen. Ich bin wohlverstanden süße einundzwanzig Jahre alt zu diesem Zeitpunkt. Es handelt sich um den Neubau eines Zweifamilienhauses, bei welchem ich sämtliche Architektur- und Bauleitungsaufgaben auf mich nehme. Von der Projektierung über die Einreichung des Baugesuchs bei den Bewilligungsbehörden, der Ausführungsplanung bis hin zur eigentlichen Bauausführung mit den dazugehörigen Ausschreibungen und Vergabe der Arbeiten, sowie der örtlichen Bauleitung, bin ich verantwortlich und zuständig. Ich führe also alle Arbeitsgattungen an, vom Verlegen der Kanalisationsrohre bis hin zur Montage der Vorhangschienen. Ein paar Tage nehme ich mir dazu unbezahlten Urlaub bei meinem Arbeitgeber, um in der intensivsten Planungsphase die notwendigen Arbeiten innerhalb der Frist abliefern zu können. Den Rest erledige ich jedoch so nebenher und dies beinhaltet dann doch auch noch ein paar Nacht- und Wochenendschichten - schlaflose Nächte natürlich inklusive, weil ich ständig befürchte, dass ich dieser Aufgabe nicht gewachsen bin.

So gibt es auch und vor allem zu dieser Zeit meines Lebens einige Höhen und Tiefen. Gleichzeitig erhalten gerade diese Tätigkeiten mich am Leben. Tja und so will es geschehen, dass ich nach sehr erfolgreichem Abschluss dieser zweijährigen Zusatzlehre zum Maurer weiterhin als Vorarbeiter auf dem Bau arbeite und das für die nächsten fünf Jahre.

Ohne dass ich etwas ahne, steht die nächste schwierige Zeit in meinem Leben bereits vor der Tür, sowohl psychisch wie auch physisch.

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