Читать книгу UNHEILBAR GESUND - Christian Dobler - Страница 17

KAP 4

Wieder Fuß fassen

Die Veränderungen im Außen finden etwas langsamer statt. Ich lebe noch immer in Partylaune und vieles ist mir mehr oder weniger egal, gleichzeitig setze ich aber langsam wieder einen Stein auf den anderen, natürlich nicht ohne das eine oder andere Intermezzo.

Ich bin inzwischen zurück zu meinen Eltern nach Hause gezogen und die wilden Gewohnheiten beruhigen sich allmählich. An der Fasnacht in Lörrach lerne ich eine Frau kennen und wir verlieben uns beide auf den ersten Blick. Es ist mehr Verknalltheit denn Liebe. Die Auserwählte ist in Berlin aufgewachsen und wohnt zurzeit in Düsseldorf. Die Fernbeziehung stellt uns vor Herausforderungen. In der Regel sehen wir uns alle zwei bis drei Wochen, entweder sie fliegt nach Zürich oder ich fahre die rund sechs Stunden mit dem Auto zu ihr. Nach acht Monaten verläuft auch diese Beziehung im Sand und ich lerne innerhalb kurzer Zeit die nächste Frau kennen, auf die ich mich einlasse. Sie kommt aus meinem Dorf. Aber auch mit ihr ist nach zwei Monaten Bekanntschaft bereits wieder Schluss (ich weiß wieder einmal nicht, was ich will). Alle diese Geschichten waren aber vielleicht sowieso nur eine Vorbereitung auf das, was nun passiert. Denn kaum ein paar Tage sind vergangen, da lerne ich meine wahre Liebe und „Seelenverwandte“ kennen.

Es passiert an einem meiner letzten Abende, an denen ich offiziell hinter der Bar arbeite. Es handelt sich um den Einsatz an einem Groß-Anlass, bei dem viele verschiedene Bars in einer Halle, bzw. einem Festgelände zur Party einladen. Der Abend hat gerade begonnen und die ersten Besucher bereits das Gelände gestürmt. Da sehe ich von weitem eine wunderschöne, große, schlanke Blondine auf meine Bar zukommen. Sie hält nicht an, sondern läuft an mir und meiner Bar vorbei. Unsere Blicke kreuzen sich, für Sekundenbruchteile nur, doch es schlägt voll bei mir ein. So, wie ich es zuvor noch nicht erlebt habe. Ich kannte dieses Gefühl bis dahin nicht, aber ich weiß, dass ich diese junge Frau kenne, obwohl ich sie nicht kenne. Du weißt schon, was ich meine und vielleicht hast du dieses Gefühl auch schon erlebt. Es ist unmöglich mit Worten zu beschreiben. Ohne zu wissen warum, fühlt man eine unglaublich tiefe Verbindung und Vertrautheit. Es fühlt sich an, als ob wir zueinander gehören.

In diesem Moment nimmt man das Äußere kaum noch wahr. Obwohl die Frau vor mir auch objektiv überdurchschnittlich schön ist, bewusst ist mir ihre äußere Perfektion in diesem Moment keine Sekunde, denn dieser intensive Gefühlszustand nimmt meinen ganzen Körper, meinen Kopf und mein Herz vollständig ein. Da bleibt kein Platz für Anderes, Nebensächliches, Äußeres. Wie es der Zufall will, muss ihr Noch-Freund, mit dem sie freundlicherweise vor meinen Augen rumknutscht, die Party wegen Krankheit frühzeitig verlassen. Meine Auserwählte bleibt jedoch mit einem Kollegen weiter auf der Party. So erhalte und nutze ich die Gelegenheit, mit ihr einige Worte über die Bar-Theke hinweg auszutauschen. Dabei nehmen wir kaum mehr wahr, was links und rechts von uns geschieht. Das Bedienen der durstigen Gäste darf nun mein Barpersonal komplett übernehmen.

Am besagten Abend biete ich ihr als Gentleman selbstverständlich an, dass ich sie nach getaner Arbeit nachhause fahre. Da sie keine fahrtüchtigen Freunde mehr vor Ort hat, nimmt sie dieses Angebot zwar an, macht mir jedoch klar, dass sie nichts anderes will als nachhause gefahren zu werden. Natürlich bleiben meine Versuche trotzdem nicht aus, aber es bleibt bei ihrem Wunsch. Ich drücke ihr meine Visitenkarte in die Hand und überlasse alles andere dem Schicksal.

Und siehe da, bereits nach einer guten Woche meldet sie sich bei mir und wir treffen uns umgehend. Von diesem Tag an geht sie bei mir ohne Ausnahme täglich ein und aus und übernachtet auch bei mir. Mit ihrem bisherigen Lover hat sie die Beziehung ziemlich abrupt beendet.

Auch sie wurde von denselben intensiven Gefühlen übermannt, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Zwei Monate nach unserem ersten Blickkontakt haben wir bereits eine gemeinsame Wohnung. Die Weichen für unsere gemeinsame Zukunft sind nun definitiv gestellt.

Übrigens muss ich bereits am zweiten Tag mit der Wahrheit betreffend meines Gesundheitszustandes rausrücken. Durch ihr ausgeprägtes Gespür für alle Lebewesen, kann ich ihr in dieser Hinsicht unmöglich etwas vormachen. Meine Krankheit interessiert sie jedoch nur aus anatomischer und spiritueller Hinsicht. Dass ich allenfalls nicht alt werde, scheint sie nicht zu interessieren, bzw. glaubt sie nicht. Sie hat (zum Glück) eine andere Sichtweise auf die Gesundheit und das Leben, von der ich noch viel lernen werde.

In der Zwischenzeit habe ich einen neuen Job als Projektund Bauleiter begonnen. Zeitgleich absolviere ich die dazugehörige Ausbildung / Schule berufsbegleitend. Mein Beruf ist in vieler Hinsicht sehr interessant, stellt aber auch eine Herausforderung dar. So ist es eher die Ausnahme, dass ein junger Mann mitten in den Zwanzigern Baustellen führt und koordiniert, bei welchen er für bis zu 120 Arbeiter verantwortlich ist, die teilweise alle gleichzeitig vor Ort sind. Termine, Kosten und Qualität sind Themen, welche es im Griff zu haben gilt. So führe ich selbstständig die ganzen Bauleiterarbeiten für über 20 verschiedene Berufs- / Arbeitsgattungen durchs Band aus, angefangen bei der Ausschreibung und der Vergabe der Arbeiten, der Terminplanung und der Kontrolle, bis hin zur örtlichen Bauleitung und den ganzen anschließenden Abrechnungen. Hinzu kommen auch noch die Käuferbetreuungen mit den dazugehörigen Sonderwünschen.

Ich bin jetzt 27 Jahre alt und komme der 30 somit immer näher, was in meinem Fall fast unheimlich erscheint. Zwar wandle ich gesundheitlich oftmals grenzwertig durch die Gegend, schaffe es aber immer irgendwie, mit der Gesellschaft mitzuhalten, ohne krankheitshalber der Arbeit fern zu bleiben. Und hey, dabei habe ich noch nicht mal eine Lunge transplantiert bekommen.

Mein Lebensstil fordert allerdings auch seine Opfer. Von der Lebensqualität bleibt nicht viel übrig.