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Exerzitien, was heißt das?
Wer kann da mitmachen?
ОглавлениеJeder Mensch kann aus seiner Lebensmitte angerufen werden. Dies gilt für Menschen aller Religionen und Weltanschauungen, wie auch immer der einzelne Mensch seine Identität beschreibt. Wichtig ist für das Hören eines solchen Rufes die eigene Aufmerksamkeit. Wird sie fundamental durch Drogengenuss oder andere Blockaden gestört, dann ist ein Üben der inneren Wahrnehmung schwer möglich, ähnlich wie auch das Üben anderer Fertigkeiten blockiert ist. Allen anderen Menschen – krank wie gesund, älter wie jünger, intellektuell mehr oder weniger geübt, reich oder arm, Mann oder Frau, kirchlich oder kirchenfremd – stehen diese besonderen Zeiten offen.
Das Üben der Aufmerksamkeit – exerzieren heißt üben – geschieht in der Regel alleine und ist ein Suchen nach dem Kontakt mit der eigenen Lebensmitte, die wir in der inneren Beziehung zur Schöpfung finden. Der in ihr und in der eigenen Person wie in jedem Nächsten sichtbare Ursprung wird von Gläubigen geheimnisvoll Gott genannt. Wir Menschen haben keinen Zugriff auf dieses Geheimnis und sind doch ganz damit verwoben. Wir treten Gott gegenüber, in dem unsere Identität ihren Ursprung hat und der in uns lebt.
Das macht alle Übenden unterschiedlicher Herkunft sprachlos und zugleich hungrig, vorgegebene Grenzen zu überschreiten. Oder um es anders zu sagen: Die Übenden wollen im Jetzt eins mit der Umwelt und dem Ursprung leben. Alles Vergangenheitsbezogene oder zukünftig zu Gestaltende soll hintenanstehen. Diese beiden Ausrichtungen sind zu anderen Zeiten wichtig. In den Meditationszeiten stehen sie uns beim Eintreten ins Jetzt im Wege. Diese ablenkenden Gedanken legen die Übenden beiseite, möglichst ohne ihnen nachzuhängen.
Dieses Üben ist an jedem Ort der Welt möglich. Während der Exerzitien ist es wichtig, über das Erfahrene mit einem Begleiter oder einer Begleiterin zu sprechen, die das Hören des Tages mit ihrem Wahrnehmen fortsetzt. Manchmal wird erst beim Erzählen deutlich, welche Botschaften in den Erfahrungen zur Sprache gekommen sind. Die entdeckten Hinweise ermutigen, in die Wahrnehmung zurückzukehren. Doch lange Ausführungen blockieren den eigenen Prozess. Das selbst Entdeckte ist um vieles wertvoller als wohlmeinende Erklärungen.
Es gibt Exerzitienangebote für Stunden – eingestreut in den Kontext von Kirchentagen, in längeren Begegnungen oder als wiederkehrende Praxis mitten im Alltag,4 eingeflochten ins alltägliche Engagement oder als längere für das Üben reservierte Zeiten. In diesem Band werden drei Impulse mit erläuternden Texten vorgestellt, wie sie sich bei den zehntägigen Exerzitienkursen auf der Straße bewährt haben.
Jeder Mensch geht eigene Wege, in der Natur, bei der Arbeit, im Gespräch aufmerksam zu sein und sich in diese Haltung zurückzurufen, wenn sie entgleitet. Dabei sollten wir vermeiden, uns für die eingetretene Ablenkung zu bestrafen oder anderen und uns selbst gegenüber hart zu werden. An welche Erfahrungen können wir uns beim Zurückkommen in die Aufmerksamkeit erinnern?