Читать книгу Examens-Repetitorium Strafrecht Besonderer Teil, eBook - Christian Jäger - Страница 18

1. Der Lebensbeginn

Оглавление

3

Die Anwendbarkeit der Tötungstatbestände (§§ 211 ff. StGB) gegenüber den Abtreibungsvorschriften (§§ 218 ff. StGB) hängt davon ab, wann das Leben als Mensch beginnt: Insoweit zeigte der durch das 6. StrRG aufgehobene, bis zum 1.4.1998 aber noch gültige alte § 217 StGB, dass das menschliche Leben mit der Geburt beginnen sollte (Gesetzeswortlaut des ehemaligen § 217 StGB in der Fassung bis zum 1.4.1998: „… in oder gleich nach der Geburt tötet …“). Nach diesem alten § 217 StGB wurde eine Mutter, die ihr nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, privilegiert bestraft, jedoch wurde nicht angezweifelt, dass es sich dabei um ein Tötungsdelikt handelte. Damit war klar, dass das menschliche Leben strafrechtlich „in der Geburt“ beginnt. Nach h. M. wurde dabei der Beginn der Geburt durch das Einsetzen der Eröffnungswehen (im Gegensatz zu Treib- und Presswehen) gekennzeichnet.[2]

Die Aufhebung des § 217 StGB in seiner bis zum 1.4.1998 gültigen Fassung hat zu dem Streit geführt, ob mit Beseitigung der Vorschrift der Lebensbeginn nicht mehr „in der Geburt“ (d. h. mit den Eröffnungswehen) einsetzt, sondern möglicherweise erst nach der Geburt.[3]

Gegen die Wahl eines neuen Zeitpunkts des Lebensbeginns spricht aber, dass die Aufhebung des damaligen § 217 StGB lediglich der Beseitigung einer nicht mehr als zeitgemäß empfundenen Privilegierung von Tötungen nichtehelicher Kinder dienen sollte; dagegen ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit der Streichung auch die bisherige Bestimmung des Zeitpunktes des Lebensbeginns in Frage stellen wollte.[4] Für eine Beibehaltung der Bestimmung des Lebensbeginns mit Einsetzen der Eröffnungswehen streitet auch, dass die Eröffnungswehen den Moment kennzeichnen, in dem das Kind bei normalem Geburtsverlauf beginnt, den Körper der Mutter von selbst zu verlassen. Anders als bei der Schwangerschaft kann man ab diesem Zeitpunkt daher nicht mehr davon sprechen, dass die Mutter ihren Körper für eine Austragung weiter zur Verfügung stellt. Für eine Beibehaltung des bisherigen Abgrenzungszeitpunkts ist ferner anzuführen, dass das in der Geburt befindliche Kind gegenüber ärztlichen Fehleingriffen während des Geburtsvorgangs erhöht schutzwürdig ist.[5]

4

Achtung Klausur: Sollte in der Prüfungsarbeit die Frage auftauchen, ob §§ 212 ff. oder §§ 218 ff. StGB anwendbar sind, so empfiehlt es sich, kurz auf Folgendes hinzuweisen: „Da die Aufhebung des bis zum 1.4.1998 geltenden § 217 StGB durch das 6. StrRG lediglich der Beseitigung einer nicht mehr als zeitgemäß empfundenen Privilegierung von Tötungen nichtehelicher Kinder dienen sollte, ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den Zeitpunkt des Lebensbeginns mit Einsetzen der Eröffnungswehen in Frage stellen wollte.“ Daher sollte man in der Klausur den Inhalt des alten § 217 StGB zumindest wiedergeben können.

Einwirkungen auf die Leibesfrucht fallen daher, solange der Geburtsvorgang noch nicht eröffnet ist, ausschließlich unter §§ 218 ff. StGB. § 212 StGB sowie § 222 und § 229 StGB sind in diesem Stadium nach h. M. nicht anwendbar, selbst wenn die pränatale Einwirkung zu postnatalen Schädigungen führt.[6] Die Problematik veranschaulicht folgendes aus der Rechtsprechung stammendes

Beispiel:[7] A stach auf die in der 25. Woche schwangere B mehrmals mit einem Messer ein. Im Krankenhaus wurde B durch einen Notfall-Kaiserschnitt von einer Tochter T entbunden. T verstarb auf der Frühgeborenen-Station 16 Tage später an den Folgen eines durch die Stiche im Mutterleib erlittenen Herz-Kreislauf-Stillstandes. Strafbarkeit des A im Hinblick auf den Tod der T?

Lösung: In Betracht kommt hier eine Strafbarkeit wegen eines vollendeten Tötungsdelikts nach §§ 211, 212 StGB. Voraussetzung dafür wäre jedoch, dass es sich bei der Tochter bereits um einen Menschen als taugliches Opfer der §§ 211 ff. StGB gehandelt hat. Dabei beginnt zwar das menschliche Leben auch nach Fortfall des bis zum 1.4.1998 gültigen ehemaligen § 217 StGB grundsätzlich mit der Geburt, d. h. mit Beginn der Eröffnungswehen. Problematisch ist jedoch im vorliegenden Fall, dass die Stiche zu einem Zeitpunkt gesetzt wurden, zu dem die Tochter noch Leibesfrucht im Mutterbauch war, wohingegen der endgültige Tod erst nachgeburtlich eingetreten ist. Der BGH sieht diesbezüglich jedoch zu Recht den Zeitpunkt der Einwirkung als maßgeblich an, da es andernfalls von Zufälligkeiten abhinge, ob der Fötus bereits im Mutterbauch abgetötet wird oder das Kind erst nach der Geburt aufgrund des ursprünglichen Eingriffs im Mutterbauch verstirbt (vgl. auch § 8 StGB). Deshalb sei im vorliegenden Fall § 218 StGB einschlägig. Dies gelte auch dann, wenn das Kind noch einige Zeit nach der Geburt überlebe, weil kein Unterschied bestehen dürfe, ob das Kind aufgrund der Handlung bereits als Leibesfrucht oder erst nach Ausstoßung aus dem Mutterleib versterbe. Im konkreten Fall war A daher wegen Schwangerschaftsabbruchs in einem besonders schweren Fall nach § 218 I, II S. 2 Nr. 2 StGB zu bestrafen.[8]

Bei einer durch Kaiserschnittentbindung erfolgenden Geburt soll nach wohl h. M. die Öffnung des Uterus der entscheidende Zeitpunkt für den Lebensbeginn sein.[9]

Entscheidend ist aber jedenfalls, dass das Kind im Zeitpunkt der Geburt auch tatsächlich gelebt hat (siehe oben das geschützte Rechtsgut!).[10] Keine Rolle spielt dagegen die weitere Lebensfähigkeit.[11]

Die hier dargelegten Grundsätze hat der BGH in einer aufsehenerregenden aktuellen Entscheidung bestätigt. Dazu folgender

5

Fall 1: R ist Leitende Oberärztin für Geburtsmedizin im Klinikum N. Ihr vorgesetzter Chefarzt ist V. Zu ihnen kam S mit einer Risiko-Zwillingsschwangerschaft, weil es aufgrund einer Verbindung der Blutkreisläufe der Zwillinge über Gefäßverbindungen in der Plazenta zu einem Ungleichgewicht des Blutaustauschs kommen konnte. Ende Mai/Anfang Juni 2010 wurde bei dem einen Zwilling eine schwere Hirnschädigung festgestellt, weshalb S über die Möglichkeit eines selektiven Fetozids (Tötung nur des geschädigten Zwillings im Mutterbauch) informiert wurde. S entschloss sich, die Geburt des gesunden Zwillings und den Fetozid im Klinikum N durchführen zu lassen. R erklärte ihr, dass eine Injektion mit Kaliumchlorid zur Tötung des schwer geschädigten Zwillings die Gefahr berge, dass dieses auch in den Blutkreislauf des gesunden Zwillings gelange. Eine für den gesunden Zwilling gefahrlose Tötung wäre nur in einer Spezialklinik möglich gewesen, in der die Nabelschnurgefäße des betroffenen Fetus mittels eines 3 mm großen Instruments (Koagulationszange) durch elektrische Spannung verschlossen werden. Einen Wechsel in eine andere Klinik wollte S aber nicht. Die Ärztin R und ihr Chefarzt V entschlossen sich daher dazu, den selektiven Fetozid unmittelbar mit der Geburt des gesunden Kindes im Zusammenhang mit der Sectio (Kaiserschnitt) durchzuführen. Am 28. Juni 2010 verfassten der bis dahin behandelnde Arzt und ein weiterer Arzt ein Indikationsschreiben, wonach eine Indikation zum Schwangerschaftsabbruch nach § 218a II StGB (bitte lesen!) gegeben sei. Am 11.7.2010 setzten in der 32. Schwangerschaftswoche Wehen ein. Ob es sich bereits um Eröffnungswehen handelte, konnte später nicht festgestellt werden. R und V entschlossen sich, den geplanten Kaiserschnitt vorzunehmen, in dessen Verlauf zunächst der gesunde Zwilling entbunden und unmittelbar im Anschluss daran der geschädigte – jedoch lebensfähige – Zwilling mittels Kaliumchloridinjektion getötet werden sollte. Dabei war beiden bewusst, dass sie sich durch diese von den medizinischen Fachkreisen nicht vorgesehene Operationsmethode über geltendes Recht hinwegsetzten und einen Menschen töten würden, was sie in Kauf nahmen, um den Wunsch der S umzusetzen. R öffnete Bauchdecke und Gebärmutter der S, wobei ihr V assistierte. Der gesunde weibliche Zwilling wurde entnommen, seine Nabelschnur durchtrennt. Anschließend töteten sie den noch in der Gebärmutter liegenden anderen Zwilling durch Injektion von Kaliumchlorid. Den toten Zwilling, der ohne die Gabe von Kaliumchlorid zwar lebensfähig, aber schwer behindert gewesen wäre, hoben sie aus der Gebärmutter und nabelten ihn ab (Berliner Zwillingsfall nach BGH NJW 2021, 645[12]).

6

Lösung:

I. In Betracht kommt hier ein mittäterschaftlicher Totschlag nach §§ 212, 25 II StGB durch R und V.

1. Tatbestandsmäßigkeit

Fraglich ist, ob eine Tötung nach § 212 im Sinne einer Verkürzung menschlichen Lebens verwirklicht wurde. Ausschlaggebend dafür ist die Frage, ob die Tötungsdelikte nach §§ 211 ff. StGB bereits anwendbar waren oder ob noch die Vorschrift über den Schwangerschaftsabbruch nach § 218 StGB einschlägig war.

a) Was den Zeitpunkt der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ anbelangt, so schließt sich der 5. Senat der herrschenden Auffassung[13] an, wonach der Zeitpunkt der Anwendbarkeit der §§ 211 ff. StGB durch das Einsetzen der Eröffnungswehen gekennzeichnet ist. Zu Recht widerspricht der fünfte Senat denjenigen Stimmen in der Literatur, die sich gerade angesichts des hier zu beurteilenden Sachverhalts für eine Verlegung des maßgeblichen Zeitpunkts auf das Ende der Geburt ausgesprochen haben. Er beruft sich dafür auf den Willen des Gesetzgebers. Dieser habe bei Streichung des § 217 a.F. durch das 6. StrRG[14] (unzeitgemäße Privilegierung der Tötung eines nichtehelichen Kindes durch die Mutter in oder gleich nach der Geburt) deutlich gemacht, dass der Lebensbeginn im Sinne der §§ 211 ff. StGB mit Einsetzen der Eröffnungswehen („in der Geburt“) durch die Abschaffung dieser Vorschrift nicht verändert werden solle.[15] Auch betont der 5. Senat noch einmal, dass die durch das Strafrecht abgesicherte Schutzbedürftigkeit des bereits in der Geburt befindlichen Kindes erhöht sei, so dass eine verstärkte auch strafrechtliche Absicherung erforderlich sei. Zu Recht betont der BGH dabei, dass der Wortlaut des § 218 StGB eine solche Auslegung zulasse. Allerdings bleibt der BGH an dieser Stelle eine nähere Begründung schuldig. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil § 218 StGB selbst nur von einem Abbruch der Schwangerschaft spricht, ohne das Ende der Schwangerschaft selbst näher zu definieren. Aber im Ergebnis muss man auch hier dem 5. Senat darin zustimmen, dass der Wortsinn des § 218 StGB eine solche Auslegung ermöglicht. Dafür spricht vor allem auch der Gesichtspunkt, dass das Kind spätestens mit den Eröffnungswehen selbst anzeigt, dass es nun bereit ist, von selbst den Körper der Mutter zu verlassen und damit die Fortsetzung des mütterlichen Lebensschenkungsprozesses zu beenden.[16] Auch wenn dies kein bewusst vom Kinde ausgelöster Vorgang ist, wird die Schwangerschaft mit Einsetzen der Eröffnungswehen auf natürliche Weise abgebrochen, sodass die Vorschrift des § 218 StGB, die sich auf den durch Dritte oder die Mutter vollzogenen Schwangerschaftsabbruch bezieht, nicht mehr anwendbar ist. Wären es daher im vorliegenden Fall nachweisbar Eröffnungswehen gewesen, im Rahmen derer V und R den Eingriff bei S vornahmen und schließlich das Kind töteten, so wären schon damit §§ 211 ff. StGB anwendbar gewesen.

b) Fraglich ist, ob sich zugunsten von R und V etwas anderes ergibt, wenn man davon ausgeht, dass es sich im vorliegenden Fall nicht bereits um Eröffnungswehen handelte, sondern um vorgelagerte Wehen (wie etwa Vor- oder Senkwehen), die R und V zum Anlass nahmen, plangemäß nach Öffnung der Gebärmutter den gesunden weiblichen Zwilling aus dem Mutterbauch zu holen und anschließend den verbliebenen schwer geschädigten weiblichen Zwilling durch Injektion von Kaliumchlorid im geöffneten Uterus zu töten. Fraglich ist insoweit, ob jedenfalls spätestens durch die Öffnung der Gebärmutter der strafrechtliche Lebensschutz der §§ 211 ff. StGB eröffnet war. Der BGH hat auch dies entgegen einiger Stimmen in der Literatur[17] zu Recht bejaht. Er sieht keinen Grund, bei einer Mehrlingsgeburt, bei der der erste Zwilling schon geborgen ist, hiervon abzuweichen. Insbesondere gibt es für den 5. Senat keine Veranlassung, den Zeitpunkt nach hinten auf die Vollendung der Geburt (also das Herausheben des Kindes aus dem Mutterbauch und Durchtrennen der Nabelschnur) zu legen. Tatsächlich wäre eine solche Verlegung des maßgeblichen Zeitpunkts auch wenig plausibel: Bereits mit der Öffnung des Uterus verliert das Kind seinen natürlichen Schutz der ihn umgebenden Gebärmutter. Auch nach dem Wortsinn würde man bei einem geöffneten Uterus nicht mehr von einer Fortdauer der Schwangerschaft sprechen. Der BGH sieht dabei, dass die moderne Medizin bereits fetalchirurgische Eingriffe ermöglicht, zu deren Zweck der Uterus geöffnet und anschließend wieder verschlossen wird, um die Schwangerschaft fortdauern zu lassen. Um dem daraus möglicherweise abzuleitenden Einwand zu begegnen, vertritt der BGH daher überzeugend eine objektiv-subjektive Bestimmung des Begriffs der Schwangerschaft. Diese liegt nur vor, wenn der Uterus noch geschlossen ist oder nach vorübergehender Öffnung wieder geschlossen werden soll. Das ist plausibel, weil auch bei einer beabsichtigten erneuten Schließung des Uterus von einer Beendigung der Schwangerschaft nicht gesprochen werden kann. Wird der Uterus dagegen zum Zwecke der Beendigung der Schwangerschaft geöffnet, dann ist dies der Zeitpunkt, in dem der Lebensschutz nach §§ 211 ff. StGB beginnt. Dafür spricht übrigens auch der biologische Aspekt, dass das Kind nach Öffnung des Uterus und noch vor Trennung der Nabelschnur zur selbstständigen Atmung fähig ist und eine Umkehr des Prozesses – vergleichbar dem Einsetzen der Eröffnungswehen – zumindest im Normalfall nicht mehr stattfindet.

c) Dabei handelten R und V auch mit Tötungsvorsatz. Es lag hier sogar dolus directus 1. Grades vor. R und V beabsichtigten die Tötung des Zwillings, um dem Wunsch der Mutter nachzukommen.

2. Rechtfertigung

Zu untersuchen ist, ob sich R und V auf Rechtfertigungsgründe berufen können.

a) Dabei scheidet eine Anwendung der §§ 32 und 34 StGB von vornherein aus:

aa) Zu dem Zeitpunkt, zu dem R und V das Kind töteten, bildete dieses für das bereits abgenabelte Zwillingsmädchen keine Gefahr mehr. Von einem Angriff im Sinne von § 32 StGB hätte man nicht einmal zuvor sprechen können, da die bloße risikobehaftete menschliche Existenz nicht als willentliche Rechtsgutsbedrohung verstanden werden kann, wie sie § 32 StGB voraussetzt.[18]

bb) Daher könnte ohnehin nur § 34 StGB einschlägig sein. Jedoch fehlte es (unabhängig von der Abwägbarkeit menschlichen Lebens) zum Tatzeitpunkt an einer noch gegenwärtigen Gefahr für den anderen Zwilling.

cc) Allenfalls könnte man von einer Gefahr für die Mutter sprechen, die offenbar mit dem schwer behinderten Kind nicht leben konnte. Insoweit käme als Rechtfertigungsgrund eine analoge Anwendung des § 218 II Nr. 1 StGB in Betracht. Jedoch trifft hier § 218a II Nr. 1 StGB die ausdrückliche Regelung, dass eine Rechtfertigung wegen medizinisch-sozialer Indikation[19] (i.S.e. mütterlichen Gefahr) nur bei noch bestehender Schwangerschaft in Frage kommt. Gerade diese ist aber mit Öffnung des Uterus bereits beendet gewesen (s. soeben). Der BGH hat daher zu Recht eine analoge Anwendung unter Hinweis auf den Ausnahmecharakter dieser Vorschrift verneint. Denn man würde den ab dem Zeitpunkt der Menschwerdung erhöhten strafgesetzlichen Schutz auf diese Weise relativieren, indem man den vorgeburtlich verminderten Schutz auf das nachgeburtliche Leben überträgt.

3. Schuld

Auch sind Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe nicht ersichtlich. Insbesondere ist auch ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu verneinen, da sich R und V bewusst über geltendes Recht hinwegsetzten.

4. Minder schwerer Fall des Totschlags nach § 213 StGB

Auf Strafzumessungsebene kommt allerdings eine Anwendung des § 213 StGB in Betracht. Tatsächlich hat das LG Berlin ohne Beanstandung durch den BGH einen solchen minder schweren Fall des Totschlags angenommen, indem es neben dem lange zurückliegenden Tatzeitpunkt und der fehlenden Vorbestrafungen berücksichtigte, dass R und V der S in ihrer schwierigen Situation nur helfen wollten und im Ergebnis den Zustand herstellten, der im Falle eines erlaubten selektiven Schwangerschaftsabbruchs eingetreten wäre. Aus alldem leitete das LG Berlin für den hier vorliegenden Totschlag nach § 212 StGB eine Anwendbarkeit des § 213 StGB ab und verurteilte R nur zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und V zu einer Freistrafe von einem Jahr und neun Monaten, die jeweils auf Bewährung ausgesetzt wurden, obgleich es die Tatsache, dass kein Notfall vorlag, sondern die Tat geplant war, straferschwerend berücksichtigte. Gerade Letzterem widerspricht der BGH aber zu Recht, da die Planung hier nicht Ausdruck einer kriminellen Energie, sondern der ärztlicherseits erforderlichen Operationsvorbereitung war und zudem das Fehlen von Milderungsgründen nicht erschwerend berücksichtigt werden dürfe.[20]

II. Gleichzeitig mit dem Totschlag ist auch eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 I Nr. 2 (die Kaliumchloridspritze ist hier in der Hand des Mediziners kein Heil-, sondern im Gegenteil Angriffsmittel) und § 224 I Nr. 5 StGB verwirklicht. Sie tritt jedoch im Wege der Subsidiarität hinter § 212 StGB zurück.

Examens-Repetitorium Strafrecht Besonderer Teil, eBook

Подняться наверх