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Kapitel 3
Оглавление„From Dusk To Dawn“
Als die ersten Würstchen und Steaks auf dem Rost brutzeln, steht plötzlich eine hagere, hoch gewachsene Gestalt im Zimmer. Obwohl das kurze Haar schon leicht angegraut ist, wirkt er nicht alt. Der Mann ist Dirk Draeger, seines Zeichens Produzent aller Morgoth-Alben bis 1996 und Proberaumnachbar aus alten Tagen. Schon bei den ersten Sätzen bemerkt man den Papa-Faktor von Dirk im Verhältnis zur Band. Er hatte bereits ein paar Jahre als Profimusiker auf dem Buckel, als sie sich kennen lernten. Natürlich will ich erst einmal etwas über seine eigene musikalische Vorgeschichte wissen:
„1983 habe ich mit zwei Freunden die Band ‚Short Romans‘ gegründet. Wir bekamen einen Plattenvertrag bei einem Wave-Indi-Label namens JA! Music in Hagen. Das war ein kleines Label und wir haben nach einem Auftritt auf einem Festival ein 8-Spur-Demo aufgenommen, das als Platte rauskam. Davon haben sich vielleicht 1000 Stück verkauft, aber trotzdem waren wir auf einmal im Fernsehen: Formel 1, Musikkonvoi, WDR. Das war so 1984/85. Der WDR hat uns ziemlich gefördert. Wir liefen im normalen Radio, waren mit den Toten Hosen auf Tour, die damals sehr jung waren. Daraus entstanden viele Kontakte. Das Interesse großer Plattenfirmen war da und so sind wir schließlich zu Teldec gewechselt. Unser Album hieß ‚Short Romans‘ und war wesentlich kommerzieller. Aber wir haben uns ohnehin nie als harte Band verstanden, strebten eher nach Perfektion, obwohl wir auch auf vielen echten Pogo-Events gespielt haben. Bei Teldec konnte ich dann mit vielen renommierten Leuten zusammen arbeiten.“
Dirk erzählt dies ohne rührige Nostalgie. Das ist wirklich spannend, denn Bands wie seine gab es viele in den 80ern. Also lasse ich ihn gerne fortfahren:
„Wir waren in den Rüssl Studios in Hamburg von Otto Waalkes. Als junge Leute haben wir mit den älteren zusammengearbeitet. Damals hattest du als junge Band eigentlich immer einen Mentor, das ist heute verloren gegangen. Es waren Leute, die von sich erzählten, sie hätten noch mit den Beatles auf der Bühne gestanden, Leute, die schon mehrere Riesenerfolge miterlebt hatten und entsprechend abgebrüht waren. Wir waren noch recht unbedarft, wir waren die, die produziert wurden, aber dennoch hat man mitbekommen, wie es so läuft. Außerdem gab es, verglichen mit heute, ein Riesenbudget. Promo-Leute der Plattenfirmen wurden eingeflogen, das war kein Problem. Das waren die goldenen Zeiten, die CD kam gerade auf, und es wurde viel Geld verpulvert, das war unglaublich. Unser Album war nicht der Riesenerfolg, aber wir waren mit dabei.“
Seine erste Bekanntschaft mit Morgoth schildert er so:
Dirk: „Wir hatten im Westfleisch-Gebäude den besten Proberaum, den man sich vorstellen konnte, von einer Jazzband geerbt. Er gehörte der Stadt und da gab es auch immer mal Probleme. Man flog so im Schnitt einmal im Jahr raus, aber wir haben es dann doch geschafft, zehn Jahre dort zu bleiben. Daneben gab es so ein kleines Kabuff, in dem ab und zu mal Leute waren. Meistens stand es jedoch leer. Dann kamen die vier und nahmen es in Beschlag. Carsten und Rüdiger waren totale Metalfans. Sie lebten das alles, es war ihre Religion. Sie saßen auf dem Sofa, lasen Musikzeitschriften und hatten diesen Plan. Das hat mich von Anfang an fasziniert. Diese Band existierte eigentlich nur im Kopf. Sie hatten noch kein vollständiges Equipment, konnten noch nicht richtig spielen, aber sie wussten schon genau, was sie machen wollten.“
An den Tag, als sie mit ihrem neuen Equipment vorfuhren, erinnert er sich besonders:
Dirk: „So etwas hatte ich noch nicht gesehen. Als Musiker kannte ich es so, dass man sich jedes Teil einzeln vom Teller abspart. Aber die haben das ganze Geld auf einmal organisiert und waren plötzlich fetter ausgerüstet als wir. Da, wo die meisten Musiker schwächeln, in der Organisation, war besonders Carsten ziemlich gut. Er war schon damals ein Typ, der unheimlich viel auf die Beine stellen konnte. Wir haben oft zusammen gesessen. Wir waren eben die großen, die auf Tour gingen. Sie haben uns viel gefragt, wie man dieses und jenes macht. Wir haben ihnen viele Tipps gegeben. Wir haben uns angefreundet, viele Parties gemacht bei denen und bei uns und wurden so eine Gang im Laufe der Zeit.“
Carsten: „Short Romans waren musikalisch um Längen besser als wir, aber davon haben wir eben auch viel gelernt.“
Es gab nicht den einen Tag, an dem es hieß: „Hey, ich bin ab heute Eurer Produzent.“ Vielmehr merkten Morgoth früh, dass sie einen Nachbarn hatten, der ihnen von der Profimusik gewissermaßen aus dem Auge des Sturms berichten konnte. Im täglichen Umgang war es dann irgendwann nur noch Formsache, als sie Dirk fragten, ob er sie bei der Produktion des ersten Demos unterstützen würde. So bekamen sie ihren Stammproduzenten, der seine Erfahrungen gerne an sie weitergab:
Dirk: „Jeder Produzent muss eine Mischung aus fünf Aspekten haben: Geschäftsmann, Techniker, Lehrer, Musiker und Kumpel. Aber die sind unterschiedlich verteilt, deswegen wählt man ja auch unterschiedliche aus. Ich habe schon mal einen etwas pädagogischen Ansatz, ich gebe gerne etwas weiter an die Bands.“
Das erste Demo ‚Pits Of Utumno‘ ist kürzlich neu aufgelegt worden und präsentiert Morgoth noch als reine Proberaum-Band, die ihren Idolen nacheifern. Die Bezeichnung ‚Ultra Thrash‘, die sie am Anfang noch für ihre Musik gewählt haben hört man deutlich heraus.
Carsten: „‚Pleasure To Kill‘ hatte definitiv einen großen Einfluss am Anfang, was man auch auf dem Demo hört. Danach war es dann nicht mehr so.“
Dirk Draeger half ihnen bei der Aufnahme der ersten musikalischen Gehversuche. Im Unterschied zur Band selbst, die sich als eher durchschnittlich talentiert beschreibt, hebt er die Qualitäten der damaligen Teenager hervor.
Dirk: „Sie hatten sich schon einige Songs ausgedacht, Carsten und Rüdiger vor allem. Harry schleppte permanent Sachen an, aber auch Carsten hat absolute Killerriffs geschrieben. Rüdiger hatte die Lieder im Kopf. Er ist ein super Drum-Komponist, war aber technisch noch nicht soweit. Ich finde seine Kompositionen bis heute irre. Er hatte ein sehr hohes Niveau, was die Ideen anging, aber sie waren fast unspielbar, das war für ihn die Herausforderung. Ich kenne kaum einen Drummer, der so kompositorisch veranlagt ist wie Rüdiger. Dann saßen sie gemeinsam vor dem Gettoblaster und hörten sich Metallica und Death und andere an. In dieser Phase kann man eigentlich sagen, dass man alle drei Monate eine neue Band gehabt hat, weil sie sich so schnell entwickelt haben.“
Eventuelle Gemeinsamkeiten im Musikgeschmack sind zunächst in der Tat kein Grund zum Brüderschaft trinken zwischen den Short Romans und Morgoth. Aber die Zielstrebigkeit dieser angeblichen Krawallmacher ist durchaus etwas, das Dirk schon zu Beginn beeindruckt. Immerhin haben sie es überhaupt geschafft, diesen Proberaum zu bekommen. Sie treffen sich täglich während der Proben, machen Party zusammen und tauschen sich aus. Die vier Jugendlichen wissen, dass Dirk bereits einige Erfahrungen im Musikgeschäft hat und so erzählen sie ihm von ihren Visionen, spielen ihm Musik vor und zeigen ihm in Metalzeitschriften, wie so etwas auszusehen hat.
Morgoth proben und proben und proben, fünfmal pro Woche, jeweils ab 7 Uhr abends, und so dauert es nicht lange, bis sich die Frage nach dem ersten Demo stellt. Carsten spricht daraufhin im örtlichen Musikgeschäft vor und organisiert tatsächlich ein Mischpult inklusive einer stattlichen Anzahl von Mikrofonen, denn die ersten Songs sollen im Proberaum aufgenommen werden. Der Sound ist etwas problematisch. Für ‚Ultra-Thrash‘, wie sich die Morgother ihn vorstellen, gibt es wenige Vorbilder, lediglich die Alben der bekannten Thrash-Bands und besonders die von allen verehrten ersten beiden Alben von Death, ‚Scream Bloody Gore‘ und ‚Leprosy‘. Natürlich beratschlagen sie sich mit Dirk über die Möglichkeit, den Sound möglichst gut auf ein Tape zu bannen und er zögert nicht lange, als man ihn zum Produzenten ernennt.
„Hey Dirk, hör Dir das an. So einen Sound brauchen wir. Randy Burns im Music Grinder in Hollywood und Scott Burns im Morrissound in Tampa. Das sind die Besten und so wollen wir klingen! Besonders wie der Sound von Leprosy.“
„Naja, so einen Sound, den werden wir in Eurem Proberaum nicht hinbekommen. Aber man kann es versuchen.“
„Super! Dann kriegst Du einen Turm Bierkästen und wir nennen Dich ab heute Produzent!“
„Gemacht, aber lasst mir auch was von dem Bier übrig.“
Dirk ist zu diesem Zeitpunkt zwar weit davon entfernt, sich als Produzent zu betrachten, aber immerhin verfügt er über die Erfahrung, für die Short Romans sämtliche Demos aufgenommen zu haben. Außerdem hat er bereits mit renommierten Produzenten zusammen gearbeitet, mit Leuten, die schon an mehreren kommerziellen Riesenerfolgen beteiligt waren. Er weiß, wie im Musikgeschäft Bands so produziert werden, dass ihre Stärken hervortreten und wie sie im Studio agieren müssen, damit sie hinterher auf dem Band richtig glänzen. Außerdem weiß er inzwischen, dank der unzähligen Gespräche, was die Band will, und genießt ihr Vertrauen.
Einige Tage später sind die Spuren für sechs Songs im Kasten: ‚From Dusk To Dawn‘, ‚Being Boiled‘, ‚Eternal Sanctity‘, ‚Pits Of Utumno‘, ‚The Beyond‘ und ‚Dance Their Dance‘. Während Dirk die Regler des Mischpults bedient, verfestigen sich zwei Eindrücke, die er bereits früh von der Band hatte: Zum einen werden sie in der Tat Woche für Woche besser an ihren Instrumenten und darüber hinaus verstehen sie es, ihre Songideen zu arrangieren. Die Musik ist im wahren Wortsinne noch ‚Ultra-Thrash‘, aber zwischen dem unvermeidlichen Geknüppel gibt es durchaus gedrosselte Passagen, die das Material dynamisieren. Marc ist, wohl in Erinnerung an seine ‚Flag Of Hate‘-Performance, in stimmlicher Hinsicht Mille noch sehr nahe. Die tieferen Gefilde hat er noch nicht entdeckt.
Die im Proberaum aufgenommenen Songs werden in Marcs Zimmer, also in seinem Elternhaus, gemischt. Sein Kumpel Jörg, der später bei der Combo Dark Millennium als Bassist einsteigen wird, zeichnet Gevatter Tod als Geiger auf das Cover; ‚Demo 88‘ steht als kleiner Hinweis darauf. Das ist das erste wirkliche Lebenszeichen von Morgoth. Dem Namen, der schließlich unter dem Bandnamen prangt, wird immer mehr Bedeutung zuteil: „Pits of Utumno“ – die Gruben von Utumno – die Festungsstadt Melkors, wo er unzählige Monster züchtete und sie auf die Völker der Arda losließ, und der finsterste Ort in der gesamten Tolkin-Saga. Ja, genau so sollte die Musik klingen!
Kurz darauf, als es sich alle mit Bier versorgt auf der Blümchencouch bequem gemacht haben und ‚From Dusk To Dawn‘ durch den Proberaum schallt, kommt Carsten herein und wedelt mit einem handgeschriebenen Zettel.
„Okay, ich habe die Liste der Firmen. Sind alle, die ich auftreiben konnte. Hab auch die Adressen. Da schickten wir das Teil hin!“
„Ja, würde mich wundern, wenn da keine Antwort drauf käme.“
„Leute, macht Euch mal keine Illusionen. Die meisten hören sich solche Tapes gar nicht erst an. Aber bei denen hier könnte es klappen.“
Carsten hält den Zettel hin und tippt auf die Stelle, auf der er ‚Noise‘ notiert hat.
‚Das ist das Label von Kreator. Die machen fast nur Metal. Deshalb werden wir da auch persönlich antanzen und ihnen das Tape in die Hand drücken.‘
„Die sind in Berlin! Da brauchen wir ein Transitvisum und eine Karre haben wir auch nicht.“
„Ja und?“
Einfach machen. Carsten organisiert alles und wenige Tage später rollt ein alter Mercedes über die Transitstrecke durch die DDR in Richtung Berlin, an Bord ein Pulk langhaarige Teenager, die den Argwohn der Beamten prompt auf sich ziehen. Am Checkpoint Alpha des Grenzübergangs Helmstedt-Marienborn geht noch alles glatt. Dann führt eine von dicken Betonmauern gesicherte Straße zur GÜSt, der Grenzübergangsstelle. Alle müssen ihre Reisepässe abgeben, dann lassen die Beamten sie aussteigen und filzen das Auto. Mit Argusaugen und Taschenlampen suchen sie nach Schmuggelware oder was sonst noch den Siegeszug des Sozialismus aufhalten könnte. Endlich bekommt jeder einen Transitvisumsstempel in seinen Reisepass und die Fahrt kann weitergehen. Pausen sind nur im Notfall gestattet, Umwege gar nicht. Der Stempel mit der Einreisezeit zeigt außerdem, ob man sich auch angemessen beeilt und diese Gastfreundschaft nicht über Gebühr genossen hat. Nach ungefähr 200 Kilometern haben sie es hinter sich: West-Berlin. Nun geht es zu Noise, das Demo abgeben.
„So, wie ist nochmal die Adresse? Wer hat sie aufgeschrieben?“
„Ich nicht.“
„Ich auch nicht.“
„Nö, ich dachte Du.“
„Das gibt’s doch nicht! Hat keiner die Adresse aufgeschrieben?“
„Nein, aber das war Kurfürsten irgendwas 100.“
„Ja, Kurfürstendamm wahrscheinlich. Also fahren wir dahin. So‘n Sitz von ner Plattenfirma wird man ja nicht übersehen können!“
So tuckert das 56 PS starke Mobil über die einstige Prachtmeile West-Berlins, die sich seit Jahren in stetigem Verfall befindet. Am Lehniner Platz gibt es eine Hausnummer 100, aber keine Spur von einer Plattenfirma. Also wenden an der Gedächtniskirche und zurückfahren, am Kaufhaus des Westens vorbei, nichts. Schließlich steigen sie aus und machen sich zu Fuß auf die Suche. Während die anderen spekulieren, wo sich die Firma dieses gewissen Karl Walterbach befinden könnte, erspäht Marc einen Rumänen, der die Passanten mit einem Hütchenspiel unterhält.
„Ey, guckt mal! Habt ihr den Typen mit der Kugel gesehen? Du musst nur raten, unter welchen Hütchen sie ist, dann verdoppelt er den Einsatz! Ist total einfach!“
„Marc, lass doch den Scheiß, wir müssen diese Firma finden.“
„Ach was, ich hab 100 Mark dabei für Platten. Wenn ich 200 habe, dann können wir wenigstens so richtig einen draufmachen!“
Es ist einer dieser jugendlichen Momente, an die man sich sein Leben lang erinnert. Wie in einer fremden Stadt in ein Striplokal zu gehen und zu erfahren, dass die kleine Flasche Picollo, die man gerade der leicht bekleideten Frau ausgeben hat, weil sie meinte, man sei süß, 100 Mark kostet. Oder dass auf dem Ziffernblatt der goldenen Uhr, die man gerade auf einem Basar für sagenhafte 100 Mark erstanden hat, ‚Rollex‘ statt ‚Rolex‘ steht. Oder dass die Typen, die um den Hütchenspieler herumstehen und ständig gewinnen, die Brüder des Spielleiters sind und sich unter dem Hütchen, an das man seine 100 Mark gelegt hat, eben nicht die Kugel befindet. Dumm, naiv, gutgläubig; ebenso, wie zu glauben, dass man einfach so nach West-Berlin fahren und sein Demo bei der Plattenfirma abgeben kann, abends in der Herberge ankommen und zwei weitere Tage in Berlin verweilen – ohne Geld – und zuletzt schließlich die Heimfahrt, das ganze Transitprozedere noch einmal, nur dieses Mal unter veränderten Vorzeichen. Zuhause angekommen, niedergeschlagen, denn man sieht jetzt, dass die Adresse die Kurfürstenstraße 100 war, nicht der Kurfürstendamm und natürlich ist der Briefkasten leer, keine Antwort von einer Plattenfirma. Der ungezügelte Ehrgeiz erhält zum ersten Mal einen richtigen Dämpfer. Es geht halt nicht von selbst.
Bei Morgoth ist der Ehrgeiz trotz des Berlin-Desasters ungebrochen. Die Antworten der anderen Plattenfirmen bleiben zwar weiterhin aus, aber tatsächlich melden sich erste Fanzines, die Interviews machen wollen und Kontakte nach Südamerika entstehen, wohin ‚Pits Of Utumno‘ ebenfalls verschickt wird. Sogar Autogrammkarten wollen einige. Zum Glück gibt es seit Anfang 1987 in Dortmund einen neuen Szenetreffpunkt. ‚Sir‘ Hannes Schmidt, Sänger von den Idiots, hat seinen eigenen Plattenladen inklusive Vertrieb gegründet. Der Name ist natürlich: IdiotsRecords. Seitdem trifft sich alles, was in der Stadt irgendwie ein Instrument in der Hand hält, auch regelmäßig dort, insbesondere die Bands, die im Proberaumkomplex des Ceag-Gebäudes proben. Das sind neben den Idiots selbst auch Metalbands wie Angel Dust, Liar, Risk oder Crows. Auch der Herausgeber des örtlichen Fanzines Rock Hard, Holger Stratmann, verkehrt dort regelmäßig. So schnappen sie sich die ‚Pits Of Utumno‘-Tapes und fahren nach Dortmund. Dort, in diesem Plattenladen, soll zumindest schon einmal das erste Demo ausliegen.
Im Laden herrscht wie üblich jene ehrfürchtige Stimmung, die einem mit Vinylfutter gespickten Heiligtum entspricht. Einmal mehr bestaunen die Jungs diese bis zur Decke gefüllte Schatzkammer. Nur Carsten nicht. Der geht schnurstracks zur Theke, hält ‚Sir‘ Hannes das Tape unter die Nase und fragt, ob er ‚Pits Of Utumno‘ in Kommission nehmen würde. Er schmeißt daraufhin das Teil sofort in die Anlage und die ersten Töne von ‚From Dusk To Dawn‘ schallen durch den Raum. Gutes Gefühl. Nach zwei Minuten geht Hannes zu einem Plattenregal und zieht unter dem Buchstaben ‚D‘ eine Platte hervor.
„Hier, hört Euch das mal an.“
„Despair? Nie gehört. Warum?“
„Der Sänger von denen hat gerade ein Label gegründet. Die sind im Moment mit Death auf Tour, kommen demnächst auch ins Tor 3 nach Düsseldorf.“
„Klar, nehme ich, höre ich mal rein.“
Das Album, das Marc sich an diesem Tag kauft, heißt ‚History Of Hate‘ und ist das Debüt der Dortmunder Band Despair. Was ihm wenig später um die Ohren fliegt, ist die erste kreative Explosion des Gitarristen und Songschreibers Waldemar Sorychta, der später noch reichlich Furore mit seiner Band Grip Inc. und besonders seinen Produktionen machen sollte. Progressiv veredelter Thrash-Metal könnte eine Bezeichnung dafür sein, nicht so hart wie Morgoth, aber inspirierend und voller kompositorischer Finessen technisch extrem versierter Musiker wie Sorychta, Gitarrist Marek Grzeszek oder Schlagzeuger Markus Freiwald. Aufgenommen im Berliner Music Lab von einem der Metal-Produzenten der Zeit, Harris Johns, der schon für Helloween, Sodom, Kreator, Voivod und weiß Gott noch welche Bands hinter den Reglern gesessen hat und der sogar mit Death auf Europa-Tour war. Und dann auch noch ein eigenes Label. Despair haben alles, was ambitionierten jugendlichen Musikern einen Riesenklos in den Hals treiben kann.
Aber immerhin ist ein kleines Label eine Möglichkeit. Man hört ja über die etablierten Plattenfirmen so einiges. Die wollen alles bestimmen, die Musik, das Artwork, selbst das Outfit der Musiker und zu allem Überfluss streichen sie das meiste Geld ein und ehe man sich versieht, sitzt man wieder auf der Straße, sobald der Erfolg ausbleibt. Bei einem Label, bei dem der Betreiber selbst Musiker ist und eine Band hat, könnte das anders aussehen. Also ab nach Düsseldorf zum Konzert!
Death sind mit ‚Leprosy‘ auf ihrer ersten Europatour und somit ist das Konzert ohnehin schon fest eingeplant. Ist nicht so viel los, 50 oder 60 Leute, die dem, was inzwischen von immer mehr Leuten ‚Death Metal‘ genannt wird, lauschen. Nach dem Gig halten die Morgother an den Tresen und Ständen des Tor 3 nach dem 20-jährigen Sänger von Despair Ausschau, den sie bisher nur vom Albumfoto her kennen. Doch an diesem Abend suchen sie vergeblich. So hängt sich Carsten am nächsten Tag über das Dortmunder Telefonbuch, sucht jenen Robert Kampf, wohnhaft in der Harnackstraße, und seine Telefonnummer heraus und ruft an. Einfach machen: „Bist Du Robert?“
Man versteht sich. Die bandeigene Firma, der Robert den völlig unmetallischen Namen ‚Century Media‘ gegeben hat, betreut bereits neben Despair eine Schweizer Band namens Poltergeist, Rumble Militia aus Bremen und Liar aus Dortmund. ‚Pits Of Utumno‘ ist allerdings noch nicht das, was Robert nachhaltig überzeugt, aber er ist interessiert. So rät er Morgoth noch ein Demo aufzunehmen und es wieder an ihn zu senden.