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2.9 Bildwahrnehmungen

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„Während die Wortnachricht erst durch den ‚Verdauungstrakt’ der kognitiven Informationsverarbeitung gehen muß, nehmen wir Bildnachrichten gleich intravenös auf.“ (Schulz 1996, S. 6)

Die aktuelle Medienrezeption ist zumindest bei den älteren Zuschauern nach wie vor durch das Fernsehen geprägt, dessen Programm oftmals über einen bildorientierten und unterhaltsamen Medienstil verfügt. Gleichwohl werden Bilder nicht mehr ausschließlich über das lineare Fernsehen in Echtzeit rezipiert, sondern zeitversetzt über weitere mobile Endgeräte mit einem digitalen Zugang. Soziale Bildnetzwerke wie die Foto-Sharing-Plattform Instagram sprechen ein breites Spektrum an Nutzern an, die visuelle Inhalte einstellen, anklicken und teilen. Die Gruppe der jugendlichen Rezipienten im Alter von zwölf bis 19 Jahren konzentriert sich primär auf die Internetangebote. Einer repräsentativen Befragung von mehr als 1.000 Personen dieser Zielgruppe im Rahmen der JIM-Studie 2020 (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2020) zufolge steht YouTube mit 57 % auf dem ersten Platz. Den zweiten Platz belegt Whats-App (31 %) vor Netflix (16 %) und Google (14 %).

Visuelle Wahrnehmungen können Zusammenhänge leichter fassbar machen. Sie bleiben länger im Gedächtnis haften als gesprochene oder geschriebene Worte. Es entsteht der Eindruck, dass Bilder einen authentischen Ausschnitt der Wirklichkeit wiedergeben, obwohl die Auswahl der Bilder, die Perspektive des Betrachters und die Schnittfolge dazu beitragen, Bearbeitungen zu ermöglichen (vgl. Forster 2003, Grittmann 2003, Schicha 2003 und 2013b, Godulla 2014, Krämer 2019).

Aus einer normativen Perspektive gilt die hohe Glaubwürdigkeit von Bildern bisweilen als problematisch, da bildliche Informationen weit weniger kritisch rezipiert werden als vergleichbare sprachliche Informationen. Es wird bemängelt, dass durch die visuelle Kommunikation keine Argumentationskette herausgebildet wird. So argumentiert Röll (1998, S. 44):

„Wahrnehmungsformen und Kommunikationsgewohnheiten werden zunehmend von der Logik der bildgeprägten Information und Unterhaltung bestimmt. Da der Eindruck und nicht das Argument zählt, wird logisch kausales Denken in den Hintergrund gedrängt. Bildliche (Schein-)Welten treten an die Stelle der interessegeleiteten Weltbilder des diskursiven Zeitalters.“

Dieser Auffassung folgt Leif (2001, S. 9) ebenfalls: „(Inszenierte) Bilder, gut gestylte Stimmungen und überlegt eingesetzte Emotionen verdrängen immer mehr die Argumente oder den redlichen intellektuellen Austausch.“ Die Wahrnehmung wird durch die visuellen Sinneseindrücke beherrscht,

„[…] nicht die Sprache oder das Denken. Geschichte und Zusammenhänge, Erörterungen, Differenzierungen und Begründungen langweilen eher, erscheinen als unbestimmt und problematisch. Sie lenken ab, verscherzen Aufmerksamkeit, vergraulen das Publikum, verderben das Geschäft. Sie passen nicht zum Bildmedium und seinen Möglichkeiten.“ (Meyer 1995, S. 55)

Insgesamt wird der sprachliche Argumentationsstil durch einen bildlichen ergänzt, und die Bilder besitzen nicht mehr nur die Funktion, Sprache oder Texte zu ergänzen oder zu illustrieren. Faktisch werden zentrale Informationen und Emotionen über Bilder transportiert, die unterschiedliche Wirkungen bei den Betrachtern auslösen können.

Bildethik

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