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3.2 Bildethik

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„Erst der Umgang mit Bildern in der Praxis zwischenmenschlicher und massenmedialer Kommunikation bindet Bilder in normative Kontexte ein und stellt [...] Fragen nach dem richtigen Handeln mit Bildern, die in den Bereich der Bildethik fallen […]“ (Leifert 2007, S. 298).

Die Ethik verfügt im Gegensatz zum Recht nicht über juristische Steuerungs- und Sanktionsmöglichkeiten, sondern setzt auf Reflexion und Sensibilisierung in Fällen der Verletzung gültiger Normen und Werte. Sie beschäftigt sich mit der Begründung von Handlungen und Unterlassungen (vgl. Birnbacher 1995) sowie der Entwicklung von Kriterien für moralisch angemessene Entscheidungen. Sie fordert die Rücksichtnahme auf Andere und kann somit Bedürfnisse und Freiheiten der agierenden Akteure einschränken. Dem Postulat des Universalismus zufolge sind ethische Grundsätze „für alle Menschen gleichermaßen verbindlich, unabhängig von Zeit, Ort oder besonderen Umständen“ (Hepfer 2008, S. 21).

Die angewandte Ethik „hat es mit Konflikten zu tun“ (Knoepffler 2010, S. 261) und besitzt dem Verständnis des Philosophen Manfred Riedel (1979, S. 8) zufolge die Funktion einer „Krisenreflexion“. Es wird davon ausgegangen, dass die ethische Argumentation auf der Erfahrung basiert, „daß er auch immer um das ‚Übel‘ verfehlten Lebens, aber nicht verläßlich um das ‚Gute‘, um Bedingungen gelingender Lebensführung, weiß“ (Riedel 1979, S. 7f.).

Es geht darum, moralisch fragwürdige Inhalte und Praktiken in realen sozialen Zusammenhängen zu identifizieren, einzuordnen und zu bewerten. In der Praxis- oder Bereichsethik finden sich zahlreiche Arbeitsfelder, in der normative Fragen reflektiert und diskutiert werden (vgl. Paganini 2020). Das Spektrum reicht von der medizinischen Ethik (vgl. Sass 1989) über die ökologische Ethik (vgl. Birnbacher 1986), Umweltethik (Ott 2010) und Klimaethik (Birnbacher 2016) bis hin zur Wirtschaftsethik (vgl. Lenk/Maring 1992).

Die Bildethik als normative Disziplin der angewandten Moralphilosophie wird in der Regel der Oberkategorie der Medienethik zugeordnet, zu denen u.a. die Informationsethik (vgl. Bendel 2016), die Internetethik (Irrgang 2011) und die Maschinenethik (Misselhorn 2019) gehören. Bei Grimm, Keber und Zöllner (2019) wird die angewandte Ethik im Kontext der Neuen Medien als Digitale Ethik klassifiziert, bei der es um die normative Bewertung beim Einsatz von Algorithmen und Social Bots geht (vgl. Schicha 2018d und 2019b, Stalder 2019).

Da sich die angewandte Ethik auf menschliche Aktivitäten bezieht, ist die Bildethik keine Ethik des Bildes, da es sich bei Bildern um Dinge handelt, die keine moralischen Rechten und Pflichten haben (vgl. Tappe 2016). Die Bildethik ist als Reflexions- und Steuerungsinstanz von den Entscheidungen der menschlichen Akteure abhängig, die Verantwortung tragen (vgl. Schicha/Brosda 2010, Schicha 2019b). Dabei geht es um die Prozesse der Erstellung (Produktion), der Bereitstellung (Distribution) und der Nutzung (Rezeption) von Bildinhalten (vgl. Funiok 2007).

Die Bildethik agiert wie alle Formen der angewandten Ethik im Spannungsfeld zwischen Ideal- und Praxisnormen (vgl. Birnbacher 1988). Zu den Idealnormen gehören u.a.

 die Grundprinzipien informierter Einwilligung,

 die Freiwilligkeit,

 die informationelle Selbstbestimmung,

 die Beachtung des Persönlichkeits- und Datenschutzes

 sowie die Anonymität und Schadensvermeidung.

Aus diesen Vorgaben sollen konkrete und praktikable Handlungsoptionen für die kommerzielle Medienpraxis abgeleitet werden, um auf gesellschaftlicher, institutioneller und individueller Akteursebene Orientierung zu geben (vgl. Schlütz/Mohring 2016). Es ist zu differenzieren zwischen der

 Individualebene der journalistischen Ethik, bei der der einzelne Fotograf ausschließlich für das veröffentlichte Bild verantwortlich ist.

 Auf der Professionsebene sollte das berufliche Verhalten durch die Entwicklung eines Berufsethos in Form von Ethikkodizes für den Journalismus berechenbar gestaltet werden.

 Die Organisationsebene beruft sich auf die Verantwortung der Medienunternehmen. Hierbei werden neben den Medienschaffenden zusätzlich die Besitzer und Betreiber von Massenmedien in den Verantwortungshorizont mit einbezogen.

 Zusätzlich werden die Mediennutzer auf der Publikumsebene im Verständnis einer Publikumsethik dafür verantwortlich gemacht, was sie kaufen, konsumieren und weiterverbreiten. Es geht hierbei um einen mündigen Nutzerkreis, der in der Lage ist, entsprechende Entscheidungen des Medienkonsums gut begründet zu treffen oder abzulehnen. Dabei wird an die Einhaltung ethischer Standards appelliert.

 Auf der Metaebene werden Prinzipien der Medien- und Bildethik diskutiert, die sich auf ethische Theorien beziehen und Begründungen für ein angemessenes Verhalten auf der Basis von Werten und Normen aufzeigen (vgl. Friedrichsen/Gertler 2011, Schicha 2019b).

Innerhalb bildethischer Bewertungen kommen moralische Urteile zur Anwendung. So wird diskutiert, welche Bilder nach welchen Kriterien überhaupt veröffentlicht werden dürfen. Hierbei spielt die Würde des (abgebildeten) Menschen, auf die im Artikel 1 des Deutschen Grundgesetzes explizit verwiesen wird, eine wichtige Rolle. Daran anknüpfend werden ethische Prinzipien berücksichtigt, die u.a. die Wahrheit und Selbstbestimmung tangieren (vgl. Knieper/Müller 2003, Schicha 2003 und 2013b, Godulla 2014, Krämer/Lobinger 2019). Grundsätzlich lässt sich konstatieren,

„[…] dass ethische Reflexionen kein Verbots- oder Verhinderungsinstrument für die Visuelle Kommunikationsforschung sind. Sie sind vor allem ein zentrales Qualitäts- und Reflexionsmerkmal guter Forschung, das auch Orientierung und Sicherheit gibt.“ (Venema/Pfurtscheller/Lobinger 2020, S. 302)

Den Ansatz einer Prinzipienethik verfolgen die Medizinethiker Beauchamp und Childress (1989). Wesentlicher Bestandteil der Alltagsmoral sind

 der Respekt vor der Autonomie des Betroffenen,

 die Schadensvermeidung

 sowie Fürsorge und Gerechtigkeit.

Derartige Leitlinien sollen in den Prozess der ethischen Begründung und Entscheidungsfindung einbezogen werden. Die Prinzipien sind so gestaltet, dass sie in der konkreten Anwendung einen Freiraum für Abwägungen und Priorisierung einzelner Prinzipien hinsichtlich ihrer Gewichtung bieten. Es ist zu prüfen, ob diese Maßstäbe in einem konkreten Fall in Konflikt zueinanderstehen oder miteinander harmonieren. Sofern dieses Konzept auf den normativ angemessenen Umgang mit Bildern übertragen wird, stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien die Veröffentlichung von Bildern gerechtfertigt werden kann. So ist zu diskutieren, ob eine individuelle Schädigung eines Einzelnen durch eine Abbildung, auf der er zu sehen ist, durch die Fürsorge im Verständnis einer Aufklärungspflicht gegenüber der Öffentlichkeit gerechtfertigt sein kann. Zentral ist weiterhin die Frage, ob Bilder denjenigen schaden, die abgebildet werden. Es geht darum, Hassbilder (Hornuff 2020) zu verhindern, die oftmals in Kombination mit Hasssprache als Instrument der Denunziation dienen sowie Abwertungs- und Ausgrenzungsmustern sowie Stereotypisierungen folgen.

Deontologische Ansätze einer Pflichtethik können den normativen Diskurs ebenfalls beeinflussen (vgl. Suda 2005). Hier kann z. B. diskutiert werden, ob es eine ethische Verpflichtung gibt, gesellschaftliche Missstände im Bild zu dokumentieren. Utilitaristische Ansätze einer zweckorientierten Ethik, die die Auffassung vertreten, dass der Gesamtnutzen aller Betroffenen maximiert werden soll, können ebenso in die Debatte eingehen, um Kriterien zu entwickeln, nach denen zu entscheiden ist, welche Bilder unter welchen Umständen gemacht werden dürfen und an welche Personen oder Gruppen sie weitergeleitet werden dürfen. Unter Rückgriff auf derartiger Theoriekonzepte kann die Bildethik neben dem Bildrecht einen konstruktiven Beitrag dazu leisten, richtige Entscheidungen nach einer gründlichen Analyse und Abwägung beim Umgang mit Bildern zu treffen.

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