Читать книгу Geschichten aus Friedstatt Band 1: Glutherz - Christian Voss - Страница 4
Kapitel 1 Freiheit am Horizont
ОглавлениеUmdrehen erübrigte sich, dieser scharfe Gestank war mir bekannt. Tareg Wölfe, größer als ihre nahen Verwandten im Süden. Schneller und wesentlich hungriger. Ich stelle mich vor: Ich bin Bagatosh von Minzerath – einst die Klinge der Gilde, gefürchteter Assassine der Schattenländer – jetzt nunmehr – ein Gejagter, ein Gesetzloser ohne Bleibe, ohne Hab und Gut, gewissermaßen, ein Obdachloser auf der Flucht. Wie es dazu kam, werdet ihr fragen? Nun – ich wuchs in der Gilde von Minzerath auf. Lernte dort mein Handwerk von der Pike an – zu meinem Leidwesen erwuchs mir ein außergewöhnliches Talent, wie vielen Anderen auch – das Talent des lautlosen Tötens – es wurde im Unterricht stetig gefördert, doch ich entwickelte diese Fähigkeit zur höchsten Präzision. Die Obmänner der Gilde wurden hellhörig – und schlau wie sie waren, wussten sie meine Talente gewinnbringend einzusetzen.
Schon sehr früh tötete ich: heimlich, still und leise, die unliebsame Prominenz der Schattenlande, natürlich nur diejenigen, die sich im Sinne der Gilde nicht sehr diplomatisch zeigten. Zum Beispiel: Säumige Zahler, die ein Schutzgeld einfach nicht akzeptieren wollten. Ihre späte Erkenntnis über Sinn und Zweck dieser heimlichen Aktionen nahmen sie, schweigsam geworden, mit in die kalte Grube. Nutzlos waren ihre gestammelten Ausflüchte, der schwarze Stahl durchtrennte die Venen und ließ ihre erbärmliche Existenz augenblicklich enden, irgendwo mit dem Gesicht im Matsch, oder mit dem leblosen Kopf auf wachsbeschmierten Tischen einer namenlosen Taverne – ihr Tod war immer gnädig, schnell und unvorhergesehen über sie gekommen.
Hastig sah ich mich um. Ein Hecheln und hungriges Knurren folgten mir. Ich sah die sattgrünen Sträucher, sie nickten und wippten. Es war an der Zeit einen Unterschlupf zu finden. Hier gab es überall kleine Mulden und Gruben, Schächte und Tunnel. Zwerge waren hier einst auf der Suche nach Tonixadern tief in den Berg eingedrungen. Diese Erzvorkommen waren längst erschöpft, doch ein Netzwerk aus begehbaren Tunneln blieb zurück. Tonix galt als der härteste Stahl, kam aber schnell aus der Mode, da er sich als ein wirksames Kontaktgift entpuppte, in den Händen der Menschen, an die der Großteil der Vorkommen verkauft wurde.
Die Wanderer mieden diese Unterschlüpfe, da sich dort üblicherweise, viel wildes Getier einrichtete. Schon so mancher Wanderer verlor seinen Kopf, wenn irgendein Wildwuchs des Nachts über sie herfiel oder eine Hexe ihnen die Knochen bei lebendigem Leibe herausschnitt.
Ich bin natürlich schlauer, bewaffnet und mit einer Laterne ausgestattet, die mir zwar bei jedem Schritt, unangenehm in die Seite schlägt – doch es ist stets besser etwas Licht zu haben, statt im Dunkeln zu tapsen.
Diese Jagd dauert jetzt schon drei Tage und es wird Zeit zu ruhen. Nebenbei: nicht nur die Wölfe jagten mich, auch ehemalige Mitstreiter der Gilde. Barweh und Gittamehr waren tot. Obmänner – beide gegeißelt mit einem krankhaften Ehrgeiz. Sie konkurrierten um die Macht, kein Mittel schien ihnen ehrenrührig. Doch eines Nachts geschah etwas, was ich einfach nicht mehr ignorieren konnte. Beide beauftragten mich, jeweils den anderen zu töten. Glaubt mir – ich steckte in einer sprichwörtlichen Zwickmühle. Für den Moment verhielt es sich, wie mit einem glühenden Stück Stahl, das unfreiwillig zwischen Hammer und Amboss geriet. Wie sollte ich mich unbeschadet aus der Affäre ziehen?
Schnell lief ich den Abhang hinunter, ich passierte eine Höhle. Aushub aus Kies und Felsgestein rauschte lebhaft zwischen meinen Füßen den Berg hinab. Da war er, ein größerer Zugang. Gutsichtbar gähnte dieser Schlund unter mir. Mein banger Blick wanderte hinauf: Die Wölfe waren noch nicht auszumachen. Nebel sickerte hinab und nahm mir die restliche Sicht.
Damals entschloss ich mich sowohl Barweh als auch Gittamehr zu töten. Der Hydra beide Köpfe abzuschlagen. Der Plan schien elegant, doch nur für den Moment. Leider gab es Mitwisser und die neideten mir die leitende Position, die mir, im Falle des Ablebens der beiden Obmänner, zuviele. Und so wurde der einst elitäre Bagatosh zu einem steckbrieflich gesuchten Meuchelmörder, einem Gezeichneten. Jeder durfte mich fortan jagen und, im Falle meines Todes, das horrende Kopfgeld kassieren. Die Höhle schien groß genug. Ich nahm den Beutel mit den Glimmwürmern. Drei zählte ich. Ich rieb einen an meinem Hosenbein. Der fingerdicke Wurm begann leicht zu flackern. Ich setzte ihn behutsam in die Laterne und schloss sie vorsichtig – diese Tiere waren hochsensibel. Einen Moment würde es dauern und der Glimmwurm würde gleißend hell leuchten. Die Höhle reichte weit in den Fels hinein, das konnte ich bereits von hier gut ausmachen. Der Gang senkte sich. Es roch würzig nach Moos und feuchter Erde. Gespannt hielt ich inne und horchte. Ein vielkehliges Heulen wurde laut. Die Wölfe schienen meine Fährte verloren zu haben. Ich bin von Natur aus sehr vorsichtig, doch manchmal packt mich die Neugierde. Viele Geschichten hatte ich über diese Zwergenhöhlen gehört. Bei einem Humpen Süßwein oder bei einem guten Braten, überall in den Tavernen von Schattenland: Desto mieser die Spelunke und unmusikalischer die Barden, umso mehr waren sie geneigt, ihre Geschichten mit allerlei – angeblich versteckten – Artefakten auszuschmücken. Wenn man schon mal hier war, konnte ich mich auch voll und ganz der Höhle widmen. Der Gang war abschüssig, doch alles in einem gemessenen Niveau. Ohne Probleme stieg ich hinab. Meine Ledersohle rutschte manchmal, aber ich behielt die Kontrolle über meinen Gang. Den Turban band ich ab und wischte mir mit der löchrigen Stoffbahn unentwegt die Stirn. Es wurde wärmer und die Luft stickiger. Kiesel rasselte hinab. Erstaunt horchte ich nach dem unerwarteten Geräusch. Zu früh gefreut. Ein Hecheln wurde hörbar. Schnell machte ich mich daran, den Fuß des Tunnels zu erreichen. Überall hingen Wurzeln hinab. Sicherlich die Wurzelspitzen der riesigen Ammentannen, die überall hoch über meinem Kopf einen fast undurchdringlichen Forst bildeten. Ich bahnte mir meinen Weg nach unten, bis ich auf einen großen Felsensaal stieß. Alles hätte ich erwartet – nur nicht so viel Freiraum. Schnell begab ich mich zum nächsten Tunnel, der hoffentlich aus diesem Felsendom und hinauf ins Licht führte. Meine Vierbeinigen Verfolger zwangen mich vorschnell aufzubrechen. Ich achtete darauf, einen besonders schmalen und niedrigen Gang für meine weitere Flucht zu wählen. Wölfe würden hier mit Sicherheit steckenbleiben. Und tatsächlich, kaum hatte ich diesen Gedanken zu einem Ende gebracht, tauchte ein großer Wolf, hinter mir in den Tunnel – mit dem Kopf voran, preschte er ungebremst hinein. Der übergroße Hund blieb natürlich stecken. Sich seiner peinlichen Situation bewusst, fing er markerschütternd an zu heulen. Andere wollten nachdrängen, doch der lebendige Pfropfen hielt. Er knurrte und spie Speichel. Seine roten Augen leuchteten zornig, doch das wilde Gebären half nicht, er steckte an Ort und Stelle fest. Langsam schritt ich in gebückter Haltung auf ihn zu. Ich zückte kaltblütig mein Messer und stach in eines der rotglühenden Augen. Der Hauch seines Atems traf mich heiß, es roch nach Verwesung und halbgekauten Innereien. Er heulte markerschütternd, betäubt von diesem wilden Ruf taumelte ich zurück. Doch ich nahm erneut Anlauf und stach ein zweites Mal in seinen Augen. Erblindet röchelte der Wolf, seine lange Schnauze wand sich und sein Kiefer schnappte wutentbrannt nach mir. Aber seine Zähne zielten ins Leere und so entging ich seiner rasenden Verzweiflung, unverletzt. Schnell fort dachte ich, und folgte meinem neu gewählten Gang. Eine gewisse Zeit verlief er schnurgerade, doch nach einer fast einstündigen Wanderung stieg er unvermittelt an. Ein Wurzelvorhang versperrte mir den Weg. Dahinter lag ein Ausgang, etwas Licht tastete sich in das Zwielicht des Schachts. Ich war ein ganzes Stück vorangekommen – denn als ich aus der Höhle trat, sah ich die Küste und davor die weit ausladende Stadt. Friedstatt lag vor mir, im goldenen Licht, der aufgehenden Sonne getaucht. Dort unten lag eine Zukunft. Friedstatt, die unabhängige Zuflucht und Heimstätte aller Wesen des großen Reiches. Eine freie Stadt ohne Fürst oder König. Ein Truchsess herrschte mehr oder weniger – obwohl der Herrschaftsanspruch von vielen ausging und von mehreren konkurrierenden Parteien beansprucht wurde, gelang es keinem die Oberhand zu gewinnen. Alle erwarteten die Rückkehr des Königs der Könige, denn der Truchsess war bereits ein greiser, seniler Grobian, der willkürlich in die Geschäfte der Stadt eingriff, was besonders den Dieben missfiel. Vergeblich versuchte der Truchsess Ehrengeist, familiäre Bande mit den umgebenden Fürsten zu knüpfen. Sein Manko waren die ausgesprochen hässlichen Töchter, die seine Grauweib Gefährtin ins Leben entließ. Bei den hässlichsten von ihnen zeigte er Erbarmen und ertränkte sie kurzerhand, da zu befürchten war, dass die Sonne bei ihrem Anblick vom Himmel fiele. Bei anderen zeigte er unerwartete Güte und Nachsicht und schickte sie des Nachts zu den Zwergen, deren Augen nicht so anspruchsvoll waren und in deren Höhlen es immer dezent dunkel war – ausreichend um nicht einen schnellen Herztod zu erleiden. Außerdem war es für die Zwerge ein Privileg, eine Menschenfrau sein Eigen zu nennen. Nun, über Geschmack lässt sich nicht streiten und das Auge ist unbestechlich.
Ich richtete meinen Waffengürtel. Mein Krummsäbel fiel mir beinahe aus der Scheide. Der Turban war schnell gebunden. Mit einem Gefühl der Erleichterung schritt ich ins Tal hinab – in die Sonnenbucht. Niemand konnte mich dort unten belangen oder meine Auslieferung verlangen, neutraler Boden erwartete mich. Freudig und leicht wurde mein Schritt. Alle würden mich mit Würde behandeln, denn meine Kleidung wies mich aus als Assassine der legendären schwarzen Gilde. Die Flucht endete vorerst – ich war gespannt, auf das legendäre Treiben in der Stadt Friedstatt mit ihren vielen Türmen, den Karawanen aus dem Süden und dem Fluss Stich, der die Stadt feinsäuberlich in zwei Lager aufteilte. Er sprudelte aus der Gebirgskette im Norden, den Vielwasserbergen und mündete golden, glänzend im Meer. Der Blick, der sich dem Reisenden bot, war wirklich außergewöhnlich. Nicht nur einmal blieb ich stehen und horchte nach dem geschäftigen Treiben. Stimmen, Klänge und Gerüche wehte mir die vom Meer kommende Brise entgegen.