Читать книгу Geschichten aus Friedstatt Band 1: Glutherz - Christian Voss - Страница 5
Heimliche Liebschaften
Оглавление"Ich will nicht diese ausgeleierten Huren der Hafengasse, wie oft habe ich dir das schon gesagt!" bellte der greise Verwalter der Stadt seinen einäugigen und buckeligen Diener namens Hausschild an. "Erinnerst du dich, ich bekam die Krätze!" Hausschild nickte stoisch – er erinnerte sich nur zu gut. Der Besitzer des Bordells, die Götter haben ihn selig, verließ sich auf billige Magie und Zaubersprüche. Das rächte sich, denn gerade auf dem Bett des hohen Herrn, verlor die Frau plötzlich, und wie von Geisterhand ihren Liebreiz. Der faule Zauber war nicht mehr zu übersehen und die Manneskraft des Truchsess verflog mit jedem weiteren Blick. Die Strafe war übertrieben, doch maßgeblich und gleichzeitig eine Warnung, die Elixiere des Magier–Viertels mit Bedacht, zu nutzen. Die Stadtwache brannte das Haus nieder – und mit ihm seine gesamte Belegschaft. Die arme Hure wurde gleich am selben Abend heimlich am Fluss ertränkt. Man sagt: selbst die Söldner, die diese wenig rühmliche Aufgabe übernahmen, wichen angewidert zurück bei ihrem Anblick.
Seitdem, so erzählte man sich in den nahe gelegenen Slums, ging ihr Geist um, und jeder, der ihr begegnete, fürchtete um sein Gemächt. Denn sie war rachsüchtig und mit scharfen Zähnen bewaffnet, die sie jedes Mal, wenn sie einem Mannsbild begegnete, mit einem angsteinflößenden Fauchen zur Schau trug.
"Also suche mir meine Herzensdame, die Melanore, die Schöne! Und verdreh mir nicht schon wieder die Augen, du weißt, wen ich meine und wie ich zu ihr stehe."
Hausschild nickte bestätigend. Die Frau war wirklich außergewöhnlich – über sie sprach man wie über ein gut gehütetes Geheimnis. Sie war zugegen, omnipräsent, doch wirklich wissen tat man nichts. Sie war ein öffentliches Mysterium. Ein Schatz, der blendete und verführte doch, sein Geheimnis nicht offenbarte. Sie ging ein und aus im Hause Ehrengeist, natürlich dezent, unauffällig, sie wurde nachts heimlich durch den Hintereingang geschleust und früh morgens von Hausschild mit einem Umhang bedeckt, in das entsprechende Etablissement zurückgeführt, natürlich durch den Keller auf der Rückseite des mehrstöckigen und reichverzierten Hauses. Wohlstand unterstellte man Melanore. Die Prunkfassade sprach für sich, und Neider rief sie auf den Plan. Schon oft hatten erzürnte Ehefrauen Rufmord betrieben – und schon mehr als einmal kam es zur Anklage, am hiesigen Sklavengericht, denn Huren galten als Sklaven, rechtlos und mittellos sollten sie bleiben. Doch niemand konnte ihr Reichtum beweisen, und ihr Herr hüllte sich in Schweigen. Ganz offensichtlich war er der Nutznießer in der ganzen Geschichte und über alle Maßen geschäftstüchtig. Er folgte einer ganz einfachen Weisheit – wenn man wollte, dass eine Gefallene Geld verdiente, musste man sie pflegen. So kam es, dass sie immer wieder von jeglicher Schuld freigesprochen wurde, was das Verhältnis zu der weiblichen Nachbarschaft natürlich nicht verbesserte, sondern für neuen Zündstoff sorgte.
"Wo ist sie nur! Ich hab seit Tagen nicht von ihr gehört!" Ja, das war in der Tat seltsam. Niemand schien zu wissen wo sich Melanore zurzeit aufhielt. Hausschild hatte mehrfach einen weiteren Bediensteten mit Nachricht ausgeschickt. Doch er kam unverrichteter Dinge zurück. Sie blieb verschwunden und Bolder, ihr Beschützer, war außer sich. Auch er wusste keinen Rat. Sie hatte Ausgang, ein weiteres Privileg, das er ihr zugestand, aber dieses Mal war sie nicht zurückgekommen. Ein paar Schläger suchten bereits seit zwei Tagen die Stadt ab, aber ihre Spur verlor sich bereits, einen Steinwurf entfernt, in der nächsten Gasse. Sicher war sie maskiert, unkenntlich für alle Beteiligten. Aber warum war sie so einfach geflohen? Es ging ihr doch ausnehmend gut. Bolder verstärkte seine Bemühungen noch – Fehlanzeige. Sie blieb unauffindbar. Nur einer hatte sie gesehen, Brecht der Bettler. Melanore hatte ein gutes Herz und so gab sie ihm, immer wenn sie an ihm vorbei schlich, einen kleinen Obolus – je nach Tagesform, ein oder zwei Kronen. Er leierte dann routiniert mit seinem zahnlosen Mund die gleiche Dankesformel, sah aber zur Abwechslung seinen Gönner mal an und immer bemerkte er die Kapuze, unter der eine Strähne rotes Haar verspielt hervorblitze. Immer dann machte Brecht Anstalten aufzustehen, doch die Dame wies ihn jede Mal resolut an sitzen zu bleiben – die Stimme war wie Harfenklang, und der heranwehende Parfümduft wie das Tor zum Himmel. Er konnte sie durchaus riechen, trotz seiner von Schmutz verkrusteten Nase. Sie war von edlem Geblüht, davon war Brecht überzeugt. Und ihre Freier sicherlich auch, jedenfalls was ihr Können betraf.
Ehrengeist war wütend, er lief in seinem Arbeitszimmer auf und ab, Tage waren vergangen, seine Frau mit den Töchtern auf Reisen – und er musste die wertvolle Zeit ungenutzt verstreichen lassen. Die Sonne ging unter, als er aus dem hohen Fenster auf den Hof sah. Kam da nicht eine Kutsche? Ehrengeist öffnete die Fenster und lehnte sich auf die breite Fensterbank. Ja, tatsächlich – und die Kutsche hatte aus der Ferne verdammte Ähnlichkeit mit seiner Hauskutsche. Ehrengeist seufzte enttäuscht und gleichzeitig erleichtert. Seine Frau ahnte schon seit langem seine Untreue, daher war es nicht verwunderlich, dass sie früher als angekündigt hier eintraf. Wütend und enttäuscht schloss er die Riegel der Fenster. Nun, seine Ehe war gerettet, aber seine Lust blieb obdachlos bis auf weiteres. Er musste Melanore unbedingt wiedersehen. Diese weiße Haut und die roten Locken unterhalb des Bauches gingen ihm nicht aus dem Kopf. Der Schönheitsfleck neben den, blutvollen Lippen. Ehrengeist schüttelte sich vor Entzücken. Ein anderes Bild stieg vor seinem inneren Auge auf und bereitete ihm Schrecken, das Bild seiner Frau, ein Grauweib aus dem Norden, ebenso hässlich und abstoßend wie die Lande aus denen sie entstammte.