Читать книгу Wanderfieber - Christian Zimmermann - Страница 24

Оглавление

Nasser Ruhetag

Tag 17: Dienstag, 21. Mai 2019, 0 km (461 km)

Es regnet die ganze Nacht in Strömen und ein Ende ist nicht abzusehen. Die Donau führt bereits sichtlich mehr Wasser und dieses fliesst schokoladenbraun daher. Ich konsultiere die Wettervorhersage online und diese verheisst nichts Gutes. Der gesamte Tag soll nass bleiben. Es werden anhaltende und ergiebige Niederschläge erwartet, bis zu 50 Liter Wasser pro Quadratmeter, örtlich sogar mehr. Bäche und Flüsse könnten über die Ufer treten. Ja, und die Donau fliesst nur 30 Meter hinter meinem Zelt in einer langen Schlaufe durch die Stadt. Im Hintergrund kann ich laute Sirenen hören. Ist die Feuerwehr schon fleissig am Keller auspumpen? Ich muss nicht lange überlegen und beschliesse, die Sintflut an diesem trockenen und geschützten Ort auszusitzen.

Nachdem ich das Frühstück beendet habe, kriecht Felix aus seinem Zelt. Er habe in seinem dünnen Schlafsack erbärmlich gefroren und könne nicht mehr schlafen, jammert er. Da er keine Isoliermatte eingepackt hatte, lag er auf dem harten Boden. Er ist offensichtlich schlecht ausgerüstet und ich koche dem vor Kälte schlotternden Bayer einen starken Kaffee. Dankbar schlürft er den schwarzen Trank aus meiner Tasse und wärmt seine Finger am heissen Gefäss. Und so erzählt er aus seinem Leben: Er zähle 27 Jahre und sei nie einer geregelten Arbeit nachgegangen. Als der Hype mit der Kryptowährung Bitcoin losging, habe er mutig investiert und hatte Glück, dass sich sein Kapital sehr gut entwickelte. Er wusste früh, dass ein normales Leben mit Frau, Kindern, Haus, zwei Autos und Karriere nichts für ihn sei. Nur seinen Grosseltern zuliebe studierte er Psychologie. Er schrieb sich in einer Online-Uni ein und schaffte auf diesem Weg seinen Abschluss. Aber auf diesem Gebiet auch zu arbeiten, das würde ihm nie und nimmer einfallen. Er reiste viel, verbrachte eine intensive Zeit in Afrika und lebte dort über Monate in einer winzigen Bretterhütte. Nur Reis gab es da zu essen, von morgens bis abends nur Reis. Aber es ging ihm gut. Er lernte, sehr sparsam zu leben. Mit seiner Freundin verbrachte er ein Jahr auf einem Selbstversorger-Hof in Kalifornien und begann diese Lebensform sehr zu schätzen. Dann versuchten sie sich in Peru eine ähnliche Existenz aufzubauen, was aus verschiedenen Gründen nicht klappte. Aber ihr Traum, ein möglichst autarkes Leben zu führen, wollten sie nicht aufgeben. Und diese Idee ist der Ausgangspunkt seiner Fahrradtour. In Spanien gäbe es sehr viele verlassene Ortschaften. Ganze Gegenden seien wegen der stetigen Landflucht wie ausgestorben. So werde er radelnd potenzielle Niederlassungsorte auskundschaften. Er habe bereits eine Fülle von Kontakten mit Menschen geknüpft, die in Spanien schon Ähnliches aufgebaut hätten. Seine Freundin wird ihn Mitte Juli auf der iberischen Halbinsel treffen und anschliessend werden sie gemeinsam versuchen, ihre Vorstellungen in die Realität umzusetzen. Ich wünsche Felix und seiner Partnerin viel Kraft bei der Verwirklichung ihres Plans.

Ich quartiere mich wieder für anderthalb Stunden in der Konditorei ein, um bei einem Kaffee und vor allem in der Wärme in die Tasten zu schlagen. Später schaue ich beim Supermarkt vorbei, um meinen Proviant zu ergänzen. Auf dem Nachhauseweg bemerke ich an der Donau erste Verbotsschilder: «Hochwasser, Wanderweg gesperrt». Die braune Brühe fliesst mit immer grösserer Wucht talwärts. Zurück auf dem Campingplatz treffe ich Nils, der mit seinem Kajak unterwegs ist und schon gestern hier Zuflucht fand. Er lässt seinen Kopf hängen, da für ihn das Hochwasser weitreichendere Konsequenzen mit sich bringt. Der Pegel sei bereits um über zwei Meter gestiegen und aus diesem Grund sei das Befahren des Flusses verboten. Und bis die Schliessung der Schifffahrt aufgehoben wird, kann es noch einmal ein oder zwei Tage dauern. Es ist eindrücklich, wie rasant der Pegel steigt. Vor einer guten Stunde war der schmale Pfad direkt am Fluss annähernd trocken begehbar, nun ist er völlig überflutet. Immer wieder schlendere ich an das Ufer, um das Schauspiel zu beobachten. Nils hält mich betreffend Hochwasser fortlaufend auf dem neusten Stand. Der maximale Pegel soll morgen Nachmittag, mit einem weiteren Zuwachs von einem halben Meter, erreicht werden.

Am Abend gesellt sich ein holländisches Ehepaar zu unserer illustren Gruppe. Die beiden sind in ihren Sechzigern und begeben sich jedes Jahr auf eine Fahrradtour. Spontan laden sie uns zu einer Pasta Napolitana ein. Felix und Nils sind längst verpflegt und so bin ich der Einzige, der sich freut, mitzuessen. Frische Zwiebeln, Lauch und Karotten landen in der Sauce. Die Teigwaren sind bissfest und wir verdrücken die riesige Portion. Später ergibt sich eine lebhafte Diskussion über Gott und die Welt. Hauptthema ist aber die im Moment so aktuelle Klimadiskussion. Bis 22 Uhr schaffe ich es, mitzureden, dann verabschiede ich mich von meinen neuen Bekannten. Für mich fühlt sich diese Uhrzeit wie mitten in der Nacht an. Normalerweise schlüpfe ich mindestens eine Stunde früher in den Schlafsack.

Wanderfieber

Подняться наверх