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IX Intermezzo
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Sie legte die letzte Seite zu den anderen. Ihre Mundwinkel wiesen nach unten, ihre Augenbrauen nach oben, eine Grimasse, die Anerkennung zeigte. Natürlich hatte sie an ihn geglaubt, sie hatte ihn unterstützt, ihn ermutigt, weiter zu machen, wenn er zweifelte, sich gefreut, wenn er einen guten Tag hatte und mit ihm gelitten, als es nicht mehr weiter gehen wollte. Doch sicher war sie niemals gewesen, schließlich liebte sie ihn und dieses Gefühl schloss eine objektive Betrachtung dessen, was er tat, aus.
Was sie nun gelesen hatte, rief in ihr wiederum ein starkes Gefühl hervor. Auch das mochte sie nicht. Sie wollte nicht fühlen, dass es gut war. Sie wollte es viel lieber objektiv beurteilen, wertfrei. Während der gesamten Lektüre hatte sich Regina immer wieder an ihre Rolle als neutrale Leserin erinnert, war jedoch schon beim nächsten Absatz wieder von der Geschichte mitgerissen worden. Doch lag es daran, dass es gut war oder daran, dass sie den, der es geschrieben hatte, fast krankhaft liebte?
Regina nahm einen weiteren Schluck Wasser. Auch darauf hatte sie Wert gelegt, ihren Verstand nicht mit Wein zu vernebeln, um am Ende nicht selig säuselnd und schwankend vor ihm zu stehen und ihr Urteil zu lallen auf einer Welle guten Merlots, aber schlechten Geschmacks. Nüchtern betrachtet, dachte sie, nüchtern betrachtet ist es ein hervorragendes Werk. Trotz der erschreckend großen Zahl an Rechtschreibfehlern. Die Übungen, die er mit seinem Lehrer gemacht hatte, waren nicht sehr erfolgreich gewesen.
Die Narbe über ihrem rechten Auge begann zu jucken. Seit einigen Monaten war sie wetterfühlig geworden. Den ganzen Vormittag hatte es immer wieder geregnet, doch jetzt war die Bucht in ein sanftes Licht getaucht. Es war schon kurz nach fünf und die Sonne würde bald untergehen. Wahrscheinlich wartete er schon ungeduldig auf ihr Urteil. Sie war die erste Leserin. Sie war überhaupt die einzige, die davon wusste, die anderen ahnten es nur, da er sich in den letzten Monaten immer weniger hatte blicken lassen. Auf den Umbau des Hauses konnte er es inzwischen nicht mehr schieben. Damit waren sie nun schon seit langem fertig.
Regina räumte die 300 eng bedruckten Seiten zu einem ordentlichen Stapel zusammen und betrat die kleine Küche, in der ihr Mann zusammengesunken am Tisch saß.
»Und?« fragte er, den Kopf leicht zwischen die breiten Schultern gezogen.
»Ich denke, es ist gut.«
»Gut?«
»Sehr gut. Also, soweit ich so etwas beurteilen kann.«
»Du kannst ehrlich zu mir sein. Du musst ehrlich sein.«
»Aber das bin ich doch. Es ist gut. Sehr gut, wirklich.« Reginas Ton wurde von einem leisen Flehen untermalt.
»Das sagst Du nur so.«
»Nein. Das meine ich so. Also, abgesehen von den Fehlern. Also von denen, die offensichtlich waren. Spanisch ist ja nicht meine Muttersprache. Es ist gut.«
Ihr Mann seufzte nur, ließ aber durch ein Lächeln seine Bereitschaft erkennen, ihr zu glauben. Überzeugt war er aber offensichtlich noch nicht.
»Warum gibst Du es mir zu lesen, wenn Du meinem Urteil hinterher nicht traust?«, fragte Regina.
»Aber selbstverständlich traue ich Deinem Urteil. Ich wollte doch nur wissen, ob es wirklich Dein Urteil ist. Also ob Du es wirklich wirklich gut findest«, sagte er.
»Wirklich wirklich sehr sehr gut. Du treibst mich in den Wahnsinn.«
»Also hat es Dich verwirrt?«
»Nicht das Buch. Du! Du treibst mich in den Wahnsinn. Du musst die Fehler korrigieren lassen und dann schickst Du es an irgendeinen Verlag – und dann ist es gut.«
»Und wenn es keiner will?«
»Das ist nicht anzunehmen.«
»Woher willst Du das wissen?«
»Ich habe es gelesen«, sagte Regina und betonte dabei jede einzelne Silbe.
»Aber Du bist kein Profi«, gab ihr Mann zu bedenken und sie meinte wieder diesen jammernden Unterton in seiner Stimme zu hören, den er bei diesem Thema immer anschlug – und für den sie ihn gerne schlagen würde. Dann wenigstens hätte er Grund zu jammern.
Sie atmete tief durch, sprach dann ganz ruhig und wechselte vom Spanischen ins Deutsche, wie sie es immer tat, wenn sie ihrer Stimme Strenge geben wollte.
»Mein Lieber, Du hast mich gebeten, es zu lesen. Ich habe dieser Bitte mit großer Freude entsprochen und kann Dir nun mitteilen, dass mir Dein Werk vollumfänglich gefällt.«
»Was ist vollumfänglich? Juristensprache?«, fragte er nun ebenfalls auf Deutsch und lachte.
»Ja, verdammt noch mal!« Ihre kühle Haltung war dahin. Sie nahm ihn in den Schwitzkasten – was nur möglich war, weil er saß – und klopfte mit den Fingerknöcheln auf seinen kahlen Schädel. »Ich könnte es Dir auch einprügeln. Es ist gut, gut, gut.«
»Warum regst Du Dich dann so auf?«