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PROLOG: DIE SCHAUFELKÖNIGIN

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Ich war so aufgeregt wie wohl noch nie in meinem Leben. Da draußen waren Massen von Menschen. Ganze Millionen, stellte ich mir vor, die alle darauf warteten, dass ich erscheinen würde. Dass ich mit hoch erhobenem Haupt, selbstbewusstem Schritt und strahlendem Lächeln über den hölzernen Steg schreiten würde, als hätte ich nie etwas anderes in meinem Leben gemacht. Das Problem war nur: Ich hatte so etwas in meinem Leben noch nie gemacht. Und noch dazu hatte ich wahnsinnige Panik, mich nach spätestens drei Schritten aufs Maul zu legen. Volle Kanne mit meiner Birne auf den hölzernen Steg zu klatschen und mir vermutlich vor allen Leuten die Nase blutig oder einen Zahn auszuschlagen.

Als ich hinter den Kulissen stand und meinem Auftritt entgegenschwitzte, hätte ich mich nur noch ohrfeigen können. Besser war es, mich gleich grün und blau zu kloppen, für die Schnapsidee, hier mitzumachen. Warum hatte ich mir gleich noch mal vorgenommen, »Miss Haus-Garten-Freizeit 2006« zu werden? Ach ja! Wegen des Preisgeldes. Ich war schließlich völlig blank und hoffte, mit viel Glück und irgendwie aus Versehen vielleicht auf dem dritten Platz zu landen, für den es immerhin noch einhundert Euro gab. Ganz ursprünglich hatte ich gehofft, dass kein Mensch außer mir auf die bekloppte Idee kommen würde, sich für einen Schönheitswettbewerb auf der Haus-Garten-Freizeit-Messe in Leipzig anzumelden. Ich meine, wer macht denn so was? Ich hatte also gehofft, die einzige Teilnehmerin zu sein und damit automatisch den ersten Platz zu belegen und ganze 300 Euro Preisgeld abzustauben. Ein Vermögen! Aber diese Müller’sche Rechnung ging ganz und gar nicht auf. Statt allein schon mal den Thron warm zu sitzen, war ich nun geradezu umzingelt von Hausfrauen mit frischer Dauerwelle samt blondierten Strähnchen, Gärtnerinnen im sexy Hotpants-Unkraut-Look und Freizeitmäuschen, die aussahen, als würden sie ihren »grünen Daumen« am liebsten beim Schlammcatchen unter Beweis stellen. Frauen, die nur so darauf brannten, gleich hüftschwingend über den Catwalk zu schreiten. Ich sage es frei heraus: Diese Frauen machten mir Angst! Große Angst.

Mit gerade mal 17 Jahren gehörte ich zu den jüngsten Teilnehmerinnen, was mir allerdings zu keinem weiteren Vorteil verhalf. Anstatt mit jugendlicher Frische zu trumpfen, versprühte ich nichts als Angstschweiß und pubertäre Unsicherheit. Noch dazu berechtigterweise. Denn ich hatte ein ganz besonderes Merkmal, durch das ich mich von meiner gesamten Konkurrenz eindeutig unterschied: Ich hatte keine Brüste. Sie kamen einfach nicht. Gut, es gab zwei leichte Erhebungen auf Brusthöhe, vielleicht zu vergleichen mit Radieschen, um im Haus-Garten-Freizeit-Jargon zu bleiben. Radieschen, die schon aus der Erde spitzten, aber noch zu klein waren, um geerntet zu werden.

Doch als ich mich hier so umsah, war ich geradezu umgeben von saftigen Fleischtomaten und fußballgroßen Kürbissen. Natürlich war ich mir meiner so gut wie nicht vorhandenen Oberweite durchaus bewusst. Daher hatte ich mir ein besonders raffiniertes Outfit für diesen Anlass überlegt. Als Garten-Outfit in Runde eins trug ich über einem karierten Holzfällerhemd eine Jeans-Latzhose, die meine Figur verschwinden ließ. Raffiniert, wie ich fand. Dazu hatte ich knallgelbe Gummistiefel gewählt. Mit dieser Signalfarbe wollte ich sicherheitshalber zusätzlich von meinem ziemlich dicken Po ablenken, den nicht mal die Latzhose ganz verschwinden lassen konnte. Auf dem Kopf trug ich einen Schlabber-Strohhut, der zwei Fliegen mit einer Klappe schlug: Erstens verbarg er zum größten Teil mein knallrotes Gesicht und zweitens musste ich mir so wenigstens keine Gedanken um meine Frisur machen. Als besonderes Etwas, meine Requisite, hatte ich eine Gartenschaufel gewählt. Die, so dachte ich, könnte mir bei zitternden Knien auf dem Laufsteg auch als Stütze dienen. Oder als Waffe, um faule Tomaten abzuwehren, die möglicherweise aus dem Publikum geflogen kämen.

Als es soweit war, sah ich alles wie in Trance: Ich betrat den Laufsteg und versuchte – vom Scheinwerferlicht geblendet – vergeblich, mich zu orientieren. Mit halb zugekniffenen Augen zog ich den Hut tiefer ins Gesicht und stolperte in Latzhose und Gummistiefeln los. Das war vermutlich der Moment, in dem mein Geist meinen Körper verließ. Ich glaube, er schämte sich und zog es vor, sich das Spektakel aus sicherer Entfernung über dem Laufsteg schwebend anzusehen. Einfach immer weitergehen, Brust raus, Po rein, dachte ich. Leider hatte ich bei meinem Outfit nicht bedacht, dass der Strohhut nicht nur mein Gesicht versteckte, sondern mir auch jegliche Sicht nahm. Ich wandelte also quasi blind über den Catwalk, wobei die Gartenschaufel als Blindenstock fungierte. Wirklich gut, dass ich sie dabeihatte.

In der zweiten Runde musste ich die Hüllen schon etwas weiter fallen lassen. Ja, es gab Vorschriften – auch bei der Haus-Garten-Freizeit-Messe. Und diese verlangten nun nach einem Sommerkleid. Meines war eine Art Kartoffelsack mit zwei Löchern für die Arme. Dafür mit knallbuntem Blumenmuster. Ich hoffte, die Naturliebhaber damit um den Finger zu wickeln. Doch auch diese Hoffnung starb. Und nicht unbedingt zuletzt. In meinem Fall passierte das in der dritten und letzten Runde, bei der ich als Einzige, die keinen Bikini trug, in meinem dunkelblauen Badeanzug, Bauch voraus, über den Holzsteg schlurfte und mir nicht mal mehr die Mühe machte, den Po ein- oder gar die Mundwinkel hochzuziehen. Geschweige denn die Brust rauszustrecken. Ich wollte es nur noch hinter mich bringen und mir anschließend mit der Gartenschaufel ein tiefes Loch graben, um vor lauter Scham darin zu versinken. Oder noch besser, damit gleich mein eigenes Grab zu buddeln. Und wenn das nicht ginge, sie mir einmal kräftig selbst über den Schädel zu ziehen.

Doch plötzlich hörte ich ein »Lauf, Mopsi, lauf!« aus dem Publikum. Ich war mir nicht sicher, vermutete aber, dass dieser Anfeuerungsruf mir galt. Es gab sie also doch: Menschen, die an mich glaubten. Na ja. Zumindest einen.

In diesem Moment beschloss ich, meine Anhängerschaft umgehend zu verdoppeln und einfach selbst auch an mich zu glauben. Wenn ich es selbst nicht tat, wer sollte es sonst tun? Eigentlich schon am Ende meines Auftrittes angekommen, machte ich illegalerweise noch einmal kehrt und drehte eine Extra-Runde. Und diesmal schritt ich mit hoch erhobenem Haupt, selbstbewusstem Schritt und strahlendem Lächeln über den hölzernen Steg, als hätte ich nie etwas anderes in meinem Leben gemacht.

Wenn ich es selbst nicht tat, wer sollte es sonst tun?

Ich belegte verdientermaßen den letzten Platz. Doch ich tat es mit einer wichtigen Erkenntnis: Der Satz Dabei sein ist alles! war Blödsinn. Richtig heißen muss es: Nicht aufgeben ist alles! Eine Lektion, die mir noch häufig zugute kommen sollte.

Nicht aufgeben ist alles!

Mach's dir selbst sonst macht's dir keiner

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