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3. KAPITEL

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Magdalene war zur Mittagszeit zu Hause. Das Haus der Rehnikels stand dreihundert Schritte vom Markt entfernt am Saaleufer, dicht bei der Halle, wo die Salzkoten rauchten. Im Haus hatte alles seine beruhigende Ordnung. Die beiden jungen Mägde schenkten ihr einen Knicks und ein angemessenes Lächeln. Vor dem Verkaufstisch des Gesellen Lichtenberg stand ein schwergewichtiger Bürger im gefütterten Mantel, ein Innungsmeister der Wollkrämer. Der Geselle erklärte etwas zu dem roten und braunen Pulver, das vor ihm in zwei tönernen Schalen glitzerte, gemahlene Metalle, als gute Farbe für Wolle zu verwenden. Lichtenberg verbeugte sich, als er Magdalene im Hausflur erkannte.

Georg Rehnikel bezog seine Handelswaren von weither. Es gab niemanden sonst im Umkreis von vielen Meilen, der arabischen Gummi, Teer oder Indigo anbieten konnte. Die französischen Moden brachten dem Geschäft einen sanften Aufwind, und Gottes Gnade hatte den modernen Luxus und die Spezereien miteinander verknüpft. Der protestantische Glaube ließ wenig Luxus zu, aber das Wenige konnte einen deutlichen Unterschied ausmachen: Locken in Weiberhaaren, neue Farben für die Wolle, ein besonderes Siegelwachs, ein Tässchen Kakao am Sonntagnachmittag. Je verrückter es war, umso mehr Gewinn warf es ab. Rehnikels verkauften wunderliche, exotische Sachen. Wenn die Leute mit ihrem Wohlstand protzen oder die Handwerker etwas Besonderes machen wollten, brauchten sie Zutaten aus dem Spezereienhandel.

Das Geschäft bestand aus drei Teilen. Erstens gab es den kleinen Handel im Laden, zweitens den Großhandel mit bedeutenden Mengen an Hölzern, Fasern und speziellen Waren im Austausch mit Händlern und Handwerkern und drittens die Herstellung von einfachen Waren, Ölen zum Beispiel, die aus exotischen Früchten gepresst wurden. Rehnikels mussten sich mit den Apotheken gut stellen, damit man sie dort nicht als Konkurrenz ansah. Die Apotheker waren ihre wichtigsten Kunden, ihnen lieferte Georg Rehnikel viele Waren, vor allem solche, die auf langen und verschlungenen Wegen nach Halle kamen. Magdalene nickte dem Wollkrämer und dem Gesellen Lichtenberg höflich zu, als sie an der offenen Ladentür vorbeiging, und betrat die Küche.

Die Familie aß zu Mittag ein paar kalte Häppchen in der Küche. Gekocht wurde nur für den Morgen und die Festtage, weil es teures Holz verbrauchte. Manchmal gab es abends zusätzlich einen Eintopf, ein Luxus, den sich arme Leute nicht leisten konnten. Magdalene hatte Mühe, ihre alberne Einbildung von der stickigen Luft zu verdrängen. Sie stellte den Schmalztopf und das Brotbrett auf den Tisch und bereitete ein paar Scheiben Brot für alle vor. Die Mägde, der kleine Hans und Lichtenberg griffen zu, auch Georg kam vorbei und nahm sich ein Stück. Else ließ ihrer Herrin durch die jungen Mägde ausrichten, sie käme später.

Das wäre Magdalene gleich gewesen, solange Else ihre Arbeit tat. Aber so war es nicht. Magdalene vermisste sie eine Stunde nach dem Mittag immer noch. Sie sagte sich, dass Abwesenheit allein keinen Tadel wert war, weil es genügend harmlose Gründe gab, sich zu entfernen. Aber Elses Hände fehlten, Magdalene musste sich selbst sich an den Tisch stellen und das Fleisch für das Pökeln vorbereiten. Gertrud scheuerte emsig die Schüsseln, die sie dafür brauchte. Magdalene schickte sie ins Lager, um die Säckchen mit dem Salz zu holen und gleichzeitig Ausschau nach Else zu halten.

Gertrud, ein dünnes Geschöpf mit Haaren von der Farbe nassen Strohs, ließ ihren Mund zwischen den blassen Lippen offenstehen. »Suchen soll ich die Else?«, fragte sie. Flüsternd setzte sie fort: »Man hat letztens Wassergeister gesehen. Sie holen Menschen, bei helllichtem Tage! Vielleicht hat ein Wassergeist die Else …«

Magdalene brauchte nur die Miene zu verziehen, dann wusste Gertrud Bescheid. Sie duckte sich, nickte und sagte: »Ich geh schon, Frau Rehnikel.«

Wäre Else halb so folgsam, hätte Magdalene zufrieden sein wollen. Gertrud lief im Haus herum, Magdalene hörte ihre Holzpantinen über den oberen Gang klappern. Nach einiger Zeit tauchte sie auf, murmelte kläglich: »Ich habe sie nicht gefunden« und schlug sich erschrocken mit der Hand auf den Mund. »Das Salz! Das habe ich vergessen!«

In der Zwischenzeit wendete Magdalene das Obst, das zum Dörren über dem Herd auf einer Platte lag, und fing an, Kraut zu schneiden. Gertrud kam mit den leinenen Säckchen zurück. Magdalene schüttete eine dicke Schicht Salz in die Schüsseln, bis das Fleisch darunter verschwunden war.

Als Else nach einer weiteren Stunde noch nicht aufgetaucht war, wurde es Magdalene zu bunt. Sie stieg selbst nach oben und sah sich um. Am Ende der schmalen und steilen Treppe stand die Tür zum Erkerzimmer offen.

Else hatte dicht am Fenster in Magdalenes schönem Armlehnstuhl gesessen. Sie war beim Klang der Schritte auf den Treppenstufen aufgesprungen und strich sich die Röcke glatt, aber man sah im ledernen Polster noch die Delle von ihrem Hintern. Sie trug ihr wollenes Mägdekleid mit grauer Schürze, darüber in eigenwilliger Zusammenstellung eine Haube aus zartem Leinen mit einer Spitzenkante, wie die Kleiderordnung sie vielleicht für eine Bürgerin, aber bestimmt nicht für eine Magd zuließ.

Elses Blick heftete sich feindlich und unerschrocken auf ihre junge Herrin. Sie kniff die Lippen zusammen und sagte keinen Ton.

»Seit wann wirst du fürs Faulenzen bezahlt?«, warf Magdalene ihr entgegen. Else zog die Mundwinkel nach unten und wollte sich wortlos an ihr vorbeidrücken, da packte Magdalene die Magd am Ärmel. »Scher dich in die Küche und kümmere dich um die Suppe. Wenn ich dich noch mal beim Faulenzen erwische, sorge ich dafür, dass mein Mann dich hinauswirft!«

Elses Mundwinkel schoben sich nach oben. Es entstand ein unverschämtes Grinsen. »Versucht’s ruhig!«, antwortete sie und polterte in ihren Holzschuhen die Treppe hinunter.

Magdalene ballte ihre Hände zu Fäusten und blieb tief atmend stehen. Ihr Gesicht war dunkelrot geworden, sie musste sich zwingen, ruhig zu bleiben. Langsam ging sie zum Tisch, legte ihre Schürze ab und faltete sie drei Mal so sorgfältig wie sonst. Von nebenan hörte sie ihren kleinen Sohn rufen, der in seinem Zimmer spielte, von Rosina behütet.

Hänschen war eine Insel des Glücks, ein kleiner Engel. Er war drei Jahre und vier Monate alt und brauchte eine ständige Begleiterin, weil er unentwegt kletterte, hinauslief und alles probierte, was ihm vor die Nase kam. Vor etwas über einem Jahr hatte Georg Rehnikel auf Magdalenes Wunsch Rosina ins Haus geholt, um auf ihn aufzupassen. Rosina hatte sich bei ihrem früheren Dienstherrn in der Kinderbetreuung bewährt, ein gescheites, etwas vorlautes Ding, das fleißig seine Arbeit tat. Sie war gerade zwanzig, nur wenig jünger als Magdalene selbst, und in den sechs Jahren, bevor sie zu Rehnikels kam, bei verschiedenen Handwerkern und Stadtbürgern im Dienst gewesen. Magdalene öffnete die Tür von Hänschens Zimmer und trat ein. Rosina saß auf einem Stuhl am Fenster, über eine Flickarbeit gebeugt, und hob beim Geräusch der Tür den Blick ihrer braunen Augen. Eine Locke ihres Haars war ihr in die Stirn gerutscht. Hans lief auf seine Mutter zu, einen Knopf in der Hand, den er ihr stolz entgegenstreckte.

Magdalene konnte sich nicht mehr vorstellen, wie sie früher ohne ihr Hänschen gelebt hatte. Ihr Tag war erfüllt von den Gedanken an ihn, wie er wuchs, wie schön er war und wie klug. Hans war ein prächtiges Kind mit geraden Gliedern, gesunden Zähnen und dunklen Locken. Er konnte so schnell laufen, dass ihr beim Hinterherrennen manchmal die Luft ausging, besonders auf dem Hof, wo er die Hühner jagte oder ähnlichen Unfug anstellte. Er liebte Pferde und zog seine Mutter oft an der Hand hinüber in den Stall. Sie war sehr jung gewesen, als sie ihn bekommen hatte, aber in den vergangenen drei Jahren war ihr das Kind jeden Tag mehr ins Herz hineingewachsen. Eine Mutter konnte nicht anders als ihr Kind lieben, das war sicher.

Seine braunen Augen blitzten, als er vor ihr stand. Er redete zwar nicht viel, aber wenn, dann besaßen seine Worte Gewicht.

»Ein blauer Knopf«, erklärte er, streckte das Ärmchen mit seinem Fundstück aus und sah sie erwartungsvoll an. Magdalene strich ihrem Sohn über den Kopf und erklärte, dass Knöpfe rund sind, damit sie besser durch die Knopflöcher passen.

Der Junge lief zu Rosina zurück, zog sie am Ärmel, bis die Kindermagd aufstand und ihm zu seiner Mutter folgte. Er zeigte, was ihn bewegte: Rosinas Kleid besaß Knebel als Verschlüsse. »Gar nicht alle rund!«, erklärte er.

Was kann eine Mutter anderes als stolz auf ihr kluges Kind sein? Magdalene öffnete die Tür und wollte gerade das Zimmer verlassen, da erkannte sie draußen eine Bewegung.

Else schritt vorbei. Die Tür stand offen, und sogar Rosina hinter ihrer Herrin konnte sehen, wie die Altmagd über den Gang stolzierte, der außen an den Kammern vorbeiführte. Else trug einen Stapel Wäsche im Arm, feines weißes Leinen mit gerafften Spitzen, teures Zeug. Magdalene stand verblüfft in der Tür, einen Moment zu lange, denn es wäre an Else gewesen, ihrer Herrin Platz zu machen. Else tat es nicht. Sie ging ungerührt an Magdalene vorbei zur Treppe, die nach oben führte, zu den Mägdekammern.

»Else!«, rief Magdalene. »Komm auf der Stelle her!«

Else stockte, drehte sich gemächlich um und kam zurück. Gute drei Schritte von ihrer Herrin entfernt blieb sie stehen.

Magdalene presste mit unterdrückter Wut hervor: »Warum bist du nicht in der Küche?«

»Die Suppe ist fertig«, erwiderte Else spitz.

»Wo willst du hin?«

»In meine Kammer.«

»Was hast du da?«

»Leinen, das seht Ihr. Ihr seid doch nicht blind.«

»Was willst du damit in deiner Kammer?«

Else holte tief Luft, lächelte breit und, wie es schien, gehässig. »Es ist mein Leinen.« Sie betonte das Wort ›mein‹, obwohl es nicht falsch zu verstehen gewesen war. Die beiden Frauen standen einander gegenüber und sahen sich gerade in die Augen, nur, dass Else ein Stück größer war als ihre Herrin. Else fuhr fort: »Ist es recht, dass ich mein Leinen in meine Kammer bringe?«

»Wo hast du das her?«

»Ich spare meine Pfennige«, erwiderte Else mit gerecktem Kinn. Als Magdalene einen Moment lang nichts erwiderte – was hätte sie auch erwidern sollen außer einer Ohrfeige – fügte Else hinzu: »Gute Arbeit gibt herrlichen Lohn, sagt König Salomo«, und schritt ohne Erlaubnis davon, die Treppe ins Dachgeschoss hinauf, wie es ihre Absicht gewesen war.

Magdalene presste die Hand auf die Türklinke, dass ihre Knöchel weiß leuchteten. Der Bibelspruch war reiner Hohn gewesen. Sie musste mit Georg reden. Wer sich so aufsässig benahm, gehörte hinausgeworfen.

Im Kontor war niemand. Georgs Platz an seinem Schreibpult war leer, das Tintenfass verschlossen, die Feder weggeräumt.

Aus dem Innenhof drang das Rumpeln von Wagenrädern. Magdalene lief in den Korridor und öffnete die Tür zum Außengang, von wo man über das Geländer auf den Hof sehen konnte. Ein Wagen war gekommen, und wie in solchen Fällen üblich stand ihr Mann bei der Fuhre und entlud gemeinsam mit dem Fuhrmann Kisten und Fässchen. Bis das Geschäft abgeschlossen war, würde es noch einige Zeit dauern. Else bekam einen Aufschub, aber das würde am Ergebnis nichts ändern.

Magdalene ging zurück zu Rosina, um Hänschen zu holen. Sie nahm ihn in die Arme, das war der beste Trost, den man haben konnte. Mit dem Kind stieg sie nach unten und betrat den Hof, und dort war alles wie gewohnt, Georg Rehnikel lächelte seiner Frau quer über das Pflaster arglos zu. Er ahnte noch nicht, welche unangenehme Aufgabe sie ihm zugedacht hatte.

Magdalene stellte sich mit dem Jungen neben die Pferde, die noch angeschirrt waren. Hans streichelte das raue Fell, Magdalene warf immer wieder Blicke zu den Männern am Fuhrwerk. Die Begutachtung der Kisten würde noch eine Weile dauern. Als der Kleine die Geduld verlor, spazierten sie zum Federvieh. Zur Hauswirtschaft gehörten fünfzehn Hühner in einem Verschlag neben dem Stall, wo sie in einem Fleckchen Erde scharren konnten. Die Vögel plusterten ihre Federn und hockten sich in die von der Nachmittagssonne warmen Erdkuhlen, wo sie mit ruckenden Köpfen ins Leere starrten.

Dem Kind machte es Spaß, die Hühner zu rufen. Magdalene ließ den Jungen vom Arm gleiten, er war zu schwer, um ihn länger zu tragen. »Put! Put! Put!«, rief er, und ein paar Getreidekörner rieselten aus seiner Faust. Die Tiere erhoben sich und kamen gackernd angerannt, pickten und pickten, selbst als alle Körner fort waren. Mit roten Bäckchen stand Hans bei seiner Mutter und streifte sich die Kleie von den Händen. Magdalene nahm ihren Jungen an die Hand und ging ins Haus. Die Therapie war erfolgreich gewesen, sie hatte sich beruhigt. Sie nahm den Kleinen mit in die Küche, wo er bei den Mägden spielen konnte.

Else kam von oben herunter. Sie betrat die Küche, als hätte sie alle Zeit der Welt und nicht den Vormittag wer weiß wo verbracht, statt zu arbeiten. Auf dem Küchentisch stand die Schüssel, in der Magdalene das Pökelfleisch eingelegt hatte. Else schlenderte in die Stube, gefolgt von Rosina, die sich zu dem Kleinen hockte. Die Altmagd hob den Deckel von der Fleischschüssel und fuhr mit dem Finger durch die Salzschicht, bis sie das Fleisch herausgehoben hatte. Sie sah mit heruntergezogenen Mundwinkeln auf das weiß geäderte Stück. »Das ist ein zerriges Ding«, nörgelte sie. »Dafür hätte ich keinen halben Groschen gegeben.«

Magdalene blieb ruhig. »Es ist zartes Fleisch von einem Kalb.«

»Es ist nicht viel wert. Was an Haushaltsgeld für solches Zeug draufgeht, möchte ich nicht wissen.«

»Das musst du auch nicht wissen. Es geht dich nämlich nichts an.«

Elses Blick bohrte sich wie ein Messer ins Fleisch. Sie zog ein Gesicht, als wäre sie die Herrin und hätte das Recht, ein Urteil zu fällen.

»Das Zeug, das du früher gekauft hast, war auch nicht besser«, platzte Magdalene heraus. »Und Geld hast du dafür genug ausgegeben.«

Die Altmagd sah sie mit einem kalten Blick an, drehte sich um und schleuderte dabei ihre Röcke heftig über den Tisch. Die Schüssel mit dem Fleisch kam ins Trudeln und rutschte über die Kante. Magdalene war vor Schreck wie gelähmt. Rosina hockte bei Hans und konnte nicht schnell genug zugreifen, Gertrud stand zu weit entfernt am Herd, und so passierte es: Das irdene Behältnis zerbarst mit lautem Krachen auf dem Boden. Das Fleisch lag zwischen Salz und Scherben, Magdalene kniete daneben nieder.

»Verzeihung«, reckte Else den Kopf und verließ die Küche, ohne sich um das Unheil zu kümmern, das sie angerichtet hatte.

Magdalene war nicht in der Lage, ihr hinterherzulaufen. Am liebsten hätte sie die Altmagd geohrfeigt, aber Else war an die fünfzig und sie selbst nicht einmal einundzwanzig. Sie mochte sich nicht vorstellen, Else zu berühren, Elses Haut unter ihren Fingern zu spüren und erst recht nicht, sie zu schlagen. Einen Grund für diese Distanz fand sie nicht; Elses Unnahbarkeit vielleicht? Ihre alternde Haut, in die sich wie in Leder Falten zu graben begannen?

Ein schlechtes Gewissen wegen des Preises für das Fleisch oder andere Sachen musste Magdalene nicht haben. In ihrem Haushalt ging es ordentlich zu. Jeder Pfennig war in ihrer Ausgabenliste belegt, die Küche sparsam bewirtschaftet, wie es sich gehörte. Georg Rehnikel schob seiner Frau samstags an seinem Pult ein Häufchen Münzen zu, das er sorgfältig gezählt und in sein Buch eingetragen hatte. Magdalene nahm es an sich und trug es ins Schlafzimmer, wo sie ihr eigenes Geldkästchen verstaut hatte. In ihrem Buch notierte sie, was sie ausgab, rechnete, summierte und überprüfte. Jede Woche behielt sie ein paar kleine Münzen übrig. Die Ersparnis würde ihr eines Tages erlauben, sich einen Wunsch zu erfüllen, einen Gürtel vielleicht oder ein seidenes Tuch. Magdalene führte ihren Haushalt selbstständig und genau. Wenn es eine wichtige Sache gab, die Georg für sie regeln musste, war es Elses Rauswurf.

Draußen verließ das Fuhrwerk den Hof. Es schien, als wäre die Gelegenheit gekommen, ihr Anliegen auf den Weg zu bringen.

Magdalene fand ihren Mann im Kontor, den Ellenbogen auf sein Schreibpult gestützt. Das Kontor war die kleine Stube hinter dem Erkerzimmer, der Durchgang zu ihrem gemeinsamen Schlafzimmer. Alles, was das Geschäft anging, bereitete Georg dort vor, er schrieb Bestellungen, führte Bücher und Korrespondenz. Das Stübchen beherbergte nicht viel mehr als das Schreibpult, seine Truhe und die große Bibliothek – so hieß der verschlossene Schrank mit allen Büchern und Papieren. An der Wand über der Truhe hing ein gerahmtes Bildnis von Augusta, Georgs erster Frau, die dreieinhalb Jahre zuvor gestorben war. Augusta war dürr wie eine Spitzmaus gewesen, wenn das Bild nicht log. Es musste zu einer Zeit gemalt worden sein, als sie schon krank war; ihre Haut schien, wenn der Maler es richtig wiedergegeben hatte, stumpf und bleich, das Lächeln mühsam, und die rote Schleife in ihrem Haar wirkte, als hätte sie die seit ihren Kindertagen vergessen abzunehmen. Das Schreibpult stand gegenüber der Wand mit der Truhe. Georg musste, wenn er von der Arbeit aufblickte, dieses Bildnis sehen. Er sah Augusta in die Augen, und sie schien zu fragen: Was tust du, Georg?

An diesem Platz stand er, ein dickes Buch vor sich auf dem Pult, und tauchte die Feder in regelmäßigen Abständen in das Tintenfässchen. Sorgfältig schrieb er Zahlen in eine Liste. Verblichene und frische Tintenflecke färbten seine Fingerkuppen. Als Magdalene neben ihn trat, sah er kurz auf. »Ach, du bist es«, murmelte er, »achtunddreißig und drei Quent und Muskatenöl sieben … Gibt es etwas?«

»Ich habe da ein Anliegen«, Magdalene zögerte.

Seine kurzen Finger fassten die Feder weit vorn. Er stieß immer wieder an den Rand des Fässchens und beschmierte sich mit der schwarzen Tinte. Georg Rehnikel war klein und dick, mit einer wachsenden Glatze, die oben auf dem Kopf spiegelte und von einem Kranz dunkler Haare umgeben war. Als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, kam er ihr mit seinem dicken Bauch und den weichen Bewegungen wie eine große Kugel vor. Seine Augen konnten vollständig rund werden, wenn er staunte. Wenn er ernst war, glänzten sie dunkel wie Flusskiesel, und die dichten schwarzen Wimpern ließen ihn sanft erscheinen. Georg Rehnikel war kein Kämpfer, sondern friedfertig und von ausgleichendem Charakter. Mit ihm konnte sie stundenlang ein Problem von allen Seiten beleuchten; wo sie sich in Zorn redete, blieb er voller Zurückhaltung und Sachlichkeit. Georg besaß einen glänzenden Humor, der in unerwarteten Momenten aufleuchtete, wie bei vielen Menschen, die gute Zuhörer sind. Er war kurzatmig, errötete schnell und schwitzte an warmen Tagen wie ein Käse in der Sonne.

Georg war schon achtundvierzig, also siebenundzwanzig Jahre älter als sie. Sein Alter brachte Lebenserfahrung mit sich, die ihm durch Menschenkenntnis und Gelassenheit erfolgreiche Geschäfte eintrug. Die nutzten allen.

Er legte die Feder zur Seite. »Was drückt dich, Lenchen?«

Verlegen knüpfte sie die Bänder ihrer Schürze. Sie musste es vorsichtig anfangen und durfte nicht mit der Tür ins Haus fallen.

»Die Else«, sie trat einen Schritt näher, bis sie dicht vor ihm stand. »Wie lange willst du sie in unserem Haushalt behalten? Ich meine, wenn man älter wird, verliert man Kräfte und Fähigkeiten. Man merkt es Else schon an.«

Ein friedliches Lächeln ergriff sein rundes Gesicht. Die Knopfaugen glitzerten. »Du bist ein guter Mensch, Lenchen, sorgst dich um alle, nicht wahr?«

Sie schluckte. Georg glaubte an das Gute in allen Menschen. Seine Freundlichkeit nahm ihr den Wind aus ihren Segeln.

»Die Barmherzigkeit ist eine unserer wichtigsten Aufgaben im Leben«, erklärte er. »Ich freue mich an deiner Demut. Du tust, was unser Herr in der Heiligen Schrift sagt: ›Wer gütigen Auges ist, der wird gesegnet werden, denn er gibt von seinem Brot den Geringen.‹ Viel zu wenige Menschen sind von tätiger Liebe beseelt! Stell dir vor, wir würden die, die nicht mehr für andere arbeiten können, ihrem Schicksal überlassen. Wir hatten viele Jahre lang unseren Nutzen von ihrem Fleiß, deshalb sind wir ihnen schuldig, sie im Alter zu stützen. Genauso wollen wir es mit Else halten. Sie ist bald fünfzig, das heißt, sie kann noch gut und gern zwanzig Jahre bei uns arbeiten. Wenn sie eines Tages zu alt für die Arbeit ist, soll sie weiter bei uns bleiben. Sie kann in der warmen Stube sitzen und den Kindern Märchen erzählen.«

Magdalene schluckte. »Was wäre, wenn sie ausreichend Eigentum hätte, um sich selbst zu versorgen? Leinen, Geschirr, Bettzeug?«

Georg zuckte die Schultern. Seine Antwort klang unbesorgt. »Woher sollte sie das haben? Ihr Mägdelohn ist nicht hoch genug, dass sie sich Hausrat kaufen kann.«

Magdalene antwortete vorsichtig: »Sie könnte Geld gestohlen haben.«

Georgs friedliche Miene verschwand wie der Sonnenschein hinter einer fliehenden Wolke. Sein Finger ragte steil und tintenbefleckt in die Luft. »Else stiehlt nicht. Das sind böswillige Vermutungen. Schlechte Reden des einen über den anderen dulde ich in meinem Haus nicht.«

»Das ist nicht bloß Gerede, ich habe Fakten. Weißt du, was sie heute getan hat? Sie hat die Schüssel zerbrochen, in der ich das Fleisch pökele, und zwar mit Absicht …«

Noch während sie redete, merkte sie, dass das vor Georg wie Kleinkrämerei klingen musste. Eine zerbrochene Schüssel war in seinen Augen unwichtiger als ein heruntergefallenes Pfefferkorn. Was zeigte schon die Sache mit der Schüssel? Nichts. Schüsseln können nun mal herunterfallen. Das war kein Beweis für Elses Aufsässigkeit.

Sie setzte noch einmal zu reden an, wollte ein neues Beispiel nennen, aber Georg wiegte den Finger. »Sei endlich still! Ich dulde keine bösen Reden!« Er ließ den Finger sinken. »Es ist Sünde, seine Zeit mit Bosheit gegeneinander zu vergeuden.« Er tauchte seine Feder in das Tintenfass, bekleckerte sich erneut mit einem Tintenspritzer und schrieb weiter in sein Buch.

Magdalene und die Saaleweiber

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