Читать книгу Magdalene und die Saaleweiber - Christina Auerswald - Страница 13

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5. KAPITEL


Magdalenes Unwohlsein wollte auch in den nächsten Tagen nicht vergehen. Es fühlte sich wie ein Unwetter an, dem man nicht ausweichen kann. Ihre mühsamen Anstrengungen wogen wie Federn gegen die dickbäuchigen dunklen Wolken am Horizont. Der Sommer war vorbei. Der Oktober würde in drei Tagen anbrechen, die Tage wurden kürzer. Noch lag die freundliche Wärme des Spätsommers in den Straßen, und zwischen den dicken Mauern des Spezereienlagers hielt sich der Rest jener satten Trockenheit bis in den Winter hinein. Das änderte nichts an den aufkommenden Stürmen. Bald würde es draußen unweigerlich kalt werden, bitterkalt.

Seit Georg die Wahrheitsmilch zu sich genommen hatte, wollte Magdalene jede Gelegenheit zu Gesprächen mit ihm nutzen. Es gab keinen Ort, der dazu besser geeignet war als das Lager. Dort geriet er in beste Stimmung und vergaß das Geldverdienen. Er beschäftigte sich mit Dingen, die ihm Spaß machten, und war darin nicht zu halten. Voller Hingabe kramte er in seinen Schachteln, betrachtete Pflanzenteile, murmelte bei ihrem Anblick vor sich hin, katalogisierte sie und notierte alles, was er entdeckte. Hier würde er seiner Frau nicht ausweichen, hier konnte sie jede Regung in seinem Gesicht beobachten.

Im Lager waren entlang der Wände alle Materialien für Laden und Handel gestapelt. In der Mitte der Stube stand ein langer Tisch für Hantierungen, darauf eine mächtige Schalenwaage und Gewichte, Löffelchen und anderes Gerät zum Messen und Abteilen der Spezereien, dazu der Destillierapparat. Es roch nach Staub und allen Kontinenten der Welt gleichzeitig, würzig, scharf, blumig und fremd. Schlichte hölzerne Gestelle nahmen einen Teil der Gefäße auf, die großen und schweren unten, die kleinen leichten oben. Da standen Kisten aus ungehobelten Brettern und aus geschliffenem Holz, Körbe und Körbchen aus grober Weide oder feinstem Hanfgarn, als Behältnis und als Hülle für Flaschen und Krüge.

Die meisten Spezereien lagerten in kleinen, dicht geflochtenen Körben, diejenigen, die trocken waren und nicht in Gefahr, die Feuchtigkeit der Luft an sich zu ziehen. Es gab eine Reihe von Tontöpfen und Krügen, deren Korkverschlüsse den Duft ihres Inhalts verbargen. Die wertvollen Waren steckten in Holzkisten jeder Größe und Form, einige wenige, weil es ihre Beschaffenheit erforderte, in dünnwandigen Metallkästen. In den Regalen weiter oben standen braune Tonflaschen, kleine und solche, die lang waren wie ein Ellenbogen, mit dicken Stöpseln aus Korkeichenrinde. Es gab verschnürte Pakete, in getrocknete Blätter eingewickelt. Auf einem hölzernen Tablett lagen Spezereien ohne Hülle, seltsam geformte Wurzeln, Knollen und Holzstücke.

Wegen der Düsternis war ständig Licht nötig. Sie nutzten billige Unschlittlichte, kleine Tonnäpfchen mit schlechtem Fett. Die beleuchteten das Lager schwach und flackernd, erweckten Körbe und Kisten zu vorübergehendem Leben, das sie verloren, wenn das Licht hinauswanderte.

»Kannst du mir dieses Rezept machen, das Melotenpflaster?«, fragte Magdalene. Sie streckte ihrem Mann Isabeaus Zettel entgegen.

Er brummte unwillig. »Wozu soll das gut sein?«

»Es ist zur Stärkung. Soll der Fruchtbarkeit dienen.«

»Ich habe keine Zeit«, antwortete er, und sein Blick hing verträumt an seinen Kisten und Kästen.

»Georg«, fasste sie bittend seinen Ärmel. »Wenn du keine Zeit hast, dann könnte ich es auch selber machen, was meinst du?«

»Ich will nicht, dass du meine Spezereien berührst. Sie sind zu wertvoll für Stümperei.« Er warf einen Blick auf das Rezept und fuhr milder fort: »Du könntest die Ordnung durcheinanderbringen. Fass nichts an, hörst du? Die Zutaten für das Pflaster habe ich hier, ich mache es dir später. Meloten sind gepulverte Stängel und Blätter von Steinklee, in Ziegenfett und Terpentin gemischt. Das Pflaster ist nichts Besonderes, es besteht bloß aus gelbem Wachs.«

Magdalene bekam einen von Georgs langen Vorträgen über Pflanzen zu hören. In diesem Fall kam er vom Steinklee auf das Siebengezeit und das Barbarakraut, und so redete er endlos weiter, sah ab und zu auf und sah sich nach seiner Frau um. Seine Leidenschaft riss ihn mit, er merkte nicht, wie er ins Dozieren kam. Wie ein Lehrer stolzierte er in seinem Lager hin und her und stellte Fragen, die er selbst beantwortete. Am Ende hielt er inne und fragte: »Nicht wahr?« Georg hatte einen zufriedenen Ausdruck im Gesicht, als hätte Magdalene ihm Beifall geklatscht. Er drehte sich weg und begann, wieder in seinen Körben zu kramen.

»Was suchst du?«, fragte sie, um mit ihm im Gespräch zu bleiben.

»Sadebaum«, antwortete er. »Das sind blauschwarze Beeren, eine Wacholderart. Letzte Woche ist ein Korb davon mit der neuen Lieferung gekommen.« Georg schob die Dosen und Schachteln hin und her und murmelte etwas von einem falschen Regal. Magdalene gab sich große Mühe, jedes Schächtelchen, das ihr Georg bezeichnet hatte, im Geist aufzubewahren. Beschriftungen gab es nicht. Sie hatte noch keine Ordnung entdeckt, die ihr sagte, nach welchen Zeichen Georg suchte. Von Sadebaum hatte sie noch nie gehört.

Sie folgte ihm und sah so lange zu, bis er fragte: »Warum wartest du? Fehlt noch etwas?«

»Ich versuche das Prinzip zu verstehen«, antwortete sie ihm.

»Mein Prinzip, wie ich hier lagere?«, er lachte mit einem Zischen zwischen den Vorderzähnen. »Es gibt keins. Ich habe alles im Kopf. Ich weiß, wie die Körbe aussehen, das genügt.«

Magdalene musterte die Behältnisse, von denen viele gleich aussahen. Es waren weit über hundert, schätzte sie. Georgs Blick lag weich auf seinen Schätzen.

»Wozu brauchen die Leute Sadebaum?«, fragte sie, um ihn aus der träumerischen Versenkung zu holen.

»Das ist hilfreich zur Beförderung der Nachgeburt, wenn es mit Zimt in Poleiwasser gemischt wird.«

Georg sah Magdalenes Lippen zu einer dünnen Linie werden und griff nach ihrer Hand. Er zog sie an sich und legte einen Arm um ihre Schulter, nahm ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger seiner Rechten und sagte leise: »Du denkst an deinen Kummer, nicht wahr? Du brauchst nicht traurig sein, niemand kann uns Kinderlosigkeit vorwerfen. Wir haben immerhin Hans.«

»Ich hätte so gern noch mehr Kinder.«

»Ich würde es dir nicht vorwerfen, wenn du keine mehr bekommen würdest.«

»Immer ich! Warum fragst du dich nicht, ob du selbst gesunde Kinder zeugen kannst?«

»Warum sollte ich das bezweifeln?«, fragte er drohend mit gerunzelter Stirn.

»Eben! Du zweifelst nicht, weil du weißt, dass du es kannst.«

Auf seiner Stirn stand eine senkrechte Falte, seine Finger gruben sich schmerzhaft in ihr Kinn. »Wieso? Wie kommst du darauf?«

Mutlos geworden, schüttelte sie den Kopf. Ihr war, als stünde sie vor einem Berg und könne den steilen Weg hinauf nicht erklettern.

»Das ist das letzte Mal«, sagte Georg laut und schneidend, »dass ich mir solche Unterstellungen von dir anhöre.« Er ließ sie los, und seine Finger hinterließen einen schmerzenden Abdruck an ihrem Kinn. Er schüttelte sich wie ein Pudel, der aus dem Wasser kommt, griff nach einem Korb, öffnete den Deckel und sagte: »Wusste ich’s doch, da ist der Sadebaum.«

Magdalene drehte sich um, verließ das Lager und ging durch den Laden zur Treppe. Das Misstrauen zwischen ihnen wuchs wie eine Pflanze. Eine Pflanze verkümmert in dürrem Boden. Bekommt sie Nahrung, gedeiht sie und wird größer, bis alles andere nicht mehr genug Licht hat und verdorrt. Die Pflanze Misstrauen wuchs und raubte dem Vertrauen den Platz. Magdalene kam es vor, als hätten die Ranken sie schon vollständig umschlungen.

Ein willkommener Handel, das war sie für Georg mit ihrem kleinen Hans gewesen, weil er selbst etwas auf dem Kerbholz hatte, für das er eine Sünderin wie Magdalene als Frau gebrauchen konnte, die sich nicht über ihn stellte. Aber da befand er sich im Irrtum. Sie war keine Sünderin. Sie nicht.

Magdalene und die Saaleweiber

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