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7. KAPITEL

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Das dumme Gerücht ließ Magdalene keine Ruhe. Es war Mägdeklatsch, sie musste also Mägde fragen. Eigentlich hielten die Mägde ihr Geschwätz vor den Bürgerinnen verborgen, aber Magdalene fand immer einen Weg. Sie wusste, wo sie welche treffen konnte, die Ohr und Mundwerk vor ihr nicht verschlossen. Mit hastigen Schritten verließ sie das Haus in Richtung Süden.

Am Alten Markt trafen sich die Mägde aus dem Ulrichsviertel und dem Trödel, weil sie zum Schwatzen unauffällig bei der Wasserkunst stehen und tun konnten, als würden sie warten, bis sie mit ihren Krügen an die Reihe kamen. Der erste trübe Herbsttag umarmte die Stadt. Die Luft war schwer und feucht, wie eine Last lag der Dunst in der Schlucht zwischen den Häuserfronten. Maria und Sybille, zwei Mägde in Magdalenes Alter, standen zusammen. Sie gingen ohne Mantel, eine Koketterie, für die es um diese Jahreszeit zu kühl wurde. Sybille war Magdalenes Duzfreundin, sie hatten jahrelang nahe beieinander die gleiche Arbeit tun müssen, sie in der Ritterakademie, Magdalene bei ihrem Onkel Conrad.

Die Vertraulichkeit mit einer Magd störte Magdalene nicht, obwohl der Standesunterschied zwischen ihnen groß war. Ihr Onkel hatte sie oft genug ermahnt, sich nicht mit der Dienerschaft gemeinzumachen, aber gerade das hatte ihren Widerstand erregt. Warum sollte sie nicht mit Sybille Spaß haben? Mit ihr war es tausendmal lustiger gewesen als im strengen Haushalt ihres Onkels, auch lustiger als mit der alten Anna, ihrer Amme, lustiger als mit ihren plärrenden kleinen Nichten. Sybille war ein fröhliches Geschöpf. Sie lachte und kicherte bei jeder Gelegenheit, nahm kein Blatt vor den Mund und redete am liebsten über alles, was in der Stadt passierte oder jemals passiert war.

Diese Offenheit konnte Magdalene nützlich sein. Sie stellte sich neben die beiden an den Brunnen und setzte ein freundliches Gesicht auf. Sybille begrüßte sie, als würde sie jeden Tag mit einer Bürgerlichen plaudern, schüttelte ihre Lockenmähne und band sich die Haube neu. Sie besaß dunkelblonde Haare mit einem Hauch ins Rote und die dichtesten und krausesten Locken der Stadt. Darauf war sie stolz und knotete die Haube oft auf, damit sie ihre Haare schütteln konnte, als ob sie auf diese Weise alle Blicke auf sich ziehen könnte. Magdalene nickte freundlich und erkundigte sich nach der Familie, der Gesundheit und dem Liebsten, und alle Antworten hörten sich gewöhnlich an. Nach einer Weile geriet das Gespräch unverfänglich auf eine Bahn, die sie nutzen konnte.

»Jonas, mein Schatz«, gestand Sybille, »ist jetzt schon den dritten Monat fort.« Sie seufzte. »Es wird Zeit, dass er wiederkommt, er wollte im August zurück sein. Wir werden heiraten, weißt du?«

Magdalene riss die Augen auf. »Eilt es? Du bist doch nicht schwanger?«

Sybille blies die Backen auf. »Ach wo. Jonas ist ein braver Kerl, der bedrängt mich nicht. Und selbst wenn, ich wüsste mir zu helfen.«

»Wie denn?«, fragte Magdalene.

Maria prustete spöttisch, und Sybille fragte: »Das weißt du nicht?«

Magdalene musste den Kopf schütteln. Die beiden anderen sahen sich an. Jetzt, wo Magdalene von dem Gerücht wusste, fiel ihr das Zögern auf.

»Du willst uns weismachen, du hättest keine Ahnung von solchen Dingen? Ausgerechnet du?« Sybille sah Magdalene mit ärgerlich zusammengekniffenen Augen an. »Wo du seit drei Jahren kein Kind mehr bekommst – warum wohl?«

Beruhigend legte Magdalene ihr eine Hand auf die Schulter. »Meinst du, ich wollte keins und mein Mann hätte ein Mittel gegen Schwangerschaft unter seinen Spezereien?«

Sybille stemmte die Hände in die Seiten. »Das nicht! Sonst hätte er es dir gegeben, als er dir aus Versehen den Hans gemacht hat, dir und auch dem Mädchen damals.«

Magdalene beugte sich ein Stück näher und sah ihr in die Augen. Sybille offenbarte einen schuldbewusst flackernden Blick. Sie fing sich schnell, hob trotzig das Kinn und fuhr fort. »Du hast Glück, dass er dich geheiratet hat. Als es das erste Mal passiert ist, hat seine Frau noch gelebt. Da musste sich dein Mann etwas einfallen lassen.«

Die Mägde schienen nicht in Zweifel zu ziehen, dass Georg einer anderen Frau als seiner eigenen ein Kind gemacht hatte. »Was«, fragte Magdalene, »hat er sich einfallen lassen?«

»Du weißt es nicht?« Erstaunt zog Sybille ihre Stirn kraus. Leiser antwortete sie: »Er hat das Neugeborene gleich, nachdem es zur Welt gekommen ist, in der Küche erstochen und das Blut in einer Schale aufgefangen. Man sagt, er hätte es für eine Rezeptur gebraucht. Das tote Kind hätte er draußen vergraben. Das war vor zehn Jahren, ich vergesse das nie, weil mir meine Mutter die Geschichte kurz vor ihrem Tod erzählt hat.«

»War deine Mutter dabei?« Magdalene war wütend, dass nicht einmal ihre Freundin auf den Gedanken kam, solchen Blödsinn für sich zu behalten.

Sybille merkte Magdalene die Wut an. Sie sprach leiser und gab ein erstes Eingeständnis ab. »Mag sein, dass es sich nicht exakt so zugetragen hat, aber irgendwas haben sie mit dem Kind angestellt und es verschwinden lassen. Mutter hat sich furchtbar aufgeregt, weil niemand der Sache nachgegangen ist. Es war kurz nach der Pest, die Leute hatten andere Sorgen.« Sie blies sich eine lockige Strähne aus dem Gesicht.

»Wer weiß, woran das arme Kind gestorben ist«, erwiderte Magdalene. »Wer soll überhaupt die Mutter dieses Kleinen gewesen sein?«

Maria, die andere Magd, antwortete mit leiser Stimme. »Was wissen wir, welches unglückliche Weib es getroffen hat? Wir waren zu der Zeit selbst noch Kinder. Lasst es in seinem kalten Grab ruhen, das Balg. Das Reden erweckt niemanden zum Leben. Wenn Euer Mann das Kind totgemacht hat, muss er sich eines Tages vor dem Allmächtigen im Himmel dafür verantworten.«

»Warum hat mir niemand davon erzählt? Warum habe ich nicht früher davon erfahren, als ich mit ihm verlobt war?«

Die Mädchen kicherten. Maria antwortete: »Das ist immer so, Rehnikelin. Der, über den geredet wird, erfährt es zuletzt.«

»In Wirklichkeit hatten wir es vergessen«, gestand Sybille, »ich habe auch nicht mehr daran gedacht, sonst hätte ich es dir doch erzählt. Irgendjemand hat sich daran erinnert, als wir gehört haben, dass du einen Bankert hast. Es hat erst einen Sinn ergeben, nachdem der Rehnikel zugegeben hat, dass es sein Kind ist. Du warst gezwungen, das Kind woanders zu kriegen, sonst hätte er es mit deinem Kind genauso gemacht. Das ist klug von dir gewesen. Jetzt muss er für ein Kind, das er macht, auch geradestehen.«

Ein Blick in ihre stolz glänzenden Gesichter sagte Magdalene, dass sie keinerlei Scheu hatten, schlecht von einem angesehenen Händler zu reden. Selbst wenn sie einen gewissen Respekt empfanden, hinderte der sie nicht an dummem Geschwätz.

»Schäm dich, Sybille, über meinen Mann herzuziehen. Er sorgt für mich und den Hans und ist ein guter Christ.

Die beiden Mägde sahen Magdalene mit geschlossenen Mündern an. Als sie ihrem Blick standhielt, senkte Sybille den Kopf und nahm den Krug von einer Hand in die andere, Maria malte mit ihrem Holzschuh im Sand.

»Ein schlechtes Gewissen ist der Grund für manche gute Tat«, sagte Sybille, und Maria ergänzte: »Gerade, weil er sich gut um Euch kümmert, würdet Ihr es niemandem sagen, wenn Ihr von seinen Untaten wüsstet. Wenn Ihr ihn verratet, kommt er ins Gefängnis, und Euch wird keiner mehr versorgen. Ihr müsstet zu Eurem Onkel zurück.«

Der Schreck ließ Magdalene verstummen. In ihrer Kehle stieg das Brennen auf, heftiger als in den Tagen zuvor. Maria flüsterte weiter: »Und überhaupt! Jemand, der einen Stoff in einen anderen verwandeln kann, wenn er das Richtige in den Topf tut, der kann auch Kinderblut gebrauchen.«

»So ein Unsinn«, stemmte Magdalene die Hände in die Seiten, »was sollte man mit so einer Zutat anfangen?«

Die Mägde sahen sie kopfschüttelnd an und sagten nichts. In ihren Augen standen hundert Antworten. Es war nicht notwendig, dass sie eine davon aussprachen.

Am Nachmittag besuchte Georg Rehnikel wie jeden Dienstag seine Erbauungsstunde. Auf solchen Versammlungen trafen sich Männer und lasen gemeinsam aus der Bibel. Studenten, die mit Magister Thomasius aus Leipzig gekommen waren, hatten mit dieser Sitte begonnen. Inzwischen waren die Zirkel nicht mehr geheim wie früher und die Leute sprachen offen darüber. Das bedeutete nicht gleich, dass man mit der Einstellung Beifall erntete. Viele redeten wie Magdalenes Onkel: »Wie kann es richtig sein, dass jeder Dummkopf meint, die Heilige Schrift persönlich auslegen zu müssen!«

Unstimmigkeiten dieser Art zwischen Magdalenes Mann und ihrem Onkel waren in den vergangenen zwei Jahren deutlicher geworden, bis der Onkel keine Einladungen mehr aussprach. Das tat ihr leid, weil Onkel Conrad, Tante Dorothea und ihre Familie Magdalenes einzige Verwandte waren. Aber eine Frau muss ihrem Mann folgen. Seitdem hatte Magdalene die Pflichtbesuche bei der Tante eingestellt, die ihr erlaubten, ihre alte Amme in der Küche aufzusuchen und ein Stündchen zu plaudern.

Was die Lehren des Pietismus anging, stimmten Magdalenes eigene Ansicht und Georgs begeisterte Überzeugung überein. Sie mochte es, wenn er abends die lederbezogene Bibel aufschlug und ihr erklärte, welche Erkenntnisse er in seinem Zirkel gewonnen hatte. Sie sah seinen Finger über die gedruckten Buchstaben gleiten und hörte, wie seine Stimme vor Eifer vibrierte. Er ermunterte seine Frau, gute Werke zu tun, denn das sei, sagte er, der tätige Beweis für Gottes Liebe.

In Georgs ausgleichendem Wesen gab es, von den Spezereien abgesehen, nur die eine Leidenschaft, der pietistischen Lehre zu folgen. Frieden und Einigkeit waren seine Maximen. Sein Charakter, soweit sie ihn kannte, und die Wahrheitsmilch würden Magdalene helfen, dass sie von Georg etwas über das Kind erfuhr. Sie schüttete an diesem Abend wieder einen Löffel der Wahrheitsmilch in sein Bier. Mit aller Macht zwang sie sich zur Freundlichkeit, obwohl schwarzes Misstrauen in ihr loderte.

Sie würden im Erkerzimmer essen, und das traf sich für Magdalenes Zwecke gut. Dann lauschte keine der Mägde, sie würde ruhig mit ihrem Mann zusammensitzen und ihm zuhören. Gertrud trug das Brot und den Käse nach oben. Magdalene brachte die Kanne mit dem Bier und setzte sich zu Georg, der auf sie wartete.

Seine Stimme klang freundlich. Er wollte wissen, wem von den Armen sie an diesem Nachmittag Brot gebracht hatte, und erzählte von der gerade hereingekommenen Lieferung, einem kleinen Paket Quecksilber, aus dem er am folgenden Tag Calomel herstellen wollte, ein Präparat, nach dem die Apotheken verlangten. Er schnitt eine dritte Scheibe vom Brot und zog den Käse zu sich herüber. »Die Erbauungsstunde war heute gut besucht. Wir haben aus dem Matthäusevangelium gelesen«, fuhr er fort zu erzählen. »Lasset die Kinder, und wehret ihnen nicht, zu mir zu kommen, denn solchen gehört das Reich der Himmel.«

»Über Kinder habt ihr gesprochen?«, fragte sie erstaunt.

»Ja, über Kinder«, nickte er, biss in sein Brot und kaute gierig.

»Du …«, begann Magdalene zögernd und sah ihn an. Seufzend legte er das Messer aus der Hand. »Was ist«, fragte er mit der Ergebenheit eines Mannes, der weiß, dass er seinem Schicksal nicht entkommen kann.

»Es ist ein Zeichen, dass ihr über Kinder gesprochen habt. Ich muss mit dir reden, über ein Kind. Ein Gerücht«, begann sie vorsichtig.

»Mein Gott«, er verdrehte die Augen, die Adern an seinen Schläfen begannen zu schwellen, »fang nicht schon wieder mit so etwas an.« Er griff nach seinem Messer.

Sie legte ihre Hand auf seine. »Wenn ein Gerücht über die Gassen läuft, das dich betrifft, müssen wir das nicht ernst nehmen?«

»Das wäre etwas anderes«, er kaute missmutig, »es darf dem Geschäft nicht schaden.«

Sie zögerte, der Mut drohte sie zu verlassen. Die Spannung siegte. »Die Leute sagen, hier im Haus wäre ein Kind getötet worden.«

»Was?« Er sah sie mit großen Augen an. Sein Blick versprach völlige Unschuld. »Getötet?«

»Mit einem Messer erstochen«, sagte sie, »umgebracht.«

Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. Das Grinsen wuchs bis an die Ohren, sein Mund öffnete sich, bis er »Haha!« sagte. Für ein Lachen klang es nicht echt genug. Es kam ihr vor, als ob er Zeit für eine unverfängliche Antwort schinden wollte. Er zog seine Hand aus ihrer und legte sie auf ihre Schulter. »Du glaubst den Unsinn doch nicht etwa? Du lebst drei Jahre mit mir zusammen und gehst solch einem dummen Gerücht auf den Leim? Lenchen, du solltest mich besser kennen. Hol den Hans, damit er uns Gute Nacht sagt.«

Er wandte sich dem Käse zu. Die Sache schien so lächerlich zu sein, dass er noch grinste, als er mit seinem Messer ein weiteres dickes Stück Brot abschnitt.

Immerhin hatte er gelacht.

Magdalene war nicht danach zumute, mit ihm zu lachen. Sein Bierkrug stand unberührt auf dem Tisch. Er hatte während des Abendessens nicht einen einzigen Schluck davon getrunken.

Magdalene und die Saaleweiber

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