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São Paulo,
Sommer 1930

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Nackte Wände, der Boden festgetreten und kahl. Niemand ­kümmert sich um Blumenbeete in diesem Hinterhof im Zentrum von São Paulo. Lediglich eine improvisierte Wäscheleine und ein Holzklappstuhl. Darauf sitzt Greti Caprez, geborene Roffler, Theologiestudentin aus Igis in Graubünden, 24 Jahre alt. Hinter der Kamera? Vermutlich Gian Caprez, Ingenieur aus Pontresina, 25-jährig. Mit ihm, den sie ihren Ehekameraden nennt, ist sie vor zehn Monaten nach São Paulo gekommen. Er hat eine Stelle am Polytechnikum angetreten, sie lernt für ihr Schlussexamen und führt den gemeinsamen Haushalt. Das Bild ist im Hof der Pension Helvetia entstanden, wo die beiden unter der Woche zu Mittag essen.1 Sie sitzt etwas gebeugt auf der vorderen Stuhl­kante. Auf ihrem Schoss? Möglicherweise ein Hemd von ihm, das sie flicken will, und ein Heft mit Notizen aus dem Studium. Auf jeden Fall würde es zu ihr passen, zwei Dinge gleichzeitig zu tun. Arme und Wangen wirken nicht so schmal wie auf ­früheren Fotos: Sie ist schwanger. In wenigen Tagen wird sie ­allein auf einen Ozeandampfer in Richtung Europa steigen, um in ­Zürich ihr Schlussexamen abzulegen und danach bei ihren ­Eltern im Pfarrhaus von Igis ihr erstes Kind zur Welt zu bringen. Ihr Mann bleibt bei seiner Arbeit am Polytechnikum in São ­Paulo.

Die illegale Pfarrerin

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