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»Beeil dich!« ruft Mama hinter Didrik her, der aus der Küche auf den Flur stürmt.

»Nun mach schon«, sagt Didrik, während er seine kleine Schwester Ebba beiseite schiebt, die auf seinen Schuhen steht und sich im Flurspiegel bewundert. Didrik hüpft in seine Schuhe und wirft sich die Jacke über.

»Es ist schon spät!« ruft Mama und flitzt ins Badezimmer. Papa rennt die Treppe hinunter, wobei er sich gleichzeitig das Hemd zuknöpft.

»Seid ihr noch nicht weg? Ihr kommt zu spät!«

»Ja, ja, tschüs zusammen!« schreit Ebba, schmeißt sich die Schultasche über die Schulter und verschwindet.

»Und du?« fragt Papa und schaut Didrik an, der seine Jacke erst halb angezogen hat. Er hat plötzlich, mitten in der ganzen Hektik, innegehalten, und ein verträumter Ausdruck tritt in seine Augen. Abwesend starrt er seinen Vater an, ohne ihn zu sehen.

Genau in diesem Augenblick geschieht nämlich etwas, was Didrik öfter passiert – besonders, wenn er es eilig hat, zur Schule zu kommen. Er wird von einer unwiderstehlichen Sehnsucht ergriffen. Er muß Klavier spielen! Es ist, als würde ihn etwas mit einem großen Magneten in sein Zimmer ziehen, wo das Klavier thront. Mit stierem Blick geht er zur Tür, stößt sie auf und stolpert über seine offenen Schnürsenkel zum Klavier, vor dem er sich mit einem glücklichen Seufzer niederläßt. Er beginnt zu spielen, schließt die Augen und singt leise für sich selbst: I love you, I love you, I love you not only in my dreams . . . Das ist bisher sein bestes Lied. Er möchte es endlos spielen. Aber Papa erscheint, die Schultasche schwingend, und stört ihn. »Didrik! Dazu hast du jetzt keine Zeit, du mußt zur Schule!«

Didrik blinzelt und murmelt etwas, dann zieht er sich den zweiten Teil der Jacke über, bindet seine Schuhe zu und trollt sich.

Er tritt sein Fahrrad im Takt. I love you, I love you, I love you not only in my dreams . . . Er kann es kaum erwarten, wieder zu Hause zu sein. Den ganzen Nachmittag wird er Klavier spielen.

Es ist kurz vor den Sommerferien, und der Staub auf dem Schulhof wirbelt in hellen Wolken auf, als Didrik mit seinem Fahrrad ankommt. Am Fahrradständer wartet Tova. Ihre Augen leuchten, als sie Didrik sieht.

»Hallo!« sagt sie, und ganz oben auf ihren Wangen erscheinen rote Flecken.

»Tja«, antwortet Didrik, wirft sich die Tasche über die Schulter und geht zum Schuleingang. Tova folgt ihm sofort. Vom ersten Moment an, als ihre Blicke auf Didrik gefallen waren, war sie verliebt in ihn. Jetzt steht sie jeden Morgen am Fahrradständer und wartet. Wenn er nicht kommt, läßt sie den ganzen Tag den Kopf hängen. Aber meistens kommt er, und dann strahlt sie wie eine Löwenzahnblume in der Sonne.

»Was machst du nach der Schule?« fragt sie hoffnungsvoll.

»Klavier spielen«, sagt Didrik. »Und dabei muß ich meine Ruhe haben.«

Didrik sitzt in der Klasse direkt vor Tova. Sie kennt jedes einzelne Haar auf seinem Kopf, so genau hat sie ihn studiert. Manchmal beugt sie sich nach vorn, um Didriks Duft einzuatmen – auch wenn das, was am stärksten riecht, das Waschmittel ist, mit dem sein Pullover gewaschen wurde. Ab und zu merkt Tova, daß Didrik geistesabwesend wird; dann scheint es, als höre und sehe er nicht, was um ihn herum geschieht. Und wenn die Lehrerin ihn dann etwas fragt, muß Tova ihm die richtige Antwort zuflüstern.

Zum Unterrichtsende hat die Klasse eine sogenannte »stille Stunde«. Ruben steht vorn an der Tafel und stellt Rätselfragen, wobei er voll Entzücken zu Tova hinüberschielt.

Didrik hört nicht zu. Er sitzt mit dem Kinn in der Hand da und schaut zerstreut auf den Schulhof. Der Sommerwind raschelt in den Bäumen, und die Sonne scheint durch die Blätter hindurch. Didriks andere Hand liegt auf der Tischplatte, seine Finger bewegen sich ununterbrochen. Vor seinem inneren Auge sieht er die Tasten, und im Kopf hört er sein Lied: I love you, I love you . . .

Ruben setzt sich wieder auf seinen Platz, seine Bewegungen sind so gelenkig wie die eines Hundebabys. »Also, wie ist es, will jemand anders uns jetzt unterhalten?« fragt die Lehrerin und läßt ihren Blick über die Klasse wandern. »Ich lasse euch jedenfalls nicht laufen, bevor es klingelt!« Sie sitzt mit einer Pobacke auf dem äußersten Rand des Pults und säubert sich die Fingernägel. Sie trägt ein rosa Sommerkleid, ihre Haare sind spröde vom zu häufigen Blondieren, und auf den Augenlidern liegt etwas zu viel Lidschatten. Sie versucht, sich auf alle möglichen Arten hübsch zu machen, ohne zu begreifen, daß ihre Anstrengungen ganz unnötig sind. Ihre Person umgibt nämlich ein Hauch von Güte, der allein sie schon hübsch wirken läßt. Ab und zu streichelt sie ihren ringlosen Ringfinger.

Jetzt legt sie ein stämmiges Bein über das andere.

»Gibt es hier denn wirklich keinen, der zu unserer Unterhaltung beitragen kann?«

Da zerstört Tova Didriks friedliche Gedanken. »Ich weiß was!« schreit sie. »Kann Didrik nicht Klavier spielen?«

Didrik möchte am liebsten im Erdboden verschwinden.

»O nein . . . Heißt es nicht ›stille Stunde‹?« protestiert Ruben und sinkt in seiner Bank zusammen.

»Eine hervorragende Idee. Das machst du doch sicher, Didrik«, sagt die Lehrerin und klatscht in ihre kleinen Hände.

»Ächz, stöhn«, sagt Alexander und versinkt genauso tief wie Ruben in seiner Bank. Sie stecken die Köpfe zusammen, schielen zu Didrik hinüber und kichern.

»Bitte, bitte, Didrik!« bettelt Tova.

»Tutti lulli Didrik!« äfft Ruben nach.

»Ja, komm her«, lockt die Lehrerin. »Spiel eines deiner eigenen Lieder.«

Die Lehrerin ist goldig, und in ihren Augen glänzt es. Didrik fühlt sich gezwungen, das zu tun, worum ihn die Frauen bitten. Widerwillig schält er sich aus seiner Bank, von Rubens und Alexanders höhnischen Blikken begleitet.

Die Lehrerin zieht ihn mit ihrem warmen Lachen nach vorn zum Klavier, und als er angekommen ist, sagt sie: »So, jetzt seid ihr leise und hört Didrik zu. Ich habe inzwischen rasch etwas zu erledigen.«

»Versprochen!« ruft Ruben mit leuchtenden Augen. Didrik ist blöderweise gezwungen, dort zu bleiben, wo er ist. Vor sich hat er ein Klassenzimmer voller gleichgültiger Gesichter.

Die Lehrerin steht in der Tür. »Ich bin gleich zurück. Ich muß nur ein Telefongespräch führen«, sagt sie und hebt warnend einen Finger. »Willst du anfangen, Didrik?«

Didrik räuspert sich und massiert seine Finger. Schließlich beginnt er. I love you, I love you, I love you not only in my dreams . . . singt er und spürt, wie seine Wangen heiß werden.

Nun schließt die Lehrerin die Tür hinter sich. Sobald aber das Klappern ihrer Absätze nicht mehr vom Flur widerhallt, bricht das Chaos aus. Ruben zwängt sich aus seiner Bank, reißt Tovas Lineal an sich und legt auf den Bänken ein Trommelsolo hin. Er erklimmt mit einem Satz das Lehrerpult, wippt herausfordernd auf den Zehenspitzen und übertönt Didrik mit einer eigenen Nummer.

Die ganze Klasse, ausgenommen Tova, lacht sich halbtot über Ruben, wie der in seinem gestreiften Hemd und seiner Sackhose einen Rocksong zum besten gibt. Yeah, yeah, baby, rock me, rock me, baby . . . heult er. Er schwenkt die Hüften und stampft auf dem Pult herum, daß die Stifte durcheinanderwirbeln. Er bekommt den Reservevorrat der Lehrerin an Radiergummis zu fassen und bombardiert damit seine grölenden Klassenkameraden . . . bis es plötzlich klingelt und das Klassenzimmer in Windeseile seinen wilden Inhalt ausleert. Nur Didrik sitzt immer noch hinterm Klavier. Ooh – ooh – yes I love, how I love, I do love youuuuu . . .

Dann ist es still. Für einen Augenblick ist es im Klassenzimmer mucksmäuschenstill. Danach raschelt es am Klavier, und Didrik steht auf.

»Hach, bist du toll«, seufzt Tova glücklich. Sie sitzt auf ihrem Platz und strahlt Didrik an. Er fällt wieder auf den Stuhl hinter dem Klavier zurück.

»Kann ich heute mit zu dir kommen?«

»Nein, ich will Klavier spielen«, antwortet Didrik.

»Nur ganz kurz. Ich verspreche auch, leise zu sein. Bitte!«

»Nein, geht nicht. Mein Vater hat die Papageienkrankheit«, sagt Didrik schnell.

»Ist das ansteckend?« fragt Tova erschrocken.

»Man kann nie wissen.«

Da schaut Ruben zur Tür herein.

»Tova, komm schon! Du sollst mit uns Brennball spielen, du bist in meiner Mannschaft.«

Tova bleibt in ihrer Bank sitzen, den Blick auf Didrik geheftet.

»Tova!« drängelt Ruben. Aber Tova bleibt eisern sitzen. Ruben schnauft ungeduldig und verschwindet.

»Tschüs dann«, sagt Didrik zu Tova und sammelt seine Siebensachen zusammen. Sie verfolgt jede kleinste Bewegung von ihm. Er hebt die Hand zu einem Winken, nickt ihr kurz zu und geht. Erst als er verschwunden ist, gibt sie die Hoffnung auf. Rasch steht sie auf und rennt nach draußen zu Ruben und den anderen.

Didriks Geschichte

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