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Didrik springt den Hügel hinunter. Vor lauter Wut und Ärger läuft er ganz schnell. In seiner Brust spürt er einen dumpfen Schmerz. Warum müssen sie immer meckern, wenn er spielt? Warum darf er darüber nicht selbst entscheiden? Eines Tages, wenn er groß genug ist, wird er allein über sich bestimmen. Dann wird er spielen, so lange er will, und niemand darf ihm dabei reinreden! Aber bis dahin dauert es noch lange, unendlich viele Jahre und Tage.

Didrik überquert den Marktplatz und läuft weiter in Richtung Meer. Am Meer liegt eine Wiese, die von Steinen und Bootsschuppen eingefaßt ist. Die meisten Schuppen sind verlassen, aber in dem einen oder anderen findet sich noch ein kleines Boot. Es gibt einen speziellen Schuppen, zu dem Didrik geht, wenn er seine Ruhe braucht. Manchmal geht er dorthin, weil er glücklich ist, manchmal, weil er traurig ist. Er kann stundenlang dort sitzen und das Meer betrachten, wie es sich ununterbrochen bewegt. Dann ist es, als flössen Meer und Himmel durch ihn hindurch und machten ihn wieder stark. Zu diesem Schuppen ist er jetzt unterwegs.

Doch vorher muß er am Fußballplatz vorbei. Dort spielen Ruben, Alexander, Tova und die anderen Brennball. Tova macht gerade eine Freirunde, und ihre Mannschaft mit Ruben an der Spitze spornt sie lautstark an. Didrik hofft, daß er unbemerkt vorbeikommt. Er hat keine Lust, mit irgend jemandem zu reden. Aber Tova entdeckt ihn genau in dem Augenblick, als sie die Freirunde beenden soll. Ihre Augen beginnen zu strahlen, und sie rennt direkt auf Didrik zu.

Ruben rauft sich die Haare und schreit: »Tova! He, was machst du? Spinnst du? Komm zurück!«

Tova hört die Proteste nicht. Mit glühenden Wangen läuft sie zum Gitter, das den Fußballplatz umgibt.

»Didrik!« ruft sie. »Spielst du mit Brennball?«

Didrik geht außen am Gitter entlang, Tova läuft innen und wirft ihm Blicke zu.

»Bist du nicht gerade eine Freirunde gelaufen?« fragt er.

»Ja, aber das interessiert mich sowieso nicht mehr. Was machst du? Kann ich mitkommen?«

»Nein«, antwortet Didrik, ohne sie anzusehen. »Ich will meine Ruhe haben.«

Tova drückt sich ans Gitter und umklammert mit ihren Fingern die großen Drahtmaschen.

»Didrik . . .« bittet sie, und ihre Augenbrauen tanzen wie unruhige Vögel auf der Stirn. Aber Didrik reagiert nicht. Er geht einfach weiter.

»Didrik, bist du traurig?« fragt Tova. Ihre Stimme klingt zärtlich.

»Nein! Ich habe Zahnschmerzen!« faucht Didrik.

»Tschüs!«

»Tova!« schreit Ruben, daß seine Stimme umkippt.

»Komm endlich, Tova!«

Aber sie bleibt stehen und sieht zu, wie Didrik verschwindet.

»Didrik!« ruft sie.

»Tova!« ruft Ruben.

Didrik geht hinunter zur Wiese. Die Sonne glitzert im Meer, und der Himmel ist hoch und blau. Aber Didrik marschiert wütend vor sich hin, die Augen auf den Boden gerichtet.

Plötzlich hört er durch den Wind einen sonderbaren Gesang. Er bleibt stehen, legt eine Hand über die Augen und blinzelt. Ein fremder Mann steht bei Didriks Schuppen und singt etwas, das nach Oper klingt. Er breitet seine Arme mit leidenschaftlichen Gesten aus und wirft den Kopf hin und her, daß die dünnen Haare hinter den Ohren flattern. Dann, mitten in einer dramatischen Stelle, entdeckt der Mann Didrik.

»Aha! Ich sehe dich! Ich sehe dich! Komm nur her!«

Didrik geht vorsichtig auf den Mann zu. Dessen strahlender Blick verdunkelt sich, und nun betrachtet er Didrik unter gerunzelten Augenbrauen.

»Wer bist du?« fragt er schroff.

»Didrik Reng«, antwortet Didrik.

Sie sehen einander einen Moment lang an, dann streckt der Mann seine Hand aus und gibt sie Didrik.

»Kai Husell. Angenehm. Nun, wer bist du, Freund oder Feind?«

»Von wem?« fragt Didrik verwirrt.

»Natürlich von mir«, sagt Kai Husell.

»Freund«, erklärt Didrik.

»Und wie steht’s mit Euterpe?« erkundigt sich Kai Husell, und seine Augen blitzen und funkeln.

»Wer ist das?« fragt Didrik.

»Mein lieber Freund!« ruft Kai Husell und schüttelt den Kopf. Dann beugt er sich dicht zu Didrik hinunter. »Euterpe ist eine der neun Musen und die Beschützerin der Musik! Mit ihr stehe ich in Verbindung.«

»Wie denn?« fragt Didrik.

Kai Husell lacht ein leicht spöttisches Lachen. »Ich öffne meine Sinne; ich lasse meine Zunge wie ein schlaffes Steak im Mund liegen, atme tief ein, hisse mein Gaumensegel und lasse mich mit Euterpes bezaubernden Ideen füllen. So wird aus meinen vibrierenden Stimmbändern liebliche, göttliche Musik geboren!«

»Ach ja?« sagt Didrik.

Kai Husell streckt sich, faltet die Hände unter seinem kleinen Bauch, öffnet den Mund sperrangelweit und läßt zwei Töne aus seinem Rachen tanzen. »LA LAAAA . . . Nun ja, ich habe meistens ein wenig Probleme mit dem Gaumensegel«, entschuldigt er sich und schiebt seinen Schlipsknoten zurecht. »Außerdem neige ich dazu, die Kiefer zu verkrampfen. Ich müßte häufiger entspannen üben . . .«

Kai Husell läßt das Kinn bis zur Brust hängen, schiebt die Zunge über seine hängende Unterlippe und entspannt sein ganzes Gesicht. Dann beginnt er, den Kopf von einer Seite zur anderen zu schaukeln, wobei er im Kreis geht.

»Blö blö blö blö blö blö blööööö . . . ich soll Zunge und Kinn einfach nur hängen lassen . . . blö blö blö . . . so sollte ich immerzu reden, aber meine Frau hält nichts davon . . . blö blö blö blö blö . . . versuch du auch mal!« fordert er Didrik auf.

»Blö blö blö blö blö . . .« sagt Didrik mit einem gewissen Zweifel in der Stimme.

Kai Husell ist begeistert. »Genau! Genau so! Vielleicht bist du ein Naturtalent!«

Aber auf einmal wird er wieder ernst. Er setzt sich mit gedankenvoller Miene hin und bringt eine Thermoskanne zum Vorschein. Er gießt Tee in einen Becher, nickt Didrik auffordernd zu und schenkt ihm auch eine Tasse ein.

»Meine Frau«, sagt er. »Meine Frau, sie versteht mich überhaupt nicht. Sie fängt an zu weinen, wenn ich zu Hause singe. Dann wirft sie mit Gegenständen nach mir. Sie sagt . . . sie sagt, daß sie sich von mir scheiden lassen will, wenn ich nicht aufhöre zu singen. Ich glaube, sie ist eifersüchtig auf Euterpe und auf mein Talent. Kannst du dir etwas Hemmenderes für ein Genie vorstellen?«

Kai Husell sieht Didrik mit wehmütigen, ernsten Augen an. Didrik schüttelt teilnahmsvoll den Kopf.

»Darum singe ich meine Liebeslieder eben für die Möwen«, fährt Kai Husell fort.

Die Möwen, die über ihren Köpfen kreisen, stoßen spöttische Schreie und Gelächter aus.

»Aber eines Tages«, fährt Kai Husell fort, »eines Tages werde ich für die Massen singen. Du!« ruft er aus.

»Willst du meine Interpretation des Erlkönigs hören?«

»Ja . . .« sagt Didrik.

Kai Husell zuckt zusammen. »Willst du das? Oh, willst du das wirklich?«

Er stellt sich in Positur, um zu singen. Den Rücken kerzengerade, die Hände unterm Bauch gefaltet, den Blick auf den Horizont gerichtet, atmet er tief und sperrt den Mund auf. Und dann singt er. Das ist, als würde seine gesamte Gestalt von einer wunderbaren Kraft durchströmt. Er wirft den Kopf zurück und sieht vollkommen unbezwingbar aus. Plötzlich, mitten im Gesang, hört er auf und verbeugt sich tief. Didrik applaudiert.

»Danke, danke, Didrik, danke! Endlich jemand, der Ohren hat! Obwohl du nicht gemerkt hast, daß ich Roccos Arie aus Beethovens Leonore gesungen habe, weißt du, Fidelio, die Version von 1805. Hahaha«, lacht er. »da haben wir dich aber angeschmiert, Euterpe und ich!« Entzückt fischt er aus seiner Westentasche einen Notizblock und schreibt mit elegantem Schwung seinen Namen, um ihn dann Didrik zu geben.

»Hier hast du mein Autogramm. Du sollst es bekommen, Didrik, obwohl ich sonst aus Prinzip keine schreibe, damit ich den Sammlerwert nicht aufs Spiel setze. Aber du sollst eins haben. Bitteschön!«

»Danke!« Didrik nimmt dankbar den Zettel entgegen.

»Paß gut darauf auf. Kai Husell wird eines Tages weltberühmt werden«, gluckst der Sänger und singt eine jubelnde Tonleiter auf seinen Namen. »Kai Husell, Kai Husell, Kai Husell!«

In diesem Augenblick ertönt ein rauhes Hundebellen. Kai Husell erschrickt. Dann hört man noch einmal Gebell, und noch einmal. Ein großer Hund kommt über die Wiese gesprungen, auf Didrik und Kai Husell zu.

»Euterpe, Hilfe!« wimmert Kai Husell und sammelt eilig seinen Notenständer und all seine Notenblätter zusammen. Ohne Didrik auch nur noch eines Blickes zu würdigen, läuft er mit flatternden Noten unterm Arm davon.

»He, hallo . . .« ruft Didrik hinter ihm her. Doch anscheinend will Kai Husell keine Zeit mehr mit Höflichkeiten verlieren. Didrik sieht ihn verschwinden, den großen Hund auf den Fersen.

Didriks Geschichte

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