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Am nächsten Morgen steht Didrik vorm Spiegel und muß zwischen zwei Pullovern auswählen. Der eine ist blau, der andere ist rot. Er kann sich nicht entscheiden, welchen er nehmen soll. Der blaue ist ein bißchen zu eng, so daß man deutlich sieht, wie schmächtig Didriks Körper ist. Aber der rote hat die Farbe der Liebe; das könnte peinlich werden. Didrik wühlt in seiner Kommode. Zum Schluß holt er einen lilafarbenen Pullover hervor, und den zieht er an.

Er schaut auf die Uhr. Es wird höchste Zeit, zur Wiese hinunterzugehen. Yrla, denkt er, und ihr Name kitzelt in seiner Brust, daß ihm kalt und warm zugleich wird. Da steckt Mama den Kopf ins Zimmer.

»Hast du alles?« fragt sie und guckt, als müßte Didrik verstehen, was sie meint.

»Was?« fragt er und schaut sie dumm an.

»Wir wollen gleich losfahren.«

Mama verschwindet wieder. Vor Didriks Augen dreht sich alles. Losfahren? Wir wollen losfahren? Wohin wollen wir losfahren?

»Losfahren???« ruft er hinter ihr her.

»Wir machen doch heute einen Ausflug, hast du das vergessen?«

Didrik bleibt fast das Herz stehen. »Wann kommen wir wieder zurück?« fragt er.

»Irgendwann am Abend. Nun beeil dich!«

Didrik verstummt. Im Spiegel sieht er ein bleiches Gesicht mit Augen, die wild aus ihren Höhlen hervorstarren. Das geht nicht! Er kann nicht den ganzen Tag wegbleiben! Yrla könnte in dieser Zeit verschwinden – für immer!

Papa, Mama und Ebba stehen inzwischen in der Küche und packen den Ausflugskorb. Papa putzt sein Fernglas, Mama zählt Geld, und Ebba nascht an einem Hefebrötchen. Die Sonne scheint durchs Fenster, und die Stimmung ist vergnügt. Die Familie wird den ganzen Tag Zusammensein, ohne sich um die Zeit kümmern zu müssen. Papa redet munter drauflos: »Ich werde mal meine Kamera mitnehmen, und dieses Mal werde ich nicht den Film vergessen, und vielleicht sollten wir Badezeug mitnehmen, was hältst du davon, Lena? Denk dir nur, vielleicht können wir baden!«

In diesem Moment stürzt Didrik in die Küche. Er rollt mit den Augen, keucht und läßt die Zunge heraushängen wie ein kranker Hund. Dann läuft er genau gegen den Küchentisch, so als wäre er blind.

»Didrik!« ruft Mama erschrocken.

»Au . . . au . . . au . . .!« Didrik verzieht das Gesicht zu einer Grimasse.

»Didrik, was ist passiert?«

Didrik windet sich, als hätte er innere Schmerzen, und kneift die Augen zusammen, wobei er schreit: »Ich bin krank! Ich bin krank!«

Papa wirft ihm einen gleichgültigen Blick zu und fährt unverdrossen fort, einzupacken.

Didrik atmet so heftig, daß seine Lunge pfeift. »Ich krieg’ keine Luft mehr!« wimmert er kläglich und stößt gegen einen Stuhl. »Ich bin vergiftet!« fährt er fort und zuckt wie im Krampf. »Alles dreht sich vor mir! Ich seh’ nichts, es ist ein einziger Nebel! Ich kann nicht mitkommen . . .«

Ebba betrachtet forschend ihren Bruder. »Ich möchte nur wissen, was du eigentlich vorhast«, sagt sie mißtrauisch.

Didrik sinkt langsam auf einem Stuhl zusammen und stöhnt, als hätte er unbeschreibliche Schmerzen.

»Au . . . au . . . oh . . . au!«

»Also, langsam vergeht mir die Lust!« ruft Papa.

»Dann bleiben wir eben hier! Wir bleiben alle zu Hause!«

»Nein, ihr könnt losfahren«, protestiert Didrik. »Ich leg’ mich nur ins Bett. Fahrt ihr ruhig.« Sofort merkt er, daß er viel zu gesund klingt, darum bekommt er einen neuen, noch schlimmeren Anfall. »AU . . . AU . . . AU . . . AU . . . AU, SOLCHE SCHMERZEN!« Papa schaut ihn kurz an und beginnt dann entschlossen, den Ausflugskorb wieder auszupacken. »Na gut. Das war’s also.« Demonstrativ reiht er den Proviant, das Fernglas und die Kamera auf dem Tisch auf.

»Mußt du dich jetzt auch noch so kindisch aufführen, Fredrik?« fragt Mama.

»Ich bin nicht kindisch!« antwortet Papa erregt. »Ich hatte mich auf diesen Ausflug mit der Familie gefreut. Aber gut, gut, wenn ihr es so haben wollt – wir bleiben zu Hause. Macht euch keine Gedanken um mich!«

»Nein, fahrt doch. Ich will euch nicht daran hindern«, ächzt Didrik großmütig, während er sich weiterhin vor Schmerzen krümmt.

»Ach, ich habe auch keine Lust, den ganzen Tag im Wald herumzulaufen und mich zu Tode zu langweilen«, sagt Ebba.

Mama seufzt. Papa schaut zur Decke. Didrik atmet dramatisch.

»Didrik, nun reicht es mit den Dummheiten.« Wenn Mama so klingt, muß man auf der Hut sein. Aber Didrik verdreht die Augen und rutscht vom Stuhl zu Boden, wo er nun der Länge nach ausgestreckt liegt und heult: »Ich kann mich nicht rühren!«

Ebba platzt mit einem Riesengekicher heraus. Papa und Mama betrachten Didrik hilflos.

»Mein Blut gefriert!« Didrik versteift sich mit abgespreizten Armen und Beinen und weit aufgesperrten Augen. Ebba kullert neben ihn und kreischt vor Lachen.

»Wir bleiben hier, habe ich gesagt!« tobt Papa und macht Anstalten, die Küche zu verlassen.

»Was hast du vor?« fragt Mama.

Papa setzt eine beleidigte Miene auf. »Ein Video leihen.«

Er knallt laut die Türe hinter sich zu. Ebba versucht, mit dem Lachen aufzuhören. Didrik öffnet vorsichtig ein Auge und sieht Mama dastehen, wie sie, die Hände in die Hüften gestemmt, vor sich hinstarrt.

»Wir bleiben hier, habe ich gesagt!« ruft Papa, der gerade draußen am Küchenfenster vorbeigeht.

Kurz darauf läuft Didrik mit klopfendem Herzen durch den Ort. Beim letzten Hügel ist er so in Fahrt, daß der Schotter unter seinen Schuhen aufspritzt. Unruhig hält er unten auf der Wiese Ausschau nach Yrla. Ist sie gekommen? Ist sie wieder weggegangen? Ist sie auf dem Weg hierher, oder ist sie für alle Zeiten verschwunden?

Während er so läuft und schaut, entdecken ihn Ruben und seine beiden Anhängsel Alexander und Erik; die drei radeln gerade gelangweilt durch die Gegend. Aus Mangel an besserer Beschäftigung fahren sie drauflos, um ihm den Weg abzuschneiden. Als Didrik um die letzte Ecke biegt, stehen sie mit ihren Rädern wie eine Mauer vor ihm.

»Oho, was hast du es denn so eilig, bist du unterwegs zu deinem kleinen Klavierfräulein?« fragt Ruben.

Didrik kommt nicht weiter. Sie umringen ihn mit ihren Fahrrädern.

»Sollst du ihr deine goldigen Lieder vorspielen?« kichert Alexander.

»Nimm bloß Ohrenpfropfen zu deiner Liebsten mit!« tönt Erik.

»Macht Platz«, sagt Didrik und versucht sich vorbeizudrängen.

»Du bist es, der im Weg steht«, brummt Alexander und rückt drohend mit seinem Fahrrad näher. Dann fangen alle drei an, »I love you, I love you!« zu grölen. Ihre Münder sind weit aufgerissen, das einzige, was Didrik sieht, sind drei höhnisch lachende Öffnungen. Sobald er sich vorbeizudrücken sucht, hält ihn einer der drei mit seinem Fahrrad zurück. Ihre Stimmen werden immer schriller und ihre Augen immer boshafter. Sie fühlen sich stark, und etwas Grausames erscheint in ihren Gesichtern.

Da hören sie einen Hund bellen.

»Was macht ihr Feiglinge da? Verschwindet, sonst lasse ich den Hund auf euch los, und der beißt!«

Jäh verstummen alle. Yrla steht dort mitten auf dem Weg mit Fransbertil, der ungeduldig an der Leine zerrt und knurrt. Ruben, Alexander und Erik gucken sie dumm an. Sie ist hübsch, sogar wenn sie böse ist, denkt Didrik.

»Auf einen allein losgehen, das könnt ihr, ihr Feiglinge!«

Fransbertil knirscht mit den Kiefergelenken.

»Haut ab, sonst hetze ich den Hund auf euch!« Sie löst die Leine, und der Hund macht einen Satz auf die Jungen zu. Er bellt wie wild.

»Hilfe!« kreischt der freche Ruben jämmerlich und verschwindet als erster. Einen Augenblick später ist keine Spur mehr von den dreien zu sehen.

Didrik und Yrla lachen. »Haben sie dir was getan?« fragt sie.

»Nee, die wollten sich nur ein bißchen aufspielen«, antwortet Didrik und schielt zu ihr hinüber.

»Du bist heute also wieder da«, sagt sie.

»Ja, ich war gerade auf dem Weg, als das hier passiert ist«, erklärt Didrik mit gespielter Lässigkeit.

»Hm«, sagt Yrla und will offensichtlich mit Fransbertil weiter.

Didrik kramt fieberhaft in seinen Gedanken nach etwas, was er zu ihr sagen könnte. »Wie läuft es mit der Post?« fragt er.

»Was?« sagt Yrla.

»Ist ein Brief gekommen?«

»Nein . . .« sagt Yrla unbestimmt. »Ich muß jetzt nach Hause und Fransbertil zu fressen geben. Tschüs!«

Sie geht los. Aber Didrik will sie nicht fortlassen. Er hüpft hinter ihr her. »Ich habe gesehen, daß es im Laden ein Sonderangebot für Hundefutter gibt!« verkündet er.

»Ach ja«, sagt Yrla uninteressiert.

»Was für Futter frißt er denn? Trockenfutter, Frischfutter, Mischmasch oder Dosenfutter?«

»Er frißt alles mögliche«, antwortet Yrla und geht mit Fransbertil weiter.

Didrik blickt ihr nach. »Hilfe!« ruft er.

Yrla bleibt stehen und dreht sich verwundert um.

»Ich bin ausgesperrt!«

Sie sieht ihn an, wie er mit hängenden Armen dasteht und ganz verlassen dreinschaut.

»Ausgesperrt«, wiederholt Didrik. »Wirklich.«

»Ach ja?« Sie runzelt die Stirn.

»Und alle sind weg. Sie kommen erst heute nacht wieder«, sagt Didrik.

»Ja . . .« sagt Yrla. Sie denkt einen Augenblick lang nach. »Dann mußt du wohl für eine Weile mit zu mir kommen.« Didrik hüpft das Herz in der Brust.

»Das heißt, wenn du willst.«

Didrik verzieht das Gesicht, als müßte er überlegen, ob er wirklich Zeit hat, mit Yrla zu gehen. Dann zuckt er mit den Achseln.

»Tja . . . doch, ja, mir bleibt wohl nichts anderes übrig.« Er wirft Yrla einen unschuldigen Blick zu.

»Dann komm«, sagt sie.

Und Didrik geht mit Yrla den Weg entlang.

Didriks Geschichte

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