Читать книгу Wenn aus Prinzen Frösche werden - Christina Herrström - Страница 5
1. Kapitel
Оглавление»Sei selbstständig!«, sagt Ella.
»Werde nie abhängig!«, sagt Josefin.
Ella nickt. Josefin schreibt es schnell auf den Notizblock.
»Wage es, deine Meinung zu sagen!«
»Wage es, dem Druck zu widerstehen!«
Die Kerze auf dem kleinen Tisch flackert. Die Beine haben keinen Platz und es sitzt sich hart. Auf dem Boden liegen Sand und eine vergessene Schaufel. Die Dunkelheit um das kleine Spielhäuschen wird schwärzer, Balkontüren werden geschlossen und Kinderstimmen hinter Rollos verstummen. Die Fenster in den Hochhäusern hinter dem Park werden eins nach dem anderen hell, die Fernseher werden angeschaltet, die Spülmaschinen angestellt. Es ist Abend. Es ist niemand mehr draußen. Nur Ella und Josefin sind noch im Spielhäuschen. Und niemand findet sie hier.
»Stell Ziele auf!«
»Und setze sie durch!«
Sie haben glühende Gesichter, nicht nur wegen der Kerze, sondern weil sie etwas Großes und Wildes und Starkes und Wunderbares fühlen – innen drin!
»Warte nicht auf die Initiative von anderen!«
»Lass niemanden dich hindern!«, knurrt Ella zwischen den Zähnen hervor.
»Sei du selbst und steh dazu!«
Ella hört einen Moment auf zu schreiben, betrachtet Josefins hohe Stirn und die entschieden zusammengepressten Lippen.
»Wer sind wir . . .?«, fragt sie.
Aber die Frage fällt in die große Leere zu den vielen anderen Fragen der gleichen Sorte.
»Man wird uns hören!«, fährt Josefin fort.
»Man wird uns sehen«, sagt Ella und denkt daran, dass sie, als sie noch klein war, immer ihre Stimme aus Protest erhob, obwohl sie es mit Riesen zu tun hatte, und jetzt, wo sie fast erwachsen ist, hat sie angefangen zu schweigen. Warum?
»Wir werden Platz einnehmen!«
»Uns nehmen, was uns zusteht!«
»Wir sind die neuen Frauen!!!«, jubelt Josefin.
»Die wissen, was sie wollen . . .«, lächelt Ella siegessicher.
»Die niemand aufhalten kann . . .«
»Die niemand ducken kann!!!«
Es kribbelt im Bauch, Unmengen von schäumender, rasender Kraft machen sich frei!
»Wir sind nämlich keine Idioten!«
»Keine blöden Tussis!«
»Die nichts sehen können vor lauter falschen Wimpern!«, blubbert Ella und sie müssen laut lachen beim Gedanken daran. Es gibt solche Frauen! Was sind das bloß für arme Schweine, die geglaubt haben, das Leben würde wunderbar! Ha, wurde es nicht, weil sie es vermurkst haben! Samstags verirren sie sich in den Gängen des Supermarkts, klimpern begeistert mit den falschen Wimpern über die Sonderangebote der Woche und glauben, das sei das Glück! Und ihre dicklichen Männer, deren Bäuche zwischen Hose und Pullover hervorquellen, trinken freitags abends Dosenbier und rülpsen! Und die netten kleinen Kinder in Volanthosen nennen sie blöde Alte! Mehr war nicht! Und das Leben war vorbei! Aber Ella und Josefin werden ihre Träume nicht aufgeben.
»Wage es zu lieben!«, ruft Josefin aus. »Leidenschaftlich! Wage es, das Leben ernst zu nehmen!«
»Freiheit! Selbstständigkeit! Frauenpower!«, flüstert Ella und die Worte scheinen auf einmal eine verborgene Kraft zu haben.
»Kombiniert mit der weiblichen Mystik . . . der Schönheit!«, schnurrt Josefin. »Wir werden outstanding sein, Ella!«
Sie schauen sich schweigend an. Das Licht glitzert in ihren Augen.
»Wir werden es schaffen!«, flüstert Ella.
Sie haben sich vorbereitet. Mehr ist nicht nötig. Die niedergeschriebenen Worte, sie sind wie magische Formeln, werden sie beschützen. Josefin klappt den Block zu.
»Wie wollen wir es nennen? Unseren Arbeitsplan fürs Leben?«
»Unser Manifest«, entscheidet Ella. »Wir schreiben es auf rotes Papier!«
»Mit goldenen Buchstaben. Ellas und Josefins Manifest!«
Es soll schön sein. Und haltbar. Josefin nimmt die Kerze.
»Jetzt geht es los.«
Sie bläst die Kerze aus und einen Moment lang ist es ganz schwarz in dem kleinen Spielhaus. Und still. Man hört nur das Brausen der Stadt und ihren Atem. Dann entwirren Ella und Josefin ihre langen Beine und quetschen sich durch die kleine Türöffnung und laufen mit hoch erhobenen Händen über den leeren Spielplatz.
»Jetzt geht es los!!!«, ruft Ella und die Worte hallen zwischen den hohen Häusern, die nichts merken, prallen an den Wänden ab und werden vom erstbesten kalten Wind in die funkelnde Stadt unter ihnen mitgenommen. Sie laufen immer weiter und können nicht stehen bleiben. Es pocht in ihren Muskeln, ihrem Blut und ihren Gliedern, als ob sie Wildpferde wären. Sie laufen auf schlanken, starken Beinen, sie fliegen fast über den Boden in ihren weichen Turnschuhen, und als sie schließlich stehen bleiben müssen, fallen sie sich keuchend und erhitzt in die Arme.
Nichts – nichts – wird sie aufhalten.