Читать книгу Wenn aus Prinzen Frösche werden - Christina Herrström - Страница 8
4. Kapitel
ОглавлениеJosefin arbeitet in der Porzellanabteilung in einem der großen Warenhäuser. Sie wäre lieber in der Herrenkonfektion oder wenigstens beim Sport. Die Kunden in der Porzellanabteilung bestehen zum größten Teil aus älteren Damen, die schweigend zwischen Vasen, Servicen und Glasnippes umhergleiten. Josefin hat die Hoffnung aufgegeben, dass jemals ein Mann dorthin kommen könnte, auf jeden Fall keiner im richtigen Alter. Ihre beiden älteren Kolleginnen, Agneta und Bodil, fühlen sich pudelwohl und Josefin betrachtet sie mit einem gewissen Schrecken, wenn sie so in ihren Warenhauskitteln umhertrippeln und es sich zwischen Kristallvasen gemütlich machen, mit zufriedenem Eifer die Vitrinen polieren und nach Kaffee riechen, wenn sie über die Unwichtigkeiten des Lebens plaudern. Josefin hört lieber Radio, die Ohrstöpsel werden von den Haaren bedeckt.
»Die beiden bitte!«
Josefin dreht sich um und zieht die Stöpsel raus. Wider Erwarten steht auf der anderen Seite des Tresens ein süßer Junge, der zwei Frühstücksbecher bezahlen will, aber an ihm hängt natürlich ein Mädchen, offensichtlich seines. Ihre Hände bewegen sich über seinen Körper, sie küsst ihn auf den Hals, leckt ihn am Ohr und er bewegt seine ebenso eifrigen Hände über ihren Körper. Um den Porzellantresen blüht es geradezu vor Verliebtheit und Geilheit! Josefin nimmt mit Abscheu die eklig romantischen Frühstückstassen entgegen, wickelt sie in Papier ein und versucht das wilde Geknutsche nicht zu sehen. Sie küssen sich mit offenen Mündern, es ist der längste Kuss der Welt, direkt vor ihren Augen!
»Hundertvierzig Kronen, bitte«, sagt Josefin kurz.
Er wacht auf und schaut Josefin mit erstauntem Gesicht an, als wisse er nicht mehr, wo er ist.
»Warte, wie bitte, noch mal!«
Jetzt beißt das Mädchen ihn in die Wange und flüstert: »Noch mal!«
»Hundertvierzig«, wiederholt Josefin kalt.
Der Typ sucht nach seiner Brieftasche, aber das Mädchen angelt sie aus seiner engen Hose. Sein Hemd steht jetzt offen und Josefin sieht, dass eine Strähne wolligen Haars aus der Jeans wächst, und die beiden versuchen zusammen, eklig schmusend, das Geld herauszuholen. Josefin nimmt das Geld entgegen und gibt ihm die Tüte mit den Tassen und dann verschwinden sie endlich, ineinander verschlungen, als ob sie jeden Moment anfangen würden zu . . .
»Nein, waren die verliebt!«, ruft Agneta aus und schaut ihnen mit glänzenden Augen nach.
»Widerlich«, sagt Josefin und nimmt sich das Glasputzmittel, um von diesem liebesdunstigen Ort verschwinden zu können.
»Was man sich heutzutage alles erlauben kann!«, gurrt Bodil.
»Ausgerechnet hier. Und auch noch so!!!«, keift Josefin empört.
»Zu unserer Zeit durfte man sich in der Öffentlichkeit kaum an der Hand halten!«, sagt Bodil.
»Auf die Straße spucken, das durfte man, aber küssen . . .!«, schnurrt Agneta.
»Widerlich!«
Josefin geht schnell zu den hübschen Kunstgläsern, hier wird sie bleiben und putzen und sprühen, damit sie keine knutschenden Paare mehr abkassieren muss. Sollen das doch die Tanten machen.
Sie reibt mit Feuereifer an den schönen Gläsern herum und denkt, ihr Schicksal wird es wohl sein eine alte Jungfer zu werden. Vor lauter Selbstmitleid kommen ihr fast die Tränen, als sie eine Männerstimme hinter sich hört.
»Entschuldigung, ich möchte etwas fragen.«
Das muss ein Rentner sein. Aber als sie sich umdreht, steht da ein attraktiver Mann, vielleicht Mitte dreißig. Zu alt für sie, aber seine Erscheinung macht sie dennoch ein bisschen nervös. Er ist elegant, aber nicht herausgeputzt, gut gekleidet, aber nicht snobbig. Er verströmt so viel weltgewandte Männlichkeit, dass sie verlegen wird. Er schaut sie mit neugierigen, dunklen Augen an.
»Guten Tag«, sagt sie.
Das war falsch. Ein überraschtes Lachen glitzert in seinen Augen.
»Oder soll ich vielleicht jemand anders fragen?«
Er tritt auf sie zu, ohne sie aus den Augen zu lassen. Wie können die Schritte eines fremden Mannes über den alten, wohl bekannten Fußboden des Warenhauses plötzlich in ihrem ganzen Körper zu spüren sein? Jetzt steht er vor ihr, ganz nah. Sein Trenchcoat ist offen, seine ganze Gestalt wirkt offen. Eilig steckt sie die Sprühflasche und den Lappen in die Tasche und schaut ihn so natürlich an, wie sie nur kann.
»Womit kann ich dienen?«
»Ich suche eine Sauciere.«
»Aha!«, ruft sie aus, viel zu schnell, denn im nächsten Moment muss sie fragen, was das ist.
»Ein Geschirr für Soße«, erklärt der Mann.
Josefin ist verlegen.
»Ja klar!«, rattert sie schnell.
Um zu verbergen, dass ihre mentale Konstruktion offenbar einen fundamentalen Fehler enthält, setzt sie einen eleganten Gesichtsausdruck auf und macht eine zielsichere Geste mit dem Arm, um ihm den Weg zu den Saucieren zu zeigen. Aber die Geste ist schlecht gezielt. Sie wischt mit dem Arm all die hübsch aufgestellten Kunstgläser und Vasen, die sie gerade geputzt hat, herunter, sie fallen splitternd und mit ohrenbetäubendem Krachen zu Boden.
In der Abteilung erstarrt jegliche Bewegung. Josefin versucht die sie anstarrenden Kunden anzulächeln, als ob sie alles unter Kontrolle hätte, obwohl ihr die Tränen in die Augen steigen. Auf dem Boden liegt ein halber Jahreslohn.
»Manchmal passieren große Dinge und man hat eigentlich keine Ahnung, wie es passiert ist«, sagt der Mann tröstend.
»Ja«, flüstert sie.
»Es ist wie Magie . . .!«, sagt er. »Ich sage nichts«, flüstert er wie in heimlichem Einvernehmen. »Da lang?«
Sie schaut ihn an. Meint er es ernst? Er nickt ihr bestätigend zu.
Sie holt Luft und klettert über die zerbrochenen Gläser, er folgt ihr zu den Vitrinen mit den Services. Sie versucht sich zu konzentrieren.
»Du arbeitest noch nicht sehr lange hier, nicht wahr?«, fragt er, während sie ihre Augen über das Porzellan flitzen lässt, auf der Jagd nach einer Sauciere.
»Nee. Wie wäre es mit dieser?«, fragt sie und versucht formell zu bleiben. Er scheint nicht mehr interessiert.
»Ich weiß nicht«, sagt er und hebt die Schultern. »Es ist für meine Schwester.«
Also nicht für deine Frau?, denkt Josefin.
Er lässt den Blick über die Soßenkännchen wandern, zwischendurch wandern seine Augen zu ihr. Sie spürt das. Und sie spürt, dass er gut riecht. Nicht nach altem Knacker, aber auch nicht nach einem Jungen, der zu viel geduscht hat aus lauter Angst vor dem eigenen Schweiß, sondern . . . nach Mann?! Es ist ein Mann von Welt, höflich aber neugierig, amüsiert aber wohlerzogen zurückhaltend.
»Das ist nicht der richtige Job für dich, das hier«, sagt er.
»Aber ich bin sonst nicht so ungeschickt!«, verteidigt sie sich.
Seine Pupillen weiten sich, als er sagt: »Das habe ich auch nicht geglaubt.«
Zusammen mit seinem Blick bekommen seine Worte eine Doppeldeutigkeit, die Josefin wesentlich mehr locken, als es ihr lieb ist.
»Ich werde hier nicht bis ans Ende meines Lebens bleiben«, sagt sie und schaut schnell wieder auf die Porzellanservices.
»Das wäre auch schade«, sagt er zerstreut und die Doppeldeutigkeit ist weg.
Die Gedanken schießen durch sie hindurch wie Pfeile und sie denkt, wahrscheinlich überinterpretiert sie alles, so lächerlich sensibel wie sie für das kleinste männliche Signal ist.
»Und wie wäre es mit dieser?«, sagt sie professionell und hält eine Sauciere hoch. »Sie hat ein ganz süßes . . .«
Sie streicht mit dem Finger über den Ausguss der Sauciere und er betrachtet sie gedankenverloren.
». . . Schnäuzchen, oder wie es heißt«, sagt sie.
Sie errötet. Das war dumm. Verdammt dumm und albern!
»Es gibt nicht für alles Wörter«, sagt er einfach und ihre Blicke treffen sich ein wenig zu lange, aber als ihr Herz zu schlagen beginnt, sagt er: »Du, ich nehme die. Kannst du sie einpacken?« Auf dem ganzen Weg zurück zur Kasse spürt sie seinen Blick im Rücken. Sie sehnt sich danach, hinter dem Tresen Schutz zu finden. Die Prozedur des Bezahlens läuft normal ab, Josefin gelingt es, die Ruhe wieder zu finden. Aber als sie die Sauciere einwickeln will, sind die Kartons nicht an ihrem Platz! Mit wilden Augen starrt sie auf das leere Regal. Dann sucht sie in einem anderen, wo nie Kartons sind, und da sind auch keine. Sie sucht auf noch einem Regal. Auch nichts. Der Schweiß bricht ihr aus. Er wartet.
»Es tut mir Leid, ich kenne mich hier nicht so gut aus«, sagt sie entschuldigend. »Haben Sie es eilig?«
»Nein, nein«, antwortet er. »Und ich bin auch nicht ›Sie‹.«
»Also du. Hast du es eilig?«
Er schüttelt den Kopf. Wieso fühlt es sich plötzlich so intim an, »du« zu sagen. Alle sagen doch »du« zueinander. Jetzt hat sie fast das Gefühl, als würde sie ihn mit dem kleinen Wort berühren. Plötzlich findet sie die Kartons, da wo sie hingehören. Sie nimmt einen und faltet ihn mit nervösen Händen zusammen. Es geht überhaupt nicht so glatt wie sonst!
»Manchmal habe ich alle Zeit der Welt«, sagt der Mann beruhigend und sie seufzt erleichtert, erstaunt darüber, was ihr Körper alles verrät, obwohl sie sich bemüht es zu verbergen. Sie wirft einen Blick auf ihn und reagiert gegen ihren Willen darauf, dass sein Hemd am Hals offen steht. Sie zieht schnell an der Rolle mit dem Geschenkpapier, die Rolle dreht sich von alleine und plötzlich steht sie mit mehreren Metern Geschenkpapier in der Hand da.
»Tut mir wirklich Leid«, stöhnt sie gestresst.
»Macht nichts. Nicht immer hat man an einem normalen Dienstag so viel Spaß.«
Ein Lächeln spielt in seinen Augen. Sie nimmt eine Schere und schneidet ein Stück Papier ab und will den Karton einschlagen.
Aber jetzt reicht das Papier nicht! Es bleibt ein Spalt! Sie ist jetzt an dem Punkt, dass sie schreien, heulen, treten will – egal, was!
»Das macht nichts«, sagt er beruhigend. »Nimm ein bisschen Tesa.«
Er hält mit dem Finger das Papier über dem Karton fest, sie sieht, dass er feine Hände hat, mit erhöhten Adern auf dem Handrücken und verstreuten dunklen Haaren, die aus dem Ärmel hervorkommen. Sie spannt das Tesa über den Spalt und ihr wird klar, dass sie seine Hände berühren muss, als sie sich mit dem Klebeband nähert. Sie wirft ihm einen Blick zu, er schaut jedoch nur auf das Paket. Seine Wimpern sind lang und gebogen. Ihre Hände berühren flüchtig die seinen, sie spürt die Haare auf seinem Handrücken. Wie kann die Haut nur so empfindsam sein?
»Danke«, sagt sie erleichtert, als es endlich fertig ist.
»Ich werde das hier nie vergessen«, sagt er beinahe scheu.
»Ich auch nicht«, antwortet Josefin, erstaunt über ihre Aufrichtigkeit.
»Schlägst du auch Porzellan kaputt, wenn du im Restaurant bist?«
»Nein?!«
»Darf ich dich mal anrufen? Wir könnten mal zusammen zu Mittag essen«, sagt er und gibt ihr eine Visitenkarte. Sie starrt ihn an. Er beugt sich zu ihr und sagt leise in ihre Haare: »Aber dann gehen wir woanders hin, nicht?«
Sie lächeln einander an, das Lächeln kommt so schnell und ist so strahlend, als ob beide es von Anfang an zurückgehalten hätten.
»JOSEFIN! WAS IST PASSIERT?«
Agneta kommt aus der Kaffeepause und kurz darauf kommt auch Bodil mit der Hand auf der Brust und offenem Mund angelaufen, gemeinsam starren sie kaffeeriechend auf die zerbrochenen Gläser zu ihren Füßen.
»Es . . . es war ein Unglück!«, stottert Josefin, wird jedoch von dem Mann unterbrochen, der sagt: »Ich habe alles gesehen. Er ist weggelaufen. Er schien völlig verrückt zu sein!«
Er lächelt Josefin schief an und sagt leise »tschüss« und verschwindet.
Sie liest seine Karte. Er heißt Carl Juxom. Er ist Anwalt und sein Büro liegt in einer der teuersten Straßen der Stadt.
Den restlichen Tag über verbringt Josefin damit, in ihrem Inneren zu wiederholen, was passiert ist, Wort für Wort, Bewegung für Bewegung. Was ist denn eigentlich passiert? Was wollte er? Wer ist er? Und die Erinnerung an seine Blicke und sein Lächeln schießt kleine Pfeile durch ihren Körper.
***
Ella sitzt im milden Schatten einer Akazie. Manchmal spiegelt sich das Licht vom Pool in ihren Augen. Hinter ihr das Meer, dekoriert mit verstreuten Yachten.
Ella ist trotz allem sehr natürlich. Sie ist nicht besonders aufgemacht, wie man es von der Frau, die sie ist, vermuten könnte. Nein, ungeschminkt und unfrisiert sitzt sie hier und lässt sich interviewen.
»Ich möchte so sagen . . . eigentlich ist es ganz einfach. Gebrauche deinen Verstand. Sei mutig genug ihn zu gebrauchen! Wage es, einen eigenen Weg zu gehen! Das ist absolut nicht der einfachste Weg, aber auf Dauer der einzig richtige. Das ist das Geheimnis meines Erfolgs.«
Sie hört interessiert der Frage des Reporters zu und nickt bedauernd.
»Ja, genau, wenn ich an meine Schulkameraden von damals denke, so haben alle den klassischen Fehler gemacht das Leben nicht ernst zu nehmen! Was haben sie gemacht? Sich in Tagträumen verloren! Und was für Träumen! Du lieber Gott! Sie glaubten, sie würden entdeckt werden und damit wäre die Zukunft gesichert! Und womit haben sie sich beschäftigt, während sie auf das Wunder warteten? Mit ihrem Aussehen und den Jungen! Wie viele Stunden haben sie nicht vor dem Spiegel zugebracht? Unendlich viele. Das ist infantil!«
Ella empfindet aufrichtiges Mitleid mit ihren ehemaligen einfältigen Klassenkameradinnen, die jetzt ihre Höhepunkte beim Ausverkauf erleben, Martina und die anderen. Jetzt lauscht sie dem Journalisten mit fotogen schräg gelegtem Kopf und aufmerksamem, scharfem Blick. Natürlich ist sie wunderschön, aber sie ist auch gescheit!
»Ja, ich bin sehr stolz darauf, heute das Vorbild der Jugend zu sein!«, sagt sie, aber sie nimmt das nicht zum Anlass zu kokettieren, sie steht darüber. Sie will viel lieber die Gelegenheit nutzen etwas Wichtiges zu sagen. Sie schaut direkt in die Kamera, auf ihr bewunderndes Publikum.
»Ich möchte euch sagen, all euch jungen Mädchen, die ihr zuschaut: Hört mit euren Tagträumereien auf! Seid mutig genug euren Verstand zu gebrauchen! Niemand außer euch selbst kann . . .«
Da klingelt das Telefon. Die Akazien, der Pool und die Yachten verschwinden zusammen mit dem Moderator im Spiegel und Ella wirft sich auf ihr Bett und antwortet mit ihrer allersinnlichsten Stimme: »Ja, Ella am Apparat . . .!«
Es ist wie immer Josefin.
»Ich habe einen kennen gelernt.«
»Tschüss, bis dann!«, sagt Ella und legt auf.
Kurze Zeit später treffen sie sich im menschenleeren Spielpark.
»So hat er mich angeschaut!«
Josefin saugt sich mit ihren Augen in Ellas fest und die spürt genau, wie es gekribbelt haben muss. Josefin wiederholt jedes Wort, jede Färbung und Bewegung und manchmal müssen sie vor Aufregung schreiend herumhüpfen. Josefin legt ihre Wange an Ellas, ohne sie zu berühren, nur so nahe, dass man die Wärme der Haut der anderen spürt.
»Darf ich dich mal anrufen . . .? Wir könnten mal zusammen . . . zu Mittag essen . . . Aber dann gehen wir woanders hin . . .! Aber wenn er dann anruft, wie soll ich dann sein!? Jetzt glaubt er, dass ich so ein bisschen süß daneben bin, aber das kann ich vielleicht nicht wieder sein?! Und eigentlich will ich geheimnisvoll sein. Unerreichbar. Damit ich nicht so viel reden muss. Ich möchte nicht zu kindisch wirken.«
»So musst du aussehen!«
»Wie habe ich ausgesehen?«
»Du hattest einen ganz tollen Gesichtsausdruck. Nachdenklich! Irgendwie ›sie hat ein Geheimnis‹.«
»Wie habe ich ausgesehen?«
»Als du sagtest: Ich möchte nicht zu kindisch wirken.«
Josefin versucht sich zu erinnern, was sie gefühlt hat, als sie das sagte.
»Ich möchte nicht zu kindisch wirken«, übt sie, bis Ella sie anschnaubt.
»Meinst du, er hat vielleicht einen Freund, für mich? So etwa fünf Jahre älter. Das wäre gut«, sagt Ella.
»Fünf Jahre älter?«, fragt Josefin und verzieht das Gesicht.
»Du hast doch gesagt, er sei erwachsen?!«
Erwachsen ist man, wenn man über zwanzig ist, also ist er wohl zweiundzwanzig-dreiundzwanzig, gerade recht. Aber Josefin schaut verlegen drein.
»Ist er fünfundzwanzig?«, fragt Ella.
Josefin antwortet nicht. Wen hat sie eigentlich kennen gelernt? Ella hält die Schaukel an und fixiert sie ernsthaft: »Ist er fünfundzwanzig?«
Josefin schweigt.
»Ist er achtundzwanzig? Dreißig?«
»Naajein«, antwortet Josefin ausweichend und schaut zu Boden.
»Ist es ein alter Knacker???«
Die Enttäuschung hat sich in Ekel verwandelt. Josefin schweigt! Dann ist es ein alter Knacker! Mit faltigem Hals! Hängebauch! Schweinischen Händen! Gierigen Augen! Ella keucht, nicht nur aufgeregt, sondern völlig außer sich. Das hätte sie nie geglaubt! Das ist völlig hysterisch! Pathetisch! Tragisch! Widerwärtig ganz einfach. Es wird einem übel.
»Ist er fünfunddreißig?«
Jetzt muss Josefin fast lachen. Sie klatscht Ella auf den Arm und wirft den Kopf zurück und lacht aus vollem Hals, dass Ella so etwas Furchtbares glauben konnte!
»Sag, dass er nicht fünfunddreißig ist . . .?«, bittet Ella.
»Vielleicht sechsunddreißig?«, schlägt Josefin vor.
Da ist es ja kein Wunder, dass er sie mit Saug-Blick anschaut und sie einlädt! Und Ella hat sich verzaubern lassen von Josefins Beschreibung von einem alten geilen Bock von sechsunddreißig Jahren!
»Es ist ein alter Knacker!!!«, jammert Ella und möchte spucken.
Josefin schaut sie entschuldigend an, aber in Wirklichkeit scheint es ihr überhaupt nichts auszumachen.
Es ist schrecklich.
Als Ella kurze Zeit später im Aufzug steht, versucht sie wenigstens vom Spiegel Zustimmung zu erlangen.
»Ich habe sie gewarnt!«, sagt sie. »Aber sie hat nicht auf mich gehört! Sie war so jung und dumm! Das Schlimmste ist, dass sie so alt und müde geworden ist! Ihr Leben ist zerstört! Sie muss ihn im Rollstuhl spazieren fahren. Er erkennt sie ja nicht einmal wieder. Geld?! Ha! Sie war doch nur seine Geliebte!« Sie drückt sich an den Spiegel und schluchzt: »Sie war so positiv und fröhlich, als sie jung war! Und jetzt . . . eine gebrochene Frau! Ich habe es ihr gesagt. Pass auf, habe ich gesagt. Aber wenn das Blut in Wallung gerät . . .!«
Der Aufzug ruckt. Sie macht die Tür auf, geht in die Wohnung, knallt die Tür zu und verschwindet in ihr Zimmer. Ein alter Knacker! Man könnte weinen!