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Metamorphose Die Ausgangslage
ОглавлениеAls das Unerwartete geschah, lebte ich seit fast 20 Jahren mit meinem Mann in dessen Heimatland im Süden Europas. Wir haben zwei erwachsene Söhne, ein eigenes Geschäft und ein paar Hunde und wir führten im Großen und Ganzen ein sorgloses Dasein.
Meine allgemeine Einstellung zum Leben war unter anderem geprägt durch einen schweren Autounfall in jungen Jahren, den ich entgegen den Prognosen der Ärzte nicht nur überlebte, sondern bei dem ich auch ganz knapp dem Rollstuhl entging. Während meines mehrmonatigen Aufenthaltes in einer Spezialklinik für Querschnittgelähmte fragte ich mich angesichts der Para- und Tetraplegiker immer wieder, warum denn nun ausgerechnet ich das unverdiente Glück hatte, von diesem Schicksal verschont geblieben zu sein.
Diese unbeantworteten Überlegungen führten dazu, dass ich an eine Art »zufälliges Schicksal« zu glauben begann: Wenn es sein muss, muss es sein, und wenn nicht, dann eben nicht. Daraus ergab sich die Devise: Leb den Tag und genieß das Leben, solange du kannst (und damit niemandem schadest). Natürlich empfand ich auch durchaus ein Gefühl der Dankbarkeit, gewissermaßen ein zweites Leben geschenkt erhalten zu haben. Dankbarkeit ohne einen Gegenstand, an den ich sie hätte richten können.
Denn an einen Gott hatte ich schon seit meiner Kindheit nicht mehr geglaubt. Spätestens nach dem Konfirmandenunterricht und den obligatorischen Kirchgängen war das Thema Religion für mich abgehakt. Nicht einmal in der Klinik, in der Zeit der Ungewissheit, ob ich je wieder würde gehen können, wäre es mir eingefallen, zu beten und Gott um Heilung zu bitten.
Die Vorstellung eines Gottes, der die Welt erschaffen hat, kam mir genauso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich vor wie die Zufallstheorie. Könnte es nicht noch viel weiter außerhalb des menschlichen Verstandes liegende Möglichkeiten zur Erklärung allen Seins geben? »Glauben« – das war ein Wort, das mir im Zusammenhang mit der Frage nach dem Ursprung der Welt und dem Sinn des Lebens fehl am Platze schien. Etwas so Grundlegendes ohne jedes Wissen einfach nur zu glauben – das war nicht mein Ding. Das Wort »Gott« schien mir allenfalls dienlich als Begriff zur Umschreibung all dessen, worüber man nichts weiß.
Meine Einstellung zu Religionen fußte auf dieser Prämisse. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein einigermaßen intelligenter Mensch an eine Religion glaubt.
Für die verschiedenen Religionsstifter, die meiner Meinung nach alle die gleiche Grundbotschaft brachten: »Seid gut zueinander«, brachte ich wohl einen gewissen Respekt auf.
Die Religionen, die Kirchen, die Hierarchien, die Riten, die Machtmittel, die sich daraus ergeben hatten, all das war mir entschieden suspekt. Ich hielt Religion für ein Mittel, das Volk zu unterdrücken, auszubeuten und zu manipulieren. Karl Marx drückte es so aus: Religion ist Opium fürs Volk.