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Muslima
ОглавлениеIch? Muslima?? Islam, Muslima? Plötzlich tönten, schmeckten diese Wörter ganz anders, fühlten sich gut und schön und richtig an. Und eines Tages Ende Juni spürte ich den inneren Drang, die »Shahada«, das Glaubensbekenntnis, das einen Menschen vor Gott zum Muslim macht, zu sprechen.
Aschhadu an la ilaha illallah Wa aschhadu anna muhammadan rasulullah
(Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Gott. Und ich bezeuge, dass Muhammad sein Gesandter ist)
Ein paar Tage lang lebte ich wie im Traum. »Ana Muslima. Ana Muslima.«, (ich bin Muslima) dachte und sagte und sang ich lächelnd vor mich hin, wie ein verliebter Teenager.
Die zweifarbige Rose war längst verblüht. Aber erstaunlicherweise brachte der Stock jetzt noch einmal etwas Besonderes hervor. Diesmal erblühte inmitten der vielen gelben eine einzelne, ganz rote Rose. Weder vor- noch nachher wuchs an diesem Stock je etwas anderes als gelbe Rosen.
Inzwischen schien mir alles eine Fügung, ein Weg: Vom Tanz als Einstieg, über die Reisen in den Orient, die arabische Sprache, das Medaillon mit der Allah-Kalligraphie, der muslimische Lehrer, jenes Gefühl auf dem Balkon, bis zum Glaubensbekenntnis. Und dann die zwei Rosen: ein kleines »Wunder« als Draufgabe ….Und das war noch nicht einmal alles! Aber davon später.
Natürlich kann man das alles für Zufall, Hirngespinste, Halluzinationen, Einbildung und Wunschdenken halten. Oder aber, dass ich mir mit Hilfe des Internets und einer Kapriole der Natur quasi selbst eine Gehirnwäsche verpasst habe. Darüber habe ich lange gegrübelt. Eines ist aber klar: niemand hat mich zu irgendetwas gedrängt, es kam alles aus mir selbst heraus (oder besser, so empfinde ich es, in mich herein).
Täglich lernte ich nun mehr über diese Religion, traf auf extremere und weniger extreme Seiten im Netz, auf missionarische und anti-islamische. Ich erinnere mich, dass ich mich – eine gestandene Frau im gesetzteren Alter, einmal dabei ertappte, wie ich vor dem PC saß und andächtig auf YouTube irgendwelchen bevollbarteten Jünglingen lauschte – und die Situation total absurd fand.
Doch mit solchen Gedanken hielt ich mich nicht lange auf. Ich war jetzt Muslima. Ich nahm sogar einen islamischen Namen an. Das ist nicht obligatorisch, aber möglich. So richtig weiß ich eigentlich nicht, warum ich das getan habe, ich habe gar nicht viel darüber nachgedacht. Ganz am Anfang meiner Nachforschungen über den Islam, auf Wikipedia, war ich mal auf den Namen Chadidscha gestoßen. So hieß die erste Frau des Gesandten s.a.s., und da sie eine bodenständige Geschäftsfrau war, die wusste, was sie wollte, und da sie (wie ich) erst in gesetzterem Alter zum Islam kam, und weil mir der Name gefiel, übernahm ich ihn, ohne mir viele Gedanken zu machen. Ich möchte aber betonen, dass dieser Name meinen Taufnamen nicht etwa ersetzt – niemals würde ich den Namen, den meine Eltern mir gegeben haben, einfach ablegen.
Bisher wusste niemand aus meiner Familie oder von meinen Freunden etwas über meine Veränderungen. Mir war klar, keiner würde das verstehen – ebenso wenig wie ich es vor ein paar Monaten verstanden hätte, wenn jemand mir eine solche Geschichte erzählt hätte. Also musste ich im Geheimen beten. Das ging eine Zeit lang gut, aber ich fühlte mich nicht wohl dabei. Einerseits hatte ich ein schlechtes Gewissen, nicht selbstbewusst genug zu sein, um dazu zu stehen, andererseits befürchtete ich, mit der Wahrheit Ängste und Beunruhigung auszulösen. Ich hatte also zwar innerlich dieses Gefühl des Glücks und der Ruhe, war aber äußerlich unruhig, fahrig und abwesend, weil ich ständig darüber nachdachte, wie ich es meinem Umfeld schonend beibringen konnte.
Nun kam Ramadan. Und ich wollte auch diese »Säule des Islams« einhalten und fasten. Das ließ sich nach ein paar Tagen natürlich nicht mehr verheimlichen – nach kurzer Zeit nahm mir keiner mehr diese komische Diät ab, bei der man von Sonnenauf- bis -untergang nichts isst und bei der man nicht einmal trinken darf. So musste ich also mit der Wahrheit herausrücken.
Die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich. Ich will nicht im Detail erwähnen, was ich alles zu hören bekam. Auf jeden Fall veranlasste es mich, meinem Mann, 33 Ehejahren und der Familie zuliebe nicht weniger als 3x zu versuchen, davon »loszukommen«. Während dieser Zeit las ich ganz bewusst wieder vermehrt islamkritische Veröffentlichungen.
Der dritte Versuch, »mit dem Unsinn aufzuhören« und meine Ehe zu retten, ging – nicht ganz freiwillig – soweit, dass ich alles Islamische vom Computer und von meinem mp3 Player entfernte und meinem Arabischlehrer schrieb, ich würde den Unterricht abbrechen und er möchte mich ab sofort nicht mehr kontaktieren – denn dieser arme Mann wurde verantwortlich gemacht für das »ganze Theater«, das alles konnte ja, so meinte man, unmöglich von mir selbst gekommen sein.
Als ich am Abend dieses radikalen Versuchs, wieder »normal« zu werden, ins Bett ging, steckte ich mir wie üblich die Kopfhörer meines mp3 Players in die Ohren. Ich hatte ja darauf noch die Musik von vorher, darunter natürlich viel Arabisches, im Ganzen mehrere hundert Titel. Ich schaltete wie immer auf »Zufällige Titel«. Als Erstes kam eine arabische Musik, die ich zwar vom Tanzen her kannte, bei der ich jedoch noch nie auf den Text geachtet hatte. Diesmal schon: Da erklang in deutlichem, brasilianischem Portugiesisch: »InschaAllah Chadidscha que espere, InschaAllah Chadidscha seja feliz«. Das war der ganze Text, immer wieder dieser Satz. Das heißt auf Deutsch so viel wie: So Gott will, soll Chadidscha warten, so Gott will, wird Chadidscha glücklich sein. Das war doch nicht möglich! Ich machte Licht und sah auf dem Display nach: Tatsächlich, das Stück hieß Khadija (englische Umschrift desselben Namens). Aber der Liedtext konnte ja keinesfalls portugiesisch sein, sicher etwas Arabisches, das sich nur so anhörte. Am nächsten Tag fand ich im Internet heraus, dass es sich um eine brasilianisch/arabische Gruppe aus Südamerika handelte....
Ich gab mir alle Mühe, auch dieses Ereignis mit all den anderen »Hirngespinsten« als Zufall abzutun und den Versuch, »wie vorher« zu werden, fortzusetzen, spielte also ein paar Tage lang vor mir selber und nach außen die »Alte«, »Normale«, »Intelligente«. Es war schwer, nicht zu beten. Der Alkohol schmeckte mir gar nicht mehr. Ich täuschte Fröhlichkeit vor und fühlte mich innerlich leer und traurig. Es ging einfach nicht. Der Islam war stärker und nach etwa 10 Tagen konnte ich nicht anders, als aufzugeben, mich zu wehren.
Natürlich hörte ich trotzdem nie auf, alles zu hinterfragen. Ich ging auf die Vermutungen ein, die andere über die Ursachen für meine »psychischen Probleme« und den darauf beruhenden »religiösen Wahn« hegten und versuchte, ehrlich mit mir selbst zu sein. Mit immer denselben Schlussfolgerungen: Ich fühlte mich psychisch gesund, die hormonellen Sprünge der Wechseljahre lagen hinter mir, ich stand weder am Rande einer Depression noch bin ich ein Mensch, der sich von irgendetwas oder jemandem ungewollt derart beeinflussen ließe. Wenn ich ein Abenteuer gebraucht hätte – bestimmt hätte es da näherliegende, weniger komplizierte Möglichkeiten gegeben....
Außerdem tut kein vernünftiger und schon gar nicht ein wie ich phlegmatisch veranlagter Mensch für ein Abenteuer oder eine Schwärmerei oder um irgend jemandem zu imponieren, was ich nunmehr seit dem letzten gescheiterten »Umkehrversuch« konsequent und aus einem inneren Bedürfnis heraus tue: Ich verrichte fünf mal täglich die obligatorischen Ritualgebete (und nicht nur), einschließlich die vorausgehenden Waschungen, ich lese den Koran und viele andere Werke über den Islam. Ich mag nicht mehr in verrauchten Lokalen sitzen, zusammen mit Angetrunkenen. Ich unterhalte mich lieber über Religion, als dass ich fernsehe. Ich versuche, die Gebetszeiten einzuhalten, trinke keinen Alkohol und esse kein Schweinefleisch. Übrigens habe ich später sogar für die Tage, die ich im Ramadan durch den »Reagnostizierungsversuch« verpasst habe, »nachgefastet«. (Am letzten Tag habe ich mir ein paar Datteln gekauft, um das Fasten so zu brechen, wie Muhammad s.a.s. es damals tat, und nach dem Abendgebet habe ich für mich ganz alleine ein kleines Festmahl gekocht.)
Ich glaube nicht, dass ich verrückt bin. Denn ich habe mein Leben im Griff, tue meine Arbeit, unterrichte, treffe Freundinnen. Natürlich kann ich diese Möglichkeit nicht zu 100% ausschließen – wahrscheinlich glauben die meisten Verrückten von sich selbst nicht, dass sie es sind. Sollte es so sein: Bitte lasst mich verrückt bleiben – es geht mir gut dabei. Es betrübt mich nur, dass es Menschen, die ich gern habe, meinetwegen schlecht geht, weil sie mich so gar nicht verstehen können.
Inzwischen wissen auch meine Freunde und Bekannten Bescheid und manche haben ziemlich tolerant reagiert – was natürlich für sie einfacher ist als für Familienangehörige, die ständig um mich herum sind. Aber vermutlich wundern auch sie sich und finden, dass ich es übertreibe. Eine von ihnen meinte allerdings, so ein Erlebnis, wie ich es auf dem Balkon hatte, würde sich doch insgeheim jeder wünschen. Paulo Coelho nennt es in seinem Buch »Veronika beschließt zu sterben« den »magischen Moment, der Menschen dazu bringt, ihr Leben grundlegend zu ändern«.
Ich verstehe diejenigen, die sich Sorgen machen, Angst um mich haben, weil sie den Islam für eine gefährliche, sektenartige Religion halten. Immerhin dachte ich doch vor gar nicht langer Zeit noch wie sie, und ich hätte wohl im ersten Moment ebenso ablehnend reagiert.
Jemand, besorgt darüber, dass meine Religion meine Ehe gefährde, meinte: »Weißt du, wir haben ja alle Bekannte, bei denen der eine Partner eine Neue oder einen Neuen kennen gelernt haben. Auch mit den Problemen Alkohol, Drogen, psychische Probleme, ja selbst mit Ehepartnern, die sich homo- oder trans- oder wie auch immer-sexuell outen, haben die meisten gewisse Erfahrungswerte aus dem Bekanntenkreis. Aber kaum jemand kennt eine Frau, die zum Islam konvertiert ist, schon gar nicht, wie das bei dir abgelaufen ist. Wenn schon, steckte da ein anderer Mann dahinter.«
Wie ist es denn bei mir »abgelaufen«? Für Muslime, das ist mir nunmehr klar, ist es einfach: Ich wurde »rechtgeleitet«, auf den (richtigen) Weg gebracht, so seltsam sich das für Andere anhören mag. Inzwischen weiß ich, dass viele praktizierende Muslime irgendwann in ihrem Leben solche oder ähnliche Erlebnisse hatten und wissen, von was für einem »Gefühl« ich da dauernd spreche.
Und – ein »Anderer« steckt allerdings dahinter – nur dass es kein Mann ist. Wenn auch mein Zustand wie schon erwähnt manchmal durchaus vergleichbar ist mit der Verliebtheit eines Teenagers: Ich habe mich sogar schon ertappt, wie ich am Strand, an einem besonders schönen Tag, mit einem Stock die schönen arabischen Schriftzeichen für »Állahu Akbar« in den Sand malte.