Читать книгу ausgerechnet Islam - Christine Berner - Страница 9
Auszeit
ОглавлениеIch habe mir eine Auszeit genommen, damit ich in Ruhe und ohne ausgelacht oder missbilligt zu werden und ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen meinen Glauben praktizieren kann.
Mein Mann möchte zwar jetzt meine Religion tolerieren. Aber es ist schwierig - für mich das Wissen, dass er es zwar toleriert, aber im Grunde völlig unsinnig und ziemlich verrückt findet, und für ihn, dass seine Frau Dinge tut, die er überhaupt nicht nachvollziehen kann. Dass ich ausgezogen bin, dürfte gewisse Vorurteile noch bestärken: ist es nicht bei den Scientologen so, dass sie Familien bewusst auseinander nehmen? Den Kontakt zu Familienangehörigen untersagen?
Das ist selbstverständlich im Islam nicht so, im Gegenteil, die Pflege der Familienbande wird im Koran mehrmals explizit gefordert. Und natürlich bin ich gerne mit meinen Leuten zusammen. Es ist jedoch auf die Dauer zermürbend, wenn man offen oder unterschwellig immer wieder versucht, mich gegen den Islam zu beeinflussen, oder mir zu verstehen zu gibt, dass ich vielleicht psychisch krank bin, Hilfe brauche.
Mein Hauptinteresse ist momentan nun mal diese Religion, und ich bin nicht daran interessiert, mir ständig meine eigene, abgelegte Meinung anzuhören. Davon kriegt man in den Medien mehr als genug zu sehen und zu lesen – und ganz weit hinten in meinem Hinterstübchen ist sie ja noch da und versucht ab und zu, mich ein wenig zu quälen.
Positiv konnte ich mich über das Thema anfangs nur mit dem Arabischlehrer austauschen, der meine Fragen weiterhin geduldig beantwortete. Die E-Mail-Schreiberei war aber umständlich und manchmal dauerte es mir zu lange, bis ich eine Antwort erhielt, und so war ich froh, als ich einen Online-Chat in deutscher Sprache fand. Allerdings befinden sich die Leute, die diesen Chat betreiben – Studenten der Islamwissenschaften, die meisten könnten meine Söhne sein – in Saudi-Arabien. Wahrscheinlich ist das etwa so, als ob jemand zum Christentum übertritt und sich dann von Amish People beraten lässt. Dessen bin ich mir bewusst, und ich filtere die Informationen, aber ich finde dort Gesprächspartner und Rückhalt, die jungen Männer sind sehr nett und beantworten alle meine Fragen umgehend.
Durch einen Kontakt mit der muslimischen Gemeinde meiner Stadt habe ich eine junge marokkanische Frau kennengelernt – leider ist sie inzwischen mit ihrer Familie nach Marokko zurückgekehrt. So Gott will, werde ich sie im Sommer besuchen. Ansonsten habe ich hier keinerlei muslimischen Anschluss.
Die hiesige Moschee ist leider enttäuschend, die wenigen Frauen dort sind zumeist aus Guinea Bissau und sprechen kein Portugiesisch und kaum Französisch, von Deutsch natürlich gar nicht zu reden, deshalb eignet sich der Ort nicht zum Austausch.
Ich schwimme immer noch ein wenig herum in diesem riesigen Ozean Namens Islam, irgendwo zwischen den reinen »Namensmuslimen«, die sich also nur Muslime nennen, aber nicht praktizieren, und den »Orthodoxen«, die Koran und Sunna (das Vorbild des Gesandten s.a.s) wörtlich auslegen und in jedem Detail befolgen.
Natürlich würde es wenig Sinn machen, von einer »Papier-Christin« zu einer »Namens-Muslimin« zu konvertieren, aber ich habe auch nicht vor, eine Fanatikerin zu werden. Ich bin zuversichtlich, mit der Zeit meinen Platz zu finden. Die Religion an sich stelle ich nicht mehr in Frage.