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Kapitel 5

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Akosh erwachte zuerst. Es hatte ihm nicht zugestanden, einen anderen Kelch als seinen eigenen zu füllen, so dass er nur das hatte trinken können, was Lennys ihm überlassen hatte. Sie würde noch eine Weile brauchen, um sich von der überwältigenden Wirkung zu erholen, die sie in dieser Nacht verspürt hatte.

Es war noch nicht ganz hell geworden, doch die Leichen der Zrundir-Krieger wurden bereits von Fliegen umschwärmt.

Die Erinnerung kehrte bei Akosh nur langsam zurück. Nach so langer Zeit wieder in den Genuss reinsten Feindesbluts zu kommen, war wie eine Wiedergeburt, explosiv und gewaltig, doch gleichzeitig auch lähmend und betäubend wie der Tod. Er hatte Lennys trinken sehen, hatte danach gelechzt, nach ihr den Kelch zu halten, um ihr in den drogenähnlichen Rausch nachzufolgen, den sie solange entbehrt hatten.

Sie lag einige Meter von ihm entfernt unter dem Blätterdach einer jungen Buche und sah beinahe aus wie aufgebahrt. Ihre Lippen glitzerten noch rot, ebenso die Sichelklinge und der Kelch neben ihr.

Es war nicht die Stelle, an der sie den Kahlkopf erschlagen hatte, der noch immer mit verdrehten Gliedmaßen und entsetztem Blick gen Himmel neben den Eichen der Verwesung entgegensah und Akosh war froh, dass er Lennys noch nicht wecken musste, um sie von dem Gestank fortzuziehen, der allmählich von dem Toten aufstieg.

„Möchtet ihr etwas Wasser?“

Akosh fuhr herum, die Hand bereits wieder am Säbelgriff. Erstaunt sah er in grün-blaue Augen und ein schwach lächelndes Gesicht.

„Sara?“ fragte er ungläubig und war sich nicht sicher, ob die Sinnestäuschungen vielleicht doch noch nicht ganz vorüber waren.

Die Novizin setzte sich neben ihn. Sie trug keinen braunen Wollumhang mehr, sondern einen mahagonifarbenen Überwurf aus feinem Leinen. Die Kleidung darunter war dieselbe wie beim letzten Mal, doch ihre Tasche war nicht mehr die, die sie als Tempeldienerin verriet, sondern etwas größer und mit feinen Stichen aus glattem Wolfsleder zusammengenäht. Aus dem losen Knoten, zu dem sie ihre goldblonden Haare zusammengebunden hatte, hatten sich einige Strähnen gelöst und fielen ihr ins Gesicht als sie sich nach vorn beugte, um dem Goldschmied einen Becher Quellwasser zu reichen.

„Was machst du hier?“ fragte er immer noch verwirrt und nahm dankbar den Becher.

Sara sah kurz zu Lennys hinüber, die noch immer unbeweglich unter der Buche lag.

„Ich weiß nicht. Vielleicht mache ich gerade den größten Fehler meines Lebens. Oder habe ihn schon gemacht.“

Akosh ahnte etwas.

„Du bist wegen ihr hier? Weiß Beema davon?“

„Nein... niemand weiß es.“

„Und wie hast du uns gefunden?“

„Es war eigentlich Zufall. Ich war auf dem Weg zum Mondsee, ich dachte, sie sei vielleicht dort...“

„Wieso gerade da?“ fragte Akosh erstaunt.

„Ich... es war nur ein Gedanke, mehr nicht. Der Weg dorthin führt hier vorbei.“

Akosh beschloss, nicht länger um den heißen Brei herum zu reden.

„Du weißt, was hier passiert ist? Ich meine, ...“

„Warum hier zwei Tote liegen und warum Lennys' Klinge und ihre Lippen voller Blut sind? Ja, das weiß ich.“

„Und es erschreckt dich nicht?“

Sara schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Gromuits Erlebnisse hatten sie darauf vorbereitet, auch wenn sie im ersten Moment Furcht empfunden hatte, als sie Akosh und Lennys wie tot daliegend gefunden hatte.

„So etwas wie hier... du darfst es dir nicht immer so vorstellen, Sara. Es war für uns beide das erste Mal seit langem.“ Er lachte kurz. „Normalerweise gehen wir nicht wie die Tiere auf Beutejagd, nur weil wir Hunger... oder vielmehr Durst haben.“

„Tun das... alle Cycala?“ fragte Sara nachdenklich.

„Oh nein, nur sehr wenige. Lennys tut es. Und ich. Und einige andere. Aber seit dem Großen Krieg wurden die Kelche nicht mehr benutzt. Das hat Gründe, über die ich nicht sprechen will. Nun, da wir angegriffen wurden, ist die Zeit der Entbehrung für uns vorbei. Du hast Lennys nach Valahir begleitet, Sara. Sie hatte dort ihren Kelch bewahrt und ihn zurückgeholt, um damit den Kampf einzuläuten. Das was du hier siehst, sind Spuren eines uralten Rituals und es wurde zum ersten Mal seit der Dunklen Zeit wieder praktiziert.“

„Warum gerade hier? Und warum gerade sie?“

„Auch das kann ich dir jetzt nicht sagen. Hab Geduld.“ Er betrachtete Lennys und lächelte. „Eine Eigenschaft, die manchen ein wenig fehlt.“

„Anderen fehlt dafür die Verschwiegenheit.“ Lennys öffnete die Augen und richtete sich auf, ohne Akosh oder Sara anzusehen. Wortlos wischte sie die Sichel mit dem Umhang ab und ließ anschließend den Kelch wieder in einer Tasche verschwinden.

Ohne weiter auf Lennys' Anspielung einzugehen, fuhr Akosh fort:

„Ich denke, wir sollten machen, dass wir hier weg kommen, bevor die ersten Wanderer oder Händler auftauchen.“

Statt einer Antwort stand Lennys auf und sah nun zum ersten Mal zu den beiden hinüber. Ihr Blick ruhte kurz auf Sara, dann wandte sie sich an Akosh.

„Geh du vor. Wir sehen uns später.“

Seufzend erhob sich jetzt auch Akosh und sah sich noch einmal auf dem Platz um. Die Leichen mussten sie nicht verstecken, denn so würden bald auch die anderen Mitglieder der Gemeinschaft von dem Beginn des Krieges hören. Mit einer knappen Geste verabschiedete sich der Goldschmied von den beiden Frauen und machte sich wieder daran, die Steigung zu den Dornbüschen zu erklimmen.

Lennys wartete, bis er außer Sicht war, dann bedeutete sie Sara, ihr zu folgen und wählte einen Pfad, der sie nach Westen führte.

„Ich weiß nicht, was du dir dabei gedacht hast, aber jetzt ist die Zeit der Abenteuer für dich vorbei. Ich bringe dich zurück.“

Sara blieb stehen. „Ich gehe nicht zurück.“

„Das ist nicht deine Entscheidung.“

„Es ist auch nicht eure.“

Verblüfft drehte sich Lennys um und sah Sara an. „Was hast du gesagt?“

„Ich sagte, es ist auch nicht eure Entscheidung, ob ich in den Tempel zurückkehre.“ Es kostete Sara einiges an Mut, so zu ihrer früheren Herrin zu sprechen, aber sie war ganz sicher nicht hierher gekommen, um nun wie ein ausgerissenes Kind zurück nach Hause gebracht zu werden.

„So, und wenn ich dich recht verstehe, würdest du dich meinen Wünschen widersetzen, wenn ich von dir verlange, wieder zu Beema zu gehen?“ fragte Lennys jetzt herausfordernd.

„Ja, das würde ich.“

„Du magst den Tempel nicht?“

Sara bemühte sich, nicht den Blick abzuwenden. Sie hatte das Gefühl, Lennys würde sie mit ihren Augen durchbohren, würde in jeden Winkel ihrer Gedanken sehen.

„Nein, ich mag ihn nicht. Aber ich kenne nichts anderes, deshalb war es bisher mein Heim.“

Lennys stand nun etwas unschlüssig mitten auf dem Weg und sah erst in die eine Richtung, nach Westen zum Nebeltempel hin, dann wieder nach Osten, wo sie hergekommen waren und wo der Wegweiser einer nahen Kreuzung nach Goriol wies.

„Ich kann dich nicht mitnehmen. Es wäre dein sicherer Tod.“

Es klang nicht so kalt und gleichgültig, wie Sara erwartet hatte, aber letztendlich hatte sie auf keine andere Antwort hoffen können.

„Jeder muss irgendwann sterben. Und ich will meine letzten Tage nicht im Nebeltempel verbringen, selbst wenn sie dort in weiterer Ferne sind.“ antwortete sie dann.

„Dieser Kampf geht dich nichts an. Du hast schon mehr gesehen, als du hättest sehen dürfen und das, was heute morgen geschehen ist, war nur der Anfang von etwas viel Größerem. Und es ist keine romantische Abenteuergeschichte für kleine Tempelmädchen.“

Sara ließ sich nicht einschüchtern.

„Gut. Denn vom Tempel habe ich mich schon losgesagt. Und das kleine Mädchen, das nun vor euch steht, wird seinen Weg notfalls auch alleine gehen. Und er wird den euren irgendwann kreuzen. Ich gehe nicht zurück.“

Wider Willen war Lennys ein wenig beeindruckt von Saras Hartnäckigkeit. Natürlich hatte die Novizin nicht die geringste Ahnung von dem, auf das sie sich da unbedingt einlassen wollte. Doch sicherlich wusste sie schon mehr als sie zugab, sonst hätte sie bei dem Anblick auf der Lichtung an diesem Morgen ganz anders reagiert.

„Für jene, die uns jagen, sind unsere Helfer eine beinahe ebenso erstrebenswerte Beute wie wir selbst.“ sagte die Cycala dann.

„Dann werde ich lernen müssen, ihnen zu entkommen und mich gegen sie zu wehren.“

„Wahrscheinlich wirst du den nächsten Sommer nicht mehr erleben.“

„Besser, als viele Jahre im Tempel zu verbringen und dabei jeden Tag ein wenig mehr zu sterben.“

Hunderte Argumente gingen Lennys durch den Kopf. Sie wusste, dass sie nur 'Nein' sagen musste, dass sie ihre Entscheidung, Sara zurückzulassen, vor niemandem rechtfertigen musste. Dass Sara ihr nicht helfen konnte in dem Kampf, der unweigerlich bevorstand. Dass dieses Gespräch sinnlos war und dass alles – jede Vernunft und alle Bedenken - dagegen sprachen und dennoch... Irgendetwas hielt sie davon ab, der Novizin einfach den Rücken zu kehren.

„Dann sieh dem Tod entgegen, wenn du es nicht anders willst.“ sagte sie schließlich.

Sara zeigte nicht, was sie fühlte. Doch als sie jetzt Lennys und mit ihr dem Weg nach Westen folgte, wieder weg vom Tempel und in Richtung Goriol, da wusste sie, dass sie sich richtig entschieden hatte in der Nacht, da sie zum letzten Mal durch den Kräutergarten gegangen war.

Auf etwa halbem Weg zurück in die Stadt setzte Regen ein. Es störte die beiden Frauen nicht und sie beschleunigten auch ihre Schritte nicht. Dieser Regen hatte etwas Friedliches an sich, etwas Beruhigendes.

Doch auch ohne ihn hätte sich Lennys ausgeglichener gefühlt als in den letzten Tagen. Das Blut hatte nach so langer Zeit seine Wirkung voll entfalten können und sie mit einer – wie sie wusste, nur vorübergehenden – inneren Ruhe erfüllt. Es würde nicht lange anhalten, denn einmal zurück in den Händen des Durstes, war es schwer und qualvoll, ihnen wieder zu entfliehen. Sie konnte sich noch allzu gut an das letzte Mal erinnern.

In diesen Momenten, da sie mit Sara die regenschwere Luft des Drei-Morgen-Waldes einatmete und da der Geschmack der Belohnung noch nicht ganz verflogen war, wollte Lennys nicht über die Zukunft nachdenken. Die Situation hatte sich geändert, sie war nicht mehr allein und mit Akosh, Sara und vielleicht auch Menrir wurde ihr eine Verantwortung angelastet, die sie nicht tragen wollte. Gleichzeitig war ihr aber klar, dass sie auf den Goldschmied nicht verzichten konnte, er war ihr Späher, ihre Unterkunft, ihr Bote und einer der Wenigen, die ihr bis in die tiefsten Abgründe folgten. Was Menrir anging, so war es allein seine Entscheidung, ob er sich auf ihre Seite stellte und sie konnte ihn weder daran hindern noch ihn ermutigen. Und Sara... Lennys versuchte, das Thema vorerst zu ignorieren. Es war noch zu früh, um zu erkennen, ob es ein Fehler war, sie mitzunehmen. Zu gegebener Zeit musste sie sich damit auseinandersetzen, aber nicht jetzt.

Sie war keine Einzelgängerin mehr, und obwohl sie die Gemeinschaft und die ständige Anwesenheit anderer verabscheute, hatte sie im Moment doch keine andere Wahl.

Akosh zeigte sich kaum überrascht, als Sara hinter Lennys das Haus betrat und kommentierte ihre Rückkehr auch nicht, doch der Hauch eines Lächelns auf seinem Gesicht verriet, dass er nicht unzufrieden mit der Entscheidung war.

„Wo kann ich ein paar Stunden Ruhe haben?“ fragte Lennys, kaum dass sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte.

„Ich habe dir ein Zimmer vorbereitet, hinten, die letzte Türe links.“

Sie nickte nur. In den letzten beiden Nächten hatte sie so gut wie keinen Schlaf gefunden, bis auf wenige Stunden, die entweder von Alpträumen oder der Wirkung des Blutrauschs geprägt gewesen waren. Wirklich müde war sie nicht, aber das würde kommen und sie wollte sich nicht durch plötzliche Erschöpfung beeinträchtigen lassen.

Bevor sie den Wohnraum verließ, fiel ihr noch etwas ein.

„Akosh, ich möchte, dass du einen Shajkan machst.“

Er zögerte. „Ich habe seit Jahren nicht...“

„Dann wird es Zeit.“

„Bist du mit deinem nicht mehr zufrieden?“

„Es geht nicht um mich.“ Lennys warf einen Seitenblick auf Sara. „Ich halte es nur nicht für sinnvoll, wenn irgendjemand von uns unbewaffnet ist.“

Akosh runzelte die Stirn. „Ein Shajkan ist keine einfache Waffe.“

„Dann wirst du ihr zeigen, wie man damit umgeht.“

Lennys fragte Sara nicht, was sie von dieser Entscheidung hielt und auch die Anweisung für Akosh duldete keinen Widerspruch.

„Ich habe seit Jahren nur Schmuck und Statuen hergestellt....“ Akoshs Zweifel waren nicht zu überhören..

„Du bist Schmied. Du hast einst die besten Klingen in ganz Cycala geschmiedet. Und du wirst diesen Shajkan machen und er wird gut sein, haben wir uns verstanden?“

Die Müdigkeit brach in dem Moment über sie herein, da sie die Tür hinter sich schloss und allein in dem kleinen Raum war. Sie sehnte sich nach Ruhe und Schlaf und fragte sich, was genau sie so viel Kraft gekostet hatte. Normalerweise hatte sie eine beneidenswerte Ausdauer und selbst nach den einschneidenden Erlebnissen der letzten Tage hätte sie sich nicht so zerschlagen fühlen dürfen.

Vielleicht waren es die Nachwirkungen der vergangenen Nacht. Sie hatte sie auf dem Rückweg noch gespürt und auch jetzt waren die letzten Wogen noch nicht verebbt, gerade so, als ob noch die letzten Tropfen durch ihre Kehle rannen und die schwindelerregende Hitze immer wieder aufflackern ließen.

Sie legte sich auf das niedrige, harte Bett, das ihr viel bequemer erschien als das luxuriöse Lager im Nebeltempel und starrte zu der holzgetäfelten Decke hinauf. Das Muster der rechteckigen Platten erinnerte sie an Burgzinnen, an Festungsmauern und an hohe quadratische Türme, die sie einrahmten. Sie kämpfte lieber im Wald oder im offenen Gelände als im fest umwehrten Bereich einer Festung. Und lieber allein als mit einem großen Heer oder auch nur einer kleinen Gruppe ausgewählter Kämpfer.

'Ich brauche keine Aufpasser.' dachte sie. Die Rechtecke verschwammen vor ihren Augen zu einem Pfeilhagel, der über die Decke flog. In Zrundir kämpfte man nicht mit Pfeilen, sondern mit Kriegsäxten, Schwertern und Keulen.

'Barbaren... selbst zehn von ihnen hätten gegen mich keine Chance...'

Agubs anklagender Blick legte sich wie ein Nebel über ihre Gedanken. Er war allein gewesen, allein gegen zwei, nicht gegen zehn. Kein schlechter Kämpfer, aber auch nicht so gut wie sie selbst. Längst nicht so gut. Die Pfeile wurden zu Speeren, zu Pfählen.

Wie an einen Marterpfahl hatten sie Agub gebunden. Der Baum warzu seinem Gefängnis geworden, das den Tod bereithielt. Sicher hatte er noch gelebt, als die Flammen schon um ihn schlugen. Waren die Feinde enttäuscht gewesen, weil er nicht vor Schmerzen schrie? Cycala taten das nie... oder beinahe nie. Möglicherweise war dies eine seltene Ausnahme gewesen, aber Lennys glaubte nicht so recht daran. Immer noch sah sie nach oben. Es wäre ihr lieber gewesen, einen Nachthimmel über sich zu sehen, doch hier war sie wenigstens ungestört und musste nicht jeden Moment mit einem Angriff rechnen. Wer würde es auch wagen, sie anzugreifen? Es wäre sein sicherer Tod.

Noch lange Zeit kreisten diese und ähnliche Gedanken durch ihren Kopf, bevor sie schließlich einschlief.

„Du musst dir keine Sorgen machen wegen des Shajkans. Wahrscheinlich wirst du ihn nie benutzen müssen, aber Lennys hält es nun einmal für besser, wenn du dich im Notfall wehren kannst.“

Akosh lächelte Sara an, während er sie in seine Werkstatt in einem seitlichen Anbau des Hauses führte.

„Das verstehe ich. Aber ich habe keinerlei Erfahrungen im Kämpfen... und ihr sagtet doch selbst, dass es keine einfache Waffe ist...“

„Wir werden sehen. In einigen Tagen wird er fertig sein und dann zeige ich dir ein paar Dinge, die dir helfen, besser mit ihm umzugehen. Vielleicht übst du einfach an... an ein paar Tieren...“

Sara schüttelte den Kopf. „Das möchte ich nicht. Vielleicht finde ich eine andere Möglichkeit. Aber ich werde mein Bestes tun.“

„Zumindest Lennys erwartet das auch, obwohl du ebendiese Erwartungen sicher nicht erfüllen kannst. Sie vergisst manchmal, dass nicht jeder ihr Talent besitzt. Auf der anderen Seite ist sie aber auch sehr häufig davon überzeugt, dass es niemanden gibt, der sich mit ihr messen könnte. Versuche nicht, dich oder andere mit ihr zu vergleichen, sondern setze auf deine eigenen Stärken.“

Er öffnete das große Vorhängeschloss einer niedrigen, aber umso breiteren Tür mit einem handgeschmiedeten Silberschlüssel, den er aus dem Umhang holte und machte eine einladende Geste zu der Novizin. Ein lichtdurchfluteter, hoher Raum lag vor ihnen, der nicht mehr an die dämmrige, herrschaftliche Atmosphäre im Rest des Hauses erinnerte.

Ein mächtiger Amboss in der Mitte, ein kleinerer daneben und ein steinernes Feuerbecken bildeten das Zentrum, umgeben von einigen Tischen und einem ebenfalls steinernen Wassertrog.

An der gegenüberliegenden Wand verlief eine großzügig bemessene Arbeitsfläche über die gesamte Breite der Werkstatt. Darüber verdeckten lichtdurchlässige, fein gewebte weiße Vorhänge den Blick durch die großen Fenster nach draußen – oder nach innen.

Die Ostwand zu Sara's Linken bot Platz für mehrere große Schränke und Kommoden, allesamt aus Akoshs Lieblingsholz geschnitzt und mit silbernen Beschlägen und Schlössern verziert. Auf der anderen Seite stapelten sich ein paar Kisten, Körbe mit rohem Eisen, Kupfer und Bronze und an einer langen Leiste in Augenhöhe baumelten zahlreiche kompliziert aussehende Werkzeuge, deren Nutzen Sara nur erahnen konnte. Darunter waren Haken, seltsam geformte Hämmerchen, Spiralen, Bürsten und viele andere Gegenstände, mit denen wohl nur ein wirklicher Fachmann umgehen konnte.

Erst nachdem Sara den gesamten Raum betrachtet hatte, fiel ihr eine weitere Tür auf, direkt neben der, durch die sie die Werkstatt betreten hatten. Sie war noch kleiner, wirkte aber bedeutend massiver und war durch insgesamt fünf mächtige Schlösser gesichert, die tief in das eisenbeschlagene Eichenholz eingelassen worden waren. Akosh bemerkte ihren Blick.

„Kupfer und sogar Bronze sind in diesem Zustand hier nicht so viel wert, dass Diebe deswegen hier eindringen würden. Andere Materialien sind es aber durchaus. Sie zu sichern ist nicht einfach und kaum jemand weiß, wie viel ich wirklich davon aufbewahre. Es ist besser, wenn ich dieses gefährliche Wissen mit niemandem teile, auch nicht mit dir.“

Nachdenklich runzelte Sara die Stirn.

„Ist es nicht auch gefährlich, Feuer in einem geschlossenen Raum brennen zu lassen? Und der Qualm dabei? Ich dachte immer, Schmiedeanlagen befänden sich mehr oder weniger unter freiem Himmel...“

„Das tun sie auch. Beim Goldschmieden ist die Gefahr nicht so groß, man braucht nur kleinere Flammen, die in einem so großen hohen Raum bei entsprechender Vorsicht kein Problem darstellen. Waffenschmieden wäre hier undenkbar, wenn ich nicht eine Vorrichtung hätte, die es erlaubt, einen Teil des Daches hochzukurbeln. Ich muss aber zugeben, dass ich diese Möglichkeit noch nicht sehr häufig genutzt habe.... es sei denn, ich arbeite an größeren Statuen. In dieser Werkstatt ist noch nie eine Klinge entstanden...“ Sara glaubte, aus Akoshs Worten einen leisen Vorwurf herauszuhören, doch sie war sich nicht ganz sicher und wollte ihn auch nicht danach fragen.

„Natürlich habe ich alles hier, was ich brauche...“ fuhr der Schmied fort. „Ein Shajkan ist auch mit fehlender Übung kein großes Problem für mich, da hat Lennys sicher recht. Ich muss jedoch zugeben, dass ich noch nie eine Waffe für jemanden gemacht habe, der nicht aus Cycalas kommt. Und selbst für die meisten meines Volkes bleibt meine Kunst verwehrt... Das mag eingebildet klingen, ich weiß. Aber du sollst wissen, dass du hier etwas besonderes bekommst... Ich habe früher nur für die höchsten Krieger gearbeitet... Doch der Große Krieg zwang mich hierher und ich widmete mich fortan dem Schmuck und anderem Tand, der keinen anderen Nutzen hat als den, das Auge seines Besitzers zu erfreuen.“

Plötzlich fiel Sara etwas ein.

„Ich... habe gar kein Geld...“ begann sie vorsichtig.

„Ich weiß. Glaubst du wirklich, ich würde es wagen, mich für etwas bezahlen zu lassen, was Lennys mir aufgetragen hat? Nein, keine Sorge, niemand verlangt etwas von dir dafür. Aber achte auf den Shajkan und ehre ihn. Es ist keine Klinge, mit der man Zweige zur Seite schlägt, Fische ausnimmt oder Früchte vom Baum schneidet. Sie dient dem Kampf, sei es Angriff oder Verteidigung. Brauchst du noch ein weiteres Messer für solche Dinge, wie ich sie gerade genannt habe, werde ich dir noch einen kleinen Dolch machen, der dir wohl auch recht nützlich sein könnte. Meine Klingen haben eine bessere Qualität als deine Kräutermesser.“

Sara nickte dankbar. Natürlich hatte sie sich so gut wie möglich ausgerüstet als sie den Nebeltempel verlassen hatte, aber Waffen gab es dort ohnehin nicht, die sie hätte mitnehmen können und die von Akosh erwähnten Kräutermesser taugten im besten Fall tatsächlich nur dafür, zähes Unkraut beiseite zu schaffen.

„Ich zeige dir jetzt, wie ein Shajkan aussieht und was ich dabei nach deinem Geschmack verändern kann. Er soll dir ja auch ein wenig gefallen und zu dir passen. Danach zeige ich dir ein paar Dolche, auch hier kannst du dann eigene Wünsche äußern. Für die Arbeit werde ich wohl einige Tage brauchen, aber mach dir deshalb keine Gedanken.“

Er ging zu den Schränken auf der Seite der Werkstatt, doch statt eine der Türen oder Schubladen zu öffnen, wie Sara es eigentlich erwartete, rückte er jetzt eine kleinere Kommode zur Seite. Eine Falltür kam darunter zum Vorschein, gerade groß genug, um einen großen, breitschultrigen Mann wie Akosh Durchlass zu gewähren. Er bedeutete Sara, kurz zu warten und kletterte eine steile, aber recht kurze Leiter hinab in die dunkle Tiefe. Die Novizin hörte erst ein Rascheln, dann ein Klappern, gefolgt von einem Klirren und einem erneuten Rascheln. Gleich darauf erschien der Kopf Akoshs wieder in der Luke. Er hatte Schwierigkeiten, mit dem sperrigen, in Samt eingeschlagenem Gegenstand, den er unter den Arm geklemmt trug, zurück nach oben zu klettern, doch schließlich gelang es ihm. Dann legte er das Bündel auf die polierte Arbeitsfläche und winkte das Mädchen zu sich.

Als er den Samt zur Seite schlug, begriff Sara, warum man mit einem Shajkan keine Kräuter oder Früchte schnitt. Der Kurzsäbel glich dem, den Lennys bei sich trug und der für manche Kämpfe vielleicht sogar geeigneter war als die große Sichel. Seine Klinge war breit und schimmerte, als wäre sie in reinstes Silber getaucht worden, doch glitzerte die Schneide so gefährlich scharf, dass Sara ein leichter Schauer überfiel. Sie hatte Lennys' Shajkan nie sehr lange und auch nicht aus der Nähe gesehen und hatte auch nie daran gedacht, dass sie selbst einmal etwas Ähnliches besitzen könnte. Jetzt, da sich ihr Gesicht im Glanz des Säbels spiegelte, jetzt, da sie wusste, dass sie bald lernen musste, mit ihm umzugehen, sah sie die Waffe nicht mehr nur als edlen Schmuck einer Botschafterin, einer Kriegerin würdig, sondern als das, was sie wirklich war: ein Instrument des Todes, das eine Macht verlieh, die sie eigentlich nie hatte besitzen wollen.

Der Griff war ebenfalls aus Metall, vielleicht sogar reinem Silber, jedoch war der größte Teil von einigen Schichten schwarzen Harzes überzogen, um dem Kämpfer sicheren Halt zu geben. Tiefblaue Steine schmückten den kunstvollen Korb und die beiden Enden. Ein Meisterwerk und für die meisten Menschen Mittellands wohl ein Leben lang unerschwinglich.

„Du kannst dir überlegen, wie ich dir den Griffschutz gestalten soll, welche Farbe du bei den Steinen möchtest und welches Harz ich verwenden soll. Die Klinge selbst kann ich nur unwesentlich verändern, aber ich würde dir raten, eine etwas kürzere und vielleicht auch etwas schmalere zu wählen, du bist kleiner und – verzeih mir – wohl auch weniger stark als ich. Das hier ist mein erster Shajkan... ich habe ihn für alle Fälle hier aufbewahrt. Bei den Steinen handelt es sich um Saphire aus den Minen im äußersten Norden Valahirs. Das ist das Einzige, was ich dir verwehren muss... cycalanische Saphire sind nur unserem Volk vorbehalten. Das Silber im Regelfall auch, jedoch ist es undenkbar, einen Shajkan aus etwas anderem zu schmieden. Natürlich ist die Klinge nicht aus reinstem Silber, sondern besteht aus einer Legierung, deren nähere Zusammensetzung du nicht kennen musst Trotz des Silbers ist sie härter als die besten Klingen Mittellands und ihre Schneide ist so scharf, dass sie dir eine Haarsträhne abtrennen könnte, die im Wind flattert. Sei also achtsam.“

„Edelsteine... Silber.... allein das Harz ist wertvoller als alles, was ich je besessen habe. Gibt es... keine weniger edle Ausführung?“ fragte Sara schüchtern. Akosh lachte.

„Nun, wie gesagt, ein Shajkan wird aus Silber gemacht, wie das Meiste, das in der Schmiede eines Sichelländers entsteht, wenn er für sein Volk arbeitet. Mach dir um den Wert keine Gedanken. Das Harz brauchst du ebenfalls, es verschafft dir einen sicheren und bequemen Griff. Ich habe verschiedene Sorten, die ich dir später erkläre. Wähle die, die dir am meisten zusagt, aber frage nicht nach dem Preis und denke auch nicht darüber nach. Was die Steine angeht... Ich habe von den meisten Arten und Farben genug zur Verfügung und ein Shajkan ist eine Waffe, die man sein Leben lang behält. Es würde mir in der Seele wehtun, einen zweitklassigen Säbel zu schmieden, nur weil du so bescheiden bist. Suche dir aus, was dir gefällt. Und wenn du eigene Ideen hast, so zögere nicht, sie mir mitzuteilen, ich freue mich immer, wenn ich besondere Einzelstücke anfertigen darf. Vergiss nicht, ich bin der beste Goldschmied in Goriol, wenn nicht sogar im ganzen Mittelland. Und – mit Verlaub – auch einer der wohlhabendsten Männer in der Gegend. Du bist Lennys' Dienerin und sie selbst wünscht, dass du einen Shajkan bekommst. Also gehen wir an die Arbeit und sorgen dafür, dass deine Herrin mit deiner Ausrüstung zufrieden ist, ebenso wie du selbst.“

Er hatte freundlich gesprochen, doch Sara hatte die Eindringlichkeit vernommen, mit der er ihr hatte klarmachen wollen, dass sie ein solches Geschenk nicht ablehnen dürfe. Immer noch etwas zögernd, nickte sie schließlich.

„Gut. Kommen wir jetzt zu den Dolchen. Ich habe nur noch wenige in meiner Kammer dort unten verwahrt, sieh sie dir einmal an und sage mir, welcher dir gefallen würde.“

Er holte ein weiteres Bündel aus dem Umhang, dieses Mal in ein Leinentuch gewickelt. Jetzt lagen vier verschiedene, sehr viel kleinere Waffen vor Sara, ihre Klingen höchstens so lang wie Akoshs Hand. Auch sie glänzten silbrig, waren aber dunkler und massiver als die Schneide des Säbels. Auch hatten die Dolche nicht den Anmut und die Erhabenheit des Shajkans, sondern machten eher einen düsteren und gefährlichen Eindruck, doch Sara empfand ihren Anblick nicht als unangenehm. Während die Klingen einander sehr ähnelten, unterschieden sich die Griffe der Waffen vollkommen. Die ersten beiden waren aus Holz gefertigt und wie es schien, mit einem ähnlichen Harz überzogen wie das Griffstück des Shajkans. Einer der beiden schimmerte dunkelrot und war lediglich mit silbernen Ziernieten versehen, der andere war pechschwarz und trug oben und unten einen Ring aus rot funkelnden Steinen. Der Griff des dritten Dolches war ein Kunstwerk aus fein geschnitztem Elfenbein und trug außer einigen eingebetteten Goldfäden keinen weiteren Schmuck. Der vierte Dolch aber zog Saras Blick besonders auf sich. Er bestand vollständig aus ungewöhnlich dunklem Bernstein, war absolut glatt und bedurfte keinerlei weiteren Verzierung. Wenn das Licht darauf fiel, leuchtete er rotgolden und die darin seit langer Zeit eingeschlossenen winzigen Insekten und Pflanzenfasern ließen das Gesamtbild bizarr wirken. Eingefrorenes Leben in einer Waffe des Todes.

„Gefällt er dir?“ fragte Akosh, als Sara die anderen Dolche nicht weiter beachtete. Sie nickte stumm.

„Manchmal ist weniger mehr, du hast ganz recht. Du kannst dir wohl denken, dass solche großen Bernsteinstücke so gut wie nicht zu finden sind. Oben im Nordosten des Sichellandes gibt es eine Gegend, wo man manchmal Glück hat, aber selbst, wenn man ganz Sacua absucht, wird die Ausbeute nicht einmal für zwanzig Dolche dieser Art ausreichen. Ich fürchte, mit einem solchen Modell kann ich dir nicht dienen. Er gehörte einem ... guten Freund. Er ist gestorben und niemand sonst soll diesen Dolch sonst tragen. Ich kann dir also nicht einmal diesen hier schenken. Aber ich habe noch einige dieser Steine übrig, einer ist sogar ziemlich groß. Warte, ich zeige ihn dir, vielleicht fällt dir ein, was man damit machen könnte.“

Sara folgte dem Schmied zu einem eher unscheinbaren Schrank in der Ecke, dessen unterste Schublade Akosh jetzt aufschloss. Darin lagen, in Samt gebettet, an die hundert Bernsteine in den verschiedensten Farben und Größen. Tatsächlich maß einer von ihnen fast die Hälfte der Länge eines Dolchgriffes, doch er lief kegelförmig an einer Seite spitz zu und würde wohl irgendwann als Schmuckstück oder Priesterpendel enden. Noch während Sara auf die golden schimmernden Steine starrte, stellte Akosch eine Holzkiste neben ihr auf den Boden.

„Hier, das sind noch andere Griffmodelle. Sie ähneln aber einander, da sie nicht für die Kampfdolche gedacht sind, sondern eher für das, was wir schon beinahe als Werkzeug betrachten. Oh, wie ich sehe, sind sogar einige kaputte dabei....“ Er nahm einen zerbrochen Griff aus geschwärztem Holz in die Hand und wollte ihn gerade achtlos in die Kiste zurückwerfen als Sara ein Gedanke kam.

„Wartet...“ sagte sie und sah noch einmal in die Bernsteinschublade. „Darf ich etwas ausprobieren?“ fragte sie dann.

Akosh grinste breit. „Ich bitte darum....“

Sie nahm das abgebrochene Holzstück, das Akosh ihr jetzt reichte und nahm zögernd den großen Bernstein aus dem Fach. Vorsichtig schob sie ihn in die Spalte des zerstörten Griffs. Er passte nicht ganz, der Griff war zu klein, die Spalte zu eng und an einer Seite klaffte noch eine ziemliche Lücke, doch Akosh sah sofort, was Sara vorgehabt hatte. Er stieß einen leisen Pfiff aus.

„Nicht schlecht. Natürlich müsste ich ein neues Griffstück schnitzen oder ausgießen und den Stein müsste ich neu schleifen und polieren. Aber so könnte es funktionieren. Würde dir das gefallen?“

„Der Stein ist viel zu wertvoll für mich....“ begann die Novizin Einspruch zu erheben.

„Unsinn. Ich wusste ohnehin nichts damit anzufangen. Aber jetzt liegt einiges an Arbeit vor mir...."

Dann machten sie sich gemeinsam ans Werk.

Sie schmeckte Blut. Doch es war nicht süß, nicht berauschend und warm wie sonst, sondern bitter und kalt. Es war nicht das Blut eines getöteten Feindes, sondern ihr eigenes. Seltsamerweise war dieser Geschmack das Erste was sie wahrnahm. Nicht die entsetzlichen Kopfschmerzen, nicht der harte Boden unter ihr, nicht die schneidenden Fesseln, die ihren ganzen Körper lähmten. All das drang erst nach und nach in ihr Bewusstsein und sie wünschte sich einen Moment lang, in die Schwärze des Vergessens zurückzukehren, aus der sie gerade erwachte. Sterne tanzten vor ihren Augen, obwohl sie diese noch nicht geöffnet hatte und sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass der Erdboden, der eigentlich fest und unnachgiebig sein sollte, wie eine Barke im Sturm schwankte. Nur langsam drängte sich der Gedanke nach vorn, wurde zu einer Tatsache, die es erst einmal zu begreifen galt: 'Sie haben mich.'

„Beweg dich nicht.“ Die Stimme neben ihr ließ sie zusammen zucken, ohne dass ihr der Grund dafür klar war. „Sie müssen noch nicht wissen, dass du wach bist.“

Die Stimme schien überall zu sein. Neben ihr. Über ihr. Sogar in ihr. Und sie war kaum zu ertragen, obwohl sie kaum mehr als ein Flüstern war.

Sie wollte die Augen nicht öffnen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Die Sterne in der Dunkelheit wichen einem Wirbel aus düsteren Farben und schwarzen Schatten und es dauerte einige lange Momente, bis ihr bewusst wurde, dass es Nacht war im Wald. Weit entfernt flackerte ein Feuer. Vielleicht auch mehrere. Ihre Flammen schlugen hoch, lösten sich vom Boden, teilten sich und verschmolzen wieder. Der Wald begann sich zu drehen.

„Es wird bald Tag werden...“ sagte die Stimme jetzt. „Noch ein oder zwei Stunden...“

War nicht eben erst die Sonne untergegangen? Wie lange lag sie hier schon?

„Siehst du die Sonne? Sie leuchtet rot... so wie sie es immer tut, wenn sie uns Großes verheißt...“

Überrascht sah sie auf. Keine Fesseln, keine Schmerzen mehr. Sie stand an der Küste und die Stimme hinter ihr flüsterte nicht mehr, sondern sprach laut und zuversichtlich. Und doch drehte sie sich nicht zu ihr um. Sie sah weiter aufs Meer, dass nun im Abendlicht glühte und die Prophezeiung der Sonne zu bekräftigen schien.

„Aber sieht nicht jeder diese Röte? Jeder, ... nicht nur wir.“ hörte sie sich sagen.

„Sie spricht nur zu denen, die sie auch verstehen. Wir respektieren sie, ganz gleich, ob wir sie mögen oder nicht. Und sie respektiert uns.“

„Warum kann ich nicht daran glauben? Tust du es wirklich?“

„Ich möchte es glauben. Wir verlassen uns nur auf uns selbst, nicht auf Vorzeichen am Himmel. Wir sind nicht abergläubisch. Aber ja, ich glaube, dass wir Großes erleben. Großes vollbringen. Und vielleicht... vielleicht ist dieser Abend der Vorbote. Ich weiß nicht, ob dieses Rot uns wirklich etwas erzählt. Doch es hat es schon einmal getan. Nein, zweimal. Und vielleicht ist es auch dieses Mal so.“ Die Stimme klang triumphierend. Siegessicher. So, wie sie selbst sich fühlte. Aber sie machte es nicht von der Farbe der Sonne abhängig.

„Wir sollten zurückgehen.“ sagte sie jetzt.

„Du bist zu ungeduldig.“

„Nein. Es hat nur keinen Sinn, hier zu stehen. Wir dürfen uns keine Fehler erlauben. Zeitverschwendung ist ein Fehler.“

„Ungeduld und überhastetes Handeln auch.“ Die Stimme war noch genauso ruhig wie zuvor, hatte jetzt sogar einen amüsierten Unterton.

„Ich weiß, was ich tue.“ erwiderte sie knapp.

„Daran habe ich keinen Zweifel. Um dich muss man sich keine Sorgen machen. Aber vielleicht muss man dich ein wenig....“

Es klopfte. Sonne und Meer verschwanden, wurden zu einem schwarzen Nichts. Die Stimme verstummte. Es klopfte erneut.

Lennys öffnete die Augen und sah wieder die holzgetäfelte Decke. Nur langsam, ganz allmählich, trennten sich die Erinnerungen an den Traum von der Realität, die sie gerade einholte. Realität, die in manchen Momenten so bitter war, wie das eigene Blut, wenn es die Zunge berührte. Erst beim dritten Klopfen antwortete sie.

„Was gibt es?“ fragte sie und bemühte sich nicht, ihren Ärger über die Störung zu unterdrücken.

„Es tut mir leid, dass ich dich wecke....“ hörte sie jetzt Akoshs Stimme hinter der weiterhin geschlossen Tür. „Aber ich habe grade eine unschöne Nachricht erhalten..“

„Ich komme.“ antwortete Lennys gereizt und richtete sich auf. Sie fühlte sich alles andere als ausgeruht und der Traum hatte die angenehme Wirkung des Blutes der Nacht zuvor beinahe vollständig zerstört. Ein unterschwelliges, schlechtes Gefühl begleitete sie auf dem Weg in den Flur.

„Du siehst blass aus.“ bemerkte Akosh, als er Lennys sah.

„Spar dir das. Was für unschöne Nachrichten sind das?“

„Ich war eben auf dem Markt, weil ich noch eine Kleinigkeit besorgen musste. Ein Händler, der aus Fangmor angereist ist, berichtet, dass dort seltsame Dinge vorgehen....“

„In Fangmor? Was für Dinge?“

„Nicht direkt in Fangmor. Ein Stück östlich von da, im Felsland von Sagun.“

Lennys presste die Lippen zusammen. Sagun war eine große Felslandschaft aus Tälern, Schluchten und Steilwänden, auch wenn sie nicht mit der Valaschlucht im Gebirge vergleichbar war. Doch Sagun trennte das fruchtbare Land von der Wüste und bildete eine natürliche Grenze zum bewohnten Gebiet – ähnlich wie die Schlucht im Norden. Zudem lag das Felsland südlich des Nebeltempels. Abgelegen, vergessen, uninteressant ... das war Sagun. Dass schlechte Botschaften jetzt von dort zu kommen schienen, rückte diesen Landstrich aber plötzlich in ein ganz anderes Licht.

„Und was erzählt er von da?“ fragte sie dann.

„Ich hielt es erst für unwichtig... einige Schafe, die in der Gegend um Fangmor verschwanden, ein paar Einbrüche und Plünderungen... aber er sagte auch, dass sich die Heiler und Kräutersammler aus dem Süden beklagten, dass Sagun keine gute Ausbeute mehr brächte. Du weißt ja, dort fand man immer einige seltene Gebirgspflanzen und die Wanderer, die deshalb kamen, brachten Gold in die Taschen Fangmors.“

„Ich weiß nicht, worauf du hinaus willst.“ sagte Lennys ungeduldig.

„Keine Kräuter und Früchte in Sagun... es ist Spätsommer. Gerade jetzt sollten dort Wildbel und Klauenbeeren in Hülle und Fülle wachsen. Und Scherm...“

„Vielleicht hat ein kluger Mensch den Scherm dort endlich ausgerottet. Ich hasse dieses Zeug.“

„Lennys.... In Sagun wächst so gut wie nichts mehr, obwohl im Frühling und Frühsommer die Wildernte noch recht gut war.“

Lennys sah auf. „Das hattest du nicht gesagt.“

„Die Sammler aus dem Süden denken, die Menschen aus Fangmor hätten alles abgeerntet und würden es selbst teuer in Goriol verkaufen.“

„Das ist doch Unsinn. Das Meiste davon wächst in Valahir, warum sollten die Goriolaner teure, halbvertrocknete Kräuter aus Fangmor kaufen?“

„Der einzige Grund, der den Wanderern einfällt, ist Schikane. Sie glauben, Fangmor hätte genug von ihnen und man wolle sie aus Sagun fernhalten. Und deshalb hätten sie das Felsland sozusagen 'leer geerntet'. Besonders Ontur ist nicht sehr gut auf Fangmor zu sprechen, die meisten Kräutersammler kommen von dort.“

„Und du glaubst nicht, dass Fangmor das getan hat?“

„Nein. Aber Ontur ist sich sicher, es beweisen zu können. Ein paar von ihnen haben die Überreste eines Schaffells in Sagun gefunden. Eines, dass aufgrund seiner Färbung leicht Fangmor zugeordnet werden konnte...“

„Eines der gestohlenen Schafe?“

„Fangmor behauptet das, aber natürlich hält Ontur es für eine Ausrede. Tatsache ist, dass irgendjemand in Sagun unterwegs ist, dort Schafe schlachtet und Gebirgspflanzen erntet. Und ganz nebenbei noch die Vorratskammern Fangmors ausräumt.“

„Das klingt nicht gut. Du glaubst dem Händler?“

„Er hat keinen Grund zu lügen. Fangmor-Wein wird nicht mehr so häufig gekauft wie früher, die Leute dort haben allen Grund, sich mit Ontur gutzustellen. Wieso sollten sie sie gerade jetzt vergraulen?“

Lennys ging in den Wohnraum zurück und betrachtete eine Landkarte, die neben der Tür hing.

„Sagun.... warum ausgerechnet dort?“ fragte sie sich leise, doch Akosh stand bereits hinter ihr und hörte die Worte.

„Du denkst das gleiche wie ich? Dass sie es sind?“

„Es ist zumindest möglich. Auch wenn ich nicht verstehe, weshalb. Wir sollten der Sache nachgehen.“

„Du willst nach Sagun?“

„Erst einmal nach Fangmor. Und dann sehen wir weiter. Wir sollten nicht zu viel Zeit verlieren.“

Akosh schüttelte den Kopf. „Lennys, wir müssen noch warten. Der Shajkan für Sara.. ich brauche meine Werkstatt dafür. Und ich kann ihn nicht in ein paar Stunden machen. Es ist nicht irgendeine Waffe.“

„Wie lang brauchst du?“

„Drei Tage. Vielleicht zwei. Ich habe alles Nötige zusammen, deshalb war ich auch noch einmal auf dem Markt.“

„Drei Tage sind zu viel. Es ist jetzt früher Abend. Übermorgen bei Sonnenuntergang werden wir Goriol verlassen, ob mit Shajkan oder ohne. Tu, was du kannst.“

„Ich mache mich sofort an die Arbeit. Sie hat Geschmack, es wird ein schöner Shajkan.“

„Hauptsache, es ist ein Guter. Hast du ihr deinen gezeigt?“

„Ja...“

„Du wirst ihn mitnehmen müssen. Wir haben keine Zeit, erst noch in die Sümpfe zu gehen. Und du musst selbst dorthin, das kann keiner für dich übernehmen.“

„Wenn ich ein Pferd aus dem Dorf nehme, kann ich in wenigen Stunden zurück sein. Ich muss nicht schlafen...“ begann Akosh.

„Tu, was du willst. In zwei Tagen brechen wir auf und ich erwarte, dass du deine Arbeit bis dahin ordentlich erledigt hast. Wenn du dazwischen noch Zeit für einen Ausflug findest, meinetwegen. Aber wenn meine Anweisung deshalb nicht erfüllt wird....“ Ihre Augen blitzten bedrohlich.

Lennys sah noch immer auf die Karte an der Wand, auch als Akosh schon längst gegangen war, um sich an die ihm aufgetragene Arbeit zu machen. Es war merkwürdig still im Haus und sie fragte sich einen Augenblick lang, woran das liegen mochte. Menrir war nach Elmenfall, wo er lebte, zurückgegangen und sie wusste nicht, wann sie ihn wiedersehen würde. Vielleicht würde er sie sogar nach Fangmor begleiten, er hatte viele Freunde im Mongegrund.

Dennoch... die ganze Zeit waren ständig mehrere Leute um sie herum gewesen. Menrir, Akosh,... und Sara. Wo steckte sie eigentlich? Half sie dem Schmied? Nein, das war unwahrscheinlich. Sara hatte von der Waffenschmiedekunst keinerlei Ahnung und Akosh war bei seiner Arbeit lieber allein.

Sie fand das Mädchen in der Küche, wo sie grade einige Kräuter zerhackte um sie dann in eine Schüssel mit Tomaten zu geben.

„Was machst du da?“ fragte Lennys überrascht.

„Ich bereite das Abendessen vor. Akosh hat meinetwegen schon so viel zu tun und ich bin ja auch sein Gast. Außerdem habt ihr in den letzten Tagen kaum etwas gegessen.“

„Ich brauche nicht viel.“ Lennys trat einen Schritt näher. Neben der Schale mit den Tomaten lag ein frischer Brotlaib und einige gekochte Eier. Jetzt ging die Novizin zu dem gewaltigen Steinofen hinüber und rückte einen großen Kessel von der Glut, um gleich darauf darin herumzurühren. Ein würziger Geruch stieg von ihm auf.

„Was ist das?“

„Es ist eine Kräutersuppe. Akosh hat mir erlaubt, die Zutaten aus seinem Garten zu holen. Ich habe aber versucht, sparsam damit umzugehen, einige Pflanzen dort sind sehr selten und wertvoll.“

„Bei ihm musst du nicht auf so etwas achten. Schon gar nicht, solange ich hier bin. Ich wusste nicht, dass du kochen kannst.“

Sara lächelte schwach. „Vielleicht mögt ihr es gar nicht. Aber ich hoffe, es schmeckt euch besser als das Festmahl bei Beema.“

„Erinnere mich bloß nicht daran. So schlecht wird das hier schon nicht sein.“

Lennys hatte nicht die Absicht, besonders freundlich zu sein und merkte daher nicht, dass Sara plötzlich sehr erleichtert aussah. Stattdessen ging sie wieder in den Wohnraum hinüber und sah sich die Wandteppiche an. Sie kannte all die abgebildeten Szenen zur Genüge und obwohl sie sich im Haus eines Sichelländers befand, erschienen ihr die Bilder merkwürdig fehl am Platz. Alles hier war ihr plötzlich fremd, angefangen vom Wandschmuck über die Ruhe bis hin zu der Tatsache, dass einer der besten Waffenschmiede ihres Volkes gerade einen Shajkan anfertigte. All das, was sie noch vor wenigen Tagen, ja vielleicht noch Stunden für selbstverständlich oder wünschenswert gehalten hatte, wirkte jetzt falsch und unecht, wie ein Schauspiel mit schlechten Darstellern vor einer Papierkulisse.

Lange Zeit stand sie in gedankenverloren vor den Bildnissen und als Sara den Raum betrat, dämmerte es bereits.

„Ich kann jetzt das Essen auftragen, wenn ihr wollt.“

„Ja, mach das. Dann kannst du Akosh holen. Aber keinen Wein für ihn, er soll einen klaren Kopf haben, wenn er Klingen schmiedet.“

Das Essen verlief schweigsam. Nur Akosh lobte gelegentlich Saras Kochkunst und dass Lennys dem nicht widersprach, war für die Novizin das größtmögliche Lob. Als der Schmied sich anschickte, wieder seine Werkstatt aufzusuchen, rief Lennys ihn aber noch einmal zurück.

„Suche mir morgen einen Boten. Ich habe eine Nachricht nach Elmenfall zu schicken.“

„Zu Menrir?“

„Er müsste nachkommen, wir können nicht auf ihn warten. Aber er hat Freunde im Mongegrund und vielleicht würden uns seine Kontakte nützen. Wenn er aber lieber zu Hause bleiben will, werde ich es ihm nicht verwehren. Mir wäre es ohnehin am liebsten, allein zu reisen.“

Weder Akosh noch Sara ließen sich anmerken, ob sie sich die letzte Bemerkung zu Herzen nahmen.

Nachdem der Schmied den Raum verlassen hatte, begann Sara, das Geschirr zusammenzustellen. Mitten in einer Bewegung hielt sie inne und sah Lennys an, die immer noch schweigend und mit ausdrucksloser Miene am Tisch saß.

„Es tut mir leid, dass ihr meinetwegen so viel Zeit verliert.“ sagte sie schließlich.

„Das muss dir nicht leid tun. Ich hätte dich ja nicht mitnehmen müssen.“ antwortete Lennys gleichgültig. „Außerdem tut Akosh ein wenig Übung ganz gut und auf diese beiden Tage sollte es jetzt nicht ankommen. Es ist jetzt sowieso zu spät, sich darüber Gedanken zu machen. Und Akosh muss auch noch in die Sümpfe gehen, bevor wir aufbrechen. Ich habe ihm zwar gesagt, dass er darauf verzichten muss, wenn die Zeit nicht reicht, aber ich kann ihm nicht zwei Tage gewähren um meiner Dienerin einen Säbel zu schmieden und ihm gleichzeitig einige Stunden abschlagen, die er braucht, um seinen Kelch und seine Sichel zu holen.“

„Ist es nicht.... etwas auffällig, wenn er die Sichelklinge trägt? Jeder wird ihn doch sofort als Cycala erkennen...“ gab Sara zu Bedenken.

„Er wird sie nicht offen tragen. Ich glaube ohnehin nicht, dass er sie mitnimmt, Akosh war immer eher ein Freund des Shajkans. Die Sichel ist eine tödliche Waffe und jedem Säbel überlegen, doch der Umgang mit ihr ist um ein Vielfaches schwerer und nur wenige beherrschen ihn. Akosh ist ein akzeptabler Kämpfer, aber er fühlt sich mit dem Shajkan sicherer. Jedem das Seine.“

Die Antwort von Menrir traf bereits am nächsten Abend ein. Akosh bezahlte den berittenen Boten, den er mit der Aussicht auf gute Entlohnung im Wirtshaus angeheuert hatte, so großzügig, dass der junge Mann sich strahlend davon machte und den Goldschmied wissen ließ, dass er ihm auch in Zukunft gern zur Verfügung stünde.

„Und? Was schreibt er?“ fragte Lennys als Akosh mit dem Brief aus dem Flur zurück in den Wohnraum kam.

„Ich habe ihn noch nicht geöffnet. Er ist an dich adressiert und ich bin nicht befugt, ihn zu lesen.“

„Mach dich nicht lächerlich und lies vor.“

Vorsichtig riss Akosch den Umschlag auf und faltete einen Bogen schweren handgeschöpften Papiers auseinander.

„Ich grüße dich, Lennys, und auch Akosh, der mir ein großzügiger Gastgeber war.

Mit Freuden habe ich vernommen, dass du dich nach Fangmor begeben möchtest, auch wenn mir die Gründe für dieses Ziel noch recht schleierhaft sind. Ich glaube nicht, dass das, was dort passiert ist, jetzt noch zur Aufklärung der Merkwürdigkeiten beiträgt. Aber sicher hast du gute Gründe für die Reise.

In drei Tagen fährt ein guter Freund von mir mit seinem Handelswagen nach Mongetal. Er schuldet mir noch einen Gefallen und wird mich sicher gerne mitnehmen. Wenn du also keine weiteren Nachrichten erhältst, werden wir uns in wenigen Tagen in Fangmor treffen. Sollte ich vor euch dort sein, werde ich bei meinem alten Freund Thrun um Unterkunft bitten.

Mit ergebenen Grüßen verbleibe ich

Menrir, der Heiler.“

„In drei Tagen also....“ nickte Lennys. „Wenn er mit einem Handelswagen reist, werden wir wohl beinahe zeitgleich ankommen, denke ich.“

„Möchtest du ihn mit nach Sagun nehmen?“

„Eigentlich nicht. Wir werden sehen, was er selbst dazu sagt.“

Akosh zuckte die Achseln.

„Das Felsland ist nicht leicht zu durchwandern. Die Sonne brennt dort ziemlich an schönen Tagen, es ist trocken, staubig und heiß. Für einen alten Mann wie Menrir kein Spaziergang.“

„Ich kann mir auch etwas Schöneres vorstellen. Warten wir ab, was uns dort erwartet. Was macht der Shajkan?“

„Er wird rechtzeitig fertig. Darf ich dich etwas fragen?“

„Du tust es ja doch, auch wenn ich 'Nein' sage.“

„Das stimmt nicht.“ erwiderte Akosh entrüstet. Dann bemühte er sich aber wieder um einen einlenkenden Tonfall. „Aber ich wüsste gern, warum es ausgerechnet ein Shajkan sein soll. Ich habe noch nie einen für jemanden gemacht, der nicht aus Cycalas stammt. Es wundert mich, dass gerade du von mir verlangst, dass ich unsere Schätze - oder in diesem Fall Waffen - mit anderen teile. Versteh mich bitte nicht falsch, bei Sara habe ich keine Bedenken und ich bin sicher, sie wird ordentlich damit umgehen, aber....“

„Nichts aber. Wir werden es vielleicht mit Gegnern zu tun haben, gegen die nur wenige Waffen etwas ausrichten. Und Sara dient mir und somit auch unserem Volk, also kann sie auch mit dessen Waffen gegen die Feinde vorgehen. Zrundir wird von den Klingen aus dem Sichelland geschlagen und von keinen anderen. Und ein Shajkan ist zwar ein Säbel, den normalerweise niemand außer uns trägt, doch es gibt kein Gesetz, dass es verbietet, ihn weiterzugeben. Er ist keine Sichelklinge und selbst, wenn sie mit dieser kämpfen könnte, würde sie nie eine von mir erhalten.“

Lennys sprach so selbstverständlich und keinen Widerspruch duldend, dass Akosh es für besser hielt, nicht länger darüber zu reden. Wahrscheinlich hatte sie recht und im Grunde machte er sich auch keine wirklichen Sorgen um den Auftrag. Ihn beschäftigte noch etwas anderes.

„Ich mache ihr auch einen Dolch.“ sagte er dann.

„Hoffentlich verschwendest du darauf nicht zu viel Zeit. Du hast noch etwas anderes zu erledigen, bevor wir gehen.“

„Nein, ich werde nicht lange brauchen. Die Klinge habe ich schnell geschmiedet und den Rest kann ich auch mitnehmen und unterwegs fertigstellen. Es ist nur so... Ich habe Sara einige Modelle gezeigt und eines davon gefiel ihr besonders. Ich kann ihr nicht das Gleiche anfertigen und würde es auch nicht tun, aber ich wollte vorher mit dir darüber sprechen.“

„Euer Geschmack, was Dolche und Säbel angeht, ist mir egal. Du kennst die Tabus und es reicht, wenn du dich daran hältst. Ich habe jetzt weder Zeit noch Lust, das weiter zu diskutieren. Zeig mir die Sachen, wenn sie fertig sind und lass es mich wissen, wenn du nach Norden aufbrichst. Vielleicht begleite ich dich.“

„Du willst mit in die Sümpfe?“ fragte Akosh überrascht.

„Es ist immer noch besser, als hier herumzusitzen und nichts zu tun. Möglicherweise haben wir noch einmal Glück und dürfen eine Belohnung empfangen.“ Ein seltsamer Glanz trat in ihre Augen und den Schmied überfiel ein Schauer.

„Zweimal in so kurzer Zeit?“ fragte er unsicher.

„Ich habe lange genug gewartet, es gibt viel nachzuholen. Aber selbst wenn uns niemand begegnet, würde mich ein erneuter Spaziergang durch den Wald mehr reizen als die stickige Luft in diesem Haus.“

Auch die darauffolgende Nacht verlief vollkommen ereignislos, ebenso der nächste Vormittag. Während Akosh in seiner Werkstatt zu Gange war, kümmerte sich Sara um die Hausarbeit, das Essen und um die Ausrüstung. Lennys hingegen tat nichts. Sie stand die meiste Zeit nur an einem Fenster und starrte ins Leere oder sie ging in den Versammlungsraum im Keller, wo es dunkel und kühl war, und versuchte, sich auszuruhen. Es gelang ihr kaum, denn immer, wenn sie spürte, dass ihr Körper dem Schlaf zu verfallen schien, stand sie wieder auf und lief unruhig hin und her. Sie hatte genug beunruhigende Träume in den vergangenen Tagen gehabt, sie wollte nicht wirklich schlafen. Und doch wusste sie, dass sie nicht ewig wach bleiben konnte. Gegen Mittag suchte sie erneut den Keller auf und legte sich dort flach auf den Boden.

'Ich bin an einem geweihten Ort.' dachte sie. 'So lange Zeit habe ich die Erinnerungen im Vergessenen gelassen, warum kommen sie gerade jetzt zurück? Hierher folgen sie mir nicht. Hier werden sie Abstand nehmen.' Aber sie war sich ihrer eigenen Gedanken nicht mehr sicher. Sicher war nur eines, nämlich dass sie nicht vollkommen ohne Ruhe bleiben konnte, bis sie wieder in Cycalas war. Sie musste schlafen, ob sie wollte oder nicht.

Der glatte Steinboden presste sich angenehm kühl gegen ihre Haut. Er erinnerte sie an die Planken der cycalanischen Barken, wenn sie nachts darauf lag und den Himmel über dem Meer beobachtete. Hier gab es keinen Himmel, nur die anthrazitfarbene Kellerdecke. Wie Gewitterwolken in der Dunkelheit. Keine Holztäfelung wie Speere und Pfeile. Noch bevor sie die Sterne im Stein suchen konnte, war sie eingeschlafen.

Der glühende Schmerz ließ langsam nach. Zumindest der Körperliche. Sie hatte nicht geschrien und sie würde es auch nicht tun.

Es roch nach feuchtem Gras und Moos. Niemand war in ihrer Nähe und so würde es bleiben. Die anderen waren nicht allzu weit entfernt, aber niemand wagte sich an sie heran. Es war besser so.

Manchmal hörte sie Schritte auf dem weichen Boden und das Knacken von Zweigen, wenn jemand darauf trat. Doch er kam nicht näher.

Sie wollte niemanden sehen, niemanden hören. Und sie wollte nicht denken.

Diesmal wurden die Schritte lauter. Sie erkannte jeden ihrer Gefährten am Gang, am Atmen. Die Stimme überraschte sie nicht.

„Wir können nicht mehr lange bleiben. Sie werden bald hier sein.“

Sie reagierte nicht.

Der andere wusste nicht, ob er noch etwas sagen sollte, entschied sich dann aber dagegen und entfernte sich wieder.

'Dann lass sie kommen.' dachte sie. Sie ahnte, wie der Gedanke weiterging, doch in diesem Moment war nichts leichter, als ihn abzuschütteln. Was spielte das 'danach' auch noch für eine Rolle?

Wieder kam jemand näher.

„Bitte... verzeiht.. die Störung., hohe....“ begann jetzt eine andere, viel unterwürfigere Stimme, doch plötzlich erwachte ihre innere Abwehr wie ein feuerspeiender Drache.

„Sag... es... nicht! Was immer dir gerade auf der Zunge lag!“ zischte sie wütend. Sie hatte die Lippen kaum bewegt, doch jedes Wort war so deutlich vernehmbar als hätte sie aus voller Kraft geschrien.

Die Stimme verstummte.

Sie öffnete die Augen und sah weiße Wolken über den strahlend blauen Himmel ziehen. Ein Bussard zog seine Kreise und hin und wieder schob der Wind einen Zweig der nahestenden Birken in das sonst perfekte Bild.

„Geht. Alle.“ sagte sie dann ohne eine weitere Erklärung.

Kurz darauf erhob sich Gemurmel. Die anderen schienen über ihre letzten Worte unsicher, wollten diesen vielleicht auch nicht glauben, als sie wiedergegeben wurden. Nun kam der Erste wieder zurück.

„Wir werden nicht ohne dich gehen.“

Sie sah sein Gesicht nicht, nur die ziehenden Wolken weit oben. Er seufzte.

„Es ist mir gleich, was ihr tut.“

„Bitte... wir haben nicht viel Zeit. Wir können nicht hierbleiben, aber...“

„Ich halte euch nicht auf.“

„Im Süden werden wir sicher genügend Heilkräuter finden, mit der ich deine....“

„Lass mich in Ruhe.“

Anscheinend hatte er begriffen, dass er sie nicht überreden konnte und ging wieder zu den anderen. Sie spürte, wie der Schmerz wieder in Begriff war aufzuflackern, doch es war ihr gleichgültig. Beinahe begrüßte sie ihn, denn er stand wie eine große, undurchlässige und schützende Wand zwischen ihr und klaren Gedanken, die sie gar nicht haben wollte. Mal konnte sie sie durch bloßen Willen von sich fernhalten, dann stürzten sie wieder über sie herein.

Sie hatte nicht einmal versucht, aufzustehen. Sicher hätte sie es geschafft, aber wozu? Es gab keinen Ort auf dieser Welt, an den sie jetzt hätte gehen wollen. Wenn ihre Gefährten von 'Zuhause' sprachen, wusste sie nicht mehr, wovon sie redeten. Wollte sie es überhaupt noch wissen? Die Stimmen Cycalas', die einst in ihr erklungen waren, sie waren kaum noch zu hören. Würden sie bald für immer sterben? Oder würden sie zurückkommen, lauter denn je zuvor?

„Glaubst du, er wird dulden, dass du dich deinem Schicksal auf diese Art entziehst?“

Sie wusste, dass sie diese Worte nicht wirklich hörte, doch gleichzeitig war ihr, als würden sie ihr entgegengeschrien, mit Donnern und Tosen und selbst im Tode würden sie ihr noch nacheilen, jeden Tropfen Blut in ihr erfüllen und zum Erbeben bringen. Niemand außer ihr konnte es hören, niemand sonst das unerträgliche Brennen spüren, das jede Silbe mit sich brachte. Das Gras unter ihr bewegte sich wie im Sturm, schien zu wachsen... legte sich um ihre Handgelenke, um ihre Beine und kroch ihren Körper entlang... wie Schlangen, die aus der Erde geboren wurden. Schlangen, die glühende Spuren auf ihrer Haut hinterließen. Wie brennende Nadeln stießen ihre Zähne ins Fleisch und ihr Zischen vermischte sich mit der weit schallenden Stimme, wurde zu Gelächter von Tausenden, die sich um sie wanden, um sie hinabzuziehen in eine endlose Tiefe, in die sie sich eben noch hineingewünscht hatte. Doch sie war noch nicht bereit für das, was dort auf sie wartete und je mehr sie sich gegen das Zerren und Reißen wehrte, desto mehr verbissen sich die Ungetüme in ihr, desto unerträglicher wurde der Schmerz und desto schneller schwand die wenige Kraft, die noch nicht verloren war. Jeder Atemzug war schwerer als der vorherige und ihr Herz quälte sich von Schlag zu Schlag mehr. Der Himmel hatte sich verfinstert und alles um sie herum bestand jetzt nur noch aus Schwärze und Nichts. Kein Wald, kein Boden, keine Gefährten, kein Gras, keine Wolken.... Nur Schlangen, Stimmen und die Gewissheit, dass das Unausweichliche immer näherkam. Weit, weit hinten zog sich die Finsternis plötzlich zusammen, um noch intensiver, noch vollkommener zu werden... sie wand sich hin und her, wurde größer und verdichtete sich weiter zu einer gigantischen Schlange, die sich entrollte, ihr Maul aufriss und plötzlich zu explodieren schien...

Mit rasendem Herz, aber vollkommen bewegungslos, wachte Lennys auf. Selbst die dunkle Steindecke über ihr war blendend grell im Vergleich zu dem, was sie eben gesehen hatte.

Es hatte nicht funktioniert. Selbst hier, in diesem Raum, der vollkommen unter dem Schutze Cycalas' stand, fand sie keine Ruhe, es war eher so, als würde die Umgebung die Träume noch verstärken. Oder als hätte sie zumindest keinerlei Einfluss darauf.

Als Lennys wieder ins Erdgeschoss des Hauses zurückkam, stellte sie überrascht fest, dass es schon Abend geworden war. Sie hatte nicht dass Gefühl gehabt, den ganzen Nachmittag geschlafen zu haben, sondern nur wenige Minuten.

Das nächste, was ihr auffiel, war, dass sie allein war. Weder Akosh noch Sara waren irgendwo zu sehen und alles war still. Erst als sie sich dem anderen Ende des Ganges näherte, hörte sie leise Stimmen. Sie kamen aus Akoshs Werkstatt.

Lautlos schob Lennys die angelehnte Tür auf und sah, wie der Schmied und ihre Dienerin über die Arbeitsfläche gebeugt am anderen Ende standen. Links und rechts von ihnen brannten Öllampen und verbreiteten ein goldenes Licht, das tanzende Schatten an die Wand warf. Akosh trug diesmal keinen Umhang, sondern nur ein dünnes, ungefärbtes Hemd und in seinem Nacken glänzten Schweißperlen. Er sprach immer noch leise und Sara nickte ab und zu oder machte eine kurze Bemerkung, doch noch konnte Lennys nicht verstehen, was beide sagten. Sie trat einige Schritte näher.

„... , das macht ihn leichter als er aussieht. Du wirst also keine Probleme damit haben, ihn zu führen.“ sagte der Schmied gerade.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal lernen muss....“ antwortete Sara.

„Der Moment, in dem du ihn benötigst, kommt vielleicht sehr bald. Oder nie. Du solltest aber auf jeden Fall darauf vorbereitet sein. Je schneller du die Angst davor verlierst, desto besser.“

„Ich habe keine Angst, ihn zu benutzen, wenn es notwendig ist.“

Akosh schien verblüfft.

„Nun, einen Menschen zu töten fällt vielen schwerer, als sie es sich selbst zunächst vorstellen können...“ gab er zu Bedenken.

„Ich würde es auch nicht zu meinem Vergnügen tun.“

Lennys fragte sich, ob Sara damit auf das Blutbad im Wald anspielte, aber letztendlich war es nicht wichtig. Sara war keine Sichelländerin und auch keine Kriegerin. Für eine junge Tempelnovizin, die sich eigentlich dem Frieden verschrieben hatte, war ihre Einstellung zum Kampf eher ungewöhnlich.

Erst als Lennys direkt hinter den beiden stand, bemerkten Akosh und Sara ihre Anwesenheit. Sofort trat Sara einen Schritt zur Seite.

„Und?“ fragte Akosh erwartungsvoll und deutete auf den Gegenstand vor sich. „Was sagst du?“

Der Shajkan glänzte im warmen Licht der Lampen, als wäre er in züngelnde Flammen getaucht. Tatsächlich war er kürzer und schlanker als der Säbel, den Lennys und Akosh trugen, weniger wuchtig und auch der Griff war filigraner und anmutiger gearbeitet. Statt des schwarzen Harzes glänzte die geschützte Stelle dunkelrot und im mittleren der drei schmalen, glatt polierten Korbbögen waren gleichfarbige Granate eingerieben. Saras Shajkan bestach eher durch einfache Eleganz, denn durch Reichtum und Prunk und sein beinahe unschuldiges Erscheinungsbild schien nur durch das seiner Trägerin übertroffen zu werden.

„Gut.“ war Lennys' kurze und einfache Antwort.

Akosh hatte kein Lob erwartet, erst recht keine Begeisterung. Der kurze Kommentar der Cycala war schon mehr, als er hatte erhoffen können und so wagte er den nächsten Schritt.

„Ich habe auch den Dolch fertig. Es ging schneller als ich dachte. Möchtest du ihn sehen?“

Lennys nickte, war aber nicht sonderlich interessiert. Als Akosh die Waffe vor sie auf den Tisch legte, änderte sich das schlagartig.

Der Dolch glich jenem, den Sara so bewundert hatte, die Klinge war sogar beinahe identisch. Doch statt aus purem Bernstein bestand dieser Griff aus schwarz geharztem Holz, dass erst zum hinteren Drittel auslief und einen honigfarbenen Abschluss des kegelförmigen Steins freigab, den Sara in der Schublade des Schmieds gefunden hatte. Es fehlte sonst an jeglicher Verzierung.

„Deshalb wolltest du mit mir darüber reden...“ sagte Lennys.

„Es ist nicht derselbe. Der Stein ist heller und...“ versuchte Akosh einzulenken, bevor Lennys einen ihrer berüchtigten Wutanfälle bekam.

„Ich sehe die Unterschiede durchaus, danke.“ unterbrach sie ihn barsch.

„Hast du etwas dagegen....?“ fragte Akosh.

„Es ist nur ein Werkzeug. Sinnlos, sich damit Mühe zu machen.“ bemerkte sie nur achselzuckend, auch wenn ihre Worte nicht ganz so gelangweilt klangen, wie sie es beabsichtigt hatte. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ die Werkstatt. An der Tür machte sie noch einmal kurz Halt und rief, ohne sich umzudrehen:

„Ich erwarte dich in einer halben Stunde zum Aufbruch nach Norden in die Sümpfe. Wir gehen zu zweit, Sara bleibt hier.“

Sie ritten wortlos nebeneinander her. Den größten Teil der Strecke konnten sie rasch zurücklegen, erst das letzte Stück mussten sie ihre Pferde zügeln, da das Gelände unwegsamer und der Boden weicher wurde.

„Wenn sich eines der Tiere ein Bein bricht, wird Mosgul mich umbringen. Ich musste ihm hoch und heilig versprechen, beide bis Sonnenaufgang unversehrt zurückzubringen...“ brach Akosh schließlich das Schweigen.

„Wir werden sie dort vorne zurücklassen und das letzte Stück zu Fuß gehen. Niemand wird sie da finden und wir brauchen nicht lange um zurückzukehren.“ erwiderte Lennys.

Der Wald lichtete sich bald, doch jetzt erschwerten immer wieder Nebelschwaden die Sicht. Die Luft war feucht und der modrige Geruch der Singenden Sümpfe wehte ihnen immer wieder von Nordwesten entgegen. Weit und breit ließ sich kein Lebewesen blicken.

„Mir ist noch nichts aufgefallen.“ sagte Lennys schließlich. „Keine Spuren, keine ungewöhnlichen Stellen. Keine Überreste von Lagern.“

„Enttäuscht?“ schmunzelte Akosh.

„Sei nicht albern.“

„Wir könnten einen anderen Weg zurücknehmen, wenn du nach ihnen suchen willst.“

„Zuerst einmal wirst du suchen. Ich hoffe, du kannst dich noch an die Stelle erinnern?“

„Natürlich. Wie könnte ich sie vergessen?“

An einem der jetzt merklich dürrer gewordenen Bäume banden sie die Pferde fest und gingen am Waldrand entlang. Rechts von ihnen war die Landschaft bei Nacht für die meisten nur ein undeutliches, verschwommenes Grau. Nebel und Dunst vermischten sich mit den Silhouetten von fasrigen Gräsern, niedrigem Schilf und blütenlosen Sumpfpflanzen, die aus teils knöchel-, teils hüfttiefem Schlammlöchern und überfluteten Senken aufragten. Selbst jetzt, wo schon der abnehmende Mond die Landschaft beleuchtete, wurden die Ankommenden von Stechmücken umschwärmt. Sie belagerten den Sumpf das ganze Jahr über, ganz gleich, ob Sommer oder Winter.

Nur wenige hundert Meter weiter, noch ganz vom Dunst umhüllt und verborgen, stieg eine sanfte Anhöhe aus dem Moor. Einige verwitterte Weiden mit knorrigen Stämmen und beinahe vollkommen kahlen Ästen hatten sich in den Boden dort gekrallt, umgeben von Disteln und Nesseln. Akosh hielt direkt auf die Insel zu.

„Doch nicht etwa dort?“ nickte Lennys zu den Bäumen hinüber.

„Es gibt nicht viele sichere Orte hier.“ meinte Akosh nur und watete weiter durch den knietiefen Schlamm.

Bei den Weiden angekommen, musste der Schmied jedoch ein wenig suchen, bis er den richtigen Baum fand. Er sah genauso aus wie alle anderen, aber zwei Wurzelstränge ragten wie ein großer Knoten hervor und verbargen so eine Spalte darunter, die in einen Hohlraum führte. Bis zur Schulter schob Akosh auf dem Boden liegend seinen Arm in das Versteck und tastete darin herum, bis sein Gesicht einen erleichterten Ausdruck annahm und er einen großen Lederbeutel vorsichtig herauszog.

Kelch und Sichel glänzten wie frisch poliert und auch Akoshs Augen leuchteten als er seine so lange verwahrten und auch so sehr vermissten Besitztümer wieder in den Händen hielt.

Lennys wartete einige Minuten, bevor sie wieder zum Aufbruch mahnte und sah zu, wie Akosh erst über die Klinge und dann über den Kelch strich. Wie leicht konnte man ihre Schönheit und ihre Macht vergessen, wenn man sich davon getrennt hatte. Man verdrängte die Erinnerung, bevor sie schmerzen konnte und fühlte die Linderung erst, wenn man das Verlorene zurückerhielt.

Niemals hätte Lennys ihre Sichel verlassen, sich nie von ihr getrennt. Doch Akosh hatte ein neues Leben begonnen, er war anders als sie. In vielerlei Hinsicht.

„Wir sollten wieder zurückgehen. In ein paar Stunden geht die Sonne auf und dann möchte ich Goriol so schnell wie möglich hinter mir lassen.“

„Gut. Ich bin bereit.“ nickte Akosh lächelnd. „Auch für jenes, was sich uns vielleicht noch heute nacht in den Weg stellt.“

„Ich hätte nichts dagegen.“ sagte Lennys zufrieden. „Wir werden sehen, ob der Westen des Waldes ergiebiger ist.“

„Vielleicht sind sie schon längst weitergezogen... nach Elmenfall oder Gahl..“ gab Akosh zu Bedenken.

„Das glaube ich kaum. In Goriol ist aus ihrer Sicht am meisten zu holen. Verfluchte Hantua! Sie verkriechen sich wie die Schaben und glauben, uns so zu entwischen. Hat die Geschichte sie nicht genug gelehrt?“

„Genug um zu wissen, dass auch wir Fehler machen. Und sie hatten bislang Erfolg mit ihrem Vorgehen.“

„Nicht mehr lange. Wir holen sie uns, einen nach dem anderen. Sie haben keine Chance gegen die Macht Cycalas'! Es ist ihr Tod, unseren Zorn erneut zu reizen. Noch haben sie keine Ahnung, mit wem sie sich tatsächlich angelegt haben.“

„Ein offener Krieg mit Zrundir könnte auch für uns gefährlich werden.“ mahnte der Schmied unbehaglich.

„Könnte er das? Bist du dir so sicher? So viele Jahre haben wir sie in ihrem verdammten Land verschont, weil dieser Irrglaube immer noch besteht. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, allen zu zeigen, wie groß und stark das Sichelland wirklich ist.“

„Das kann nicht hier und nicht durch uns beide entschieden werden.“

„Das wird es auch nicht, verlass dich darauf. Für heute Nacht reicht es mir schon, wenn wir ihnen erneut eine Wunde hinzufügen. Lass uns endlich gehen und sie suchen.... ich habe Durst.“

Akosh war erleichtert, als sie wieder die Stelle erreichten, an der die Pferde warteten. Die Singenden Sümpfe waren nicht gerade die Gegend, die er am liebsten aufsuchte. Genau aus diesem Grund hatte er auch Sichel und Kelch dort verwahrt, wohl wissend, dass er kaum zufällig dorthin zurückkehren würde. Wohl wissend, dass die Versuchung, dort hinzugehen, gedämpft werden würde. Er hasste die Sümpfe, auch wenn ihr Klima nicht das Unangenehmste war im Vergleich zu hitzeflimmernden Ödländern.

„Weißt du, warum man sie die Singenden Sümpfe nennt?“ fragte er unvermittelt.

„Weil die Mittelländer ein abergläubisches Volk sind. Sie fürchten sich vor allem, was sie nicht begreifen.“ antwortete Lennys geringschätzig.

„Sie sagen, man hört dort in besonders nebligen Nächten immer noch die Totengesänge aus längst vergangenen Zeiten. Damals, als die Verstorbenen noch in den Sümpfen bestattet wurden, damit ihre Seelen nicht zurück zu den Hinterbliebenen fänden.“

„Wie ich sagte: Aberglaube. Ich habe nichts gehört, oder du? Und heute ist es zweifellos neblig. Haben sie gesungen?“ Sie stieß einen verächtlichen Laut aus. „Sag bloß, du glaubst an diesen Unsinn?“

„Nein...“ Akosh schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube nicht daran. Aber ich bin nicht gern in dieser Gegend. Sie hat so etwas Trostloses... etwas Totes. Nur Ungeziefer, Nebel und Schlammlöcher.“

„Ich habe auch nicht vor, länger hierzubleiben. Für die Hantua muss es wahrlich die Hölle sein, wir werden hier keine finden.“

Sie banden die Pferde los und führten sie ein Stück durchs Unterholz, bis sie auf einen schmalen, aber festen Weg stießen, der nach Südwesten führte.

„Wir werden einen ziemlichen Umweg machen, wenn wir hier weiterreiten.“

Lennys nickte nur knapp.

„Wenn wir bei Sonnenaufgang in Richtung Fangmor aufbrechen wollen, müssen wir uns beeilen. Ich habe noch nicht viel vorbereitet.“

„Sara hat sich in den letzten Tagen darum gekümmert. Sie hat Proviant besorgt und unsere Sachen in Ordnung gebracht, so dass wir uns sofort auf den Weg machen können.“

„Wie es scheint, hast du keine schlechte Wahl mit ihr getroffen.“ lächelte Akosh.

„Ich brauche niemanden um mich. Der Himmel weiß, warum ich mir das hier auch noch in Begleitung antue. Aber vielleicht hast du Recht, es hätte schlimmer kommen können.“ Sie stieg auf den dunkelgrauen Hengst, den der Schmied zusammen mit der braunen Stute, die er selbst ritt, für heute Nacht ausgeliehen hatte. Er war mit dem Tier sehr zufrieden, doch er wusste, dass Lennys sich ein temperamentvolleres Pferd gewünscht hätte. Für diese Stunden gab sie sich mit dem Grauen zufrieden.

„Vielleicht wirst du noch froh sein, dass du sie mitgenommen hast.“

„Das glaube ich kaum. Meine Güte, ich weiß wirklich nicht, was in mich gefahren ist. Als wäre es nicht schlimm genug, dass ich Menrirs gute Ratschläge bald wieder ertragen muss. Und auch, wenn ich deine Gesellschaft als weniger unangenehm empfinde als die anderer, so bin ich doch lieber ganz für mich allein. Stattdessen spiele ich jetzt aber auch noch Kindermädchen.“

„Sara kann sicher auf sich aufpassen. Immerhin hat sie uns auch allein gefunden und sie hatte keine Beschützer, als sie vom Nebeltempel hierherkam....“

„...wie ein herrenloser Hund, meinst du.“ vollendete Lennys den Satz auf eine Art, die Akosh sicher nicht beabsichtigt hatte.

„Kommt sie dir so vor?“

„Manchmal. Mal mehr, mal weniger. Lass uns nicht mehr über Sara reden, wahrscheinlich haben wir deshalb schon längst das Gegrunze der Hantua überhört.“

Der Schmied zuckte die Achseln. „Ich habe noch nichts gesehen, was auf ihre Anwesenheit hindeutet. Wir sind wohl noch zu nah am Moor.“

Eine ganze Stunde folgten sie dem Weg, der allmählich breiter und ebener wurde. Lennys bezweifelte, dass die Gesuchten sich so nah an einem viel benutzten Pfad aufhielten, doch mit den Pferden hatten sie keine andere Wahl und konnten sich nicht durch den verwilderten Wald schlagen. Schließlich gabelte sich der Weg und führte zum einen nach Elmenfall im Süden, zum anderen nach Osten, wo er später nach Goriol abbog.

Die Sichelländerin zügelte ihren Hengst und starrte auf die Kreuzung.

„Wir werden nicht durch den Wald zurückreiten.“ sagte sie dann halblaut.

„Nicht? Aber ich dachte, du wolltest nach Hantua Ausschau halten?“

„Eben. Zrundir ist ein Ödland. Keine Wälder, keine Sümpfe. Die Kreaturen dort sind es gewöhnt, sich im offenen Gelände zu bewegen und auch zu verbergen. Wir werden über die Hügel nach Goriol reiten. Ich bin sicher, wir finden dort, was wir suchen. Die Spuren, die sie im Drei-Morgen-Wald hinterlassen haben, waren allesamt nicht besonders alt, sie haben sich dort nie lange aufgehalten. Wahrscheinlich waren sie nur auf der Durchreise und ihre eigentlichen Lager befinden sich südlich des Waldes.“

„Du könntest recht haben. Aber wenn nicht,... ich meine, du willst doch nicht die ganze Nacht nach ihnen suchen?“

„Nein. Aber ich lasse mir meinen Spaß auch nicht entgehen, wenn er zum Greifen nah ist. Und ehrlich gesagt dachte ich, du wärst dankbar, ihn endlich wieder benutzen zu können.“ Ihr Blick fiel bei diesen Worten auf die Stelle in Akoshs Umhang, an der der Kelch verborgen war.

„Ich bin nicht wie du, Lennys. Du weißt, was ich meine. Die Belohnung, die du mir vor einigen Nächten gewährt hast, war großzügig und erfüllend, ich zehre immer noch von ihr. Ja, ich sehne mich nach mehr und ich sehne mich danach, ihm Ehre zuteil werden zu lassen. Doch ich habe nicht das Verlangen, das du verspürst. Noch nicht. Vielleicht habe ich noch nicht begriffen, dass wir vor einem Umbruch stehen. So lange habe ich mehr oder minder friedlich in Goriol vor mich hin gelebt, goldene Ketten geschmiedet und in meinem Kellergewölbe geheime Zeremonien abgehalten. Und nun... es scheint alles noch so weit weg....“

„Es wird sehr bald sehr nah sein“

„Ich habe lange auf diese Tage gewartet. So lange, dass ich einfach noch nicht fassen kann, was auf uns zukommt.“

„Es war wohl ein wenig zu lang. Ein Grund mehr, die Hantua zu finden.“

Sie ritten nicht bis Elmenfall, sondern schlugen vorher wieder die östliche Richtung nach Goriol ein. Hier breiteten sich grüne, hügelige Weiten aus, die am Tage von bunten Händlerzügen, gut gelaunten Wanderern und einigen wenigen Viehhirten mit ihren Herden bevölkert wurden. In warmen Sommernächten flackerte auch das eine oder andere Lagerfeuer hinter den Hängen hervor, wenn abenteuerlustige Reisende ihr hart erarbeitetes Gold sparen und auf die Unterkunft im Wirtshaus verzichten wollten. Doch der Sommer war nahezu vorüber und das Wetter immer unbeständiger. Nur selten zogen die Weltenbummler jetzt noch das Nachtlager unter freiem Himmel dem feucht-fröhlichen Treiben im „Rebstock“ von Goriol vor. Vielleicht waren manchen von ihnen auch die unheimlichen Berichte aus den Dörfern zu Ohren gekommen, ohne dass sie ahnen konnten, dass allem Anschein nach nur die Cycala von den blutigen Ereignissen betroffen waren.

Akosh hatte sich gewundert, dass niemand ein Wort über die beiden toten Hantua verloren hatte, die er und Lennys im Wald erschlagen hatten. Hantua im Mittelland hatte es lange nicht gegeben und bei vielen Menschen war sich der Schmied nicht sicher, wie sie zu den finsteren Kreaturen aus Zrundir standen. Ja, sie hatten Angst, die Leute um Goriol. Aber auf wessen Seite schlägt sich der Furchtsame? Auf die, die er für die Stärkere hält? Wie viele Leute wussten eigentlich um die wahre Stärke Cycalas'? Wer auch immer die Toten gefunden hatte, er hatte es zumindest geschafft, seine Mitmenschen nicht zu beunruhigen und Stillschweigen zu bewahren.

„Dort vorne.“ sagte Lennys leise und hielt an.

Akosh sah sofort, was sie meinte. Die Hügelkette vor ihnen wurde nach Norden hin flacher, bevor sie langsam in den Wald überging. Doch weiter im Osten erhob sich das Gelände wieder und bildete schon fast stufenähnliche Wellen, bevor es erneut abfiel und in sanften buckligen Ausläufern bis Goriol reichte. Noch war die „Stadt der Wanderer“ zu weit entfernt, um sie erahnen zu können, doch das Licht war trotzdem da. Ein Licht mitten in den Hügeln Mittellands, dort, wo gewiss kein Haus stand, fernab jeglicher Straße, wo vielleicht noch ein verspäteter Pferdewagen hätte unterwegs sein können.

Es war kein Feuer und es besaß auch nicht dessen Leuchtkraft. Kleiner, unauffälliger, wie ein nur schwach beleuchtetes Fenster hinter zugezogenen Vorhängen. Akosh bezweifelte, dass es jemand, dessen Augen nicht so an die Finsternis gewöhnt waren wie die der Cycala, auf diese Entfernung hin überhaupt bemerkt hätte. Und wenn, hätte er ganz sicher nicht das gewusst, was ihm selbst jetzt klar wurde.

„Ein Sonnenstein...“

„Hantua.“ bestätigte Lennys.

„Die Sonne ist schon lange untergegangen, wie kommt es, dass er immer noch leuchtet? Normalerweise hält das Licht nur ein oder zwei Stunden an.“

„Sonnensteine leuchten nicht nur durch das Sonnenlicht, das sie aufgenommen haben. Vermutlich hatten sie ein Lagerfeuer angezündet um ihn aufzuladen. Aber ein großes Feuer ist zu verräterisch, deshalb benutzen sie jetzt nur noch den Stein.“

„Könnte es auch jemand anders sein?“

Lennys zog die Brauen zusammen. „Unwahrscheinlich. Zrundir hat seine Schätze nie geteilt und zweifellos halten sie diese Spielereien für wertvoll, da sie sonst der Dunkelheit ausgeliefert sind. Wieder eine Eigenschaft, in der sie uns unterliegen.“

In Akosh schien langsam das alte Selbstbewusstsein wieder zu erwachen.

„Sie werden feststellen, dass sie durch einen Sonnenstein längst nicht alle Schwächen beseitigen können, die sie haben.“

Lennys machte eine Bewegung zu einer Baumgruppe ein Stück südöstlich entfernt.

„Wir bringen die Pferde dorthin und gehen dann einen Bogen um den Hügel dort. So kommen wir sehr nah an sie heran, ohne dass sie uns bemerken.“

„Wie viele es wohl sein mögen...“ überlegte der Schmied.

„Nicht mehr als vier oder fünf, denke ich. Wahrscheinlich schlafen sie schon und haben nur einen Mann als Wache eingeteilt, der jetzt den Stein benutzt.“

„Und wenn es mehr sind?“

„Wenn es mehr sind, sind es keine Hantua. Eine größere Gruppe von ihnen hätten wir längst gehört. Die schaffen es doch nicht, leise zu bleiben, ständig grölen sie herum, schlagen sich die Schädel ein und betrinken sich. Barbaren.“

Akosh schmunzelte. „Nun ja, was das Betrinken angeht...“

„Du weißt genau, was ich meine!“ schnitt Lennys ihm zischend das Wort ab. „Komm, wir haben hier schon genug Zeit vergeudet.“

Obwohl sowohl Lennys als auch Akosh selbst in mondlosen Nächten die Augen eines Luchses hatten, konnten sie die Anzahl der lagernden Hantua erst ausmachen, als sie nur noch wenige Meter entfernt waren. Sie hatten sich im Schutze eines Abhangs in einer Senke verschanzt, die auf einer Seite von hohen Buchen und Kastanien geschützt wurde, so dass der Platz aus der Entfernung nicht einzusehen war.

'Ein typisches Zrundir-Versteck', dachte Lennys. Sie kannte die Eigenheiten ihrer Gegner und wusste, dass sie sich auch in flachen Gebieten nahezu unsichtbar machen konnten, wenn sie ihre Erfahrungen und Fähigkeiten ausspielten. Doch andere Charakterzüge der Hantua sorgten dafür, dass sie oft nachlässig waren und sich ihre Stärken nicht vollständig zunutze zu machen vermochten. Diesmal hatten sie es allerdings geschafft. Ohne den Sonnenstein wären sie vielleicht sogar von den Cycala unbemerkt geblieben.

Der Stein lag neben der Feuerstelle und glomm inzwischen schon deutlich schwächer, beleuchtete aber immer noch einen Großteil des Lagers. Er hatte etwa die Größe eines Kinderkopfes und war normalerweise milchig-weiß, jetzt strahlte er aber ein seltsam kaltes, zitronengelbes Licht aus, das nach und nach erlöschen würde.

Lennys zählte vier schlafende Hantua, von denen drei sehr nah um die ausgetretene Feuerstelle lagen. Der Vierte hatte sich ein wenig weiter in den Schatten des Hügels verzogen, war aber trotzdem gut zu erkennen. Ein fünfter Mann wachte über seine Kameraden. Er schien mit der Müdigkeit zu kämpfen, lief einige Schritte auf und ab, ließ sich dann erschöpft auf einem Felsblock nieder, um aber gleich darauf wieder aufzustehen. Er gähnte herzhaft.

„Das wird nicht besonders schwer.“ flüsterte Lennys. „Es riecht nach billigem Wein und der dort kann kaum noch stehen.“

„Die anderen werden aufwachen, sobald wir ihn angreifen.“ wandte Akosh ein.

„Wir werden doch wohl mit einer Handvoll Bastarde aus Zrundir fertig werden. Oder hast du jetzt schon Angst?“

„Natürlich nicht.“

„Gut. Du zuerst.“

Akosh trat ein paar Schritte aus den Bäumen hervor, hinter denen sie sich verborgen hatten. Die schnellste und einfachste Methode wäre es gewesen, den Wachmann mit einem Sichelwurf zu erledigen, doch der Schmied hatte seine Waffe lange nicht in der Hand gehalten und wollte sich erst wieder mit ihr vertraut machen, bevor er diese so schwierige Technik einsetzte. Er durfte jetzt kein Risiko eingehen, auch wenn er mit Lennys übereinstimmte, dass diese fünf Männer kein ernsthaftes Problem darstellten.

Jetzt schlich der Hantua zu einem seiner Kameraden und beugte sich über ihn. Ein Grunzen war zu hören und Akosh war sich nicht sicher, welcher der beiden Feinde dessen Urheber war. Gleich darauf kam der Wächter aber schon wieder zurück, in der Hand einen grob getöpferten Tonkrug, den er wohl seinem Gefährten abgenommen hatte. Gierig hob er ihn zum Mund und trank in schmatzenden Zügen.

Der Schmied zögerte nicht länger, sondern ging mit schnellen, lautlosen Schritten von hinten auf den Hantua zu, den Shajkan fest in seiner rechten Hand. Er ließ keine Zeit für eine Reaktion, warnte oder drohte nicht. Das einzige, was der Wachmann noch wahrnahm, war ein silbriges Blitzen im Schein des Sonnensteines, bevor die Klinge seine Kehle zerfetzte.

Es war nie Akoshs Art gewesen, sich lange mit seinen Opfern aufzuhalten. Er bevorzugte die schnelle, vielleicht auch gnädigere Art, ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Wie alle Cycala hatte er gelernt, Feinde so zu töten, dass sie nicht einmal mehr einen letzten Todesschrei ausstoßen konnten, aber nicht immer griff er auf dieses Können zurück. Er dachte an Lennys und an den Angriff einige Nächte zuvor. Sie spielte gern mit ihren Unterlegenen, führte ihnen den Tod vor Augen und ließ sie an jeder Sekunde bewusst teilhaben. Viele grausame Sekunden, bevor das Leben dem Sterben endgültig unterlag. Nur selten konnte sie sich dieses fragliche Vergnügen erlauben, denn meist waren die Gegner in der Überzahl und jegliches Hinauszögern ihres Todes barg ein gewisses Risiko.

Das dumpfe Aufprallen des toten Hantua war nicht lauter gewesen als dessen plumpe Schritte kurz zuvor. Die anderen reagierten nicht darauf. Ein mehrstimmiges ungehemmtes Schnarchen verriet ihre vollkommene Ausgeliefertheit und Akosh fühlte ein nicht unangenehmes Gefühl der Macht in sich aufsteigen. Er allein entschied, welcher als nächstes sterben würde und wem noch einige Momente ahnungslosen Schlafes verblieben. Keiner dieser vier würde die nächste Stunde erleben.

Er spürte, dass Lennys direkt hinter ihm stand. Sie würde nicht auf ihren Anteil verzichten. Zwei, vielleicht drei dieser Kreaturen gehörten ihr. Und sicher würde sie zumindest dem Letzten, der ihrer Sichel unterlag, noch lange in die Augen sehen, bevor der Lebenshauch ihn verließ. Er trat zur Seite.

Lennys' Blick schweifte über die vier Todgeweihten und blieb an dem haften, der einige Schritte von den anderen entfernt lag. Unheilvoll spiegelte sich das verblassende Licht des Sonnensteins in ihrer Sichel.

Dieses Mal verlor sie keine Zeit. Im Stillen bedauerte sie, dass sie dem Hantua Gnade erweisen musste, so dass er nicht einmal aus seinem trunkenen Schlaf erwachte, als die Klinge seine Schlagader durchtrennte. Jeder Tropfen des vergossenen Blutes versickerte verschwenderisch in der Erde, doch dieses Lager bot noch mehr... genug, um es auf die ersten nicht ankommen zu lassen.

Lennys wandte sich dem nächsten Mann zu, der sich unruhig hin- und herwälzte. Anscheinend hatte der Alkohol seinen Träumen nicht gut getan, doch gleich würde er diese Sorgen nicht mehr haben. Sie beugte sich über den vernarbten Kopf und sog den fauligen Atem ein, der ihr jetzt entgegenschlug. Vielleicht hatte sie einen Moment zu lange überlegt, ob sie dem Hantua noch ein letztes Mal ins Gesicht spucken sollte. Stechend grüne Augen starrten sie plötzlich an. Er war wach.

„Du wirst keine Zeit mehr für eine Warnung haben!“ fauchte sie ihm entgegen, doch noch bevor sie die Waffe durch seine Haut rasen lassen konnte, spürte sie einen brennenden Schmerz in ihrem rechten Arm. Der Bruchteil der Sekunde, den sie gezögert hatte, hatten für den Zrundirsoldaten ausgereicht, seine Axt hinaufschnellen zu lassen.

Blitzschnell trat sie dem Angreifer hart die Waffe aus der Hand und drückte seinen erhobenen Arm mit dem Knie zu Boden. Knochen brachen, doch der Hantua ließ ebensowenig wie Lennys den geringsten Schmerzenslaut vernehmen. Außer sich vor Wut funkelte er seine Gegnerin an.

„Greift ihr feigen Dämonenbastarde eure Opfer immer im Schlaf an?“ ächzte er heiser.

„Beschwerst du dich über unsere Großzügigkeit?“ fragte Lennys kalt.

„Du hast keine Chance, Höllenweib. Wir werden euch überrennen, wie schon damals!“

„Das wirst du nicht mehr erleben.“

Sie kniete nun so auf seinen Armen, dass die Nerven eingeklemmt waren und er zu keiner Bewegung mehr fähig war. Etwas enttäuscht stellte sie fest, dass sich keine Angst in den Augen des Hantua spiegelte.

„Nur zu, bring mich und meine Freunde ruhig um...“ gurgelte er als sich die Klinge seinem Hals näherte. „Oder bin ich der Letzte?“

Lennys wusste nicht, was Akosh hinter ihr tat, ob noch Einer oder Zwei am Leben waren oder ob sie tatsächlich dem Letzten der Fünf in die Augen sah. Sein Blut würde besser schmecken als das der anderen, so war es schon immer bei jenen gewesen, die ihr eine Wunde zugefügt hatten. Trotzdem war etwas an diesem Krieger anders.

„Das Beste zum Schluß!“ sagte sie leise. „Dein Blut wird die gerechte Belohnung für mich sein!“

„Gerecht, du Verfluchte? So gerecht, wie ihr immer zu uns gewesen seid?“

„Ihr verdient Schlimmeres als den Tod!“

„Du bewahrst mich gerade vor Schlimmeren. Mein Herr wird nicht erfreut sein, dass du ihm die Bestrafung abgenommen hast!“

„Lennys!“ Akosh eilte zu ihr herüber. Von seiner Klinge tropfte Blut und in einer Hand hielt er bereits seinen Kelch, der jedoch noch leer war.

„Du bist das letzte Ungeziefer des Abschaums in diesen Reihen. Und dein Atem wird jetzt auch vergehen!“

Doch noch immer zeigte der Hantua keine Furcht, ganz im Gegenteil. Er grinste verzerrt und entblößte dabei einige braune Stummel im sonst zahnlosen Mund.

„Du tust mir damit einen Gefallen, wie ich schon sagte. Ich habe schon längst mit meinem Leben abgeschlossen!“

„Ein Ungewollter, der sich den Tod wünscht?“

„Ein Kämpfer, der weiß, wann seine Zeit gekommen ist. Eine Tatsache, für die du ewig blind sein wirst, Dämonenbastard. Wir haben unseren Herrn enttäuscht, wir haben nicht gefunden, wonach er verlangte. Seine Strafe für unser Versagen ist grausamer als alles, was du mir antun kannst!“

„Lennys....“ sagte Akosh wieder. „Was tust du? Warum tötest du ihn nicht endlich?“

„Wer ist der Herr, von dem du redest?“ fragte Lennys den Hantua, ohne Akosh zu beachten. Weiter presste sie ihre Knie gegen die Nerven des Unterlegenen und mit jedem Blutstropfen, den sie an ihrem Arm entlangrinnen spürte, verstärkte sie den Druck. Die Sichelklinge zitterte auf der narbigen Haut seiner Kehle, doch noch ließ sie den Kämpfer unversehrt.

„Seinen Namen auszusprechen ist mir nicht erlaubt, selbst wenn du mir mit Tod und Folter drohst. Doch er wird auch dich eines Tages für dein Dasein bestrafen, so wie er euch alle vernichten wird!“

„Leeres Geschwätz. Ist das alles, was du mir noch zu sagen hast?“

„Fahr zur Hölle, Abschaum der Finsternis!“

Sie saßen nebeneinander am Osthang des Hügels, in dessen Schatten wenige Stunden zuvor noch fünf Hantua Rast gemacht hatten. Lange Zeit sagten sie nichts.

Die Kelche waren längst geleert und schweigend hatten sie die Wirkung des Inhalts genossen. Dennoch war Lennys nicht zufrieden. Sie wusste, dass der Letzte der fünf Kämpfer ihr nur das Triumphgefühl hatte nehmen wollen, dass er in Wirklichkeit alles andere als Zuversicht im Angesicht des Todes empfand. Natürlich hatte er Angst gehabt, doch es störte sie, dass er sie so gut zu verbergen gewusst hatte. Die Genugtuung, der Stolz und die Befriedigung beim Töten des Hantua waren vorhanden gewesen, doch nicht so ausgeprägt und intensiv wie sonst.

„Wir sollten zusehen, dass wir nach Goriol zurückkehren.“ sagte Akosh. „Es wird bald Tag.“

Lennys stand auf, zuckte beim Abstützen aber kurz zusammen. Akosh warf ihr einen langen Blick zu. „Du hättest mich wenigstens einen Blick darauf werfen lassen können. Die Wunde könnte sich entzünden.“

„Es ist nur ein Kratzer, übertreib nicht immer so.“

„Du hast manchmal eine seltsame Sichtweise. Kratzer....“

„Können wir jetzt gehen?“

Ihre plötzliche Ungeduld beunruhigte Akosh ein wenig. Der süße Tropfen, den diese Nacht beschert hatte, hätte ihr Temperament ein wenig zügeln sollen, doch stattdessen schien er es nur noch mehr anzustacheln.

Der nachtschwarze Himmel über ihnen schimmerte schon bläulich, als sie die Stadtgrenzen Goriols erreichten, doch frühestens in einer Stunde würde er das kühle Violett annehmen, das den neuen Tag ankündigte, kurz bevor die ersten Sonnenstrahlen hervorblinzelten. Mosgul, von dem Akosh sich die beiden Pferde geliehen hatte, bewohnte ein kleines Haus nahe der Gasse, an dessen Ende der Schmied lebte. Der Stall lag direkt dahinter und Akosh machte sich nicht die Mühe, seine Rückkehr anzukündigen, sondern führte beide Tiere direkt an ihre Schlafplätze. Lennys wartete auf der Straße, die jetzt noch wie ausgestorben da lag. Von fern hörte sie zögernde Hufschläge.

„Er hält wieder Ausschau nach ungewöhnlichen Vorkommnissen.“ bemerkte Akosh spöttisch als er zurückkam.

„Der Schnüffler aus dem Süden?“

„Ja. Man weiß nie, wann er wo auftaucht. Er reitet durch die Gassen und am Waldrand entlang und beobachtet die Leute, die sich dort aufhalten. Manchmal tut er dies mitten in der Nacht, manchmal am Tage.“

Die Geräusche kamen nicht näher, sondern schienen sich in Richtung Marktplatz zu bewegen.

„Man könnte meinen, er will unbedingt gehört werden. Niemand, der ungesehen bleiben will, wird sich in seiner Nähe blicken lassen, wenn er derartig auf sich aufmerksam macht.“ meinte Lennys.

„Vielleicht geht es ihm gerade darum. Gesindel zu vertreiben. Und den Leuten zu zeigen, dass er für Ordnung sorgt.“

„Eingebildeter Manatarier.“ bemerkte Lennys jetzt abfällig. „Ich werde mich jedenfalls nicht dadurch am Aufbruch hindern lassen. Wir haben ohnehin schon zu lange gewartet. Wenn er weiter so einen Krach macht, wird es nicht schwer, ihm auszuweichen.“

„Wir können auch warten, bis er weg ist.“

„Das kommt nicht in Frage! Ich lasse mir von so einem dahergelaufenen Wichtigtuer nicht meine Pläne durcheinanderwerfen!“

Akoshs Haus kam in Sicht. Ein schwacher Lichtschein hinter zugezogenen Vorhängen erhellte einen der Räume.

„Wenigstens hört sie auf das, was ich sage.“ Lennys schien nicht so überrascht wie Akosh.

„Du hast ihr gesagt, sie soll wach bleiben?“ fragte der Schmied verblüfft.

„Unsinn, natürlich nicht. Ich habe nicht vergessen, dass sie nur eine Mittelländerin ist. Deshalb habe ich ihr gesagt, wir werden sie spätestens bei Sonnenaufgang abholen und sie soll dann bereit sein.“

Das war Sara tatsächlich. Sie saß in der Küche und schnürte gerade die letzten Lederbeutel mit Proviant zusammen als Lennys und Akosh hereinkamen.

„Guten Morgen, Sara!“ grüßte Akosh freundlich und Sara lächelte zurück. „Ich wünschte, ich wäre so ausgeschlafen wie du aussiehst.“

„Es war dein eigener Wunsch, nachts durch die Sümpfe zu waten.“ fiel ihm Lennys bissig ins Wort.

„Sara, ich verstehe nicht so viel von Heilkunst wie du oder Menrir...“ fuhr Akosh fort, ohne Lennys' Kommentar zu beachten. „Ich möchte, dass du dir die Verletzung... Verzeihung, den Kratzer meine ich... ansiehst, den deine Herrin sich heute nacht zugezogen hat. Nur, um ganz sicher zu gehen...“

Lennys warf Akosh einen wütenden Blick zu, sagte aber zu seiner Verwunderung nichts, sondern legte nur den Umhang ab, der ihre nackten Arme bedeckt hatte. Eine tiefe Wunde zog sich von ihrer rechten Schulter bis zum Ellbogen. Getrocknetes Blut bedeckte beinahe den ganzen Arm in dunkelroten Streifen und hier im Schein der Öllampen musste selbst Lennys zugeben, dass der vermeintliche Kratzer nicht gerade harmlos aussah. Sara ließ sich nichts anmerken, sondern griff nach ihrer Schultertasche, die über einem Stuhl baumelte und aus der sie jetzt einen fest verschlossenen tönernen Tiegel holte. Dann verschwand sie kurz nach draußen, um gleich darauf mit einer Schale Wasser und mehreren Leinentüchern zurückzukommen. Sie setzte sich Lennys gegenüber, tauchte eines der Tücher in die Schale und begann vorsichtig den Arm abzutupfen. Lennys verzog keine Miene, beschwerte sich aber auch nicht weiter über den Sinn der Behandlung. Auch wenn es ihr widerstrebte, musste sie zugeben, dass die Verletzung nicht nur durch das verschmierte Blut alles andere als harmlos aussah.

„Die Wunde muss genäht werden. Sonst reißt sie immer wieder auf und wird lange nicht verheilen.“ bemerkte Sara. Sie erntete einen entnervten Blick.

„Du übertreibst.“

„Nein, ich übertreibe nicht. Es ist der Arm, mit dem ihr eure Waffe haltet, ihr solltet kein Risiko eingehen.“

Lennys war etwas überrascht, dass Sara diesmal nicht zurückschreckte, hatte aber auch keine Lust, lange zu diskutieren. Im Grunde ahnte sie auch, dass die Novizin nicht ganz im Unrecht war.

„Also gut, dann beeil dich damit, wir haben schon genug Zeit verloren.“

„Ich?“ Sara klang entsetzt.

„Siehst du hier sonst noch jemanden, der das kann?“ Jetzt war Lennys wirklich kurz davor, die Geduld zu verlieren.

„Ich habe das noch nie gemacht, nur zugesehen. Menrir könnte so etwas, aber...“

„Aber es sollte gleich gemacht werden.“ beendete Lennys für sie den Satz. „Hast du alles hier, was du dafür brauchst? Dann fang an, du wirst mich schon nicht umbringen.“

Sara atmete tief durch. Sie bemühte sich, ihr ganzes Wissen über diese Art der Wundversorgung abzurufen und dabei ihre aufkommende Nervosität zu verbergen. Nur die obersten Heilerinnen des Tempels wurden in solche Praktiken eingewiesen und sie selbst hatte den alten Menrir nur wenige Male dabei beobachtet. Diese Verletzung hier war nicht zu unterschätzen und mit zwei oder drei Stichen war es nicht getan. Ja, sie besaß die notwendigen Utensilien, aber den Umgang damit hatte sie nie geübt. Das einzig Gute an dieser Situation war, dass Lennys im Vergleich zu anderen wohl nahezu schmerzunempfindlich war und dass sie zwar unbeherrscht, aber nicht unfair war. Sie konnte und würde von Sara keine Wunder erwarten.

Mit einem etwas mulmigen Gefühl begann sie schließlich, alles Notwendige zurechtzulegen.

„Wird die Verletzung dich nicht zu sehr im Kampf behindern?“ fragte Akosh, während er Sara beobachtete, die jetzt zwischen einigen hauchdünnen Fischbeinnadeln auswählte.

„Für was hältst du mich? Für ein kleines Kind, das schon humpelt, wenn es sich das Knie aufschlägt?“

„Es war nur eine Frage.“ Resigniert lehnte sich der Schmied auf dem Küchenstuhl zurück.

Bevor Sara zum ersten Stich ansetzte, versuchte sie, sich selbst noch einmal zu beruhigen. Zitternde Hände konnte sie sich jetzt nicht erlauben. Die Nadeln waren zart und im Vergleich zu den bereits zweifellos erlittenen Schmerzen würde Lennys sie kaum spüren. Trotzdem musste sie vorsichtig sein und gleichzeitig darauf achten, dass die aufwendig behandelten Pferdehaare, die hierfür verwendet wurden, fest gezogen wurden ohne dabei zu reißen.

Lennys zeigte keine Reaktion, als Sara mit der Arbeit begann. Sie saß völlig unbeteiligt da, zuckte weder zusammen, wenn die Nadel in die Haut drang, noch achtete sie auf die feinen Blutstropfen, die jetzt wieder hervorquollen.

„Ihr werdet eine lange Narbe behalten, das kann selbst diese Methode nicht verhindern.“ sagte Sara kurz als sie beinahe fertig war.

„Narben gehören zum Leben. Es stört mich nicht.“

Erleichtert, dass alles reibungslos verlaufen war und die Wunde jetzt sehr viel besser aussah, schnitt Sara den Rest des Fadens ab. Doch als Lennys Anstalten machte aufzustehen, schüttelte die Novizin den Kopf.

„Augenblick bitte noch. Ich muß noch die Gelbwurzpaste auftragen.“

„Wozu das denn?“

„Sie verhindert Entzündungen. Sicher ist sicher.“

„Es ist nur ein Kratzer! Ich werde es schon überleben!“

„Aber die Blutvergiftung, die ihr sonst bekommen könnt, vielleicht nicht! Ich habe nicht euren halben Arm zusammengenäht, damit ihr anschließend wegen so einer Nachlässigkeit sterbt!“

Sara hatte viel heftiger geantwortet, als sie es beabsichtigt hatte und Lennys sah sie erstaunt an. Akosh schmunzelte im Hintergrund, sagte aber nichts. Bevor ihre Herrin angemessen auf diesen Ausfall reagieren konnte, nahm Sara schnell den Holztiegel vom Tisch und tauchte einen kleinen Schwamm hinein. Sorgfältig bestrich sie die frisch vernähten Wundränder mit der hellen Paste und erwartete das Donnerwetter, das jeden Moment über sie hereinbrechen würde. Es blieb aus.

„Schön, dass du dich durchzusetzen weißt.“ meinte Akosh immer noch grinsend, als Lennys nach der Behandlung kurz nach nebenan gegangen war. „Es gibt nicht viele, die es wagen, ihr zu widersprechen.“

„Es ist mir so rausgerutscht. Ich dachte, sie dreht mir gleich den Hals um.“ gab Sara zu.

„Das hätte sie auch. Wenn du nicht dummerweise Recht gehabt hättest."

Sichelland

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