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Brigitte Bierlein »Mutig neue Wege gehen«
ОглавлениеAls Bundeskanzlerin dienen zu dürfen, bezeichnet sie als die größte Ehre ihres Lebens. Brigitte Bierlein hat im Laufe ihrer Karriere mehrmals die viel zitierte Gläserne Decke durchbrochen, schrieb nicht nur als erste Bundeskanzlerin der Republik Österreich Geschichte, sondern war unter anderem auch die erste Frau in der Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof sowie die erste Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes. Eine Karriere, die in dieser Dimension »weder geplant noch zu erwarten war«. Vielmehr war ihr besonderer Lebensweg »von Glück und Mut geprägt«, die schicksalhaften Chancen, die sich ihr boten, wahrzunehmen und sich dann »mit vollem Einsatz einzubringen«. In allen beruflichen Positionen war es ihr Bestreben, den Beweis zu erbringen, dass sie als Frau imstande ist, mit dem Leistungsanspruch der männlichen Kollegenschaft jedenfalls mitzuhalten. Brigitte Bierlein hat im Zuge ihres fast 50-jährigen beruflichen Schaffens auf eindrucksvolle Weise vorgelebt, in welch unerwartete Höhen der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben führen kann.
Mein beruflicher Lebensweg begann in einer Zeit, als Frauen in der Richterschaft numerisch noch weit in der Minderheit waren. Die Richter mussten sich erst daran gewöhnen, dass Frauen in dieser traditionell männlichen Domäne Fuß fassen. Die Skepsis, die ich bisweilen zu spüren bekam, nahm ich nicht persönlich, es war einfach ungewohnt für viele Kollegen, dass Frauen diesen Beruf ergreifen. Wenn ich rückblickend überlege, ob es in meinem beruflichen Werdegang Vorbilder gab, möchte ich niemanden konkret nennen, zumal ich immer versucht habe, die jeweilige Funktion, die ich innehatte, so zu meistern, wie ich es für zielführend und richtig hielt. Ich hatte aber das Glück, Zuspruch und Loyalität von Weggefährtinnen und Wegfährten erfahren und von vielen Menschen lernen zu dürfen.
Mir haben im Lauf der Jahre eine Reihe von Frauen imponiert. Sie alle zu nennen, wäre nicht möglich. In den Anfangsjahren kam mir und wohl allen Frauen meiner Generation das Wirken der damaligen Staatssekretärin und späteren Frauenministerin Johanna Dohnal zugute, die aus meiner Sicht viel für die Gleichstellung der Frauen auf den Weg gebracht hat. In diesem Geist des Wandels hat sich mein beruflicher Werdegang entwickelt. Ihr Engagement hat dazu geführt, dass Frauen mehr Chancen geboten, die Arbeit von Frauen besonders in typisch männlichen Domänen akzeptiert und ernst genommen wurde.
PRAGMATISCHE STUDIENWAHLDass ich studierte und Richterin wurde, war mir nicht in die Wiege gelegt. Außer einem Onkel, der das Studium Maschinenbau an der damaligen Technischen Hochschule absolviert hatte, gab es in meiner Familie keine Akademiker. Mein Vater hätte gerne Mathematik studiert, seine Mutter war aber früh verwitwet, und daher war ein Studium aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich. Meine Mutter war künstlerisch im Bereich Grafik hochbegabt und hatte die Kunstgewerbeschule besucht, ging allerdings keinem Erwerbsberuf nach. Sie war Hausfrau, was damals durchaus üblich war und vermutlich einer der Gründe dafür ist, dass ich sehr früh den Wunsch hatte, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Als Kind machte es mir große Freude zu zeichnen, ich befasste mich nach der Matura ernsthaft mit dem Gedanken, Kunst zu studieren. Das wäre ein Herzenswunsch gewesen, den ich allerdings verwarf, nachdem ich mit meiner Zeichenmappe an der Kunstakademie gesehen hatte, dass andere meiner Einschätzung nach viel talentierter waren als ich. Ein anderer Berufswunsch wäre Architektur gewesen. Da ich ein humanistisches Gymnasium besucht habe, wählte ich Darstellende Geometrie als Freifach, musste allerdings feststellen, dass meine dreidimensionale Vorstellungsgabe für ein Architekturstudium wohl nicht ausreichen würde.
Dass ich mich letztlich für das Jusstudium entschloss, hatte ausschließlich pragmatische Gründe, da war anfangs wenig Lust oder Leidenschaft im Spiel, wohl aber Interesse. Mein vorrangiges Ziel war es, mit dem Studium möglichst rasch fertig zu werden, um meine Eltern nicht lange finanziell zu belasten und selbstständig zu sein. Obwohl es mir gelungen ist, das Studium in kurzer Zeit zu beenden, hatte ich im Grunde noch kein bestimmtes Berufsziel vor Augen. Erst im Zuge des sogenannten Gerichtsjahres wurde mir bewusst, dass der Richterberuf überaus spannend und abwechslungsreich ist. Als Richterin ist man bereits in relativ jungen Jahren in einer sehr verantwortlichen und unabhängigen Position; man ist von Beginn an den eigenen professionellen Ansprüchen, seinem Gewissen und natürlich dem Recht verpflichtet. Alle meine Ausbildungsrichter waren Männer. Einmal wurde ich sehr direkt gefragt, ob ich als Frau nicht lieber in einer Bank arbeiten möchte. Ich war glücklicherweise nie besonders zart besaitet und nahm es nicht persönlich, es entsprach damals dem Gesellschaftsbild. Bereits mit 25 war ich Richterin und begann am Bezirksgericht im zivilrechtlichen Bereich. Da mich Strafsachen besonders interessierten, wechselte ich noch 1975 an das damalige Strafbezirksgericht Wien.
Im Jahr 1977 wurde ich zur Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Wien ernannt. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich es mit der ganzen Bandbreite an Straftaten zu tun, bis hin zu Kindesmissbrauch und Mord. Ich musste lernen, diese oft doch sehr belastenden Umstände nicht so nahe an mich heranzulassen, dass sie mir nachts den Schlaf rauben konnten. Wenn man das nicht schafft, ist es sehr schwer, diesen Beruf auszuüben.
SCHICKSALHAFTE CHANCENNachdem ich mehrere Jahre Staatsanwältin in erster Instanz gewesen war, kam der damalige Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien mit der Frage auf mich zu, ob ich ab sofort die Vertretung einer Kollegin übernehmen könnte. Ich wollte damals auf Skiurlaub fahren, wusste aber, wenn ich dieses Angebot ausschlage, kommt eine solche Frage nie wieder. Ich empfand es als schicksalhafte Chance. Hätte ich damals nicht zur Oberstaatsanwaltschaft gewechselt, wäre mein beruflicher Weg wohl ganz anders verlaufen. Dieses Angebot war auch der Anstoß, zum ersten Mal an eine weiterführende Karriere zu denken.
In der Oberstaatsanwaltschaft hatte ich zunächst ausschließlich männliche Kollegen und setzte meinen Ehrgeiz daran zu beweisen, dass ich als Frau imstande bin, die Leistungen der Herren mindestens zu halten, wenn nicht zu übertreffen. Man soll nicht verallgemeinern, aber ich denke, Frauen tendieren doch überwiegend dazu, diesen Mehrleistungsanspruch an sich zu stellen. Soweit ich das einzuschätzen vermag, neigen auch heute viele junge Frauen nach wie vor dazu, sich sehr kritisch zu hinterfragen: Kann ich das, schaffe ich das? Ich meine, man muss es einfach tun, sich voll einbringen. Ich bin jemand, die gerne arbeitet. Es hat immer Freude gemacht.
Einige Jahre später ergab sich unerwartet die Möglichkeit, mich für eine Stelle bei der Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof, der höchsten Staatsanwaltschaft der Republik, zu bewerben. In dieser Behörde steht nicht die Strafverfolgung, sondern die gesetzeskonforme Strafrechtspflege im Mittelpunkt. Ich war damals 40 und die erste Frau, die diese Chance erhielt.
Während meiner Tätigkeit in der Generalprokuratur habe ich mich überdies in der Vereinigung der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, der Interessenvertretung dieser Berufsgruppe, engagiert. Nach einigen Jahren als Vorstandsmitglied ergab sich ein Wechsel in der Leitung dieser Vereinigung und ich wurde – einmal mehr unerwartet – zu deren Präsidentin gewählt. Auch diese Aufgabe habe ich mit Demut und großem Einsatz, zusätzlich zur anspruchsvollen Tätigkeit in der Generalprokuratur, ehrenamtlich übernommen. Mein Ziel war, für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in der damaligen herausfordernden Situation – das Inkrafttreten einer umfassenden Strafprozessreform, welche die Rolle der Staatsanwaltschaften völlig veränderte, stand unmittelbar bevor – die erforderlichen personellen, räumlichen und technischen Voraussetzungen sowie Fortbildungsmaßnahmen zu erreichen.
Ich hatte in meinem Berufsleben oft das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, und dann auch den Mut, jene Chancen wahrzunehmen, die sich mir boten. Dies gilt ebenso für meine Bewerbung als Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofs. Ich wäre selbst nie auf die Idee gekommen, diese hohe und besonders verantwortungsvolle Position anzustreben. Als mich der entscheidende Anruf erreichte, kam ich gerade von einem Griechenlandurlaub zurück und wollte eben am Flughafen meinen Koffer vom Förderband nehmen. Im ersten Moment dachte ich an einen Scherz, aber es war eine ernst gemeinte Frage. Dass ich dann tatsächlich von der Bundesregierung vorgeschlagen und vom Bundespräsidenten ernannt wurde, war keineswegs eine ausgemachte Sache, es gab mehrere qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber. Dennoch war es bei all diesen überraschenden Fragen letztlich so, dass ich mir die neuen Herausforderungen tief im Inneren zugetraut habe. Wohl mit großer Ehrfurcht vor der jeweiligen Funktion, schlussendlich dachte ich mir aber immer: Wenn andere das schaffen, muss das auch für mich machbar sein.
RECHT UND GERECHTIGKEITWie ich meinen Stil als Richterin und Staatsanwältin beschreiben würde? Es ist schwierig, sich selbst zu charakterisieren, aber ich glaube, dass ich teamfähig bin, was vor allem am Verfassungsgerichtshof, wo Entscheidungen im Regelfall von der Mehrheit der Richterinnen und Richter getroffen werden, essenziell war. Auch hoffe ich, immer respektvoll und wertschätzend mit allen Beteiligten umgegangen zu sein. Ich würde mich zudem als neugierig und entschlussfreudig bezeichnen. Entschlusskraft ist in den juristischen Berufen, die ich ausüben durfte, eine sehr wichtige Eigenschaft.
Als Staatsanwältin hatte ich den Ruf, eher streng zu sein. Ich sehe mich rückblickend nicht so. Denn selbst in Fällen schwerster Kriminalität war mir neben der Überzeugung, dass ein Angeklagter bei entsprechender Sach- und Rechtslage die Konsequenzen für sein Verhalten zu tragen hat, die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte in einem fairen Verfahren ganz besonders wichtig. Im Übrigen sind auch Staatsanwälte zur Objektivität und Unparteilichkeit verpflichtet, müssen also entlastende und belastende Umstände gleichermaßen berücksichtigen.
GRENZEN DES MACHBARENIch war auch mit tragischen Fällen konfrontiert. Ich erinnere mich an einen vielfach wegen Gewaltdelikten vorbestraften Angeklagten, der seine Ehefrau massiv bedroht hatte. Seine Gattin sagte weinend als Zeugin gegen ihn aus, und der Richter verurteilte den Mann zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Bevor der Betreffende den Gerichtssaal verließ, drohte er seiner Frau: »Na warte, ich erwisch dich noch und bring dich um!« Über ein Jahr später erkannte ich ihn in einer Zeitung wieder. Er hatte seine Ehefrau tatsächlich grausam getötet. Das hat mich menschlich zutiefst erschüttert.
LEBENSLANGES LERNENAm Verfassungsgerichtshof sind 14 Richterinnen und Richter sowie sechs Ersatzrichterinnen und Ersatzrichter tätig, die aus verschiedenen juristischen Berufen kommen. Professorinnen und Professoren aus dem Bereich des öffentlichen Rechts, also des Verwaltungs- oder Verfassungsrechts, sind ebenso vertreten wie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Richterinnen und Richter aus anderen Gerichten oder hocherfahrene Verwaltungsbeamte. Als ich 2003 zur Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofes ernannt wurde, kam ich aus dem Strafrecht. Das war ein Quereinstieg aus einem anderen Metier. Ich war gefordert, mich mit einem juristischen Feld vertraut zu machen, das für mich zwar schon immer hochinteressant, aber doch neu war. Teil dieses Gerichtshofes sein und diesen später als Präsidentin leiten zu dürfen, war für mich als Juristin eine Auszeichnung allerhöchsten Grades: Der Verfassungsgerichtshof, dem die Kontrolle der Einhaltung der Verfassung und der Grundrechte obliegt, ist eine der Säulen unseres demokratischen Rechtsstaates. Es ist etwas ganz Besonderes, an wichtigen Erkenntnissen dieses Gerichtshofes mitgewirkt zu haben, wie etwa an der Entscheidung über die Aufhebung von Regelungen betreffend die sogenannte Vorratsdatenspeicherung oder an jener über die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare.
Wenn ich zurückblicke, war es beruflich ein lebenslanges Lernen. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich den juristischen Beruf bis heute so spannend finde. Sei es am Verfassungsgerichtshof oder im Justizressort: Jede Aufgabenstellung war eine neue, anspruchsvolle, zugleich ungemein reizvolle und bereichernde Tätigkeit. Durch die unterschiedlichen Themen konnte ich mich mit einer breiten Palette des Lebens befassen.
GRÖSSTER SPRUNG INS KALTE WASSERAn jenem Abend, als das berüchtigte Video erstmals veröffentlicht wurde, saß ich gerade in einem Gastgarten und erhielt von einer Bekannten eine Nachricht per SMS. Mir war sofort klar, das ist eine Zäsur! Dass in der Folge der gesamten Bundesregierung das Misstrauen ausgesprochen würde, war zum damaligen Zeitpunkt nicht abzusehen. Ich hätte jedenfalls nicht im Traum daran gedacht, dass ich auch nur im Geringsten tangiert sein könnte.
Als ich einige Tage später von Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu einem Vieraugengespräch in die Hofburg gebeten wurde, machte ich mir selbstverständlich Gedanken. Am ehesten vorstellen konnte ich mir, dass ich für die Übergangsregierung aufgrund meines beruflichen Lebensweges allenfalls als Justizministerin im Gespräch wäre. Als der Herr Bundespräsident mir eröffnete, dass es die Kanzlerschaft betreffe, war ich perplex. Meine erste Reaktion war: Das kann ich nicht! Woher sollte ich auch die Erfahrung haben? Ich war nie politisch tätig, habe nie einer politischen Partei angehört. Der Herr Bundespräsident meinte dann sinngemäß, diese Reaktion sei typisch für eine Frau, ich möge es mir zumindest überlegen. Das tat ich.
Als Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes war es mein größtes Anliegen, eine rasche Übernahme der Leitung dieser für unsere Demokratie so bedeutenden Institution zu klären. Der damalige, von mir hochgeschätzte Vizepräsident unterstützte mich uneingeschränkt und erklärte sich sofort bereit, den Gerichtshof, wie gesetzlich vorgesehen, interimistisch zu leiten. Die Entscheidung lag somit nur noch bei mir. Obwohl ich, wie schon erwähnt, grundsätzlich entschlussfreudig bin, fiel mir diese Entscheidung nicht leicht. Aber letztlich dachte ich mir: Österreich befindet sich in einer außergewöhnlichen Lage, und wann wird eine Frau wieder die Möglichkeit erhalten, einen solchen Beitrag im Sinne der Verfassung für unsere Republik zu leisten? Dieser Aspekt, unserem Land in dieser schwierigen Situation dienen zu dürfen, war letztlich für mich der entscheidende Impuls, es doch zu wagen, und zugleich der größte Sprung ins kalte Wasser. Diese Regierungsaufgabe lag mir viel ferner als alle Positionen, die ich davor innehaben durfte. Ich legte also meine Funktion als Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes mit einer gewissen Wehmut zurück und wurde vom Herrn Bundespräsidenten als Bundeskanzlerin designiert sowie mit der Bildung einer Regierung betraut.
»DIE GRÖSSTE EHRE MEINES LEBENS«Die Stimmung war in diesen Tagen sehr aufgeheizt. Es war dem Herrn Bundespräsidenten ein nachvollziehbares staatspolitisches Anliegen, möglichst rasch eine verfassungskonforme funktionsfähige Regierung zusammengestellt zu wissen. Bei der Bestellung meines Kabinetts war mir wichtig, dass Geschlechterparität herrscht und die jeweiligen Ministerien mit exzellenten Expertinnen und Experten besetzt werden. Die Ministerinnen und Minister sollten vor allem sachlich und professionell agieren und der Republik, den Menschen in unserem Land, bestmöglich dienen.
Mein und unser oberstes Ziel war es, das Land in ruhige Fahrwasser zu bringen und das Vertrauen in unsere staatlichen Institutionen wieder zu stärken. Die Verantwortung war spürbar groß, und es war die mutigste Entscheidung meines Lebens. Gleichzeitig wusste ich, dass die Zeit dieser Übergangsregierung überschaubar sein würde. Und meine bisherige Berufserfahrung, auch in Leitungsfunktionen, war eine gute Basis. Zudem habe ich den Dialog in den Mittelpunkt meines Amtsverständnisses gestellt. Der Austausch mit Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Justiz, mit Vertreterinnen und Vertretern der Religionsgemeinschaften, der NGOs, der Kunstszene, der Bildungseinrichtungen und der Interessensvertretungen sowie mit Menschen, die ihr oft schweres Schicksal meistern, gab wichtige Impulse. Dabei lag mir das Bewusstsein für die Leistungen und Anliegen von Frauen besonders am Herzen.
Ich fände es das größte Kompliment für unsere Regierung, wenn es einigermaßen gelungen ist, dass die Menschen nach den vorangegangenen Turbulenzen wieder mehr Vertrauen in die Politik und unseren demokratischen Rechtsstaat fassen konnten. Das hatte für mich oberste Priorität. Ich wollte den Menschen zeigen, dass Österreich eine funktionsfähige Regierung hat, die in dieser einmaligen Ausnahmesituation unaufgeregt, sachbezogen und sparsam im Interesse der Republik agiert. Eine Regierung, die unser Land im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und aller Menschen, die hier leben, bestmöglich verwaltet, die dem Parlament nur jene gesetzlichen Maßnahmen vorschlägt, die notwendig sind, um den politischen Entscheidungen der nächsten – gewählten – Bundesregierung nicht vorzugreifen.
Österreich als Regierungschefin auch international vertreten zu dürfen, war für mich besonders prägend: so etwa die Mitwirkung an der Nominierung von Ursula von der Leyen als (erste) Kommissionspräsidentin im Europäischen Rat in Brüssel oder die Teilnahme an der UNO-Generalversammlung in New York. Der Austausch mit Persönlichkeiten wie Angela Merkel, Jean-Claude Juncker oder António Guterres, um nur einige zu nennen, bedeutet eine unschätzbare Bereicherung.
Unserem Land als Bundeskanzlerin dienen zu dürfen, war und ist die größte Ehre meines Lebens.
NEUER LEBENSABSCHNITTIch hatte ein ungemein erfülltes Berufsleben, mehr kann man sich nicht wünschen. Es ist jetzt eine Umstellung, zurückzuschalten. Ich genieße es aber, meinen Interessen, vor allem im kulturellen Bereich, nachgehen und Freundschaften wieder besser pflegen zu können. Das Privatleben ist in den letzten Jahren zu oft zu kurz gekommen. Überdies engagiere ich mich seit Langem ehrenamtlich in juristischen und karitativen Vereinen, in künstlerischen Institutionen sowie in Opferschutzeinrichtungen.
Wenn ich gefragt werde, worauf ich am meisten stolz bin, muss ich gestehen, dass Stolz keine Eigenschaft ist, die ich für mich in Anspruch nehmen möchte. Jeder Mensch ist fehlbar, so auch ich.
Das, was bleibt, sind vor allem große Dankbarkeit und Zuversicht. Ich bin mehr als zufrieden und glücklich mit dem, was ich in meinem Leben erreichen durfte.