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Emmy Werner »Ich bin meine eigene Droge«

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Sie war die erste Frau, die im deutschsprachigen Raum ein großes Theater leitete, und es sollte durchaus Signalwirkung haben, dass jede neue Spielzeit mit einer großen Heldin der Literatur eröffnet wurde. Emmy Werner setzte jahrzehntelang wesentliche Impulse für das kulturelle Leben und den gesellschaftspolitischen Fortschritt in Österreich. Mut zu Entscheidungen ist ebenso bezeichnend für sie wie ihre Gestaltungskraft, denn »Es muss gewagt werden!«, lautet einer ihrer Leitsätze. Demzufolge gelten ihr Respekt und ihre Bewunderung nicht zuletzt jenen ersten wagemutigen Frauenrechtlerinnen und kühnen Vordenkerinnen, die im Kampf für die Gleichberechtigung auch das Risiko in Kauf nahmen, »verhöhnt und verspottet« zu werden. Über ihre eigene Pionierrolle als Volkstheaterdirektorin machte sie sich keine Gedanken, zumal sie »vom ersten Tag an gezwungen war, zu handeln«. Erste Schritte zu setzen, Ziele unerschrocken in Angriff zu nehmen, lebt Emmy Werner zeit ihres Lebens vor. Kein Wunder also, dass jene drei Buchstaben das wichtigste Verb in ihrem Leben sind: TUN.

Ich kann beim besten Willen niemanden nennen, den ich im klassischen Sinne als Vorbild bezeichnen würde. Aber es gibt eine ganze Liste an Menschen, die ich toll finde, die mich inspiriert haben, wo ich mir denke: Hier kann ich mir ein Stück abschauen. Vor allem aber war bei mir immer der Wunsch da, selber etwas zu machen und zu initiieren. So sehr ich gewisse Menschen bewundert habe, war gleichzeitig oft auch klar: So wie sie will ich es nicht machen. Ich will es anders machen, auf meine Art.

Natürlich wollte ich auch selber gerne ein Vorbild werden. Es war ein großer Anspruch an mich selbst, alles richtig zu machen, was man aber letztlich ja nie kann. Ein Vorbild muss auch nicht alles richtig machen, muss nicht nur positiv sein. Deshalb heißt es ja VOR-Bild – ein Bild stellt sich mir vor, und an diesem Bild kann ich herumbasteln und mir mein eigenes vorstellen, das ich dann irgendwann vielleicht mit Leben füllen kann. Nicht umsonst bin ich so oft nur eingesprungen bei der Regie – es war schon etwas da, das uns aber nicht gefallen hat, und jetzt konnte man am Vorhandenen wie an einem Puzzle weiterarbeiten. Und so war es auch mit meinen VOR-Bildern: Du siehst jemanden, an dem du dich zunächst einmal orientieren kannst.


PRÄGENDER SCHLÜSSEL FÜRS LEBENDer prägende Schlüssel für mein gesamtes Leben war mein künstlerisch sehr aufgeschlossenes Elternhaus und die Tatsache, dass ich – 13 Jahre nach der Geburt meines Bruders – ein sehr geliebtes und erwünschtes Mädchen war. »Versuche einmal, das so zu machen, wie du es empfindest«, war ein Satz meines Vaters, den ich als Kind oft gehört habe. Obwohl er selbst aufgrund seiner Biografie und Kindheit gar nicht so mutig war, wollte er mir immer vermitteln, dass es gut ist, auf die innere Stimme zu hören.

Meine Eltern ermutigten mich auch durchaus zu Widerspruch, dass ich mir nichts gefallen lassen, mich wehren sollte, wo es notwendig und gerechtfertigt war. Später konnte ich dann beurteilen, wie großartig sie in moralischer Hinsicht waren. Da hat man dann auch die ganz großen Vorbilder, die Widerstandskämpfer, ein bisschen näher kennengelernt, aber die will ich in diesem Zusammenhang nicht als Vorbilder benützen. Ich hätte mich sicher nicht zur Heldin geeignet. Die Helden und Heldinnen adoriere ich und sinke vor ihnen auf die Knie, aber sie als Vorbilder ins Spiel zu bringen, das erscheint mir zu anmaßend. An den Heldinnen möchte ich nicht rühren, aber man kann sie bewundern im Herzen.

NEUGIER, LEIDENSCHAFT UND RISIKOBEREITSCHAFTOb ich früher unter den Schauspielerinnen und Schauspielern Idole hatte? Viele! Zum Beispiel Romy Schneider oder Oskar Werner und all jene, die neben ihrem Talent auch Originalität, Wagemut, Risikobereitschaft und vor allem Leidenschaft aufwiesen! Die Neugier und die Leidenschaft halte ich für die Triebfeder schlechthin. Ich bin heute noch entzückt von einem Schuhmacher, der mit Leidenschaft Schuhe repariert, wo man sieht, er liebt sein Gewerbe und macht das richtig gerne und gut. Menschen, die ihrer Hände Werk gut und mit Leidenschaft ausüben, sollten immer auch ein Vorbild sein.

Dasselbe gilt für Künstler wie beispielsweise Federico Fellini. Er ist durch sein Werk ein großes Vorbild. Jedes kleinste Detail musste ganz genau so sein, wie er sich das vorstellte. Da kann man sich etwas abschauen, selbst wenn man vielleicht nur ganz wenig davon umsetzen kann. Und es gilt auch für Vordenkerinnen wie Simone de Beauvoir. Ihre Bücher haben mich angeregt, verhalfen mir zu neuen Einsichten. Streitbare Frauen, die ihre Meinung in einer Zeit gesagt haben, als das noch risikoreich war, habe ich immer bewundert. Das sind Vorbilder, da kann ich aber keine Namen nennen, das sind Hunderte. »Es muss gewagt werden!« – diesen Satz hatte der großartige Theaterdirektor Leon Epp eingerahmt auf seinem Schreibtisch stehen.

THEATERLEITERIN MIT COURAGE: STELLA KADMONWas Theaterleiten betrifft, war Stella Kadmon prägend. Allerdings, und das wird sie mir verzeihen, wollte ich immer alles anders machen als sie. Mitte der 1960er-Jahre war ich bei ihr am Theater der Courage als Schauspielerin engagiert. Relativ bald begann ich mich aber mehr und mehr dafür zu interessieren, was sich hinter den Kulissen abspielte. Mein Wunsch nach Eigenständigkeit, nach eigenem Gestalten wurde in dieser Zeit geweckt. Gleichzeitig fungierte Stella Kadmon als Herausforderin meines Widerspruchsgeistes. Sie bot mir eine Reibefläche, die ich zuvor nicht hatte, ich musste als Kind ja nie wirklich aufbegehren. Es gab zu Hause zwar manchmal Streitereien über alltägliche Dinge, aber es mussten keine großen Konflikte ausgefochten werden. Diesen Widerspruchsgeist hat Stella Kadmon in beruflicher Hinsicht in mir geweckt. Und das ist ja wunderbar, wenn man sich an jemandem reibt, wenn man sagt, es ist toll, was du machst, aber ich werde es, wenn ich einmal in die Situation komme, anders machen. In dieser Zeit kaufte ich mir ein rotes Ringbüchlein und schrieb vorn drauf: »Mein Theater«. Und auf die erste Seite: »So will ich mein Theater einmal führen.« Auf die zweite Seite schrieb ich: »Was ich einmal alles anders machen werde als die Stella.« Ich bin jetzt noch gerührt, wenn ich denke, dass damals das eigene Theater ja so weit weg war wie der Nordpol …

Natürlich bewunderte ich Stella Kadmons Biografie, aber manches eben nicht, zum Beispiel, dass sie gar so versöhnungsbereit war. Sie hatte vor den Nazis nach Palästina flüchten müssen. Nach dem Krieg kehrte sie nach Wien zurück und vermochte es, mit jenen feigen, niederträchtigen Leuten, die sie zuvor nicht einmal mehr gegrüßt hatten und jetzt wieder so stinkfreundlich taten, versöhnlich umzugehen. Als junger Mensch gefällt einem das nicht, da will man auch ein bisschen Kampf und Rache. Im Nachhinein weiß ich, wie großartig das von ihr war, aber was die berufliche Ebene betrifft, die sie ja fabelhaft bewältigt hat, wollte ich es trotzdem nicht so machen wie sie und habe ihr nachher oft in Gedanken Abbitte geleistet für ihre Kompromissbereitschaft. Man wird als Theaterleiterin mit so vielen Unwegsamkeiten konfrontiert, dass man oft einfach gezwungen ist, den Kompromiss einzugehen, sonst überlebt man nicht am Theater.

PRAXISTAUGLICHES AUS DEM RINGBÜCHLEINDurchsetzungskraft war etwas, das ich mir damals, als ich noch keine Ahnung hatte von diesem Beruf, fest vorgenommen hatte. Daran hielt ich mich auch, wenngleich natürlich nicht zu 100 Prozent. Aber wenn ich mich nicht durchgesetzt und schon wieder nachgegeben hatte, so war ich mir dessen zumindest bewusst. Manchmal konnte ich noch korrigieren, manchmal nicht.

Sich nicht zu verraten, ist ebenfalls etwas, das ich beibehalten habe. Es gab eine Grenze, über die ich moralisch nie hinausgegangen bin. Man muss sich in den Spiegel schauen können. Das hat übrigens auch Stella Kadmon gelebt. Sie hat Stücke gespielt, wo sie wusste, das Theater würde nicht voll sein, aber sie wollte die Themen, die ihr am Herzen lagen, unbedingt spielen. Das war schon großartig, da habe ich viel von ihr gelernt.

Woran ich mich zu wenig hielt? Ich hatte mir fest vorgenommen, schnell Nein zu sagen, wenn ich etwas für falsch oder nicht richtig befinde. Das musste ich jedoch erst mühsam erlernen. Ich machte unglaublich viele Anfangsfehler, da sträuben sich mir jetzt noch die Haare! Es gibt ein Zitat, das besagt, Nein zu sagen, sei das Wichtigste überhaupt. Ich war in dieser Hinsicht viel zu wenig radikal. Zunächst aus Unerfahrenheit, dann aus Ängstlichkeit, jemanden ins Gesicht zu sagen: »Nein! Wir können Sie hier am Theater leider nicht brauchen.« Es soll aber Direktoren geben, die so etwas gern sagen, sogar mit Vergnügen!

MADONNA, HIRSCHER, LAGERFELDBegeistern kann ich mich seltsamerweise auch für Protagonisten in Sparten, mit denen ich eigentlich überhaupt nichts am Hut habe, nämlich Popmusik, Leistungssport, Haute Couture.

Dennoch habe ich ein Faible für einen Leistungssportler wie Marcel Hirscher. Seine Kunstfertigkeit fasziniert mich, der Mann ist für mich ein Künstler, und da sind wir wieder beim Thema Leidenschaft: Er hat diesen Sport mit unglaublicher Leidenschaft betrieben, das ist für mich nicht Verbissenheit, das ist Leidenschaft! Und dann diese Mischung aus Talent, Fleiß und Können. Ich fand auch toll, wie er den Schlussstrich gezogen hat. Einfach zu sagen: Jetzt ist genug!

Madonna bewundere ich dafür, dass sie sich immer wieder neu erfindet, ihre Wandlungsfähigkeit und ihre alterslose Wirkung auf Menschen. Sie ist ein Popstar, und als solchen empfand ich auch Karl Lagerfeld. Oft sind Leute verwundert, wenn sie hören, dass ich auch für ihn schwärme, aber mich fasziniert sein Leben. Wie sich dieser Mensch durchgebissen und immer wieder verändert hat. Ich bewundere Menschen, die sich immer wieder neu erfinden. Und, das ist der wichtigste Punkt, Karl Lagerfeld hatte so unglaublich viel Humor. Humor und Selbstironie sind für mich ganz wichtige Dinge und sicher ebenfalls etwas, das ich vom Elternhaus mitbekommen habe.

Daher konnte daheim auch nie ein wirklicher Streit sein, weil wir kurz danach alle zu lachen angefangen haben, als wir sahen, was wir da eben für ein Theater aufgeführt hatten. Ich kann meiner Familie dafür gar nicht genug danken und hoffe, ich habe davon ein bisschen etwas weitergeben können.

GESELLSCHAFTSPOLITISCHE VORBILDERWenn man sich vorstellt, was die ersten großen Frauenrechtlerinnen und Sozialdemokratinnen riskiert haben, die verspottet und verhöhnt und mit faulen Eiern beworfen wurden. Diese Frauen waren so radikal, dass sie von den Leuten total abgelehnt wurden. Aber diesen Liebesverlust nahmen sie in Kauf! Das bewundere ich sehr, das könnte ich nicht. Besonders Frauen scheuen ja den Liebesverlust. Johanna Dohnal hat diesen Liebesverlust ebenfalls ertragen müssen. Ihre Definition von Feminismus finde ich nach wie vor brillant: »Die Vision des Feminismus ist nicht eine weibliche Zukunft, es ist eine menschliche Zukunft. Ohne Rollenzwänge, ohne Macht- und Gewaltverhältnisse, ohne Männerbündelei und Weiblichkeitswahn.« Dazu stehe ich hundertprozentig.

Natürlich habe ich Bruno Kreisky adoriert, vor allem für das, was er für die Frauen geleistet hat. Ihm kann nicht genug gedankt werden für die damals längst überfällige Reform des Familienrechts, das bis dahin gespickt war mit heute unvorstellbar diskriminierenden Verboten für Frauen. Er hat ein Bewusstsein geschaffen, das nach und nach seltsamerweise aber oft wieder gefährdet war. Ich weiß, dass er Fehler gemacht hat: Unter dem Strich bleibt für mich aber, was er Großartiges gemacht hat.

VORBILD ODER PIONIERIN?Ich glaube, Pionierin passt eher auf mich. Ich bekam oft von jungen Frauen Korrespondenz, manche verfassten auch Arbeiten, da hatte ich schon das Gefühl, dass sie sich ein wenig an mir orientieren. Als Vorbild würde ich das aber nicht bezeichnen. Ich kann vielleicht ein Bild darstellen, an dem diese Frauen ihrerseits wieder herumdoktern: Das gefällt mir an ihr, das und jenes aber nicht. Dazu stelle ich mich gern zur Verfügung: Hier bin ich, ich kann nicht anders. Denn eines, glaube ich, habe ich, obwohl ich eine Schauspielerin bin, nicht gemacht: Ich habe mich nie verstellt. Das hat mir oft genug geschadet. Aber ich habe mich trotzdem nicht verstellt.

ERSTE FRAU, DIE IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM EIN GROSSES THEATER LEITETEDiese Vorreiterrolle war mir nicht bewusst und absolut kein Thema. Ich war erstaunt, dass da so ein Hype daraus wurde. Solange ich in der Drachengasse, in dem kleinen Theater war, wurde ich gehätschelt. Kaum war der Kopf einen Stock höher – wusch, ist es schon losgegangen mit den Schlägen. Heute würde ich jammern: »Um Gottes willen!« Aber damals habe ich mich um das überhaupt nicht geschert. Ich bin hineingesprungen und habe gesagt: »Fangen wir an!«

Mein Lieblingsmotto lautet: Der Weg entsteht im Gehen. Das sagte ich auch oft meiner Enkeltochter. Wir haben einmal einen riesig hohen Berg Schnittholz geliefert bekommen am Land, standen davor, und die Kleine sagte: »Nein, das fange ich gleich gar nicht an.« Da habe ich gesagt: »Wenn du dich vor der Größe des Berges fürchtest, wirst du es nie schaffen. Du musst jetzt anfangen, ein Stück nach dem anderen zu nehmen und einzuordnen.« Und genau so ist es. Man muss einen Schritt machen und wieder einen Schritt und so weiter.

MUT ZUR ENTSCHEIDUNGMein Glück war damals, dass ich im Volkstheater keine Vorbereitungszeit hatte. Heute haben Intendanten oft ein, zwei Jahre Zeit, um sich auf so eine Aufgabe vorzubereiten. Ich übernahm im Jänner 1988 die Leitung dieses großen Theaters, und Ende April war bereits Spielplankonferenz. Das muss man sich vorstellen! Ich war gleich gezwungen zu handeln, also kaum »von des Gedankens Blässe angekränkelt«, wie es im Hamlet heißt. Das ist etwas, das ich immer gerne vermitteln möchte: Macht einen ersten Schritt, nur nicht zu viel grübeln! Was heute am Theater gegrübelt wird! Die Regisseure grübeln, die Schauspieler grübeln, es vergehen oft Wochen mit Grübeln. Ich konnte das nicht und habe dadurch natürlich etliche Fehlgriffe gemacht. Ich halte dennoch Entscheidungsfähigkeit für eine meiner besten Eigenschaften. Deshalb finde ich folgendes Zitat großartig: »Alles heilt der Entschluss!« Das ist wunderbar, auch im Alltag!

Wenn man mich nach dem wichtigsten Verb in meinem Leben fragen würde, bestünde die Antwort aus drei Buchstaben: TUN. So viele Menschen sind Weltmeister in ihren Absichten. Der Erfolg der Absicht ist aber immer nur die Tat. Darum bewundere ich alle, egal ob Frauen oder Männer, die Taten setzen – auch gegen Widerstände!

HELDINNEN ALS SIGNALWIRKUNGIch wollte die starken Frauen der Literatur zeigen, vor allem jene, die um ihr Recht auf Selbstbestimmung gekämpft haben. Die Eröffnung jeder neuen Spielzeit mit einer großen Heldin der Literatur sollte Signalwirkung haben. Die allererste Eröffnungsvorstellung war Schillers Jungfrau von Orleans, bald darauf Grillparzers Libussa. Aber wir zeigten auch seltene Heldinnen wie Federico García Lorcas Mariana Pineda oder Yerma. Mutige, wütende Frauen, die ihre Identität nicht verlieren, ihren Wünschen und Zielen nicht untreu werden wollten. Eine Sappho, die aus unglücklicher Liebe ins Wasser geht, anstatt den untreuen Liebhaber zu verjagen? Nein, habe ich gesagt, die kommt mir nicht ins Haus!

Von Ernst Bloch gibt es dieses großartige Zitat: »Not lehrt denken.« Letztlich sind das alles Vorbilder, diese Sätze, die ich seit jeher sammle und in mein berühmtes Büchlein schreibe. Gerade in meiner Anfangszeit sind aus der Not heraus viele Ideen geboren worden, die dann eine Eigendynamik entwickelten, weil sie sich bewährt haben. So war das auch mit den Heldinnen, und wir hatten fabelhafte Darstellerinnen, die ihnen authentisch Leben einhauchten.

ELFRIEDE JELINEK: »OHNE DIESE WIENER THEATERDIREKTORIN UND IHRE DRAMATURGEN WÄRE ICH WOHL NIEMALS IN WIEN AUFGEFÜHRT WORDEN«Es ist kein Zufall, dass ich die Jelinek erstmals hier in Österreich in einem großen Theater gespielt habe. Krankheit oder Moderne Frauen 1990 auf den Spielplan zu setzen, war im Grunde ein viel größeres Wagnis, als Thomas Bernhards Heldenplatz es gewesen war. Letztlich wurde es ein großer Triumph. Nicht zuletzt durch den Regisseur, den Dramaturgen und das Ensemble. Das macht man ja nicht allein, Theater ist Teamwork. Ganz wichtig war für mich auch die Unterstützung und Absicherung durch den wunderbaren kaufmännischen Direktor und nach wie vor engen Freund Rainer Moritz.

Einmal wurde ich übrigens von einem Besucher fast gewürgt, weil wir Jelinek spielten. Am Parkplatz packte er mich am Krawattl und sagte: »Anstatt, dass Sie Anzengruber spielen, spielen Sie Jelinek.« Und schimpfte unflätig auf Elfriede Jelinek. Anzengruber war, als das Volkstheater gegründet wurde, ein Avantgardeautor, der hatte damals wichtige Themen, aber ich wollte nun eben die zeitgenössischen Autoren mit ihren heutigen Themen spielen.

PRIMA INTER PARESWie ich meinen Führungsstil beschreiben würde? Prima inter pares, mit allen auf Augenhöhe. Das habe ich gelebt. Natürlich, wenn es hart auf hart ging, wenn Entscheidungen anstanden, dann war ich die Chefin. Aber nur dann. Das ist wichtig, dass man das nicht dauernd strapaziert, sondern die anderen auch machen lässt. Hinzu kommt, dass im gesamten Umfeld des Theaters ein sehr gutes Klima geherrscht hat.

SCHREIBEN: ENTDECKUNG EINER NEUEN LEIDENSCHAFT?Nein, Schreiben würde ich nicht als Leidenschaft bezeichnen. Dass ich vor zwei Jahren mein Buch … als ob sie Emma hießen verfasste, war für mich eine Hilfe über eine schwere Zeit hinweg, und ich wollte auch meiner Familie ein bisschen Tribut zollen. Jetzt, merke ich allerdings, könnte der Wunsch, etwas zu schreiben, noch einmal kommen, aber es ist keine Leidenschaft. Theater war Leidenschaft. Ich habe immer gesagt: »Bitte nicht fragen, ob ich das Theater liebe – ich liebe es nicht. Den Fisch fragt doch schließlich auch niemand, ob er das Wasser liebt. Das Wasser ist eben sein Element, er schwimmt einfach darin!« Ich bin aufgewachsen mit Theater, das war meine Mission, Passion. Ich habe das gelebt, die Leidenschaft war da, sonst hätte ich es ja nicht so lange gemacht. Dazwischen habe ich es oftmals auch verflucht, wie jeder Mensch, der etwas leidenschaftlich gern macht.

GABE ZUR KONTEMPLATIONLangeweile kenne ich nicht, sehr wohl aber Muße, und das trauen mir ja die wenigsten zu. Ich kann sehr gut nichts tun. Am besten gelingt mir das im Sommer auf dem Land, unter einem Baum sitzend. Da lese ich nicht, da tue ich nichts anderes als schauen. Kontemplative Ruhe zu finden, ist so wichtig. Das macht den Kopf frei. Ohne innere Ruhe hätte ich mein ganzes Leben nicht so leben können, wie ich es gelebt habe. Diese Ruheinseln muss man sich schaffen. Auch im Volkstheater hatte ich einen geheimen Raum, von dem nur wenige wussten und den möglichst niemand anderer betreten sollte. Dorthin habe ich mich zurückgezogen und gesagt: »Jetzt ist eine Stunde Ruhe!« Das war mein Refugium, anders steht man das ja nicht durch.

Ich habe einmal gesagt: »Ich bin meine eigene Droge, ich brauche nichts von außen.« Ich bin sehr eigenständig, in jeder Beziehung, und kann mir auch selber die Ruhe verschaffen. Die Kraftquelle der Ruhe ist in mir. In meinem Buch habe ich geschrieben, ich bin sehensüchtig, ich will schauen. Ich liebe Bücher über Kunst und Architektur, kann in prächtigen Bildbänden regelrecht versinken. Wenn ich in Ausstellungen gehe, bin ich geradezu euphorisiert, was es dort alles zu schauen gibt. Ich kann daraus einen unglaublichen Genuss ziehen, wenn ich ästhetisch schöne Dinge betrachte, mich sehr gut über etwas entzücken.

GRÖSSTE BERUFLICHE LEISTUNGDas Überleben im Krokodilteich. Wien ist ein Krokodilteich mit erstaunlich vielen Krokodilen. Dass ich 25 Jahre als Theaterleiterin in dieser Stadt durchgehalten habe, das ist eine Leistung, eine Lebensleistung noch dazu in einer sogenannten Pionierrolle. Wie gut das war und ob ich damit zufrieden bin, ist eine andere Frage. Ich rede jetzt nur von der Tatsache, dass ich durchgehalten habe, manchmal zwar gebissen, aber nicht aufgefressen wurde.

Idole sind weiblich

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