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Der Buchhändler stand klein und still im Nieselregen, der seine Hemdschultern dunkelgrün färbte. Das Lächeln schien ihm eingewachsen in die Mimik, in seinen Augen stand Galle.

»Da war einer im Laden! Es war Brandstiftung!«, erklärte Ruben Ursprung der Polizei. »Definitiv, es war jemand im Laden!«

Die Türbimmel hatten wir alle gehört.

Als er hinaufgekommen sei, habe er aber nur noch die Tür zuschwingen sehen, erzählte er immer wieder, auch als die Polizei schon lange nicht mehr zuhörte. Er habe auf die Straße geschaut und eine Gestalt gesehen, wie sie um die Ecke in die Christophstraße bog: Jeans, schwarze Lederjacke, Kapuze eines Hoodys überm Kopf. Er habe noch überlegt, ob er ihm nachlaufen solle. Ständig werde geklaut bei ihnen. Die Leute meinen, als linke Buchhändler müssten sie dafür Verständnis haben. In den Achtzigern habe es regelrechte Raubzüge bei ihnen gegeben. Studenten aus Tübingen und Frankfurt hätten mit den bei seinem Vater geklauten Büchern ihren Lebensunterhalt bestritten, er könne da Namen nennen, einige seien heute Politiker …

Ich schaute Richard an. Auch er konnte Namen nennen, würde es aber niemals tun. »Was ist mit dem Verletzten?«, erkundigte er sich stattdessen leise.

»Vermutlich Oberschenkelhalsbruch, nicht lebensbedrohlich.«

Ich hatte ihm meine Lederjacke unter den Kopf geschoben. Als ich hochblickte, war der Helfer verschwunden und es gelang mir nicht, ihn wiederzuentdecken, weder im Grüppchen der Verschreckten auf der anderen Straßenseite noch unter den Schaulustigen, die vom Café Eberhard und aus den umliegenden Geschäften und Wohnungen gekommen waren. Außerdem bat mich der Verletzte um mein Handy, um seine Freundin anzurufen, denn seines war ihm aus der Hemdtasche gefallen und verbrannte im Laden. »Du, Schatzi, mir ist da was Dummes passiert.«

Damit befand sich ihre Telefonnummer in meinem Besitz, und als die Sanitäter seinen Status abfragten – »Wann haben Sie zuletzt was gegessen?« –, erfuhr ich auch seinen Namen: Matthias Kern.

Als ich zu den anderen stieß, erzählte Ruben zum dritten oder vierten Mal seine Geschichte: »Wie ich so an der Tür stehe, hat es hinter der Kassentheke eine Verpuffung gegeben. Eine Explosion. Und wie ich mich umdrehe, sehe ich eine Stichflamme. Ich sofort hin, aber da hat es schon richtig gebrannt. Ich mit dem Feuerlöscher drauf, aber da hat das halbe Regal schon gebrannt, und ich musste an die Gäste im Keller denken und sie warnen.«

»Brandstiftung?«, fragte ich Richard, als wir gegen Mitternacht in seiner Limousine über die Stadtautobahn rollten. »Glauben wir das?«

»Ich halte einen Kurzschluss für wahrscheinlicher«, antwortete er. »Wer weiß, was für einen Kabelsalat der hinter der Theke hatte.«

»Außerdem zahlt die Versicherung bei Brandstiftung nicht.«

»Doch. Sie muss dann halt den Brandstifter in Regress nehmen. Nur wenn der Eigentümer der Brandstiftung überführt wird, dann zahlt sie nicht.«

»Dann sollte man also Ruben besser nicht überführen.«

In Richards Mundwinkel drückte sich das Desillusionshäkchen des Staatsanwalts, der Lügengebäude zur Verdeckung einer Straftat zur Genüge kannte. Ihr auffälligstes Merkmal war der Mangel an Varianz beim mehrmaligen Erzählen.

An der Staatsgalerie lachte er plötzlich verwundert auf. »Nicht zu fassen! Da halte ich nach über dreißig Jahren plötzlich wieder dieses Buch in den Händen, das mir so viel Kopfzerbrechen bereitet hat, und eine Stunde später ist es Asche. Als ob es nur auf mich gewartet hätte.«

»Irrtum, Richard!« Ich griff in meine Bikerjacke und hielt das Buch hoch.

»Oh.« Er langte danach. Aber ich war schneller. Das Auto schlingerte.

»Ich habe es gerettet. Es gehört mir. He! Stopp! Rot!«

Er trat in die Eisen. Die große Kreuzung am Neckartor breitete sich in die Nacht. Ein Raser querte.

»Warum hast du es zurückgelegt?«, fragte ich.

Richard ließ den Wagen in die Neckarstraße rollen. Drei Ampelanlagen Schweigen. Links Autohäuser, das Rote Kreuz, die Staatsanwaltschaft, rechts gelbe Backsteinfassaden mit kleinen Läden, Sparda Bank, Sparback und Bioladen und im dritten Stock meine Wohnung. Wenn ein Mann nicht antworten will, wird er zum Jäger. Richard sah die freie Parkbucht, ehe sie sichtbar wurde. Sie gehörte zu denen, die nur vortäuschten, fürs Parken gemacht zu sein. Darüber drohte ein eingeschränktes Halteverbot, das allerdings in der Nacht nicht galt. Er parkte. Für Richard gehörte es zum Luxus einer beständigen Beziehung, dass er eine solche Entscheidung nicht mit mir abklärte.

»Warum hast du es mitgenommen?«, fragte er, als wir die knarzenden Treppen hochstiegen.

Ich lachte nur. Was hatte er denn gedacht? Ich drehte das Buch um und zeigte ihm die Rückseite. »Deshalb!« Der Pappdeckel hatte ein veritables Loch, nicht groß genug, um meinen Mittelfinger einzulassen, wohl aber meinen kleinen Finger, und zwar bis über den Fingernagel. »Sieht aus wie ein Einschussloch, findest du nicht?«

»Hm. Oder nach sonst irgendeinem sachfremden Gegenstand, mit dem es malträtiert wurde.«

»Hast du das nicht gemerkt, als du es in der Hand hattest?«

Richards Blick blitzte mich in dem Moment an, als die Treppenhausbeleuchtung ausging. Sie reichte nie drei Stockwerke. »Doch, ich habe es gemerkt«, antwortete er. »Wie es wohl zustande gekommen ist?«

Du Schlawiner!, dachte ich.

Cipión veranstaltete Begrüßungstheater. Seine Freude war um ein Vielfaches größer, wenn er sich Richard zu Füßen werfen konnte. Das Freudenprogramm provozierte auf Richards Gesicht zuverlässig ein aus der strengen Seele sich befreiendes Lächeln. Endlich richtete er sich auf, zog sich den Schlips aus dem Kragen, öffnete den obersten Hemdknopf, legte das Jackett ab und wandte sich in die Küche, um den Kaffeeautomaten anzustellen. Ich startete derweil meinen Klappcomputer. Meistens waren beide Maschinen gleich schnell betriebsbereit. In der Küche kreischte das Mahlwerk, und ich schickte Google auf die Suche nach Marie Küfer. Erstaunlich: Es gab kaum hundert Einträge und keiner, der exakt traf. Eine Marie Kuefer war vor 1860 in die USA ausgewandert.

Richard kam mit dem Kaffeebecher aus der Küche, spitzte die Lippen und blies sich zu einem ersten knappen Schluck durch den Schaum. Ich tippte »geb. Küfer« in die Googlezeile. Zehn Ergebnisse. Aber keine Marie darunter.

»Tja, das Internet hat seine Schwächen«, bemerkte Richard, stellte den unnütz heißen Kaffee auf dem Kneipentisch ab, trat an meine Computereinheit am Fenster zum Hinterhof heran und fingierte einen Blick auf meinen Bildschirm. Ein Mann auf Schmusekurs. Selbst am Ende eines Tages war der Geruch seines Pflegemittels nach Zeder und Zibet noch zu spüren. Besonders der von Zibet.

Ich tippte mich in die Gegenwart: »Das Zibet (aus dem arab. Zabad = Moschus) ist ein stark und im natürlichen Zustand äußerst unangenehm riechendes Sekret aus den Analdrüsen der Zibetkatze«, informierte mich Wikipedia. »Es dient ihr zur Markierung ihres Reviers. Nach entsprechender Verdünnung entfaltet dieser Stoff einen angenehm moschusartig, ledrig wohlriechenden Duft, welcher zur Parfümherstellung verwendet wird. Heute werden zur Gewinnung dieses Rohstoffs fast nur noch künstlich hergestellte Ersatzduftstoffe verwendet.« Richard konnte es vermutlich selbst herstellen. Ich hakte meinen Finger in seinen Hosenbund. Er hatte abgenommen und sah besser aus denn je. Aber das war nur seinem Alltagswahnsinn von Arbeit, Sport und Nikotinkonsum zu verdanken. Vermutlich befand er sich nur noch einen Tacken vom Totalabsturz entfernt.

»Und wie hat dir das Fräulein Schrader gefallen?«

»Ach, Gott.«

Ich zupfte ihn am Bund zu mir. »Die macht ihren Weg! Hat sie dir nicht gefallen?«

Er zog die Brauen hoch. »Der Text oder die Person?«

»Na, geflirtet hat sie ja ordentlich mit dir.«

»Geh mir fort.« Er pflückte meinen Handhaken aus seinem Hosenbund und strebte dem Kaffee zu. Ich stand auf und folgte ihm auf Tuchfühlung.

»Magst du keine Grübchen?«

»Lisa! Ich könnte ihr Va…« Er biss das vertrackte Wort von der Zunge und schluckte Bitterkeit. »Ich könnte ihr Großvater sein.«

»Sei froh, dass du es nicht bist. Sahneschnittchen wie sie sind ein Fluch für die Väter.«

»Lisa! Du bist ungerecht. Du kennst sie doch überhaupt nicht!«

»Immerhin kenne ich ihre schmutzige Fantasie.«

»Was nicht gleichbedeutend ist mit ihren Wunschvorstellungen, Lisa. Der Text ist eine Überspitzung. Daraus spricht keine Zustimmung, sondern eher Entsetzen und Verachtung.«

»Na ja, aber ausgedacht muss sie es sich schon haben. Also mindestens einmal durch ihren Kopf musste es durch. Nicht wahr?«

»Vielleicht dient es als … als Therapie. Sie ist siebzehn. Sicher hat sie erste sexuelle Erfahrungen, und vielleicht haben sie ihr Angst gemacht, vielleicht beunruhigt sie das Paarungsspiel. Mit Sicherheit hat ihr Vater sie nicht auf eine solche Reise nach Barcelona gelassen. Aber sie … nun, sie hat Fantasie. Man kann das Schreckliche auch benennen, um mit der Furcht davor fertigzuwerden. Es sind Bilder für etwas, was jeden halbwegs sensiblen jungen Menschen erschrecken muss. Der Egoismus der eigenen Altersgruppe, der unvermutet in Brutalität umschlägt und jeden jederzeit zum Opfer macht.«

Wir starrten uns in die Augen. Beide hatten wir es erst unlängst erlebt. Meine Wohnung roch noch nach Ruß und frischer Farbe. Und Richard hatte den letzten Rest seines fragilen Glaubens verloren, dass irgendetwas auf der Welt den richtigen Kurs nahm.

»Hast du das Buch gelesen?«

»Nein. Werde ich auch nicht.« Er nahm den Kaffee wieder hoch. »Es sind mir dann doch zu viel Feuchtgebiete. Ich will auch gar nicht wissen, was diese Ungeheuer mit dem 13-jährigen Mädchen anstellen, das sie in La Grande Motte entführt haben, auch wenn es nur Fiktion ist. Ich wollte nur zu bedenken geben, dass Lola Schrader nicht notwendigerweise irgendetwas gemein haben muss mit diesen auf Sex und Drogen versessenen Luxusjugendlichen, die sie beschreibt.«

»Aber sie gefällt dir!«

»Lass gut sein, Lisa. Und wenn schon.« Seine Augen blitzten schräg. »Für einen Mann in meinem Alter sind alle Mädchen unter zwanzig entzückend.«

Ich lachte.

Ein winziges Lächeln huschte ihm durch die Mundwinkel.

»Und im Grunde fasziniert uns Sex und Gewalt immer!«, behauptete ich und zupfte die Knöpfe seiner Weste auf. »Wenn der Gorilla die Gorilline packt und sich ihr Hinterteil vornimmt.«

»Hm«, grunzte Richard diskussionsmüde und nahm einen Schluck Kaffee.

Ich knöpfte weiter. Es ist alles ein Spiel. Man muss sich nur auf die Regeln einigen. Richard ergriff niemals die Initiative. Er wusste, ich konnte es nicht ausstehen, wenn Männer an mir herumfingerten, um meine Paarungsbereitschaft zu testen. Deshalb klappte es bei mir auch so schlecht mit den Männern. Sie fingerten immer, meist verbal, manchmal auch digital, immer suchten sie das Löchlein. Und allein mit einer Frau im Fahrstuhl bedauerten sie, dass die Zivilisation zwar Fahrstühle hervorgebracht hat, nicht aber zugleich die Erlaubnis, den Moment der Zweisamkeit mit einer Möse auszunutzen.

Ich löste Richards Gürtelschnalle. Er erwartete, dass frau seine Barrieren überwand, beispielsweise die Knöpfe von Weste und Hemd. Nicht, weil er sich nicht für attraktiv hielt – dazu tat er zu viel, um gut auszusehen –, sondern weil er Machtmensch war. Mit dem Zucken einer Augenbraue entschied er, ob bei einer internen Besprechung gelacht wurde oder nicht. Seine Berufswelt hatte er im Griff, privat war er gern passiv bis zur Handlungsunfähigkeit. Deshalb klappte es bei ihm auch nicht mit den Sahneschnittchen, die ihm ihren Hintern hindrehten.

Die einzige für eine Partnerschaft geeignete Qualität, die er besaß, war unwandelbare Treue. Ansonsten konnte er nichts bieten, weder Interesse noch Aufmerksamkeit. Er hörte nicht zu, er wollte nicht wissen, was ich dachte oder fühlte. Er vertraute mir, aber er vertraute mir nichts an. Er redete nicht gern, schon gar nicht über sich und seine Gefühle. Das unterschied ihn nicht von anderen Männern, aber im Unterschied zu ihnen wusste er es, und er wusste sogar, dass Frauen das hassten. Nur ich nicht.

Ich langte ihm in den Schritt an den Knüppel. Richard zuckte zusammen und knurrte. Der Kaffee schwappte ihm über die Hand. Ich nahm ihm den Becher weg und stellte ihn auf den Kneipentisch ab, dem Flecken nichts mehr ausmachten.

Richards Affe frohlockte.

Malefizkrott

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