Читать книгу Mord im Zoo - Christine Zilinski - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеAls Charlottes Wecker am nächsten Montagmorgen klingelte, bekam sie nur mühsam die Augen auf. Sanne war schon längst außer Haus. Wahrscheinlich hatte sie gar nicht geschlafen, sondern die Nacht durchgemacht. Die Schichten im Zoo begannen nun einmal früher als der Büroalltag in Zeitungsredaktionen. Charlotte wälzte sich grummelnd aus den Federn und schlurfte demotiviert in die Küche. Dort öffnete sie als Erstes ein Fenster, um die angenehm kühle Morgenluft hereinzulassen. Sie ignorierte den katastrophalen Zustand der Küche: Zahllose Teller mit Essensresten, schmutzige Gläser und Alkoholflaschen stapelten sich auf der Arbeitsfläche und auf dem Boden. Charlotte schob sich den Weg zur Kaffeemaschine frei und schaltete das Gerät an. Während das erste Heißgetränk des Tages durchlief, streckte Charlotte sich ausgiebig und sog gierig die kühle Luft ein, die durch das Fenster hereinwehte. Dann lief sie mit ihrem Kaffee ins Bad. Sie wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, um wach zu werden und cremte es sich anschließend ausgiebig ein. Die Wettervorhersage im Radio sprach von über 30 Grad, die es heute in Stuttgart heiß werden sollte. Daher entschied sich Charlotte für eine weiße Capri-Hose und ein ärmelfreies, pinkes Top.
Während sie vor dem Spiegel stand, um sich zu schminken, tauchten vor ihrem geistigen Auge plötzlich unvermittelt Bilder auf. Bilder, die sie wochenlang verdrängt hatte. Trotzdem schlichen sie sich immer wieder in ihr Bewusstsein. Jetzt sah Charlotte die Ereignisse vom vergangenen Mai wieder deutlich vor ihrem inneren Auge. Bilder, wie sie gefesselt und geknebelt auf dem Boden lag. Wie sie dem eigenen Tod ins Auge blickte. Die tödliche Waffe, die auf sie gerichtet war. Der Mann, der versucht hatte, Charlotte zu töten, hatte zuvor seinen ehemaligen Liebhaber umgebracht. Mitten während eines Laienschauspiels im Stuttgarter Landesmuseum. Und Charlotte hatte, als Besucherin des Events, zufällig ein wichtiges Detail dieses Mordes beobachtet. Und war dem Mörder damit unfreiwillig auf die Schliche gekommen. Kurz bevor der Mörder auch Charlottes Leben ein Ende setzen konnte, wurde sie jedoch im letzten Moment gerettet.
Charlotte wischte die Erinnerungen nun forsch beiseite und beeilte sich, schnell fertig zu werden. Keine 10 Minuten später zog sie die Wohnungstür hinter sich zu. Dabei warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr: ‚Hm, den Bus 10 nach könnte ich noch schaffen‘, dachte sie und sprintete los. Sie genoss die Kühle, die jetzt noch ein schweißfreies Bewegen und Arbeiten ermöglichte. Sie war auf dem Weg zum Waiblinger Redaktionsgebäude der Weinstadt Woche. Charlotte war für das wöchentliche Blatt als Redakteurin tätig und kümmerte sich seit neuestem um die Rubrik Aktuelles. Zwar hatte sich ihr Kollege Sebastian Pfeiffer bis vor kurzem die Rubrik mit ihrem Chefredakteur Andreas Richling geteilt. Doch spätestens seit Charlottes Bericht über den Mord im Museum war ihr der Sprung aus der Kunst&Kultur-Rubrik zur Königsdisziplin, der Aktuelles-Rubrik, gelungen. Als es nur noch wenige Meter bis zur Haltestelle waren, fuhr gerade der Bus Richtung Waiblingen ein. ‚Yees‘, frohlockte Charlotte und verlangsamte ihren Schritt. Sie reihte sich in die Schlange der Wartenden ein und wartete, dass sich die Bustüren öffnen würden. Während sie nach ihrer Fahrkarte angelte, klingelte ihr Handy. Überrascht zog Charlotte ihr Telefon hervor. Um diese Uhrzeit erhielt sie eigentlich nie Anrufe. Sie warf einen Blick aufs Display: Sanne. Schnell nahm sie den Anruf an. „Jaaa, was gibt’s denn?“, fragte Charlotte angespannt, denn gleich hatte sie die Bustür erreicht. „Wo bist du grade?“ Die Panik in Sannes Stimme versetzte Charlotte sofort in Alarmbereitschaft. Sie blieb stehen. Ein älterer Mann, der hinter ihr in der Schlange gelaufen war, hatte das nicht bemerkt und stolperte in sie hinein. Charlotte registrierte es kaum. „Was ist los?“, fragte sie knapp. „Komm sofort in die Wilhelma, hier ist was passiert. Ich hab’ grad ‘ne Leiche gefunden!“ Und schon hatte Sanne aufgelegt. Wie betäubt hörte Charlotte dem Tuten in ihrem Handy nach. Obwohl es noch nicht warm war, begann sie augenblicklich zu schwitzen. Charlotte ließ den Apparat sinken und trat vom Bus weg. „Na endlich, Kindchen“, zischte der alte Mann, der sich an ihr vorbeidrängelte und sich stöhnend die Treppen des Busses hochhievte. Charlottes Gedanken überschlugen sich. ‚Ok, nachdenken Charlotte‘, sagte sie zu sich selbst. ‚U-Bahn. Ich muss mit der U-Bahn in die Wilhelma.‘ Charlotte reckte den Kopf, um sich kurz zu orientieren und rannte dann los in Richtung U-Bahn.