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Kapitel 6

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‚Mein Gott, dass er mich gleich so abblocken muss‘, dachte Charlotte verärgert. Sie lief zurück zur U-Bahn und machte sich auf den Weg in Richtung Redaktionsgebäude der Weinstadt Woche. Mittlerweile war es draußen deutlich wärmer geworden und die morgendliche Rush-Hour in den öffentlichen Verkehrsmitteln hatte ihren Höhepunkt erreicht. Charlotte ergatterte nur noch einen Stehplatz in der Nähe der Türe. Normalerweise hasste sie es, wenn die Bahnen so voll waren. Dann war sie mit viel zu vielen Menschen auf viel zu engem Raum eingepfercht. Allerdings war Charlotte jetzt so in Gedanken versunken, dass sie die Nähe und Körperausdünstungen ihrer Mitfahrer gar nicht bemerkte.

„So, dann bin ich ja mal gespannt.“ Andreas Richling saß mit hinter dem Kopf verschränkten Händen an seinem Schreibtisch und sah Charlotte auffordernd an. Charlotte seufzte. Sie wusste, wie Richling gleich reagieren würde. Und dieses Mal war es ihr sogar recht. „Meine Schwester hat in der Wilhelma heute Morgen eine Leiche gefunden. Vermeintlicher Selbstmord, sehr wahrscheinlich aber Mord.“ Schon riss Richling seine Arme herunter und schnellte in seinem Stuhl nach vorne. Er stützte die Ellbogen an der Tischkante ab und deutete mit den Spitzen seiner zusammengepressten Hände auf Charlotte. „Mann Mädchen, du weißt ja, was das heißt? Daraus musst du wieder ‘ne Story machen!“ Ohne ihr Zeit zum Reagieren zu geben, schob er sofort hinterher: „Und ich will keine Widerworte hören.“ Gebannt starrte er sie an, und Charlotte erwiderte seinen Blick, wobei sie ihn ein paar Augenblicke lang zappeln ließ. Dann nickte sie. „Ich mach’s, aber nicht, damit du ‘ne tolle Story hast. Hier geht’s um Sanne. Ich muss ihr helfen.“ Laut klatschte Richling einmal die Hände zusammen und zeigte dann wild mit dem Zeigefinger auf Charlotte. „Der letzte Artikel zum Museumsmord hat die Auflage verdreifacht!“ „Jaja“, winkte sie ab. „Darum geht’s nicht...“ „Dir nicht“, grätschte Richling dazwischen, „mir schon.“ Dann fiel ihm etwas anderes ein und sein Tonfall wechselte von aufgepeitscht zu beunruhigt. „Aber diesmal bist du bitte vorsichtiger als beim letzten Mal.“ Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah Charlotte ihren Chef an. Als sie nach dem Mordversuch im Mai auf der Krankenstation gelandet war, hatte Richling sie gemeinsam mit ihrem Kollegen Sebastian besucht. Und ihr Chef war dabei regelrecht besorgt um sie gewesen. In süffisantem Tonfall sagte Charlotte jetzt: „Wie bin ich froh, dass du das noch sagst.“ Sie seufzte wieder, und eigentlich war ihr alles andere als danach, sich in den nächsten Mordfall einzumischen. Charlotte sagte: „Es gibt allerdings ein Problem. Der ermittelnde Beamte ist wieder Jankovich. Und der macht mir garantiert die Hölle heiß, wenn er mich beim Recherchieren erwischt.“ Jetzt breitete Richling seine Hände in einer empfangenden Geste aus. Er sah die Sache offenbar anders: „Na also, das ist doch ein super Fingerzeig des Allmächtigen! Komm schon, Charlotte, den Jankovich hast du doch letztes Mal auch bequatscht. Das kriegst du wieder hin!“ Kopfschüttelnd erhob sich Charlotte aus dem Sitz. „Fingerzeig des Allmächtigen?“, fragte sie in spöttischem Tonfall. Doch Richling nickte nur grinsend. Charlotte verließ, immer noch den Kopf schüttelnd, das Büro.

Inzwischen waren die Kollegen der Spurensicherung mit der Futterküche beim Gorillahaus fertig und der Rechtsmediziner hatte die Leiche vorläufig untersucht. Für den Abtransport des Toten waren etliche weitere Beamte gekommen, um den Bereich zur Futterküche abzusperren und die Schaulustigen hinter den Absperrseilen zu halten. Mittlerweile hatten sich zahlreiche Besucher um das Gorillahaus versammelt und viele versuchten, die Polizisten und insbesondere den schlichten Zink-Sarg zu fotografieren. Die Beamten spannten breite Decken als Sichtschutz auf und schirmten den Sarg damit so gut es ging vor neugierigen Blicken ab. Kommissar Jankovich stand etwas abseits und klingelte bei seinem Kollegen, Hubert Specht, auf dem Handy durch. Specht hatte heute eigentlich seinen freien Tag. Nach dem 5. Klingeln hob Specht ab. Er schien noch etwas zu kauen. „Nja, hallo? Muss es unbedingt deine Nummer sein heute?“ Jankovich musste lächeln und sagte: „Guten Appetit, wie ich höre bist du noch beim Frühstück?“ „Ja, und ich hoffe, das, was du mir gleich erzählst, verdirbt mir nicht den Appetit.“ Jankovich machte ein bedauerndes Geräusch und setzte dann an, seinem Kollegen vom Leichenfund zu erzählen. Währenddessen hörte er Specht weiter kauen. Ihm schien es also den Appetit nicht zu verderben. Als Jankovich von Sanne und Charlotte erzählte, verschluckte sich Specht dann doch und hustete. „Nicht wahr! Paul, Paul, dieses Mal lassen wir uns von der Dame aber nicht bequatschten, was?“ Jankovich schüttelte den Kopf und sagte, ohne auf den Kommentar einzugehen: „Also ich schlage vor, du isst noch fertig und kommst dann hierher. Ich fang in der Zwischenzeit schon mal an, mit den Kollegen des Toten zu sprechen.“ Grummelnd willigte Specht ein und die beiden verabschiedeten sich. Der Beamte, der zuvor beim Gespräch mit Sanne und Charlotte dabei gewesen war, kam über die grüne Wiese auf Jankovich zu. Neben ihm lief ein älterer Herr. Der Mann hatte volle, weiße Haare und trug eine Nickelbrille. Als die beiden vor Jankovich zum Stehen kamen, sagte der Ältere leicht verwirrt: „Guten Tag, mein Name ist Siegmar Robertin. Ich bin grade erst angekommen. Ich bin der Zoodirektor. Wie ich höre, haben Sie einen Mitarbeiter von mir gefunden?“ Er schluckte. „Tot?“ Jankovich nickte langsam. Dann sagte er: „Ja, das stimmt leider. Konstantin Brechnow.“ Der Zoodirektor wurde bleich und erwiderte mit brüchiger Stimme: „Oh Gott. Der Arme. Was... was ist denn passiert?“ Jankovich räusperte sich, dann sah er sich um, als wolle er sich vergewissern, dass keine Zoobesucher in Hörweite waren. „Er wurde erhängt in der Futterküche gefunden.“ Entsetzt entfuhr es Robertin: „Oh mein Gott! Er hat sich umgebracht?“ Jankovich machte eine beschwichtigende Geste mit beiden Händen und fuhr leise fort. „Bitte, sprechen Sie leise. Wir wollen das hier so unauffällig wie möglich gestalten. Ich...“, der Kommissar ließ seinen Blick über das Gelände streifen. „Ich würde gerne mit Ihren Mitarbeitern sprechen. Gibt es eine Möglichkeit, dass Sie alle an einem Ort zusammentrommeln?“ Kopfschüttelnd sah der Direktor zu Boden, dann schien ihm aber doch etwas einzufallen. „Ja... doch natürlich. Ich kann allen über die Walkie-Talkies Bescheid geben lassen, dass wir uns im Konferenzraum treffen. Sagen wir, in 15 Minuten?“ „Gut, so machen wir’s.“ Dann sah Jankovich den Beamten an, der zuvor den Direktor zu ihm begleitet hatte: „Nehmen Sie bitte noch 2 Kollegen mit, die sollen auch mit zum Konferenzraum kommen.“ Der Beamte nickte.

Eine Viertelstunde später standen die Polizisten in einem großen Raum mit reichlich Sitzreihen. Jetzt, wo alle Tierpfleger und sonstige Zoomitarbeiter versammelt waren, waren alle Plätze besetzt. Jankovich hatte dem Zoodirektor zuvor eingeschärft, mit welchen Worten er vom Tod des Tierpflegers sprechen sollte. Nun stand Robertin unsicher vor seinen Mitarbeitern und sprach: „Ja, also... danke dass Sie alle gleich gekommen sind. Es gibt leider ziemlich schlechte Neuigkeiten. Ihr Kollege... Konstantin Brechnow wurde heute tot in der Futterküche gefunden.“ Ein entsetztes Raunen ging durch den Saal. Jankovich ließ seinen Blick sorgfältig über die Gesichter in den vorderen Reihen streifen. Außer Sanne und deren beiden Kollegen, die bereits vom Toten wussten, schienen alle aufrichtig geschockt von der Nachricht. Eine Frau begann zu weinen. Jetzt trat Jankovich nach vorne. „Guten Tag, mein Name ist Kriminalhauptkommissar Paul Jankovich. Ich bedauere Ihren Verlust. So eine Nachricht ist immer schwer zu verdauen.“ Er machte eine wohldosierte Pause, dann fuhr er fort. „Im Moment wissen wir noch nichts Genaues. Aber allem Anschein nach hat sich Herr Brechnow selbst umgebracht.“ Ein erneutes Raunen erklang. Jankovich war sich zwar sicher, dass das mit dem Selbstmord nicht stimmte. Aber 80 Leute, die von einem Mord wussten, waren 80 zu viel. Er fuhr fort. „Gibt es vielleicht unter Ihnen enge Bekannte oder Freunde des Toten? Ich würde mich gerne kurz mit denjenigen unterhalten, die Konstantin Brechnow besser kannten.“ Unter den Zoomitarbeitern meldete sich nun ein jüngerer Mann mit gefärbten Haaren und einem Nasenpiercing zu Wort: „Warum wollen Sie mit denen sprechen? Was tut das zur Sache bei Selbstmord? Wieso sind Sie überhaupt hier?“ Diesmal kam Jankovich eine altbewährte Floskel zu Hilfe: „Das ist reine Routine und leider notwendig bei einem Leichenfund. Ich möchte Sie bitten, unsere Anwesenheit nicht über zu bewerten. Dennoch wäre es mir sehr recht, wenn ich ein paar Informationen zu Herrn Brechnow bekäme. Einfach, um ein Fremdverschulden vollständig ausschließen zu können. Nochmal, das ist reine Routine und es handelt sich hier aller Wahrscheinlichkeit nach um Selbstmord“, log er. „Meine Kollegen und ich“, dabei wies er mit einer Geste auf die hinter ihm stehenden Beamten, „werden hier im Raum bleiben und stehen gerne jedem von Ihnen zur Verfügung, der uns etwas über Herrn Brechnow sagen möchte. Alle anderen möchte ich bitten, wieder an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren.“ Als sich bereits Einige von ihrem Sitz erhoben, sagte Jankovich laut, um über die wachsende Geräuschkulisse hörbar zu sein: „Aber da Selbstmorde auch heute noch zur Nachahmung animieren, möchte ich Sie bitten, so diskret wie möglich mit dieser Information umzugehen.“ Und insgeheim dachte er: ‚Hoffentlich posten sie das nicht alle gleich in ihren Netzwerken.‘

Einige wenige Zoomitarbeiter waren in dem Raum geblieben, um über den Toten zu sprechen. Gerade als Jankovich das Gespräch mit einer etwa 50-jährigen Frau beendet hatte, betrat Kommissar Hubert Specht das Zimmer. Jankovichs Kollege war Mitte 40, trug einen stolzen Bauchansatz und an seinen Schläfen zeichneten sich bereits einige graue Strähnen ab. Obwohl er kaum 10 Jahre älter war als Jankovich, war er kein Hauptkommissar wie sein jüngerer Kollege. Das Jankovich trotz seines Alters den höheren Dienstgrad hatte, verdankte er seinem damaligen Vorgesetzten und Mentor. Dieser hatte Jankovich, bevor er in Rente ging, unmissverständlich nahegelegt, den Posten als Kriminalhauptkommissar zu übernehmen. Und Jankovich hatte eingewilligt, da er seinen Mentor nicht enttäuschen wollte. Specht war nur Monate nach Jankovichs Karrieresprung auf das Revier gekommen. Das war rund 6 Jahre her, und seitdem arbeiteten beide gemeinsam an der Aufklärung von Kapitalverbrechen. Als Specht nun in den Konferenzraum der Wilhelma auf Jankovich zukam, schüttelten beide sich kurz die Hand und Jankovich ging mit ihm ein paar Schritte zur Seite. Er brachte Specht auf den neuesten Stand und sagte: „Da drüben steht eine gewisse Corinna Rasnova. Sie sagt, das Opfer hätte Interesse an einer Kollegin gehabt. Die sei aber seit längerer Zeit im Trauerurlaub. Ich hab’ sie gebeten, kurz zu warten, damit sie dir auch nochmal alles sagen kann, was sie weiß.“ Specht nickte, schob seine Brille zurecht und sagte: „Gut, kann losgehen.“ Jankovich winkte eine junge Frau mit slawischen Gesichtszügen zu sich. „Frau Rasnova, vielen Dank dass Sie noch gewartet haben. Das hier ist mein Kollege Hubert Specht.“ Dieser nickte freundlich und sagte knapp: „Freut mich.“ Dann fuhr Jankovich fort: „Erzählen Sie bitte noch einmal, was Sie mir vorhin erzählt haben.“ Die junge Tierpflegerin nickte beflissen und hob an: „Also der Konstantin, der war total in die Ulrike verknallt. Ulrike Sandner“, ergänzte sie, als sie das fragendende Gesicht von Specht sah. „Ich kannte den Konstantin zwar kaum, aber ich hab’ schon mitbekommen, wie er sie immer angeschmachtet hat. Einmal hab’ ich sogar gehört, wie er sie vor der Umkleide um ein Date gefragt hat. Jedenfalls: die Ulrike ist seit ein paar Wochen auf Kur, oder im Trauerurlaub. Keine Ahnung, so was in die Richtung. Vor ein paar Wochen ist ihr Vater gestorben und das hat sie schwer getroffen. Daraufhin hat sie sich krankschreiben lassen und war jetzt schon ewig nicht mehr hier. Und... naja... ich dachte mir... vielleicht hat sich der Konstantin ja deswegen... umgebracht. Verstehen Sie? Er hat es nicht ausgehalten, dass Ulrike schon so lange weg ist.“ Sie hörte auf zu reden und sah zwischen beiden Kommissaren hin und her, wie um zu sehen, ob sie ihre Vermutung bestätigen würden. Specht tauschte einen Blick mit Jankovich, dann fragte er: „Hatte Herr Brechnow denn psychische Probleme? Hat er in der Vergangenheit vielleicht Andeutungen gemacht, dass er sich etwas antun möchte?“ Die Frau wandte den Blick ab, um besser überlegen zu können. Nach einigem Zögern hob sie an: „Hm... also wie gesagt, ich kannte den Konstantin ja kaum. Irgendwas in Richtung Selbstmord hat er aber nie gesagt. Zumindest weiß ich davon nix. Tut mir leid, ich kann Ihnen da nichts zu sagen.“ Um der Frau dennoch das Gefühl zu geben, dass ihr Beitrag hilfreich gewesen war, fragte Specht: „Wie war nochmal der Name der Kollegin? Ulrike...?“ Eifrig antwortete die Tierpflegerin: „Sandner. Ulrike Sandner.“ Specht nickte lächelnd. „Vielen Dank, Frau Rasnova, das war sehr hilfreich. Ich denke, wir haben keine weiteren Fragen.“ Wieder nickte die junge Frau und drehte sich um, um wegzugehen. Sie war die letzte von den Zoomitarbeitern, die geblieben waren. Hubert Specht sah Jankovich an und fragte: „Wieso sollte ich mir das anhören? Ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass sich jemand umbringt, bloß weil sein Schwarm ein paar Wochen weg ist.“ Jankovich nickte und zog einen Folienbeutel aus der Innentasche seiner Lederjacke. Darin steckte der Abschiedsbrief an Sanne. „Deswegen ist es interessant.“ Specht las sich den Brief durch. Als er fertig war, pfiff er durch die Zähne. „Hoppla, das passt ja nicht zusammen. Entweder der Tote war in diese Ulrike Sandner verliebt oder Susanne Bienert. Hat denn jemand die Schwester von unserer Frau Bienert als mögliches Gspusi des Toten erwähnt?“ Jankovich schüttelte den Kopf. „Niemand.“ Nachdenklich zog Specht die Augenbrauen zusammen. „Dann sieht es so aus, als würde jemand absichtlich die Schwester unserer kleinen Frau Bienert belasten wollen.“ „Ja, denke ich auch. Die Frage ist nur, warum?“ Dann steckte Jankovich den Abschiedsbrief mitsamt Schutzhülle wieder ein und sagte: „Komm, lass‘ uns gehen, der Direktor müsste uns mehr über die Abwesenheit von dieser Ulrike Sandner sagen können.“

Mord im Zoo

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