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Quitt
(Zürich) Isabel Morf
ОглавлениеMeinen Entschluss, kriminell zu werden, nahm ich nicht auf die leichte Schulter. Es war für mich ein äußerst ehrgeiziges Vorhaben, und ich hegte anfangs auch Zweifel an meinem Talent. Denn ich gehörte nie zu jenen Menschen, denen im Leben alles in den Schoß fiel. Auch war ich mit einem eher geringen Selbstvertrauen ausgestattet. Dennoch hatte ich Wünsche, entwarf Luftschlösser, stellte mir vor, was ich aus meinem Leben gern gemacht hätte.
Im beruflichen Bereich etwas Außergewöhnliches zu leisten hielt ich für aussichtslos. Ich übe eine der unauffälligsten Tätigkeiten aus, die es überhaupt gibt: Ich bin Sekretärin. Mein Chef – kein hohes Tier – ist mit mir ganz zufrieden, ich habe meine Arbeit im Griff, aber als »Perle« würde er mich wohl kaum bezeichnen. Besondere Begabungen sucht man bei mir vergeblich; ich bin eher unsportlich, manchmal ziemlich ungeschickt, meine Kochkünste sind mittelmäßig, und meine Versuche, Topfpflanzen zu Wachstum und Blüte zu bringen, blieben erfolglos. Ich bin mittelgroß, war bis vor Kurzem ziemlich mollig, in mein stumpfbraunes Haar hatten sich bereits graue Fäden gemischt, was ich eine Weile lang – ohne überzeugendes Ergebnis – mit einer selbst aufgelegten kastanienfarbenen Tönung zu überdecken versuchte. Ich hatte, frei heraus gesagt, nie den Ehrgeiz, mich hübsch zu machen, denn wenn ich mich im Spiegel betrachtete, schien mir, dass es ohnehin vergebliche Liebesmüh wäre.
Vielleicht neigte ich jedoch dazu, meine Träume besonders ehrgeizig auszugestalten, denn – so fantasierte ich zuweilen – wenn mir irgendwann etwas Großartiges, Einmaliges gelingen würde, dann wäre mein ganzes Leben gleichsam auf ein höheres Niveau gehoben, herausgelöst aus dem Klima der Mittelmäßigkeit und Erfolglosigkeit, in dem es sich seit jeher bewegt hatte. Mag sein, dass es im Grunde genommen diese entschlossene Sehnsucht war, die mich dazu antrieb, ein Verbrechen zu begehen.
Ich lebe in Zürich, an der Röschibachstrasse, in einer kleinen Wohnung, zwei Zimmer, 50 Quadratmeter. Von der Rosengartenstrasse her ist unablässig Verkehrslärm zu hören, den Balkon kann ich kaum benützen. Wegen der Hellhörigkeit des alten Hauses bekomme ich auch unweigerlich mit, wenn die Zweijährige im oberen Stock in einem Trotzanfall explodiert. Aber ich fand die Wohnung, ohne lange suchen zu müssen, sie ist bezahlbar, und ich habe sie nett eingerichtet.
Vor drei Jahren verließ mich mein Mann, nach vierzehn Jahren Ehe. Marc ging nicht einmal wegen einer Jüngeren, nein, sie war sogar ein Jahr älter als ich: Madeleine. Ein affiger Name, wenn man mich fragt, und Marc sprach ihn immer übertrieben betont französisch aus. Ich heiße Edith – wie soll man da mithalten, fragte ich mich erbittert. Die Scheidung ging schnell und zivilisiert über die Bühne, ich machte kein Theater. Marc und mich hatten, wie soll ich sagen, bestenfalls lauwarme Gefühle verbunden, mein Liebeskummer hielt sich in Grenzen. Aber sein Ausstieg aus unserer Ehe verletzte meinen Stolz, ich fühlte mich verraten; meine geheime Wut richtete ich gegen meine Nebenbuhlerin. Ich wusste praktisch nichts von ihr. Ein einziges Mal sah ich sie, und zwar als Marc und ich nach vollzogener Scheidung aus dem Gerichtsgebäude traten. Damit hatte ich halb gerechnet und war vorbereitet auf einen feindseligen oder triumphierenden Blick. Was jedoch geschah, war fast noch schlimmer: Sie übersah mich komplett. Sie streckte die Arme nach Marc aus, formte ihre pink angemalten Lippen zu einem süßen Lächeln – ich wandte mich augenblicklich ab und machte mich davon. So ersparte ich mir, den offiziellen Auftakt zu Marcs und Madläääns Liebesglück mitansehen zu müssen. Dennoch, diese Szene bildete eine solide Basis für meinen Hass. Ich schwor mir, diese Frau zu töten. Zunächst war es nur eine Gewaltfantasie, ein hasserfüllter Gedanke, ein ohnmächtiger Wunsch nach Rache, doch ganz langsam wandelte er sich zu einer Absicht, zu einem Plan.
Natürlich sah ich mich vor immense Schwierigkeiten gestellt. Als Erstes musste ich mich für eine Mordmethode entscheiden. Mich entscheiden – das klingt, als ob ich vor einer Auswahl gestanden hätte. Aber dem war ganz und gar nicht so. Es war eher eine Art Ausschlussverfahren. Erschießen, das wäre eine elegante Methode gewesen, kam jedoch für mich nicht in Frage. Ich hatte nie in meinem Leben eine Schusswaffe in den Händen gehalten. Ich wusste vage, dass man eine Pistole oder einen Revolver (Was war überhaupt der Unterschied zwischen den beiden Dingern?) vor dem Schießen entsichern musste und dass das präzise Zielen eine Kunst darstellte, die geübt werden sollte. Ich erinnerte mich an die Filmversion eines meiner Lieblingskrimis, in dem die Heldin – nun ja, die Mörderin – in ihrem paillettenbesetzten Abendhandtäschchen eine zierliche Waffe mit sich führte, mit der sie die Kontrahentin sauber erledigte. Hübsch, aber das musste ich mir aus dem Kopf schlagen, wie ich bedauernd einsah. Die Idee, Marcs Neue zu erwürgen beziehungsweise zu erdrosseln (Machte man das eine mit bloßen Händen, das andere mit einem Hilfsmittel, etwa einem Seidenschal oder einer Nylonschnur?), stieß mich ab. Eigentlich wollte ich sie lieber gar nicht anfassen. Die unbehagliche Vorstellung beschlich mich, wie ich ihren Hals zudrücken würde und sie würde einfach nicht sterben – stattdessen widerwärtige Geräusche von sich geben, mit den Armen fuchteln, mich womöglich aus hervorquellenden Augen vorwurfsvoll anschauen. Was für eine grässliche Vorstellung! Auch Erstechen und Vergiften schieden aus mehreren Gründen aus.
Schließlich entschied ich mich für Erschlagen mit einem stumpfen Gegenstand. Das hat mir in den Kriminalromanen immer gut gefallen. Ein stumpfer Gegenstand, das kann vieles sein, es ist ein Ausdruck, der Bilder von einer vagen Gefährlichkeit, aber auch einer beruhigenden Anonymität evoziert.
Problem Nummer zwei: mit welchem stumpfen Gegenstand? Ich erinnerte mich an eine Story, in der eine Frau ihren Mann mit einer tiefgefrorenen Lammkeule erschlug, die dann im Backofen weich vor sich hin brutzelte, während die Polizisten die Wohnung nach einem passenden stumpfen Gegenstand absuchten. In einem anderen Roman schraubte der Täter aus einem Messingbettgestell eine Verzierung heraus, eine Messingkugel, die er nach getaner Arbeit gelassen wieder hineinschraubte. Ich besaß kein Messingbett mit massiven Verzierungen, sondern nur eine einfache, schmale Liege mit elastischem Lattenrost, die ich mir nach der Scheidung gekauft hatte. Unser Ehebett ließ Marc von einem Gebrauchtmöbelhändler abholen; auch er hatte – aus naheliegenden Gründen – kein Interesse daran. Ich trieb mich ratlos in Warenhäusern, Sportgeschäften und Do-it-yourself-Shops (»do it yourself«, kicherte ich in mich hinein) herum und entschied mich schließlich für einen einfachen Hammer.
Schritt Nummer drei bestand in der Auskundschaftung des Opfers. Hier griff ich zu einer List. Marc und ich pflegten einen losen telefonischen Kontakt. Alle paar Monate einmal rief er mich an, fragte, wie es mir ginge, erzählte so dies und das, Belanglosigkeiten aus seinem Alltag. Diese Gespräche waren meistens eher kurz, da ich keine besondere Lust hatte, mir sein ödes Geplauder anzuhören. Und mit Neuigkeiten aus meinem doch eher ereignislosen Leben aufzuwarten, nein, darauf konnte ich verzichten. Aber nun sagte ich mir, weshalb nicht einmal selbst zum Hörer greifen und, die Konversation unauffällig steuernd, ganz bestimmte, für mich nun höchst interessante Belanglosigkeiten abhören? Ich erwischte ihn in einem günstigen Moment. Madeleine war weg, in einem Italienischkurs, den sie, so hörte ich mit Wohlgefallen, jeden Donnerstag von acht bis zehn Uhr abends in der Migros Klubschule Wengihof besuchte. Mehr brauchte ich nicht.
Nun wurde es langsam ernst. Am nächsten Donnerstagabend rekognoszierte ich die Situation vor Ort – Zielperson, Weg, den sie einschlug, Ausmaß der Belebtheit des Gebiets, Festlegung des geeignetsten Tatortes –, dann ging es an die Detailplanung. Ich beschloss, mich wie eine strenggläubige Muslimin zu kleiden, mit langem Regenmantel und Kopftuch. Beides kriegte ich für wenig Geld in einem Warenhaus. Ich ging absichtlich nach Feierabend hin; in dem Gewusel von Kundinnen, die sich umschauten, Sachen anprobierten und an der Kasse über den Tresen schoben, konnten die Verkäuferinnen garantiert keine einzelnen Gesichter im Gedächtnis behalten. Eine solche Verkleidung macht einen unkenntlich, und Madeleine würde sich garantiert nicht bedroht fühlen und davonrennen, wenn eine unauffällig wirkende Frau hinter ihr herging.
Ich geriet in jener Zeit in einen eigenartigen Zustand von höchster Konzentriertheit. Im Büro tat ich mechanisch meine Arbeit, aber innerlich war ich stets bei meinem Vorhaben. Meine übliche Unsicherheit, überhaupt alles Gefühlsmäßige, war weg, nur das logische Denken war da, kühl wägte ich Details und Eventualitäten ab.
Dann war der Tag da. Kurz vor zehn Uhr war ich auf dem Posten. Mein Opfer ließ auf sich warten. Gruppen von Schülern strömten aus dem Gebäude und entfernten sich in alle Richtungen; Madeleine war nicht darunter. Sieben Minuten nach zehn sah ich sie endlich herauskommen. Sie bog in den schmalen, kurzen Fußweg ein, der in die Engelstrasse führte. Ich näherte mich von der Wengistrasse her und achtete darauf, dass sie mich – und damit meine Harmlosigkeit – bemerkte. Es klappte. Hinter ihr hergehend, den Hammer fest in der rechten Hand, beschleunigte ich auf dem ansonsten menschenleeren Fußweg, schloss auf und schlug zu. Aber richtig! In dieser einen Sekunde war nichts anderes in mir als Hass, Gewalt und Triumph. Ohne einen Ton von sich zu geben, brach die Frau zusammen. Augenblicklich legte sich mein innerer Aufruhr, ich fühlte mich ganz ruhig und wusste genau, was zu tun war. Ich ging weiter, bog in die Engelstrasse ein, entsorgte den Hammer in einem Abfallsack, den ich fest zuband und in einen Container warf, und machte mich auf den Heimweg; am Hardplatz nahm ich den 33er. In weniger als einer halben Stunde war ich zu Hause. Den wichtigsten Teil hatte ich geschafft. Alles war nach Plan verlaufen, keine Störung von außen hatte mein Unternehmen durchkreuzt, und ich hatte die Nerven bewahrt. Nun hieß es abwarten.
Würde ich befragt werden, in Verdacht geraten? Hatte ich irgendwelche Spuren zurückgelassen? Sehr unwahrscheinlich. Den Regenmantel, das Kopftuch und die Schuhe warf ich am nächsten Tag in getrennten Tüten mit anderen alten Kleidern, die ich für diesen Zweck in einem Brockenhaus gekauft hatte, in Kleidersammelcontainern ein. Jene muslimische Frau und ich hatten keinerlei Ähnlichkeit miteinander.
Madeleine wurde erst spät gefunden, gegen drei Uhr morgens, wie es in den Morgennachrichten des Lokalradios hieß. Von einer Frau mit langem Regenmantel und Kopftuch war keine Rede. Ich wunderte mich etwas, dass Marc sich erst so spät nachts Sorgen um sie gemacht hatte. Um zwei hatte er eine Vermisstenmeldung aufgegeben, und die Polizei war ihren Heimweg von der Sprachschule aus abgegangen. Diese Meldung klang für mich ganz gut, aber es hieß weiter abwarten. Die Polizei sagt den Medien oft nicht alles, sondern verschweigt gerade die interessantesten Dinge.
Am nächsten Tag rief Marc an. Ich reagierte schockiert und ungläubig. Was, seine Frau sei das gewesen? Entsetzlich! Ja, entsetzlich, aber er schien mir nicht ganz bei der Sache zu sein. Er druckste ein wenig herum, dann fragte er, ob wir uns treffen könnten. Er müsse sich aussprechen, sagte er ein wenig unsicher. Ob er zu mir kommen dürfe? Das missfiel mir. Plötzlich geriet ich da in eine Verbindung mit dieser Sache, und ich fragte mich, ob ich am Morgen nach der Tat gleich hätte auf eine Städtereise nach Rom oder Helsinki aufbrechen sollen.
Marc kam um halb neun. Ich stellte ihm ein Bier hin. Er war von der Polizei befragt worden. Verschiedenes erschien ihnen ungereimt. Warum war die Frau erschlagen worden, fragten sie sich. Es war kein Raubmord, und auch für ein Sexualdelikt gab es keine Anhaltspunkte. Wo er denn an jenem Abend gewesen sei, hatten sie Marc gefragt. Und warum er erst so spät gemeldet habe, dass seine Frau nicht heimgekommen sei.
Es dauerte eine Stunde, bis die Geschichte draußen war. Marc betrog Madeleine, er hatte eine Freundin. Das hörte ich, ich gebe es zu, mit heimlicher Genugtuung, auch wenn es mich leicht verwunderte. Marc war alles andere als der Typ Herzensbrecher, dem die Frauen zu Füßen lagen. Die Freundin wollte er der Polizei unbedingt verheimlichen, denn sie war von ihm schwanger und drängte ihn zur Heirat. Marc aber wollte sich keinesfalls wieder scheiden lassen, denn seine Frau hatte ein hübsches kleines Vermögen (Sieh an, dachte ich, das hatte er mir verschwiegen), und das wollte er nur ungern gegen ein lärmiges Baby eintauschen, das Geld kostete. Marc war realistisch, ihm war rasch klar, welche Schlüsse die Ermittlungsbehörde aus dieser unkomfortablen Konstellation ziehen würde: untreuer Ehemann, seiner Frau überdrüssig, erschlägt sie, erbt und beginnt ein neues Leben mit einer Jüngeren. An dem Abend hing er in ein paar Spielsalons und Bars herum und ertränkte seine Probleme. Allein. Dass die Freundin schwanger war, wusste er erst seit einer Woche.
Marc rutschte unbehaglich auf meinem Sofa hin und her. Ich ahnte, was kommen würde: Ein Alibi wollte er von mir. Ausgerechnet von mir. Gut, wenn ich es ihm geben würde, wäre das auch ein Alibi für mich. Aber gleichzeitig könnte es mich auch verdächtig machen. Was, wenn es aufflog? Wie sollte ich meine Motivation, ihn zu decken, begründen? Mitleid? Nicht bei einem Mordfall, nicht für einen Mann, der mich drei Jahre zuvor verlassen hatte. Für eben diese Frau. Nein, das war mir zu riskant. Das war nie Bestandteil meines Plans gewesen.
Ich sah Marc in die bittenden Augen und schüttelte langsam den Kopf.
»Edith, nimmst du denn wirklich an, ich hätte es getan?«, fragte er mit erstickter Stimme.
»Ich kann keinen Meineid auf mich nehmen«, sagte ich tugendhaft. »Wie kann sich die Wahrheit herausstellen, wenn eine Lüge am Anfang steht?«
»Ich habe mit diesem Mord überhaupt nichts zu tun«, begehrte er auf. »Ob ich hier lüge oder nicht, spielt nicht die geringste Rolle.«
Ich schwieg.
»Ich weiß, es war gemein, wie ich mich dir gegenüber vor drei Jahren benommen habe«, begann er sich selbst anzuklagen, »ich war eben verliebt. Das war vielleicht ein Fehler. Aber Edith, du kannst doch deswegen nicht wollen, dass ich wegen Mordes verurteilt werde.«
»Wieso gibt deine Freundin dir kein Alibi?«, fragte ich.
Leider hatte sie an dem Abend Besuch gehabt von ihrer Schwester. Wirklich Pech. Da war als letzter Rettungsanker ich ihm eingefallen, und dass wir uns doch immer so gut verstanden hatten. Außer dass er mich verlassen hatte. Wegen dem Geld, das er erben würde, stotterte er, er würde sich natürlich erkenntlich …
»Das Beste ist, du gehst jetzt nach Hause«, unterbrach ich ihn freundlich, aber bestimmt.
Hinterher saß ich ein Weilchen allein im Wohnzimmer, genehmigte mir ein Gläschen Weißen – ich hatte vorher nur Orangensaft getrunken – und ließ mir durch den Kopf gehen, wie wunderbar sich alles fügte.
Marc wurde verhaftet. In den Bars konnte sich niemand an ihn erinnern. Er ist, wie gesagt, von unauffälligem Äußeren, ein Typ, der gern übersehen wird. Dass er die Geschichte mit seiner schwangeren Freundin verheimlichte, bis die Polizei sie selbst entdeckte, machte ihn verdächtig.
Auch ich als seine »Ex« (wie ich diesen Ausdruck hasste) wurde befragt. Was er für eine Persönlichkeit gewesen sei? Ob ich gelegentlich Angst vor ihm gehabt hätte? Ich sprach nicht schlecht über Marc, musste aber, der Wahrheit verpflichtet, doch jenen Abend erwähnen, an dem er mich hatte dazu bewegen wollen, ihm ein falsches Alibi zu geben und mich dafür zu bezahlen. »Aus Verzweiflung natürlich«, wie ich begütigend anmerkte. Auch das sprach gegen Marc.
Nach dieser Befragung, bei der ich glaubwürdig wirkte und, das merkte ich, sympathisch rüberkam, fühlte ich mich beschwingt, fast schon übermütig. Vielleicht war es tatsächlich so, dass ich mich mein Leben lang unterschätzt hatte, dass ich zu viel mehr fähig war, als ich immer geglaubt hatte? Durch die ganze Aufregung der letzten Wochen hatte ich einige Kilos abgenommen, und ich war plötzlich in der richtigen Stimmung, mir ein paar neue Anziehsachen zu kaufen – und zwar etwas anderes als das unscheinbare Mauerblümchenzeug wie sonst. Laura, meine Coiffeuse, war entzückt, als ich ihr Carte blanche gab – und das Ergebnis ließ sich sehen.
Am Tag von Marcs Verurteilung buchte ich abends last minute eine Städtereise nach Nizza und saß am nächsten Morgen im Flugzeug, während mein Ex seine neue Zelle bezog; man hatte ihn vom Bezirksgefängnis in die Strafanstalt überführt.
Nun sitze ich in einer kleinen Bar in der Altstadt, einen Kir Royal vor mir. Ich fühle mich entspannt und glücklich: Ich habe wirklich sehr, sehr gut gearbeitet. Aus dem Augenwinkel nehme ich schon seit einer Weile wahr, dass ein ziemlich attraktiver Mann gelegentlich zu mir herüberschaut.