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6. Kapitel

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Ingmar Bolte bewohnte eines der todschicken, topmodernen Häuser am Aaseeufer, in denen so viel Glas verbaut worden war, dass sie von Weitem an Aquarien erinnerten. Von innen hatte man durch dieses Glas hindurch einen exklusiven und unverstellbaren Blick auf das städtische Freizeitgewässer mitsamt der spätherbstlichen Flora ringsum.

Inzwischen war es kurz vor sechzehn Uhr. Vorher hatte de Jong seinen jungen Kollegen in ein Eiscafé genötigt – eins der wenigen, die um diese Jahreszeit noch geöffnet hatten. Bei einem Erdbeerbecher hatte er sich Mühe gegeben, Bühlow gegen das Drangsalieren seines Chefs zu immunisieren. Zum Beispiel, indem er ihm erzählt hatte, dass er, de Jong, eines Tages im Büro seines damaligen Chefs aufgekreuzt sei und einen Zettel auf den Schreibtisch geknallt habe. Darauf seien nur Matheaufgaben gewesen. Addition, Subtraktion, Multiplikation. Zahlen untereinander mit Minus- oder Pluszeichen, die letzte doppelt unterstrichen. Was das denn jetzt solle?, hatte der Chef verärgert gefragt. Na ja, Sie wollten Ergebnisse, hatte de Jong geantwortet. Und das möglichst schnell.

Bühlow schien das nicht so ganz zu glauben, und vielleicht hatte der zeitliche Abstand diese Szene auch etwas optimiert. Aber ob wahr oder frei erfunden, die Anekdote entfaltete ihre Wirkung. Als sie eine halbe Stunde später bei Bolte aufschlugen, wirkte Bühlow fast so, als wäre er ganz der Alte.

Der Agent des berühmten Thrillerautors wirkte immer noch angezählt – wobei de Jong nicht sagen konnte, ob durch den Verlust des Freundes oder durch übermäßigen Alkoholkonsum. Er schätzte den Mann auf Anfang vierzig. Er hatte ein rundes Gesicht mit Pausbacken, und sein Outfit erweckte den Eindruck, als hätte Bolte es während des Ankleidens irgendwann aufgegeben, auf zueinander passende Sachen zu achten. Ein cremefarbenes Hemd hing aus der dunkelgrünen Hose, gefolgt von einem Speckröllchen, das über den Hosenbund quoll.

»Herr Bolte, wir sind’s noch mal«, sagte Bühlow mit sanfter Stimme, wie ein Krankenpfleger, der sich nach dem Befinden seines Patienten erkundigt. »Fühlen Sie sich in der Lage, ein paar Fragen zu beantworten?«

Bolte verzog den Mund zu einem trotzigen Grinsen. »Ich sag Ihnen alles, was ich weiß. Und dann finden Sie dieses Schwein.«

Er ließ die Tür aufschwingen, Bühlow und de Jong folgten ihm hinein. Die Wohnung war weitläufig, Küche und Wohnzimmer gingen ineinander über. Über eine futuristisch anmutende Holzwendeltreppe gelangte man nach oben auf eine zweite Ebene. Eine monströse Eckcouch in düsterem Lila zog die Blicke auf sich, an den weiß gekälkten Wänden hing Malerei im gleichen Farbton, undefinierbare Klecksereien in Rorschach-Manier.

»Leider bin ich noch nicht zum Aufräumen gekommen.« Der Agent wies auf einen Haufen Klamotten, die über einer Stuhllehne hingen, und zwei leere Weinflaschen auf dem Glastisch. De Jong nahm auf der Couch Platz. Er entschloss sich, dieses Mal den Auftakt der Befragung zu übernehmen. »Dass Sie uns alles sagen wollen, ist sehr lobenswert.«

Bolte stand noch in der Küche und schenkte sich Rotwein ein, kam dann mit dem Glas in der Hand zu ihnen. Stellte es vor sich auf den Tisch und setzte sich. »Ja, und dann schnappen Sie das kranke Schwein«, wiederholte er.

»Es hört sich ein bisschen so an, als hätten Sie einen bestimmten Verdacht.«

»Einen bestimmten Verdacht? Schön wär’s, Herr Kommissar. Schön wär’s.«

De Jong wies mit dem Kopf auf Bühlow. »Er ist der Kommissar.«

»Allerdings bedeutet das ja wohl nicht, dass man beide Augen zudrückt, oder?« Bolte beugte sich vor und sah de Jong an, und de Jong sah in die blutunterlaufenen, vom Alkoholexzess gezeichneten Augen seines Gegenübers. »Wenn man zwei und zwei zusammenzählen kann, dann sollte man es verdammt noch mal tun, was meinen Sie?«

»Also gut«, sagte de Jong. »Auch einfache Rechenaufgaben sind dazu da, gelöst zu werden. Meine Meinung.«

Ingolf Bolte nahm einen großen Schluck, dann schüttelte er ausgiebig den Kopf und lachte zischend. »Ich will niemanden anschwärzen, weiß Gott … Aber ein Mann ist tot. Mein Freund, verstehen Sie? Mein Kumpel. Und er ist nicht nur einfach so tot. Man hat ihm den Kopf abgeschlagen wie einem …« Er schnaufte unwillig, da ihm offenbar kein Vergleich einfiel. »Und Sie sollten sich wenigstens mit ihr unterhalten.«

»Mit ihr?«

Boltes Kopf nickte nach oben, dort, wo die Wendeltreppe hinaufführte. »Nadja, die ihren Charles angeblich so abgöttisch geliebt hat. Ihn – nicht den guten Jo. Obwohl sie sich ja am Schluss kaum noch die Mühe gemacht hat, es zu verbergen.«

Bühlow schaltete sich ein. »Sie deuten also an, Frau vom Hofe hat ein Verhältnis mit dem guten Jo? So dass die beiden möglicherweise ein Motiv gehabt haben könnten, Herrn Nöck …«

»Ich deute gar nichts an«, widersprach der Agent und hob abwehrend beide Hände. »Ich sage nur, was ist. Schlicht und einfach. Weil ich Augen im Kopf habe.«

»Und zwei und zwei zusammenzählen.«

Schon wieder zischte Bolte. »Die beiden konnten doch die Finger nicht voneinander lassen. Haben jede Gelegenheit genutzt …«

»Na gut«, sagte de Jong. »Aber wenn sie da was am Laufen hatte, dann war das doch noch lange kein Grund, Charles nach dem Leben zu trachten. So geht es in der Regel nur in drittklassigen Fernsehkrimis zu.«

»Fragen Sie sie, Herr Kommissar.« Bolte hob die Schultern in einer Ich-wollte-ja-nur-helfen-Geste. »Mehr will ich nicht.« Aber dann musste er doch noch etwas loswerden. »Jo Lempel verdankt alles, was er ist, Charles Nöck. Ohne Charlie wäre er ein Nichts. Noch weniger: ein Garnichts. Aber der Neid hat ihn zerfressen. Ich wusste das schon immer: Der Kerl ist eine tickende Zeitbombe. Er steckt immer ein, aber vergisst nichts und nimmt alles übel. Wartet auf seine Chance, es heimzuzahlen.«

»Besagter guter Jo war also nicht nur mit Herrn Nöcks Ehefrau …«

»Lebensgefährtin.«

»Okay. Er war nicht nur mit ihr näher befreundet, sondern auch neidisch auf Herrn Nöck und dessen Erfolg.«

Bolte schien darüber nachzudenken. Schließlich nickte er. »Hinzu kommt aber, dass …«

Er verstummte abrupt, als oben, auf der zweiten Ebene, eine Tür geschlossen wurde. »Jetzt ist sie wach«, flüsterte er. Und rief laut: »Nadja? Bist du das? Hier ist Besuch …«

Eine Frau kam, nein, schwebte die Treppe herab. Eine schlanke, langbeinige Blondine, deren welliges, sorgfältig frisiertes Haar perfekt fiel und überhaupt nicht so aussah, als wäre sie gerade aus dem Bett geklettert. Nadja vom Hofe hatte sich in einen flauschigen, weißen Bademantel gehüllt. Ihre zierlichen, nackten Füße steckten in Flipflops.

Bolte hatte sich schon erhoben und leerte eilig sein Weinglas. »Also, ich muss dann auch schon los …«

De Jong legte ihm die Hand auf den Arm. »Sagen Sie mir doch erst noch: Was kommt hinzu?«

»Hinzu?«

»Sie haben gerade gesagt: ›Hinzu kommt aber, dass …‹ Mich würde interessieren, was.«

Bolte zog ein gequältes Gesicht. Offenbar widerstrebte es ihm, weiter in Nadjas Anwesenheit über tickende Zeitbomben zu sprechen. Er war wohl nicht der Mann der offenen Auseinandersetzung. »Die beiden Herren sind von der Kripo«, flötete er in fast heiterer Manier. »Sie tun alles, um den Kerl zu finden, der Charles das angetan hat.«

Nadja nickte de Jong und Bühlow flüchtig zu und steuerte zuerst die Küche an, wo sie den Kühlschrank öffnete, eine Flasche Orangensaft herausnahm und sich davon in ein Glas goss. Dann steckte sie einen bunten Plastikstrohhalm in das Getränk.

Bolte nutzte die Zeit, um sich zu de Jong herunterzubeugen und ihm zuzuraunen: »Ein Schwert. Der Mann besitzt ein Schwert. Und was für eins.«

»Ja, was für eins?«, fragte de Jong.

Bolte aber hatte sich schon wieder aufgerichtet und lächelte Nadja zu, die zu ihnen herüberkam. »Na, sag schon, geht’s dir wieder besser?«

Ihre Reaktion: Sie zog die Mundwinkel herunter und schniefte. Dann setzte sie sich auf die lila Couch, weit genug weg von Bühlow und de Jong, und umschloss mit beiden Händen ihren Orangensaft, als könnte sie sich die Hände daran wärmen.

»Frau vom Hofe«, Bühlow räusperte sich, sobald Bolte die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, »das ist Herr de Jong, Berater der Kripo Münster. Wir möchten Ihnen noch einmal unser Beileid aussprechen. Genau, und dass wir alles tun, um den Mörder zu fassen.«

Sie deutete ein weiteres Nicken an und steckte den Strohhalm in den Mund.

»Wie lange kannten Sie Charles Nöck?«, erkundigte sich de Jong.

Nadja setzte den Strohhalm wieder ab und schniefte. »Nicht lange genug. Erst seit einem Jahr. Seit ich als Model arbeite.« Sie fing an, in den Taschen ihres Bademantels zu kramen.

Bühlow war schneller und reichte ihr ein Papiertaschentuch. »Sie sind Model?«

»Für Unterwäsche.« Frau vom Hofe nahm das Taschentuch kommentarlos entgegen und schniefte hinein. »Dessousmodel. Ich bin sehr gefragt.«

»Das bezweifle ich keine Sekunde«, platzte der Hauptkommissar mit einem platten Kompliment heraus.

»Und Herr Nöck?«, sagte de Jong, den das Geturtel nervte. »War er speziell an Damenunterwäsche interessiert?«

Nadja vom Hofe musterte de Jong mit einem kühlen Blick. »Damals, als ich ihn kennenlernte, habe ich noch nicht gemodelt. Ich war als Treuetesterin tätig. Charles war meine Zielperson.«

»Zielperson? Sie haben ihn beschattet?«, entfuhr es de Jong, der sich im selben Moment alt vorkam, zum Glück las er in Bühlows Miene die gleiche Ahnungslosigkeit, bildete es sich jedenfalls ein.

Das Dessous-Model stellte das Glas auf den Tisch und überprüfte den Knoten ihres Bademantels. »Nehmen wir an, Ihre Frau würde an Ihrer ehelichen Treue zweifeln«, erklärte sie an de Jong gewandt. »Sie ruft die Testagentur an, und die würde mich dann losschicken.«

»Damit Sie mal mit meiner Frau reden, oder was?«

Nadjas genervter Blick richtete sich deckenwärts, als weigerte sie sich zu glauben, dass auf diesem Planeten Lebewesen existierten, die so blöd sein konnten. »Ich mache mich an Sie heran und finde heraus, wie weit Sie gehen würden. Lasse mich zum Essen ausführen, treffe mich mit Ihnen in einem Hotel.«

»Das ist schon ziemlich weit.«

»Wenn es noch weiter geht, haben wir einen Treffer.«

»Einen Treffer?«

»Dann melden wir der Auftraggeberin, dass Sie durch den Test gerasselt sind. Und ich kassiere meine Abschussprämie.«

»Die haben Sie bei Charles Nöck also auch kassiert?«, vermutete Bühlow.

Nadja nickte stolz. »So hat es mit uns angefangen.«

»Wie romantisch«, staunte der Hauptkommissar, der regelrecht aufgedreht wirkte. Es war nicht zu übersehen, dass das Dessousmodel sein Typ war.

»Seine Damalige hatte mich auf ihn angesetzt. Sie war krankhaft eifersüchtig. Als es dann zwischen uns gefunkt hatte, machte sie eine Riesenszene und weigerte sich zu zahlen. Niemand könne von ihr verlangen, dass sie die sexuellen Eskapaden ihres Verlobten auch noch finanziell unterstütze.«

»Ein Standpunkt, den man nachvollziehen kann«, fand de Jong.

»Vielleicht. Aber das hätte sie sich vorher überlegen sollen.«

»Und was ist jetzt mit dem guten Jo?«, erkundigte sich der Exkommissar, um das blöde Grinsen abzustellen, das Bühlows Gesicht entstellte. »Wer hat ihn denn auf Sie angesetzt?«

»Den hat niemand angesetzt.« Nadja widmete sich für einen Moment ihrem Strohhalm. »Jo Lempel hat für Charles gearbeitet. Als sein persönlicher Influencer.«

»Was konkret bedeutet …?«, fragte de Jong.

»Er hatte nicht gerade viele Follower, gerade mal um die 90.000 auf Facebook und Instagram. Aber dafür, dass er fast ausschließlich für Charles Nöck getrommelt hat, ist das doch ganz ordentlich, finde ich.« Sie zuckte mit den Schultern. »Na gut, da war auch noch ein Hersteller für Deodorant und einer für Sportsocken. Aber sonst …«

»War Jo neidisch auf Charles? Auf seinen Erfolg?«

»Neidisch? Quatsch, wer behauptet denn so was?« Nadja nestelte nervös an ihrem Bademantel, zupfte ein wenig am Kragen und vergrößerte auf diese Weise ihr Dekolleté, womit sie Bühlows Aufmerksamkeit gewann. »Sie haben wegen etwas ganz anderem gestritten. Charles hatte immer mal einen schlechten Tag, und damals war er sauer, dass Jo so wenig Follower hatte. Jo war sauer, dass Charles seine Arbeit überhaupt nicht zu würdigen wusste.« Erneutes Schniefen, Bühlow zückte ein weiteres Taschentuch. »Was auch stimmt. Sie glauben nicht, was Jo alles gemacht hat. Zuletzt hat er ein Video auf Youtube gestellt, da hat er mit einem Nöck-Thriller einen Selbstversuch gemacht und den Usern vor laufender Kamera demonstriert, dass er das Buch, nachdem er es einmal angefangen hatte, nicht aus der Hand legen konnte. Aber das hat Charles kaum beeindruckt. Er sagte immer: ›Influenza braucht man nicht, man lässt sich gegen sie impfen.‹ Er fand das witzig. Jo war kurz davor hinzuwerfen, damit Charles dann mal sehe, was er davon hätte. Und ich konnte es ihm nicht verdenken.«

»Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Herrn Lempel?«, erkundigte sich Bühlow.

Nadja zuckte wieder mit den Schultern. »Er ist ein guter Freund. Charles kennt ihn schon viel länger als mich. Damals war er mit seiner Schwester Amanda zusammen. So haben die beiden sich kennengelernt.«

»Sie war also die Dame, die sich weigerte zu zahlen?«, fragte Bühlow.

»Die hat vielleicht rumgezetert, dabei war sie selbst schuld. An Charles’ Stelle wäre ich auch nicht gern mit ihr zusammen gewesen.«

Die folgende kurze Stille wurde nur vom röchelnden Sauggeräusch unterbrochen, das Nadja mit ihrem Strohhalm erzeugte.

»Herr Bolte deutete an«, sagte Hauptkommissar Bühlow, »dass Herrn Nöcks Verhältnis zu seiner Verlegerin kompliziert gewesen sei. Ist Ihnen darüber etwas bekannt?«

»Die Frau ist eine arrogante Zicke. Nöck hat sie reich gemacht. Und den schon totgesagten Verlag wiederbelebt. Und was macht sie: Sie nennt die Präsentation seines neuen Buches albern und behauptet, dass Charles mediengeil sei.« Wieder schniefte sie. »Frieda von Bechritz. Wissen Sie, wie man sie hinter ihrem Rücken nennt: Frigida von Brechreiz. Das passt hundertpro.«

»Noch mal zurück zu Jo«, sagte de Jong. »Ich würde noch gern wissen: Ist zwischen Ihnen beiden zufällig etwas gelaufen?«

Zum Zeichen ihrer Entrüstung zog Nadja einen Schmollmund. »Sie meinen, ob Jo und ich … Und dass wir deshalb Charles aus dem Weg …« Energisches, empörtes Kopfschütteln. »Was die Polizei sich so zusammenreimt! Da finden sich zwei Leute sympathisch, und schon machen sie sich des Mordes verdächtig.«

»Das hat doch keiner gesagt«, widersprach de Jong, schränkte aber dann ein: »Jedenfalls nicht mit diesen Worten.«

Nadja wandte sich demonstrativ von de Jong ab und Bühlow zu. »Ich finde ihn nett, ja. Aber da war nichts zwischen uns. Okay, zwei oder dreimal war ich mit ihm im Bett, aber das war alles.«

»Und hat Charles das nicht gestört?«

Jetzt bekam auch Bühlow einen kritischen Blick ab. »Ich hab doch gesagt, da war nichts zwischen uns.«

»Das könnte er aber doch anders gesehen haben«, meinte Bühlow. »Immerhin haben Sie mit ihm geschlafen.«

»Ach ja?« Mit einer energischen Geste raffte Nadja den Kragen ihres Bademantels, als gönnte sie Bühlow jetzt keinen weiteren Blick mehr. »Und dann hat er Charles Nöck umgebracht, damit ich für ihn frei bin? Denken Sie das? – Nein, Jo ist vielleicht ein bisschen spirituell, aber er ist nicht blöd.«

»Er ist spirituell?«, übernahm de Jong wieder. »Was meinen Sie damit?«

»Jo nimmt Kontakt zu Verstorbenen auf. Und er schwärmt für japanischen Schwertkampf. Der ist hochspirituell. Er ist sogar in einem Verein. ›Du kämpfst nicht, um zu töten‹, hat er immer gesagt. ›Sondern nur darum, dich selbst zu finden.‹«

»Aber er braucht doch ein Schwert, um sich selbst zu finden?«

»Oh ja. Ein echtes Samurai-Schwert. Charles hat ihm eins zum Dreißigsten geschenkt. Es hat ein Vermögen gekostet.«

»Und es ist messerscharf, nehme ich an?«

Plötzlich schien sie zu ahnen, worauf das hinauslief. »Aber Sie denken doch nicht, dass … Nein, das Schwert ist sein Ein und Alles, er würde es niemals …«

»Können Sie uns sagen, wo wir Herrn Lempel finden?«

Sie überlegte, schüttelte dann den Kopf. »Er hat gesagt, dass er weg will, um den Kopf freizubekommen. Nach all dem, was passiert ist.«

»Den Kopf freibekommen«, wiederholte de Jong. »Da sprach er von seinem eigenen, nehme ich an.«

Nadja funkelte ihn wütend an. »Mehr hat er nicht gesagt. Und auf seinem Handy meldet sich nur die Mailbox.«

»Wissen Sie zufällig, wo er sein Schwert aufbewahrt?«

Kopfschütteln. »Das müssen Sie ihn selbst fragen.«

»Wenn er sich bei Ihnen melden sollte«, Bühlow zog eine Visitenkarte aus seiner Jackentasche und legte sie auf den Tisch, »bitte sagen Sie uns Bescheid. Sie verstehen doch, dass es wichtig ist.«

»Aber Sie glauben doch nicht im Ernst, dass er Charles …« Sie stockte. »Dass er ihm das angetan hat?«

»Was wir glauben, ist in dem Fall nicht so wichtig. Wir brauchen Gewissheit. Herr Lempel sollte sich nicht vor uns verstecken, wenn er nicht will, dass wir ihn als Verdächtigen in Betracht ziehen.«

»Eins kann ich Ihnen jedenfalls versichern.« Nadja beugte sich zu Bühlow und legte ihre Hand auf seinen Arm. »Selbst wenn …«

»Selbst wenn was?«

»Selbst wenn er diese Tat begangen hätte, was ich nicht glaube. Nie und nimmer. Dann nicht mit diesem Schwert.«

»Wie kommen Sie darauf? Besitzt er noch eine andere Waffe?«

Frau vom Hofe sah schon wieder genervt aus. »Nein, aber es ist doch wohl klar, dass er die Tatwaffe nach der Tat verschwinden lassen muss, oder? Das ist doch so üblich. Er muss sie irgendwo ins Wasser werfen oder ins Moor, wo sie nicht gefunden wird, stimmt doch?«

Bühlow nickte. »Nun, niemand wird gezwungen, das zu tun. Abgesehen davon, dass es eine schwere Straftat ist. Aber wenn ich Herrn Nöck umgebracht hätte, würde ich das erwägen.«

»Eben. Und ich sagte ja schon, dass dieses Schwert ein Vermögen gekostet hat. Es wegzuwerfen, wo es niemand finden kann, das wäre doch eine Schande.«

Kopflos am Aasee

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