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d) Die dogmatische Besonderheit des Art. 110 AEUV

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Art. 110 AEUV ergänzt das System der Warenverkehrsfreiheit im Bereich der internen fiskalischen Regulierung durch die Mitgliedstaaten. Die Vorschrift verbietet auf der Ebene der internen (steuerlichen) Regulierung als abgabenrechtliche lex specialis zum allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV jede diskriminierende (Abs. 1) oder protektionistische (Abs. 2) Besteuerung ausländischer Waren. Ausländische Waren dürfen folglich nach dem Marktzutritt nicht durch nationale Steuervorschriften gegenüber inländischen Waren diskriminiert werden. Damit verhindert Art. 110 AEUV insbesondere die Umgehung des Zollverbots gemäß Art. 28, 30 AEUV durch steuerliche Belastungen nach dem Marktzutritt einer Ware.[22] Die dogmatische Besonderheit des Art. 110 AEUV, die sich allerdings auch im Rahmen des Verbots von Zöllen und zollgleichen Abgaben gemäß Art. 30 AEUV wiederfindet, ist das Fehlen einer Rechtfertigungsmöglichkeit im Wortlaut der Vorschrift, der lediglich zwei Tatbestandvoraussetzungen enthält, nämlich im Falle des Abs. 1 die Gleichartigkeit der in- und ausländischen Waren sowie deren steuerliche Ungleichbehandlung durch einen Mitgliedsstaat bzw. im Falle des Abs. 2 ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den in- und ausländischen Erzeugnissen sowie der Schutz konkurrierender inländischer Produktionen.

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Die Rechtsprechungswirklichkeit zeigt allerdings, dass der Gerichtshof die Dogmatik des Art. 110 AEUV stark weiterentwickelt hat und eine sogenannte „objektive Rechtfertigung“ prüft, indem er eine unterschiedliche Besteuerung erlaubt, sofern (1) die vorgenommene Differenzierung anhand objektiver Kriterien erfolgt, (2) die Verfolgung wirtschaftspolitischer Ziele, die mit denen des Unionsrechts korrespondieren, bezweckt ist und (3) keine diskriminierende bzw. protektionistische Wirkung vorliegt.[23] Mit dem Kriterium der legitimen wirtschaftspolitischen Ziele führt der Gerichtshofs faktisch eine immanente Rechtfertigungsmöglichkeit im Rahmen des Art. 110 AEUV ein, wobei er sich der Rechtfertigung jedoch nicht nach der Feststellung eines Eingriffs widmet, sondern vielmehr bereits im objektiven Tatbestand des Art. 110 AEUV mögliche Rechtfertigungsgründe bzw. (legitime) wirtschaftspolitische Ziele einschließlich deren Prüfung anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einfließen lässt. Unter deren Prämisse untersucht der Gerichtshof, ob die mitgliedstaatliche Steuerregelung gleichartige bzw. konkurrierende in- und ausländische Erzeugnisse unterschiedlich bzw. in protektionistischer Weise besteuert. Dabei nutzt er die herausgearbeiteten Ziele als Leitlinie für die Feststellung einer Diskriminierung bzw. einer protektionistischen Schutzwirkung und nutzt diese positiv, soweit die wirtschaftspolitischen Ziele den Erfordernissen des Unionsrechts in verhältnismäßiger Weise entsprechen. Im Ergebnis kommt es tatbestandlich damit nicht zu einer Diskriminierung bzw. protektionistischen Schutzwirkung (siehe Fall 3, Rn. 209 ff.).[24]

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