Читать книгу Klausurenkurs im Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrecht - Christoph Herrmann - Страница 78
(2) Darlegung der unionsrechtlichen Rechtsnatur im „Binnenverhältnis“
Оглавление108
Möglicherweise könnte das Selbstverständnis des Unionsrechts dazu führen, dass es nicht als Teil des Völkerrechts anzusehen ist. So nimmt das primäre Unionsrecht für sich in Anspruch, normhierarchisch über dem Völkerrecht zu stehen, was sich u.a. aus dem Gutachtenverfahren gemäß Art. 218 Abs. 11 S. 1 AEUV ergibt.[37] Zudem steht das Völkerrecht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rang unterhalb des Primärrechts und oberhalb des Sekundärrechts und ist „integrierender Bestandteil“[38] des Unionsrechts. Der Gerichtshof stellte in der Rechtssache Costa/E.N.E.L. fest, dass die Unionsverträge im Unterschied zu gewöhnlichen internationalen Verträgen eine eigene Rechtsordnung geschaffen haben, die in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden und von ihren Gerichten anzuwenden ist.[39] Das Unionsrecht ist seinem Selbstverständnis nach damit – vor allem auch im Verhältnis zu den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen – eine „neue Rechtsordnung des Völkerrechts“[40], eine Rechtsordnung sui generis. Angesichts dessen betrachten etwa Investitionsschiedsgerichte[41] das Unionsrecht nicht als Völkerrecht, sondern als Faktum (bzw. als Recht des beklagten Staates). Dies entspricht der Behandlung innerstaatlichen Rechts in internationalrechtlichen Kontexten.[42]
Damit ist das Unionsrecht im vorliegend maßgeblichen Verhältnis zu den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen nicht als Teil des Völkerrechts anzusehen und nicht für allgemein völkerrechtliche Bewertungen zugänglich.[43] (a.A. vertretbar)
109
Hinweis:
Sollten Klausurbearbeitende die gegenteilige Ansicht vertreten, wäre zu argumentieren, dass die Eigenheiten der unionalen Rechtsordnung, nämlich der Anwendungsvorrang sowie die unmittelbare Anwendbarkeit des unionalen Primärrechts, das Verhältnis zwischen Unionsrecht und mitgliedstaatlichem Recht betreffen und durch die mitgliedstaatlichen Verfassungen vorgegeben sind. Der völkerrechtliche Charakter des Unionsrechts bleibt davon unberührt. Damit stellt das Unionsrecht ungeachtet seines Selbstverständnisses grundsätzlich einen Teil des Völkerrechts dar.